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Poetische Rezeptionen (Adaptionen)

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Spinoza im frühen 20. Jahrhundert

Part of the book series: Schriften zur Weltliteratur/Studies on World Literature ((SWSWL,volume 14))

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Zusammenfassung

Die auf die Arbeiten von Jakob Freudenthal und K. O. Meinsma bezugnehmende Biographie von Yankev Shatzky richtet sich an zwei unterschiedliche Lesergruppen. In seiner Arbeit sind Elemente einer wissenschaftlichen wie auch solche einer populären Biographieform verknüpft. Shatzkys eigene Perspektive zeigt sich u. a. in der Fokussierung auf das Motiv der „Svive “ sowie auf das der Einsamkeit. In Melech Ravitchs kulturtheoretischem Text ist die Thorie des Spinoza Grundlage und Kern eines Zweiten Tanachs. Seine Spinoza-Gedichte sprechen beispielsweise von der Bedeutung des Traktats oder von der Übermacht der Affekte. Ebenso wird thematisiert, welche Anstrengung der Philosoph aufbringen musste, um sich von der jüdischen Tradition zu distanzieren. Margarete Susman schreibt den in einem kulturtheoretischen Essay entwickelten Gedanken von einer spinozanischen Struktur in ihren Gedichten aus. In den Spinoza-Texten von Rose Ausländer, Avrom Sutzver und H. Leivick finden sich u. a. die Gedanken von der Einheit und dem Kristallhafte der spinozanischen Theorie sowie von ihrer Bedeutung für den Schaffungsprozess. Der Text von Yoysef Tunkel karikiert die Spinoza-Rezeption in der jiddischen Presse und in jiddisch-kulturellen Institutionen.

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Notes

  1. 1.

    Zur Namensmodifikation vgl. Shapiro, Robert Moses: Jacob Shatzky. Historian of Polish Jewry. In: Yiddish (1991). S. 12–25, hier: S. 22, Anmerkung 2: Seinen ursprünglichen Geburtsnamen ‚Shatzkin‘ hatte der Historiker zunächst zu ‚Szacki‘ polonisiert und später zu ‚Shatzky‘ anglisiert.

  2. 2.

    Shatzky schrieb überwiegend Artikel für Theaterjournale und allgemeine Tageszeitungen.

  3. 3.

    Bei diesen ersten Publikationen in jiddischer Sprache handelte es sich um Buchkritiken. Vgl. Shapiro, Jacob Shatzky, S. 15.

    Die beiden Bibliographien zu Shatzkys Werk geben 580 Titel an. Neben den mehrbändigen Monographien zum Warschauer Judentum handelt es sich bei der überwiegenden Anzahl der Arbeiten um Aufsätze. Die thematischen Schwerpunkte seiner Arbeit sind dabei die Geschichte des polnischen Judentums, die jiddische Kulturgeschichte, (jiddische) Literaturgeschichte sowie das jiddische Theater. Vgl. Kosover, M.; Unger, M.: Yankev Shatski. A Bibliography of the Writings of Jacob Shatzky. Reprinted from Annual of the Yiddish Scientific Institute. Bd. 2. New York 1939 (jidd.). Ebenso Lifshits, Y. (Hg.): Shatski-bukh. Nyu York, Buenos Ayres 1958, S. 327–376.

  4. 4.

    1893 in Warschau geboren, gehörte er zu einer Gruppe polnisch-jüdischer Historiker, die in der Zwischenkriegszeit aufwuchs. Robert Moses Shapiro zeichnet in seinem Aufsatz den Werdegang Shatzkys detailliert nach, indem er Bezug auf dessen autobiographische Darstellungen nimmt. Er legt dar, auf welche Weise dieser sich bereits in sehr jungen Jahren für Historie zu interessieren beginnt. Zunächst in Begleitung seines Vaters, später dann allein nimmt der junge Shatzky an Beerdigungen bedeutender Persönlichkeiten des jüdischen Lebens in Warschau teil und beginnt so, (polnisch-jüdische) Historie nachzuvollziehen. Vgl. Shapiro, Shatzky, S. 13.

  5. 5.

    Patriotisch gestimmt war er – vielen anderen polnischen Juden gleich – in die Legion Piłsudski eingetreten und bekleidete dort den Rang eines Leutnants. Diese militärische Erfahrung begründete sein Interesse als Forscher hinsichtlich jüdischer Beteiligung in anderen polnischen Kriegen. 1918 bekam er als erster Jude die Möglichkeit, in den staatlichen Archiven des neuen polnischen Staates zu einem jüdischen Thema zu forschen. Vgl. ebd., S. 15.

  6. 6.

    Er trat von dieser Stelle zurück, da seine Bemühungen gemäß dem ihm erteilten Auftrag, die Umstände des Pogroms vom April 1919 in Wilna zu untersuchen, – seiner Ansicht nach – kein wahres Interesse fanden. Vgl. ebd. Während desselben Jahres hatte er sich im Winter 1918/1919 im Rahmen seiner 1917 begonnenen Dissertation zu Forschungszwecken in Dresden aufgehalten und in Berlin bei Werner Sombart studiert. Die Arbeit mit dem Titel: „Die jüdische Frage im Königreich Polen“ während der Paszkiewicz Aera (1831–1861)“ schloss er 1921 in Warschau ab. Ebd.

  7. 7.

    Ebd.

  8. 8.

    Vgl. Lifshits, Shatski-bukh, S. 83.

  9. 9.

    1925 in Berlin gegründet, war Vilna später Hauptstandort des YIVO, und zu Beginn des Krieges wurde es 1940 nach New York verlegt. Der Aufbau einer eigenständigen Forschungsabteilung dort und damit ggf. auch eine jiddisch-amerikanisch ausgerichtete Forschung wurden keineswegs uneingeschränkt begrüßt, vielmehr wurde, auch in New York und auch von Shatzky mehrheitlich für die alleinige Unterstützung des Instituts in Polen votiert und damit z. B. billigend in Kauf genommen, dass auch Forschungsmaterial zum Thema des amerikanischen Judentums nach Vilna transferiert und somit eine Forschung vor Ort und die der eigenen Geschichte in den Vereinigten Staaten stark beeinträchtigt würden. Vgl. Shapiro, Shatzky, S. 17.

  10. 10.

