Zusammenfassung
Nach eingehender Diskussion wird die Frage, ob alle Polyneuritiden, soweit sie nicht durch Vergiftungen, Stoffwechselkrankheiten, Avitaminosen bedingt sind, unspezifisch, als Folge einer Antigen-Antikörperreaktion nach Infektionskrankheiten, Schutzimpfungen entstehen, verneint. Ein Teil der Polyneuritiden, z. B. nach Diphtherie oder Ruhr dürfte zwanglos durch Toxinschädigung des ZNS erklärt werden, während für einen Teil der akuten Polyneuritiden eine infektiöse Ätiologie durch einen noch nicht bekannten Erreger nicht von der Hand zu weisen ist. Es werden 5 klinische Befunde aus einer Polyneuritisepidemie von insgesamt 17 Fällen, die in den Monaten Juli bis August 1942 auf der Halbinsel Krim bei der Truppe auftraten, mitgeteilt. In 5 Fällen fand eine eingehende anatomische Untersuchung des ZNS statt, und die Diagnose einer Polyneuritis wurde bestätigt; für eine entzündliche Vorderhornerkrankung bestand kein Anhaltspunkt. Zwei eigene anatomische Befunde wurden ausführlich wiedergegeben, im ersten Falle, der innerhalb von 1 1/2 Tagen starb, konnten bereits in den peripheren Nerven leichte unzweifelhafte lymphocytäre Infiltrationen festgestellt werden. Im zweiten Falle, bei dem die neurologischen Erscheinungen 8 Tage lang dauerten, waren die entzündlichen Veränderungen in den peripheren Nerven und Wurzeln viel ausgeprägter. Auffallend war die Kombination mit meningealen Infiltraten in 3 Fällen; in einem Falle waren die kreislaufbedingten Nekrosen im Hirnstamm und in der Herzmuskulatur infolge Thrombose bemerkenswert, wodurch man die Komplikationen von seiten des ZNS in Form von Schlafsucht und Pyramidenzeichen erklären konnte. In allen Fällen wurden bei der Körpersektion deutliche Zeichen zentralen Todes festgestellt. Das gehäufte Auftreten der Fälle in einem relativ kurzen Zeitabschnitt, wobei die Patienten zum Teil denselben Unterkunftsräumen und Truppenteilen entstammten, spricht für die infektiöse Ätiologie. Die mögliche Beziehung zur Poliomyelitis wird an Hand von Literaturbeispielen und eigener Beobachtung einer kindlichen Guillain-Barrè-Polyneuritis im Spätsommer während einer Häufung von Poliomyelitisfällen in Unterfranken diskutiert, ohne daß man über die Ätiologie der Fälle in Anbetracht fehlender bakteriologischer Untersuchungsbefunde etwas endgültiges aussagen kann.
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Herrn Prof. Dr. Nonne in Verehrung zu seinem 90. Geburtstag gewidmet.
Mit 8 Textabbildungen.
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Kolle, K., Schaltenbrand, G. & Töbel, F. Zur Frage der infektiösen Polyneuritis. Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde 167, 215–236 (1952). https://doi.org/10.1007/BF00242760
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