Überblick
Unabhängig von den Folgen menschlicher Tätigkeit müssen Organismen nicht nur mit als „toxisch“ eingestuften Elementen und deren Verbindungen, sondern auch mit natürlich vorkommenden radioaktiven Isotopen und der von ihnen ausgehenden Strahlung koexistieren. Alle Formen energiereicher ionisierender Strahlung (α-, β-, γ-, Röntgen- und Neutronenstrahlung) können zum Bruch chemischer Bindungen führen, wobei entweder direkt oder auch mittelbar, etwa über das aus dem Hauptbestandteil H2O von Organismen mit Strahlung entstehende Hydroxylradikal OH, eine Schädigung von Enzymen und von genetischem Material möglich ist (Schulte-Frohunde). Auch hier werden die schon beim Abbau von „oxidativem Streß“ erwähnten organismuseigenen Abfang- und Reparaturmechanismen (Kap. 16.8) bis zu einem gewissen Grade wirksam. Kupfer-Komplexe, insbesondere die auch anderen therapeutischen Zwecken dienende Superoxid-Dismutase (vgl. Kap. 10.5; Sorenson) oder Schwefelverbindungen wie etwa Cystein oder Cysteamin (= 2-Mercaptoethylamin H2N—CH2—CH2—SH) können dazu beitragen, biologische Strahlenschäden bei vorheriger Verabreichung durch Radikal-Abfang und rasche Einelektronen-Reduktion ionisierter Spezies zu mindern. Weitere therapeutische Maßnahmen bei drohender Inkorporierung radioaktiver Elemente bestehen im Zurückdrängen der Aufnahme durch Sättigung körpereigener Speicher mit nicht-radioaktivem Material (→) „Iod-Tabletten“) sowie in der gezielten Komplexierung und Ausscheidung (Sr, Pu). Vom unwissend sorglosen Umgang mit radioaktivem Material in der Frühzeit der Kernchemie (Macklis) über die großtechnische Kernwaffenproduktion und -anwendung bis hin zu den höchst detailliert verfolgten globalen Auswirkungen des Reaktorunfalls in Tschemobyl im Frühjahr 1986 (Herrmann) hat die Sensibilität der Öffentlichkeit stark zugenommen, was inzwischen auch erhebliche Konsequenzen für den Umgang mit diagnostisch und therapeutisch nützlichen Radionukliden hat.
Radioaktive Isotope unterscheiden sich chemisch von den stabilen Isotopen desselben Elements nur durch den generellen Isotopeneffekt (Massendifferenz !) auf die Reaktionsgeschwindigkeit. Die äußerst niedrig liegende Nachweisgrenze für viele radioaktiv strahlende Isotope erlaubt dadurch eine zeitliche und räumliche Verfolgung physiologisch wichtiger (32P, 22Na, 35S) wie auch auch sehr seltener, „unphysiologischer“ Elemente in Organismen.Andererseits können selbst sehr geringe Mengen radioaktiver Isotope erhebliche genetische Schäden verursachen. Das Ausmaß dieser Schäden wie auch die gesamte radiobiologische Wirkung hängen von vielerlei Faktoren ab: von der FIOchtigkeitder vorliegenden Verbindungen des Elements, von der Bindung an transportierende Partikel, von der Effektivität der Aufnahme durch Organismen, von Art und Energie der emittierten Strahlung (c- oder ß-Partikelstrahlung gegenüber elektromagnetischer y-Strahlung), von der Lokalisation des Isotops innerhalb des Organismus, von der radioaktiven („physikalischen“) und von der biologischen Halbwertszeit, d.h. von der mittleren Verweildauer. Letztere wird ihrerseits durch die chemische Verbindung des betreffenden Elements, die Art der Aufnahme und durch die Verbreitung im Organismus bestimmt ; die aus der „normalen“ Toxikologie bekannten Variationsbreiten innerhalb (Abb. 2.4) und zwischen Populationen existieren auch hier. Vor einer Darstellung der medizinischen Verwendung radioaktiver Isotope als Tracer in der Diagnose oder als z.B. Tumorgewebe-zerstörende Therapeutika sollen zunächst die natürlich in der Umwelt vorkommenden Radionuklide und die aus Kemspaltungs-Reaktionen entstehenden Isotope anorganischer Elemente sowie deren Wechselwirkungen mit Organismen vorgestellt werden (Vogel, Skuza; Booek et al.).
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Kaim, W., Schwederski, B. (2005). Biochemisches Verhalten anorganischer Radionuklide: Strahlenbelastung und medizinischer Nutzen. In: Bioanorganische Chemie. Teubner Studienbücher Chemie. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01605-2_18
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