    Ein großer Teil der Artikel, die zwischen 1927 und 1929 vierteljährlich in der vom Amopteyl herausgegebenen Forschungsschrift mit dem Namen Pinkes erschienen, wurde von Shatzky verfasst. Ebenso edierte er verschiedene Dokumentensammlungen über das jiddische Theater und die jiddische Presse für das Amopteyl. Shatzky wurde dann auch Chairman der Abteilung für Geschichte. Nachdem die Nachrichten über den Ghettoaufstand nach New York gelangt waren, wurde seitens des YIVO beschlossen, eine umfassende Forschungsarbeit zur Geschichte des jüdischen Warschau in Auftrag zu geben. Shatzky wurde mit dieser Arbeit betraut, deren Ergebnis später als eine einzigartige Abhandlung eingeschätzt wurde. Vgl. Shatski, Yankev: Geshikhte fun yidn in varshe. 3 Bde. Nyu York 1947–1953.

  11. 11.

    „Ikh vel redn mit Koleman, dem biblyotekar fun der amerikaner historisher gezelshaft. Efsher hot er materyal, ober nisht keyn patryotishn un nisht keyn yehudimshn. Es iz nishto vegn vos tsu shraybn vegn amerike historish. Es iz dokh nisht keyn geshikhte bikhlal, es iz a sdom.“ („historisch gibt es nichts über Amerika zu schreiben, es gibt doch allgemein keine Geschichte, es ist ein Sodom.“) ist die Antwort Shatzkys, die E. Tsherikover aus Vilna 1932 auf die Nachfrage nach Artikeln zur jüdisch-amerikanischen Geschichte erhält, die für die Veröffentlichung in den bis dahin in Vilna herausgegebenen YIVO-bletern geeignet sein könnten, vgl. Lifshits, Shatskibukh, S. 218.

  12. 12.

    Ebd., S. 51 und Shapiro, Shatzky, S. 16.

  13. 13.

    Ebd.

  14. 14.

    Shatski, Yankev: Spinoza un zayn svive. Nyu York 1927.

  15. 15.

    In der Bibliographie ist der Titel unvollständig und mit abweichender Orthographie angeführt: Meinsma, K. O. Spinoza en Zijn Kring’s-Gravenhage (Haag) 1896.

  16. 16.

    Freudenthals Schrift ist wissenschafts- und literaturgeschichtlich der Gruppe der geistes- bzw. kulturgeschichtlichen Biographien des 19. Jahrhunderts zuzurechnen, die neben den historisch-politischen Biographien wie die Arbeiten der Autoren Ranke, Droysen, Dilthey und auch Treitschke für eine Entwicklung in dieser Zeit standen und sich als „legitime Form wissenschaftlichen Arbeitens“, ja als „wissenschaftlich-universitäre Darstellungsform etabliert“ hatten. Vgl. Klein, Christian (Hg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien. Stuttgart, Weimar 2009, S. 272–273. Die diese Arbeiten neben anderen auszeichnenden Momente von Materialreichtum, Detailorientiertheit und historizistischer Prägung werden auch in der ablehnenden und zum Teil (bewusst) verkennenden Aussage Fritz Mauthners zur Arbeit Freudenthals deutlich, die er seinem ideengeschichtlich angelegten, die Konventionen zeitgenössischer Biographik verabschiedenden biographischen Essay zu Spinoza voranstellt: „Es ist doch nur eine alexandrinische Arbeit. Solche Bücher veralten immer in dem Augenblicke, wo ein jüngerer Professor auf den Plan tritt und abermals die philologische Einzelforschung der letzten Jahre in ein neues Buch verstaut. (…) Mit dem Historismus, unter dessen Bann wir alle stehen, ist es nicht getan. (…) Kuno Fischer hat so in seiner langen Siegesallee von Philosophiehelden auch das Standbild von Spinoza aufgestellt, gleich gründlich und gleich pathetisch gegenüber dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen. Nach ihm kam dann Freudenthal und konnte so allerlei berichten, was Berthold Auerbach, Bolin und Kuno Fischer an einer Schuhschnalle etwa nicht porträtähnlich genug gezeichnet hatten.“ Vgl. Mauthner, Fritz: Spinoza. Ein Umriß seines Lebens und Wirkens. Dresden 1921, S. 24–25. Steven Nadler stellt nochmals die Bedeutung der Arbeiten Freudenthals, hier der Materialsammlung zur Lebensgeschichte Spinozas, die für die Biographie Verwendung fand, wie auch die der Arbeit von Meinsmas heraus: „Besides Spinoza’s correspondence, there are three absolutely indispensable sources for the documents concerning and surrounding of his life. J. Freudenthal’s Die Lebensgeschichte Spinoza’s (Leipzig, 1899) (…) Meinsma’s magisterial work (…) is an extended biographical study of Spinoza and his milieu, but it is also a valuable compendium of excerpts from important documents.“ Daneben wird noch die Dokumentensammlung Spinoza, mercator et auto-didactus (1932), zusammengestellt von A. M. Vaz Dias und W. G.van der Tak, erwähnt, vgl. Nadler, Steven: Spinoza: A life. Cambridge / New York 1999, S. 354.

  17. 17.

    Daniel B. Schwartz nennt die Arbeit Shatzkys nur beiläufig, bezeichnet sie aber als “a work consciously modeled on the magisterial fin-de-siècle Spinoza biographies of Jakob Freudenthal and K. O. Meinsma” und als „reviewed in practically every yiddish newspaper and journal of significance.“ Vgl. Schwartz, First Modern Jew, S. 162.

  18. 18.

    “I don’t pretend to paint the vast / And complex picture of the past; / For detail, detail must I care / Ci superflui, ci necessaire.” Vgl. Dobson, Austin: Vignettes. Third Series. London 1896.

  19. 19.

    Shatski, Svive, S. 7.

  20. 20.

    Besonders in der jiddischen Presse wurden zu Jubiläumsdaten wichtiger jüdischer Persönlichkeiten oftmals schwülstig pathetische Jubelaufsätze publiziert. Offensichtlich möchte Shatzky mit dem Kommentar zu seiner Schrift indirekt in Distanz zu derartigen Publikationen gehen.

  21. 21.

    Ebd.

  22. 22.

    Ebd.

  23. 23.

