Zusammenfassung
Abseits des naturtheoretischen und umweltpolitischen “male stream” wird seit einigen Jahren eine heftige Kontroverse geführt, die exemplarisch ins Zentrum jeder heutigen Bestimmung eines angemessenen Begriffs von „Natur“ führt: die feministische Kontroverse um das Verhältnis von biologischem Geschlecht (sex) und sozialem Geschlecht (gender). Strittig ist, wie das Verhältnis beider zueinander bestimmt werden soll, ob beide „Elemente“ gleichgewichtig in das Wahrnehmen und Handeln der Geschlechter und in ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten eingehen, ob sex das unhintergehbare “Material” menschlicher Natur darstellt oder bereits und inwiefern gesellschaftlich überformt ist, oder ob, so die aktuellste Lesweise orientiert an der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler (1991, 1993), auch die biologische Verfaßtheit selbst gleichsam restlos in gesellschaftlicher diskurser Realität aufgeht. Diejenige Position, die an der Kategorie sex festhalten will, wird summarisch unter den Essentialismus-Verdacht gestellt, sie gilt als biologistisch und damit letztlich als antifeministisch, mindestens aber als theoretisch anachronistisch. Die sich selbst als avanciert betrachtende konstruktivistische Position, die „Natur“ ausschließlich in ihrer gesellschaftlichen Erkennbarkeit und Benennbarkeit thematisiert und jegliches An-Sich-und-Für-Sich-Sein menschlicher und nichtmenschlicher Natur als irrelevant bestreitet, gilt derzeit in der feministischen Theorie als die theoretisch korrekte Position (vgl. die Kontroverse im Gesamtbild in Feministische Studien 1993, Wobbe/Lindemann 1994, Institut für Sozialforschung 1994).
Erstveröffentlichung in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 25 (1996), H.2, S.183–192. Wir danken Autorin und Verlag für die Genehmigung zum Wiederabdruck.
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Literatur
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Holland-Cunz, B. (1999). Naturverhältnisse in der Diskussion: Die Kontroverse um “sex and gender” in der feministischen Theorie. In: Bauhardt, C., von Wahl, A. (eds) Gender and Politics. Politik und Geschlecht, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10133-8_1
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