Zusammenfassung
Obwohl die Begriffe Dekonstruktion und Postmoderne schon seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr aus der geisteswissenschaftlichen Diskussion weg zu denken sind, macht es den Anschein, dass dekonstruktives Denken bislang kaum Eingang in handlungsorientierte Wissenschaften wie zum Beispiel die Soziale Arbeit gefunden hat. Die Dekonstruktion existiert nicht, stattdessen gibt es im Gefolge von Derrida, von dem der Begriff der Dekonstruktion eingeführt wurde, ethnomethodologische Ansätze, die sich eher auf die Ebene der alltäglichen Handlungen beziehen (vgl. Garfinkel 1967; Kessler/McKenna 1978), diskurstheoretische, die die Ebene der symbolischen Ordnung fokussieren (diesem Bereich ist Foucault und auch die feministische Rezeption Foucaults, wie sie Butler vorgenommen hat, zuzuordnen) und auch leibtheoretische, die das kulturell konstruierte Körperempfinden in den Mittelpunkt rücken (vgl. Lindemann 1993). Gemeinsam ist allen dekonstruktiven Ansätzen, dass hiermit eine Arbeitsmethode bezeichnet wird, die darauf abzielt, die Konstruiertheit von Wirklichkeit aufzuzeigen und gleichzeitig den Boden ebnet für die Möglichkeit neuer Konstruktionen. Dabei geht es immer in besonderer Weise darum, den eigenen Anteil an Konstruktionsprozessen von Kategorien (wie die Kategorie Geschlecht) und Hierarchien kritisch zu betrachten. Meine Annäherung an die dekonstruktive Theorie erfolgte aus dem feministischen Interesse, die Hierarchie zwischen den Geschlechtern abzubauen. Ich erhoffte mir über die Auseinandersetzung mit dekonstruktiven Theorien zu einer Weiterentwicklung feministischer Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit beitragen zu können. Die Einsicht, dass die Geschlechterdifferenz jedoch nur als eine unter vielen sozial/kulturell hergestellten Differenzen, die auf vielfältige Weise ineinander greifen zu verstehen ist, führte mich dann aber dazu meinen Fokus zu erweitern und mich auf die Suche nach einem dekonstruktiven Ethos zu begeben, das im Allgemeinen für die Soziale Arbeit relevant sein könnte. Diese Fokuserweiterung spiegelt sich auch in diesem Artikel wieder. So klingen insbesondere Fragen an die feministische sozialarbeiterische Praxis an, aber diese Fragen erscheinen auf dem Hintergrund des zu Grunde liegenden dekonstruktiven Ethos, das auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit seine Anwendung finden kann.
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Literatur
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Szemerédy, S. (2001). Der/die spezifische Intellektuelle Foucaults. In: Fritzsche, B., Hartmann, J., Schmidt, A., Tervooren, A. (eds) Dekonstruktive Pädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09575-0_17
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