    Ebd. „Ikh bin zikh moyde und misvade az der gehoybener oder subyektiver ton bagleyt mikh in meshekh fun yorn, zint es iz mir bayshert gevorn ibertsutretn di shvel fun Spinoza’s gedanken-velt.“ („Ich gebe zu und gestehe, dass mich der gehobene oder subjektive Tonfall seit Jahren begleitet, seit es mir gegönnt war, über die Schwelle der Gedankenwelt Spinozas zu treten.“).

  24. 24.

    Ebd.

  25. 25.

    Die Bedeutung der Werke von Freudenthal („Di vikhtiktse zamlung fun kveln far Spinoza’s lebn un zayn svive“) und Meinsma („A fundamental verk far Spinoza forshung“) wird explizit in der Bibliographie angesprochen. Ebd., S. 321 und 323.

  26. 26.

    Über den Charakter der philosophischen Abhandlung kann nur spekuliert werden, ist sie doch nicht erschienen. Weder die Bibliographien noch die Durchsicht von Archivmaterial geben Hinweise auf Teilveröffentlichungen.

  27. 27.

    Vgl. ebd., S. 8.

  28. 28.

    Zur wissenschaftlichen Biographie vgl. Klein, Handbuch Biographie, S. 273–274.

    Als populäre Biographie können in Abgrenzung zur wissenschaftlichen Biographie solche Abhandlungen gelten, „die komplexe Sachverhalte aus der Geschichte oder der Wissenschaft allgemein verständlich erklär[t]en“ oder aber auch solche Formen, die den Leser gut zu unterhalten anstreben. Als ein wesentliches Merkmal ist anzusehen, dass diese Art der Biographie sich nicht auf eine eigenständige Forschungsarbeit gründet. Im Verfahren der „Synthetisierung“ greift sie vielmehr auf „bereits gesicherte Quellen“ und auf bereits publizierte Studien zurück, die dann zu einer „großen Erzählung“ zusammengeführt werden. Vgl. ebd., S. 122–123.

    Im Unterschied zu dem bei einer ausschließlich populär konzipierten Biographie angewendeten Verfahren, „die Benutzung und Bearbeitung dieser Quellen“ zugunsten einer geschlossenen Erzählung nicht sichtbar zu machen, orientiert sich Shatzky mit dem Hinzufügen seiner Bibliographie und auch dem Absatz Bemerkungen tsum tekst in diesem Punkt an der Konvention der wissenschaftlichen Biographie.

  29. 29.

    Freudenthal gibt zwei Arten der Vorbemerkungen. Zum einen schreibt er in seinem Vorwort zur ersten Auflage im Wesentlichen zum Entstehungsprozess der Arbeit, die zunächst als eine Neubearbeitung von Leben und Lehre von Spinoza im Jahr 1893 begonnen wurde, die sich dann im ersten (biographischen Teil) zunehmend ausweitet, was ein gesondertes Erscheinen erforderlich machte. Freudenthal orientiert sich dabei an dem psychologisch–biographischen Verfahren des Philosophie-Historikers Eduard Zeller, das „die Entstehung der philosophischen Systeme aus ihrer nächsten Quelle erklären“ will. Daneben hebt Freudenthal die Notwendigkeit intensiver Archivarbeit hervor und stellt den Wert der diese Vorgabe erfüllenden Arbeit Meinsmas heraus, die aber trotz ihrer großen Bedeutung die weitere Archivarbeit keineswegs überflüssig macht. Freudenthal bewertet seinen Forschungsaufenthalt in Holland als Grundlage dafür, dass er als dessen Ergebnis 1899 die Arbeit Lebensgeschichte Spinozas veröffentlichte, in deren Anschluss er sich dann in der Lage sah, „dem eigentlichen Ziele meiner langwierigen Kärrnerarbeit näher zu gehen und eine Darstellung des Lebens und der Lehre Spinozas zu unternehmen.“ Er verweist auf die Notwendigkeit, psychologischen und historischen Begründungen Raum zu geben, so die Quellenlage keinen Aufschluss bietet. Auch die Mitteilung scheinbar „kleinliche[r)“ Nachrichten rechtfertigt er. Er betont die von zweifacher Richtung ausgehenden Angriffe auf Spinoza, den Einfluss, den – „mit rauher Hand“ jüdische und christliche Theologen auf das Leben Spinozas genommen haben, und nennt die Absicht, die Geschichte dieser Anfeindungen unparteiisch darlegen zu wollen. Dass seine Abhandlung auch als ein Statement in der zeitgenössischen Diskussion um die Stellung des Judentums in der deutschen Gesellschaft zu sehen ist, eine Auseinandersetzung, in der judenfeindliche Positionen unverhohlen vertreten wurden, macht seine Äußerung deutlich, in der er, auf diese Anfeindungen Bezug nehmend, voraussagt, „dass bei der Schärfe der religiösen Gegensätze, die unsere Zeit verwirren, [wird] man wohl von entgegengesetzten Standpunkten aus an einer Unbefangenheit Anstoß nehmen wird, die Recht und Unrecht hüben wie drüben erblickt.“ Vgl. Freudenthal, Jakob: Spinoza. Leben und Lehre. Erster Teil: Das Leben Spinozas. Zweite Auflage. Hg. von Carl Gebhardt. Zweiter Teil: Die Lehre Spinozas, auf Grund des Nachlasses von J. Freudenthal. Bearbeitet von Carl Gebhardt. Frankfurt am Main 1927, S. IX–XI. Freudenthal orientiert sich in seiner Abhandlung an einer Genievorstellung, nach der „die Entwicklung und die Eigenart einer großen Persönlichkeit (…) [wird] immer ein[en] unerklärbare[r]n Rest“ übrig lassen muss, und er stellt Spinoza in eine Reihe mit Platon, Shakespeare, Leibniz und Goethe.

    Meinsma nimmt zu seiner Intention in einer Voranzeige – hier zitiert im Wiederabdruck – selbst Stellung, vgl. Meinsma, K. O.: Die Unzulänglichkeit der bisherigen Biographien Spinoza’s. In: Horn, Christoph u. a. (Hgg.). In: Archiv der Geschichte der Philosophie. Bd. 9, Heft 2 (2009). S. 208–224.

