I. Untersuchungsgegenstand

Die vorliegende Arbeit untersucht, wie datenbasiertes Profiling und automatisierte Entscheidungen funktionieren, funktional miteinander zusammenhängen und reguliert sind (Teil I). Im Anschluss analysiert sie, welche Möglichkeiten der Nutzung von Profiling bestehen, um im Online-Handel Preise zu personalisieren (Teil II). Aufbauend auf den so gefundenen Erkenntnissen behandelt die Arbeit schließlich die Frage, ob das geltende materielle Recht ausreichende Schutzmechanismen vor Diskriminierung bereithält, die aus der Zugehörigkeit zu geschützten Gruppen resultiert und in ihrer systematischen preislichen Schlechterstellung zum Ausdruck kommt (Teil III). Die Arbeit ist modular aufgebaut. Der erste Teil erarbeitet eine Grundlage für die weiteren Untersuchungen. Der zweite und dritte Teil bauen auf dem jeweils vorhergehenden auf. Preispersonalisierung stellt nur einen von zahlreichen denkbaren Anwendungsfällen der im ersten Teil entwickelten Grundlagen dar. Bei der Analyse des bestehenden Diskriminierungsschutzes handelt es sich, daran anknüpfend, um die Behandlung einer speziellen rechtlichen Fragestellung.

Bei Profiling geht es im Wesentlichen um die Bewertung der persönlichen Aspekte einer natürlichen Person mithilfe einer automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten (Art. 4 Nr. 4 Datenschutz-GrundverordnungFootnote 1). Es handelt sich um ein technisches Erkenntnisverfahren, welches sich statistischer Methoden und der automatisierten Bildung künstlicher Vergleichsgruppen bedient, um Analysen und Vorhersagen über natürliche Personen oder Personengruppen zu erstellen. Gegenstand dieser Bewertungen ist stets ein Mensch. Voraussetzung für Profiling ist immer der Zugriff auf Daten, die größtenteils personenbezogen sind. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Technik, etwa in den Bereichen Werbewirtschaft und Kredit-Scoring, kann kaum überschätzt werden. Profiling befindet sich damit an einer fragilen Schnittstelle von persönlichkeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Interessen. Da die Digitalwirtschaft von zunehmender Individualisierung und dem Einsatz automatisierter Entscheidungsfindungsprozesse geprägt ist, ist die Frage des richtigen Umgangs mit Profiling auch von gesellschaftlicher Relevanz.

Preispersonalisierung bedeutet, stark verkürzt formuliert, dass der Preis für ein Gut oder eine Dienstleistung an die individuelle Zahlungsbereitschaft des einzelnen Kunden angepasst wird. Die Arbeit behandelt (ausschließlich) den Online-Handel mit Gütern und Dienstleistungen zwischen Unternehmern und Endverbrauchern. Typische Anwendungsfälle sind beispielsweise der Verkauf von Verbrauchsgütern und das Anbieten von Flugbuchungen. Preispersonalisierung ist begrifflich strikt zu unterscheiden von dynamischer Preissetzung. Diese ist kein Ausdruck von Personalisierung, sondern von Angebot und Nachfrage. Diese Abgrenzung ist für die vorliegende Untersuchung von essenzieller Bedeutung. Nur Personalisierung löst datenschutzrechtliche (und einige andere) Schutzmechanismen aus. Zudem wird sie von Kunden deutlich negativer rezipiert als dynamisch begründete Preisschwankungen. Die Diskriminierung geschützter Gruppen durch personalisierte Preise ist gegenwärtig ein wohl eher theoretisches Problem. Der Nachweis, dass Preise überhaupt personalisiert werden, ist nur mit großem technischem Aufwand möglich. Umso schwieriger ist der Nachweis einer Diskriminierung geschützter Gruppen durch personalisierte Preise. Abwegig ist eine solche aber nicht: Die – vor allem in den USA – bereits vor längerer Zeit erkannte Problematik des sog. RedliningsFootnote 2 kann in abgewandelter Form auch im Kontext von personalisierten Preisen wieder Realität werden. Die im dritten Teil dieser Arbeit diskutierte Frage, ob das geltende Recht diesem Szenario gewachsen ist, ist damit nicht nur eine akademische.

