Die Wissenschaftlichen Anschauungen über die Gerbeprocesse in ihrer Entwicklung

Zusammenfassung

Wenige Gewerbszweige haben so spät wissenschaftliche Beachtung gefunden, wie die Umwandlung der thierischen Haut zu Leder. Jahrhunderte lang bestand und entwickelte sich die Praxis zu einem hohen Grade von Vollkommenheit, und zwar selbstständig ohne Beihülfe der Wissenschaft, bis man sich zu einer theoretischen Erklärung der zu Grunde liegenden Processe herbeiliess. Die Anfänge dazu fallen mit dem Eintritt der Chemie in die Reihe der Wissenschaften zusammen: man begnügte sich mit dem Hinweis auf die äussere Aehnlichkeit des Vorganges mit anderen chemischen Proceduren, sowie auf die Thatsache, dass die vegetabilischen Gerbstoffe mit dem thierischen Leim Niederschläge geben. Von vornherein war mit diesem vorläufigen Hinweis höchstens eine Erklärung der Lohgerberei, aber gar keine der anderen Zweige, der Sämisch-, der Weissgerberei, gegeben; andererseits war derselbe mit einer Reihe von anderen feststehenden Thatsachen völlig unvereinbar. Zunächst ist die Beschaffenheit des Niederschlages des thierischen Leims mit Gerbstoff das gerade Gegentheil von der des Leders: der Niederschlag bleibt nach dem Trocknen als spröde, leicht pulverisirbare Masse im Gegensatz zu dem geschmeidigen Leder. Dazu kommt, dass die thierische Haut zwar vorzugsweise aus einem leimgebenden Gebilde besteht, aber kein Leim ist.