    In seinem Vorwort nennt und deutet er die bisherigen biographischen Abhandlungen, beginnend mit J. Jelles’ Darstellung in den Nachgelassenen Werken, und stellt seine Schrift als wissenschaftliche Biographie vor, die unter eingehender Berücksichtigung des kulturell-historischen Kontextes der Niederlande zu einer Bewertung des Lebens von Spinoza gelangen kann, wie es Forscher anderer Herkunft, insbesondere da sie der Sprache nicht mächtig seien, nicht vermitteln konnten. Zu diesem Zweck forschte Meinsma nach Archivmaterial, das näheren Aufschluss bieten konnte zu den zur damaligen Zeit noch wenig erhellten Phasen der Jugend- und Entwicklungszeit Spinozas wie auch zu seinem familiären Kontext, der Institution der „Amsterdamer Rabbinerschule“ und darüber hinaus auch zu den Persönlichkeiten, zu denen dieser intensiven (brieflichen) Kontakt unterhielt. Vgl. Meinsma, K. O.: Spinoza und sein Kreis. Historisch-kritische Studien über holländische Freigeister. Deutsch von Lina Schneider. Vorher: Brunner, Constantin: Spinoza gegen Kant und die Sache der geistigen Wahrheit. Berlin 1909, S. 100–101. Meinsmas Schrift ist im Unterschied zu der Freudenthals ausschließlich auf die Darlegung historischer Zusammenhänge bezogen, die Auseinandersetzung mit Details der philosophischen Theorie wurde ausgespart.

  30. 30.

    Die  Fraye arbeter shtime war ein wichtiger Bestandteil der jiddischistischen Kulturbewegung. 1890 ging sie – zu diesem Zeitpunkt noch als Freie arbeiter shtime – gleichzeitig mit der sozialistischen Wochenzeitung Di arbeter tsaytung an den Start, zwei Jahrzehnte nachdem die ersten jiddischen Zeitungen Yidishe tsaytung und Yidishe post, die sich mit religiösen und regionalen Themen befassten, erstmals publiziert worden waren. Daneben erschien zur selben Zeit ebenso die konservative Wochenzeitung Yidishe gazetn. „Ihre Gründung [die  Arbeter shtime – M. N.] erfolgte im Zuge der ideologischen Spaltung der beiden Flügel der jüdischen Arbeiter / innenbewegung“. In den Redaktionen beider Publikationen wie auch in denen vieler anderer im Verlauf weiterer Auseinandersetzung entstandener, zum Teil nur sehr kurz existierender Zeitungen fanden sich Mitarbeiter und Autoren ganz unterschiedlicher Ausrichtung. „Die Zeitungen spiegelten nach innen wie nach außen also eine Breite der Vorstellungen von einer sozialistischen Kultur auf Jiddisch.“ Anders als der 1897 gegründete und dann folgend sich zur größten jiddischen Zeitung entwickelnde Forverts ist die Fraye arbeter shtime einer Strömung innerhalb der amerikanisch-jiddischen Presse zuzuordnen, „die mit einer eher intellektuellen Prägung den randständigen Teil der nicht englischsprachigen Presse vertrat“ (…). Der Forverts [trug] zur Integration von Neueinwanderern bei [und entwickelte] sich in den 1930er Jahren von einer sozialistischen Position weg zu einer sozial-demokratischen Zeitung [entwickelte] und unterstützte den New Deal, während die Fraye arbeter shtime „abwägend bis argwöhnisch blieb.“ Diese war zusammen mit dem Forverts „eine der beständigen jiddischen Zeitungen“, und von 1940 bis zum Publikationsende 1977 war sie „die einzige anarchistische Zeitung im jiddischsprachigen Raum“. Außerdem „spielte[n] [sie] eine große Rolle in der Entwicklung der jiddischen Literatur gegen Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Sie brachte junge, noch nicht erfahrene Autoren und Autorinnen und etabliert-erfahrene Jiddischisten zusammen, zudem wurde auch Autoren und Autorinnen, die nicht der anarchistischen Bewegung angehörten, ein breites Forum gegeben. Die jiddische Presse war insgesamt [wenn auch nicht nur – M. N.] „eine zentrale Bildungseinrichtung der ärmeren und arbeitenden Schichten der Gesellschaft“, wobei „die jiddisch-sprachigen Intellektuellen [schufen], nach Howe – so Türk – „eine volksnahe Kultur [schufen], deren Institutionen erst etabliert werden mussten – ohne Universitäten, Verlage, Sponsoren und eine solide finanzielle Basis.“ Alle Zitate vgl. Türk, Lilian: Religiöser Nonkonformismus und radikale Yidishkayt. Abba Gordin (1887–1964) und die Prozesse der Gemeinschaftsbildung in der jiddisch-anarchistischen Wochenschrift Fraye Arbeter Shtime 1937–1945. Halle 2014, S. 147–151. Zur Entwicklung der jiddischen Presse in Polen und den Vereinigten Staaten wie auch zum Aspekt des problematischen Verhältnisses von jiddischer Presse und jiddischer Literatur vgl. Cohen, Nathan: The Yiddish Press as Distributor of Literature. In: Berger, Shlomo (Hg.): The Multiple Voices of Modern Yiddish Literature. Amsterdam 2007. S. 7–29.

  31. 31.

    Ellen Kellmann beschreibt in ihrer Untersuchung die Funktion, die jiddische Romane in der jiddischen Tagespresse einnahmen, und umgekehrt die Rolle, die die Tageszeitungen in Hinsicht auf die Entwicklung des jiddischen Romans spielten. Sie legt dar, dass sich diese Interdependenz vor dem Hintergrund der Bedingungen der Lebensumstände seitens der jüdischen Bevölkerung in der Zeit zwischen 1880 und 1920 entwickelte. Der allmählich entstehenden jiddischen Zeitungsindustrie gelang es, indem sie jiddische Romane in Fortsetzungssparten druckte, den Markt für populäre Literatur zu gewinnen. Auf diese Weise wurden jiddische Tageszeitungen – allen voran natürlich der Forverts – zur Hauptbezugsquelle für zunächst eher anspruchslose Romane. Vgl. Kellmann, Ellen: The Newspaper Novel in the „Jewish Daily Forward“ (1900–1940). Fiction as Entertainment and Serious Literature. New York 2000, S. 15–21. Auf das Verhältnis von Tageszeitungen und Belletristik weist auch Rozshanski hin, wenn er in seinem Aufsatz über den Zusammenhang von Erinnerungsliteratur und Forschung Beispiele aufzählt, die für den Anfang und den Höhepunkt der Entwicklung stehen: „Vi azoy iz Aleksander Tsederboyms kol mevaser populer gevorn? Ven di vokhn-tsaytung hot genumen drukn beletristik (…) („Wie wurde Aleksander Zederbaums Kol Mevaser populär? In dem Moment, als die Wochenzeitung damit begann, Belletristik zu drucken“), un grod iz der ershter beletrist geven Mendele Sholem Aleykhem, Sholem Ash, Y. Y. Zinger zaynen in di tasytungen geleynt gevorn fun hunderter toyznter yidn.“ Weiterhin wird auf eine wichtige Rolle der in den Zeitungen publizierten Belletristik hingewiesen. Diese fungierte auch als Ratgeberin, die dem Leserpublikum Hilfestellungen bei der unausweichlichen Neuorientierung im rasanten, kulturellen Transformationsprozess Ende des 19. Jahrhunderts und zum Beginn des 20. Jahrhunderts vermittelte. Vgl. Rozshanski, Shmuel: Fun memuaristik tsu forshung un filosofye. Zikhroynes vi der yesod fun beletristik. In: Ders: Memuarn – Filosofye – Forshung in der yidisher literatur. In: Musterverk. Bd. 97 (1984). S. 7–17, hier S. 9–12.