Die Untersuchung wählt zunächst einen datenschutzrechtlichen Blickwinkel und erweitert diesen Schritt für Schritt um Erkenntnisse aus dem technischen, ökonomischen und empirischen Bereich. Der datenschutzrechtliche Ansatz wird im dritten Teil der Untersuchung umfassend um verbraucherschutz- und antidiskriminierungsrechtliche Erwägungen ergänzt. Auf spezifisch kartellrechtliche Fragestellungen geht die Analyse dort nur am Rande ein. Preisdiskriminierung und Personalised PricingFootnote 3 werden auch im kartellrechtlichen Schrifttum – vor allem im Kontext des Missbrauchstatbestands, Art. 102 AEUV bzw. § 19 f. GWB – diskutiert.Footnote 4 Der dritte Teil dieser Arbeit untersucht rechtliche Schutzmechanismen, die bestimmte Gruppen vor unzulässiger Diskriminierung bewahren sollen. Auf dieses spezifische Problem ist das Kartellrecht aber nicht zugeschnitten. Im Gegensatz zum Datenschutz- und Antidiskriminierungsrecht schützt es den freien und unverfälschten Wettbewerb. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zukünftig – etwa unter Rückgriff auf die Konstellation des Ausbeutungsmissbrauchs – im Kontext von personalisierten Preisen auch im Hinblick auf den Schutz von Endverbrauchern Bedeutung erlangen wird. Dieser Schutz vor Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wäre aber gänzlich unabhängig und losgelöst von einem Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer geschützten Gruppe. Unabhängig davon haben datenschutz-, verbraucherschutz- und lauterkeitsrechtliche Lösungen den Vorteil, dass sie in den hier diskutierten Konstellationen einen bedeutend breiteren und grundsätzlich stets eröffneten Anwendungsbereich aufweisen: Sie erfordern keinen Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung und keine vertieften ökonomischen Analysen.Footnote 5

II. Gang der Untersuchung

Abgesehen von der Einleitung und den abschließenden Bemerkungen gliedert die Arbeit sich in drei Teile. Der erste widmet sich zunächst einer datenschutzrechtlichen und technischen Annäherung an den Begriff Profiling, aufbauend auf der Legaldefinition des Art. 4 Nr. 4 DSGVO. Ausgehend davon wird ein 3-stufiges Modell entwickelt, auf das im Laufe der Untersuchung immer wieder Bezug genommen wird und dieser als Grundlage dient. Dieses Modell bildet ab, wie automatisierte datenbasierte Entscheidungsfindungsprozesse in tatsächlicher Hinsicht ablaufen: Auf Stufe 1 findet die Sammlung personenbezogener Daten sowie abstrakter Vergleichsdaten statt, auf Stufe 2 das Auswerten der Daten (das eigentliche Profiling), auf Stufe 3 das Treffen und Ausführen von Entscheidungen, aufbauend auf den Erkenntnissen des Profilings. An dieser Stelle findet eine erste Auseinandersetzung mit den datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen statt. Das 3-stufige Modell kann als Blaupause für weitere Forschung dienen. Es ist nicht auf den Anwendungsfall „Preispersonalisierung“ beschränkt, sondern stets anwendbar, wenn datenbasiertes Profiling zum Treffen und Ausführen von automatisierten Entscheidungen herangezogen wird. Es erlaubt die Analyse von Abläufen, ihre rechtliche Bewertung und die Zuordnung von Verantwortlichkeiten. Der letztgenannte Aspekt entfaltet seinen Nutzen vor allem dann, wenn verschiedene Akteure arbeitsteilig zusammenwirken und die verschiedenen Stufen von verschiedenen Personen verantwortet werden.Footnote 6