  32. 32.

    Shatzky bedauert, dass er aus rein finanziellen Gründen, „tsulib rayn finantsyele sibes“, die bereits erstellten Fußnoten nicht mitabdrucken lassen konnte. Vgl. Shatski, Svive, S. 8.

  33. 33.

    Seine Bibliographie soll nach Shatzky als „oryentirungs materyal far Spinoza-forshung“ dienen. Ebd. Mithin handelt es sich hier um eine erstmalige Zusammenstellung der für die Forschung relevanten Materialien in jiddischer Sprache.

  34. 34.

    Rozshanski schreibt im Hinblick auf Shatzkys Problem der fehlenden finanziellen Mittel, „ober oyf … poylish zaynen nisht geven ‹‹di rayn finatsyele sibes›› aroystsugebn Shpinozan mit der braytster hant (…) un durkh vemen … durkh yidn !“(„Aber auf Polnisch gab es keine ‹‹finanziellen Gründe››, Spinoza umfassend herauszugeben …und von wem … durch Juden!“) Vgl. Rozshanski, Memuaristik, S. 14.

  35. 35.

    Ebd., S. 15.

  36. 36.

    So konnte Davke, die von 1949 bis 1980 in Argentinien herausgegebene jiddische Vierteljahresschrift für Philosophie, nur mittels einer minimalen Subvention seitens des Weltkongresses überhaupt erscheinen. Sie rief in der Anfangsphase in der jiddischen Kulturwelt einfach nur Verwunderung hervor, vgl. ebd., S. 15–16.

  37. 37.

    Shatzky verwendet die 1927 erschienene vierte Auflage und notiert wie folgt: Spinoza.  Opera. Ed. Carl Gebhardt. 4 Vol. Heidelberg, 1927.

  38. 38.

    Walther will mit seiner Bibliographie „so vollständig und umfassend wie möglich Nachrichten über Spinozas Leben und Informationen zum religiösen, politischen, sozialen und allgemein kulturellen Kontext seines Philosophierens zur Verfügung stell[en].“ Vgl. Walther, Manfred: Das Leben Spinozas. Eine Bibliographie. Hannover 1996, S. 7.

  39. 39.

    Vgl. De Spinoza, Baruch: Sämtliche Werke. Bd. 6. Briefwechsel. Übersetzung und Anmerkungen von Carl Gebhardt. Herausgegeben, mit Einleitung, Anhang und erweiterter Bibliographie von Manfred Walther. 3. Auflage. Hamburg 1986, S. 413–466.

  40. 40.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 319–334.

  41. 41.

    Bei Shatzky wie folgt verzeichnet: A. van der Linde: Benedictus Spinoza, VIII, 113 pp, Haag, 1871. Bei Walther ist der Publikationsort mit s’Gravenhage verzeichnet. Weiterhin: Josef Baer & Co.: Spinoza. Katalog einer Sammlung seiner Werke, der Schriften seiner Anhaenger und Schueler und der Literatur über ihn (674 Num.). Frankfurt am Main. Das Jahr wird bei Shatzky in der Kommentierung mit 1911 angegeben. Die Untertitelangabe nennt nicht den zur bibliographischen Angabe gehörenden Zusatz „enthaltend u. a. die Bibliothek des Herrn Geheimrat Jakob Freudenthal, ord. Prof. d. Philos.“, wie bei Walther notiert. Die Angabe von Breslau als zweitem Erscheinungsort fehlt ebenso.

  42. 42.

    Neben der Quellensammlung Freudenthals arbeitet Shatzky mit dessen Biographie sowie mit vier Aufsätzen, die scholastische Bezüge Spinozas, die Geschichte des Spinozismus und den Text der Biographie von Lucas besprechen. Die Auflistung der bei Shatzky verwendeten Titel im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung übernimmt zunächst die (abweichende) Schreibweise, wie sie sich bei Shatzky findet: Freudenthal, Jacob. Spinoza und die Scholastik (Philosophische Aufsaetze, Eduard Zeller gewidmet. Leipzig 1887, pp. 83–138). Die in den Quellschriften enthaltenen Abdrucke der bekannten älteren Biographien zu Spinoza werden von Shatzky gesondert, also Freudenthal folgend, aufgeführt. Diese sind: Johannes Colerus: Korte, dog waarachtige Levens-Beschryving van Benedictus de Spinosa, uit autentique Stukken en mondeling getuigenis van nog levende Personen, opgestelt. In den bibliographischen Angaben fehlen der Erscheinungsort des Originals (Amsterdam 1705) wie auch der des Nachdrucks (s’Gravenhage 1880 und 1890). Shatzky schreibt lediglich einen Kommentar zum Datum des Erstdrucks. Folgend gibt er an Kortholt, Chr. De tribus impostoribus. Hamburg, 1700. Die vollständigen Angaben lauten nach Walthers Bibliographie: Kortholt, Sebastian: „Praefatio.“ In: Christian Kortholt: De tribus impostoribus magnis (i. e. H. v. Cherbury, Th. Hobbes u. B. Spinoza) liber, denuo editus cura Sebatiani Kortholti, Hamburgi: Joachim Reumann, 1700. Weiterhin Freudenthal, J.: Spinoza. Leben und Lehre. Heidelberg, 1927. Die hier beispielhaft angeführten, für die gesamte Bibliographie aber charakteristischen Ungenauigkeiten – es ist berücksichtigt, dass die zeitgenössische Bibliographie-Konvention nicht an aktuellen Konventionen gemessen werden darf, anzumerken ist aber, dass Shatzky in seinem Vorgehen nicht durchgehend einheitlich verfährt – könnten als Zeichen einer fehlenden Endredaktion gedeutet werden; dieser Umstand könnte auch im Kontext der in dem Musterwerk-Aufsatz erörterten Problematik liegen.

  43. 43.

    Shatzky stellt der namentlichen Auflistung der einzelnen Bände Gebhardts eine Aufzählung und eine eigene Kurzbeschreibung der einzelnen Bände in jiddischer Sprache voran. Dies bedeutet, dass er wohl davon ausgeht, seinen Lesern zusätzliche Informationen bzw. Empfehlungen zur Literatur geben zu sollen. Der Kommentar, der die fundamentale Bedeutung dieser Ausgabe hervorhebt, die alle bisherigen Gesamtausgaben übertreffe, muss als Aufforderung verstanden werden, sich dieses Werk anzuschauen, vgl. Shatski, Svive, S. 320. Von Gebhardt werden zusätzlich einige seiner im Chronicon Spinozanum erschienenen Aufsätze angeführt.

  44. 44.

    Shatzky bezeichnet die kenntnisreiche und elaborierte Darstellung, die alle nur möglichen geistesgeschichtlichen Einflüsse aufspüren will, im biographischen Teil als „glentsnd“, insgesamt aber „tendentsyel“ in Hinsicht auf die Bewertung des jüdischen Hintergrunds. Bei dem Erklärungsansatz, Spinozas philosophische Entwicklung, ja sein gesamtes Leben „im Lichte de[r] Weltphilosophie“ zu begreifen, wie es auch der Untertitel schon angibt, versucht der Theologe, die Philosophie Spinozas en detail buchstäblich Satz für Satz in den Abhandlungen vorgängiger und zeitgenössischer philosophischer Autoren nachweisen zu können. Letztlich zielt er mit diesem Verfahren auf die Entlarvung der spinozanischen Theorie als einem „spekulativen Irrweg“, wie Konrad Hecker formulierte, vgl. bei Shatzky: Borkowski-Dunin, St. von: Der Junge de Spinoza. Leben und Werdegang im Lichte der Weltphilosophie. Muenster 1910, 634 pp. Manfred Walther gibt als Erscheinungsjahr 1914 an. Weiter werden noch folgende Biographien genannt: Brunschvicg, L. Spinoza. Paris, 1894. Gunn, Alexander J. Benedict Spinoza, Melbourne, 1925. Diese Ausgabe wird hinsichtlich einer besonders guten Bibliographie lobend hervorgehoben. J. Klatzkin (in hebräischer Sprache): Baruch Spinoza. Sein Leben, seine Schriften, seine Philosophie. o. J. folgt und ist mit dem Hinweis auf eine schwache Bibliographie kommentiert. Unkommentiert bleibt Mauthner, Fritz: Spinoza, sein Leben und Wirken. Dresden, 1922. Das von Shatzky angegebene Jahr der Herausgabe, seine Angabe legt nahe, dass er sich wohl auf folgende Ausgabe bezieht: Mauthner, Fritz: Spinoza. Ein Umriss seines Lebens und Wirkens. Dresden, 1921, erweiterte Ausgabe 1922. Mehlis, G. Spinozas Leben und Lehre. Freiburg, 1923 wird wegen eines Kapitels zur Mystik in Spinozas Philosophie angeführt. Der wichtige Text Meinsmas findet auch Erwähnung. Dabei wird unvermittelt – ohne diese anzufügen – auf die gekürzte deutsche Übersetzung des Werkes verwiesen, die eine besondere Einleitung des deutsch-jüdischen Philosophen Constantin Brunner aufweist und damit auch zur Rezeption der Meinsma-Schrift gezählt werden kann. Als das beste englische Buch über Spinoza wird genannt Pollock, F. Spinoza. His Life and Philosophy. London, 1899. Und den Abschluss macht, mit einem schon fast als abfällig zu bezeichnenden Kommentar versehen, der sich auf die als „shvakh“ bezeichnete Analyse der Philosophie Spinozas bezieht, das Werk von Hillel Zeitlin (in hebräischer Sprache); interessanterweise betont Shatzky aber die Wärme und das Ausmaß des Verständnisses für Spinoza in Zeitlins Schrift.

  45. 45.

    Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Nennung einiger ausgewählter Titel in deutscher Sprache, alle bibliographischen Angaben folgen Shatzkys Schreibweise. Zum Vergleich der Angaben sind die beiden genannten Bibliographien von Manfred Walther hinzuzuziehen. Zur Kunst Altkirch, E. Spinoza im Portraet. Jena, 1913. Ebenso Gebhardt, Carl Spinoza im Portraet. (C. S. II, 272–276).

  46. 46.

    Baeck, L. Spinoza’s erste Einwirkung auf Deutschland. Berlin, 1895. Ebenso Grunwald, M. Dr. Spinoza in Deutschland. Berlin, 1897. Weiterhin Krakauer, Moses Zur Geschichte des Spinozismus in Deutschland waehrend der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Breslau, 1881.

  47. 47.

    Joel, M. Dr. Spinoza’s Theologisch-Politischer Traktat auf seine Quellen geprueft. Breslau, 1870. Wie auch beispielsweise Cohen, Hermann. Spinoza ueber Staat und Religion. (Jahrbuch für Jued. Gesch. und Lit. 1915, p. 56 ff.).

  48. 48.

    Strauss, Leo. Zur Bibelwissenschaft Spinozas und seiner Vorlaeufer. (Korrespondenzblatt des Vereins zur Gruendung und Erhaltung einer Akademie fuer die Wissenschaft des Judentums, 1926, pp. 1–22.)

  49. 49.

    Bei Shatzky wie folgt notiert: Graetz, H. Geschichte der Juden. 3. Auflage, 1897. Band X, 153–233. Neben anderen von Graetz Die Schriften des Uriel da Costa, Amsterdam, 1922.

  50. 50.