Der zweite Teil der Arbeit widmet sich im Schwerpunkt der Preispersonalisierung und ihrer Umsetzung in Theorie und Praxis. Dafür ist zunächst eine Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Begriff Preisdiskriminierung notwendig. Personalisierte Preise stellen nach hier vertretener Ansicht einen Unterfall von Preisdiskriminierung 3. Grades dar. Eine wesentliche Erkenntnis dieses Teils liegt darin, dass Profiling und Preispersonalisierung auf derselben konzeptionellen Herangehensweise basieren. Das 3-stufige Modell dient hier als Grundlage, um zu eruieren, wie Preispersonalisierung in der Theorie ablaufen könnte und welchen Hindernissen Anbieter ausgesetzt sind. Diese Erwägungen werden ergänzt durch eine umfassende Analyse von empirischen Studien, die sich mit dem Vorkommen von Preispersonalisierung in der Praxis befasst haben, sowie ausgewählten Einzelfällen. Dabei zeigt sich, dass personalisierte Preise heutzutage ein ausgesprochen seltenes Phänomen zu sein scheinen – im starken Gegensatz zu dynamisch und anderweitig begründeten Preisschwankungen und Individualisierungen.

Der dritte Teil der Arbeit führt tatsächliche, rechtliche und normative Erwägungen zusammen. Er stellt die Frage, ob das geltende materielle Recht in der Lage ist, eine durch Preispersonalisierung herbeigeführte Diskriminierung rechtlich geschützter Gruppen zu verhindern. Hintergrund dieser Fragestellung ist die Überlegung, dass Profiling-basierte Preispersonalisierung auf dem Prinzip der Gruppenbildung aufbaut. Dem systematischen Bilden und Andersbehandeln einzelner Gruppen wohnt die Gefahr inne, solche Gruppen zu benachteiligen, die aus rechtlichen – letztlich moralischen – Gründen nicht benachteiligt werden dürfen. Das Recht begegnet dem Problem der ungewollten Diskriminierung im Privatrechtsverkehr mit zwei Mechanismen: Indem es Informationspflichten auferlegt und indem es bestimmte (diskriminierende) Handlungen verbietet. Einschlägige Schutzmechanismen finden sich im Datenschutzrecht, im Lauterkeitsrecht und im Antidiskriminierungsrecht. Ihr Zusammenspiel auf den drei Stufen des Modells wird analysiert und bewertet. Diese rechtliche Analyse bezieht sich stets auf das spezifische Problem der Gruppendiskriminierung. Dennoch sind einige ihrer Ausführungen auch auf andere Fallkonstellationen übertragbar.

III. Methodik

Die hier untersuchten rechtlichen Fragestellungen können nicht losgelöst von praktischen Erwägungen und Erkenntnissen aus anderen Disziplinen beantwortet werden. Deshalb kommen nicht nur die klassischen juristischen Auslegungsmethoden sowie die Auswertung von Rechtsprechung und Behördenpraxis zum Tragen. Das hier entwickelte 3-stufige Modell stellt einen eigenen methodischen Ansatz dar. Es ist strukturell an eine datenschutzrechtliche Denkweise angelehnt und erlaubt die zielgerichtete Verknüpfung von wirtschaftlichen bzw. technischen Abläufen mit einer rechtlichen Bewertung. Der Begriff Preispersonalisierung als Unterfall von Preisdiskriminierung ist ein genuin ökonomischer. Um ihn einer rechtlichen Bewertung überhaupt zugänglich zu machen, ist eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen Begrifflichkeiten und den damit einhergehenden Wirkweisen zwingend. Die Untersuchung des praktischen Vorkommens von Preispersonalisierung basiert auf der Auswertung verschiedener empirischer Studien. Ihre Analyse ist unter zwei Gesichtspunkten hilfreich: Sie hilft zunächst, zu verstehen, wie häufig und mit welchen ökonomischen Auswirkungen Preispersonalisierung tatsächlich vorkommt. Zudem verdeutlicht sie, wie schwierig – teilweise unmöglich – die Abgrenzung von personalisierten und dynamischen Preisen ist. Im Kontext von Preispersonalisierung greift die Arbeit zudem auf Erkenntnisse aus dem Marketing und der Verhaltensökonomie zurück.