    Sombart, W. Die Juden und das Wirtschaftsleben. Berlin, 1909 oder auch Waetjen, Hermann Dr. Das Judentum und die Anfaenge der modernen Kolonisation. Berlin, 1914.

  51. 51.

    Dilthey, Wilhelm. Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Leipzig, 1923. Goeters, W. Die Vorbereitung des Pietismus in der reformierten Kirche der Niederlande. 1911. Ebenso Mauthner, Fritz. Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Stuttgart, 1922.

  52. 52.

    Bei Shatzky wie folgt verzeichnet Gaster, M. Ein Autographes Huldigungsschreiben an Sabbatai Zebi. (Ost und West, 1906, 267–278).

  53. 53.

    Shatzky verzeichnet wie folgt: Gompertz, Th. Leibniz und Spinoza. Ein Vorwurf fuer Historienmaler. (Essay und Erinnerungen, Stuttgart, 1905. pp. 144–148). Weiterhin in der Shatzky Notierung: Stein, Ludwig Prof. Leibniz in seinem Verhaeltniss zu Spinoza. (Sitzungsbericht der Preussischen Akademie. 1888. No 2, XXV.). Ebenso Verweyen, J. M. E. W. von Tschirnhaus als Philosoph. Bonn, 1905.

  54. 54.

    Die Zusammenstellung ist chronologisch und beginnt mit Daniel Marhofs Schrift „Polyhistor aus dem Jahr 1688; es folgen u. a. M. Mendelssohn, F. Jacobi und J. G. Herder, F. Schleiermacher, F. Schlegel, und R.Varnhagen. Es werden weiterhin u. a. Philosophen des Deutschen Idealismus angeführt:

    A. Schopenhauer, H. Heine, M. Hess, L. Feuerbach, D. Luzatto, G. Flaubert, F. Nietzsche, O. Weininger, H. Cohen, F. Mauthner, G. Landauer und C. Brunner.

  55. 55.

    Gegenüber dem Titelblatt in jiddischer Sprache ist der bekannte Kupferstich aus den in Amsterdam bei Jan Rieuwertsz erschienenen Opera Posthuma abgedruckt. Diese Abbildung weist zwei einander zugeordnete und die Darstellung gleichermaßen bestimmende Elemente auf. Unter dem Portrait Spinozas, – der Philosoph ist mit zeitgenössisch niederländischer Kleidung angetan, er trägt keinen Bart, seine Haartracht ist geordnet, mittellang, halblockig, relativ hell, sein Blick wirkt ob der schweren Lider etwas müde – ist dem lateinischen Namen die sechszeilige Inschrift hinzugefügt: Cui natura, Deus, rerum cui cognitus ordo. / Hoc Spinosa statu conspiciendus erat. / Expressere viri faciem, sed pingere mentem / Zeuxidis artifices non valuere manus. / Illa viget seriptis: illic sublimia tractat: / Hunc quicunque cupis noscere, scripta lege. Im oberen Teil der Abbildung sind links und rechts in lateinischer Zählung Geburts- und Todestag angegeben.

    Die zweite Abbildung ist bestimmt als Jugendbild aus dem Jahr 1660. In dieser Malerei ist ein Spinoza portraitiert, der den Betrachter als junger Mann, mit kurzem Haar frisiert und mit einem Bart im Stile spanisch-portugiesischer Noblen selbstbewusst entgegenblickt. Das Bild ist Ausdruck des Selbstbewusstseins der portugiesisch-spanischen Conversos, die stolz auf ihre iberische, oftmals adelige Abstammung waren und einen elegant-kultivierten Habitus pflegten. Diese Abbildung ist dem Kapitel Di dervayterung (Die Entfremdung) zugeordnet, einer Zeit, in der Spinoza noch in Amsterdam in der sephardischen Gemeinschaft lebte.

    Die dritte Abbildung wird Hendrik van der Spijck, dem Maler und Hauswirt Spinozas in Den Haag, zugeschrieben. Hier ist Spinoza erneut mit halblangem, dunklem Haar dargestellt, die sein relativ schmales Gesicht dicht umrahmen. Aus dunklen, aufmerksam blickenden Augen schaut Spinoza den Betrachter mit einem angedeuteten Lächeln an. Es ist eine Abbildung, die durch den zugewandten Gesichtsausdruck besticht. Diese Abbildung ist der Sektion Vorburg zugeordnet.

    Die letzte Abbildung ist die Arbeit des ursprünglich aus Bremen stammenden Rembrandt-Schülers Franz Wulfhagen. Spinoza, auch hier angetan mit zeitgenössisch-niederländischer Kleidung, trägt langes dunkles Haar. Sein Gesicht ist schmal und bleich mit feinen, schon fast asketischen Zügen und einem schmalen Schnurrbart. Die Augen hält der Philosoph geschlossen, seine linke Hand stützt den leicht geneigten Kopf. Vor ihm liegt ein geöffnetes Buch. Haltung und Ausdruck vermitteln eine tiefe Versunkenheit. Spinoza trägt auf diesem Bild eine als Kippa wahrzunehmende Kopfbedeckung, so dass dieses Bild das einzige ist, das ihn als Juden kenntlich macht. Shatzky weist dieses Bild interpretierend aus mit „Spinoza als a mekubl“ („Spinoza als Kabbalist“). Neben diesen Portrait-Abbildungen hat Shatzky eine Abbildung der Skulptur des bildenden Künstlers Mendes da Costa aus dem Jahr 1909 eingefügt. Sie trägt den Titel „Spinoza der nozer“ („Spinoza der Asket“) und ist aus Bronze in symbolistischem Stil gearbeitet. Die Figur ist leicht nach vorne gebeugt, trägt einen langen Mantel, die Haartracht erinnert an die des Kupferstichs. Shatzky hat damit eine Arbeit aktuellen Datums in seinem Werk berücksichtigt und zeigt damit die weiterführende Ikonographie und die andauernde Bedeutung des Philosophen.

    Zwei weitere Persönlichkeiten sind mit Abbildungen vertreten, zum einen Leibniz, zum anderen der Biograph Lucas, auf den sich Shatzky sehr oft beruft. Weiterhin findet sich ein Faksimile des Titelblatts des Theologisch-politischen Traktats wie auch das Faksimile eines Briefes von Spinoza an Leibniz. Als letztes bringt Shatzky eine Photographie des Hauses, in dem Spinoza zuletzt lebte und auch verstarb.

  56. 56.

    Dass Shatzky in einer Anmerkung die Bedeutung der Siegelring-Losung „Caute“ erklärt, ist ein kleiner Hinweis auf den einführenden Charakter seiner Schrift, da dieses Detail keineswegs Spezialwissen ist. Vgl. Shatski, Svive, S. 315.

  57. 57.

    Beispielsweise das einleitende Kapitel zur Vorgeschichte: Di idn in amsterdam, Mikhoel de Spinoza, Vorburg (jiddische Form),  Dos lebn in hag.

  58. 58.

    Freudenthal nummeriert seine Kapitel und fügt eine eindeutige, zuzuordnende Kapitelüberschrift hinzu, z. B. Die Juden in Spanien und die Zustände in den Niederlanden, Spinozas Jugendjahre, Weitere Studien.

  59. 59.

    Shatzky nennt Fernhandel, Edelstein- und Diamantenhandel, Zucker- und auch Sklavenhandel. Vgl. Shatski, Svive, S. 16–17.

  60. 60.

    Zwei Einwanderungsphasen gibt Shatzky an: Zunächst fliehen Juden aus dem Deutschen Reich und folgend dann Juden aus Osteuropa nach Amsterdam. Vgl. ebd., S. 18.

  61. 61.

    Freudenthal spannt in seinem Anfangskapitel, der Absicht seines Vorwortes folgend, einen weiteren Bogen: Er beginnt mit der Geschichte insbesondere der kulturellen Entfaltung der Juden auf der iberischen Halbinsel unter arabischer Herrschaft. Als wichtigen Teil davon nennt er die Entstehung der jüdischen Religionsphilosophie, der er eine große Bedeutung für die philosophische Entwicklung Spinozas beimisst, wie es seine Ausführungen in einem der folgenden Kapitel belegen. Dem fügt er eine differenzierte Darstellung der komplexen politisch-religiösen Verhältnisse in den Niederlanden, der neuen Heimat der Geflohenen, bei, mit der er auch vermittelt, in welcher Situation sich die Marranen, aber auch andere religiöse Minderheiten respektive Sekten im Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung und deren religiöser Ausrichtung finden. Hier wird einsichtig, dass Freudenthal bestrebt ist, das Verhältnis der jüdischen Minderheit zur Mehrheitsbevölkerung in Holland und auch kulturelle Wechselwirkungen aufzuzeigen. Er verdeutlicht damit auch die Absicht, eine parallele Sicht zur Situation für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dem Ende des 19. Jahrhunderts, zu entwickeln, eine Sichtweise, die Partizipation und Neubestimmung des eigenen Selbstverständnisses beleuchtet. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 3–16. Meinsma legt den Schwerpunkt seiner Spinoza-Abhandlung in seinem Anfangskapitel auf die Darstellung der religiösen Verhältnisse in Holland, vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 102–133.

  62. 62.

    An die Rettung der mit ihrem Schiff in einen schlimmen Sturm vor Emden in Seenot geratenen, aus Spanien vertriebenen Juden – Shatzky bezeichnet sie zuerst als Juden, dann als reiche Marranen – schließt sich die Ankunft im ostfriesischen Emden an. Die Episode erscheint in der zitierten Darstellung wie eine Exodus-Adaption, in der die Fliehenden eine göttliche Prüfung zu bestehen haben und ihrerseits um göttlichen Beistand flehen. Es folgt die Begegnung mit bereits vor Ort ansässigen aschkenasischen Juden. Der jüdische Hauswirt, dem sie sich als Marranen zu erkennen geben, informiert die Angekommenen, nachdem diese eine als ‚kosher‘ bezeichnete Gans vor Ort von Moyshe Uri HaLevi/ Moses Uri HaLevi erstanden haben und verwundert sind, Juden anzutreffen. Er berichtet auch von dem Dekret, das mit der Trennung der niederländischen Provinzen von Spanien erlassen wurde und von dem hier idealisierend gesagt wird, dass es jedermann das Recht auf Niederlassung und auch – außer den Katholiken – das Recht auf freie Religionsausübung gewähre. Dieser Ratgeber empfiehlt ihnen die Weiterreise nach Amsterdam, da vor Ort nur Lutheraner seien. 1593 mieten die Flüchtlinge dort ein Haus, und nachdem Moses Uri HaLevi der Gruppe nach wenigen Wochen gefolgt ist, kehren unter seiner Leitung die Marranen – „die stolzen Spanier beugen das Haupt vor dem deutschen Rabbi“– in Amsterdam in das Judentum zurück. Damit wird das Bild eines einträchtigen Zusammenlebens gezeichnet. Zum Abschluss beschreibt Shatzky die Begegnung der Neuankömmlinge mit den Autoritäten der Stadt und eine gewisse Solidarisierung beider Gruppen. Lange hatte die Gruppe, von der Bevölkerung wegen ihrer Sprache und ihrer Kleidung misstrauisch beobachtet, ein Leben im Verborgenen geführt. Das geräuschvolle Geschehen um den in einem Privathaus abgehaltenen Yom Kippur-Gottesdienst im Jahr 1596, zu dem der Autor auch das jüdische Datum angibt, in dem die städtischen Behörden fälschlicherweise eine verbotene, lautstarke Feier von Katholiken vermuteten, endet nach der Aufklärung des Missverständnisses mit der Zusicherung der Juden, ihrer neuen Heimstätte mit ihren Reichtümern dienen zu wollen, und der Bitte der Stadtoberen an Tirado, den Sprecher der Juden, um ihr Gebet für die Stadt. Wenige Monate später wird den Juden ausdrücklich Schutz gewährt, und sie beginnen mit dem Bau einer Synagoge, die an Rosch Haschana 1598 eröffnet wird. „Rov“wird Yoysef Prado, der „Talmed khokhem“ Yoysef Sholem wird zum „Khazn“ bestimmt, und zum „Shul drashn“ wird Moyshe Uri HaLevi ernannt, er trägt in jiddischer Sprache vor, und sein Sohn übersetzt ins Kastilische. vgl. Shatski, Svive, S. 11–13.

  63. 63.

    Shatzkys Referenzen sind die in seiner Bibliographie angegebenen Titel vom Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts. Damit ergeben sich notwendigerweise Datierungsabweichungen zum Stand der nach ihm folgenden bis zur aktuellen Forschung. Für die Interpretation der Biographie ist es aber wesentlicher, welche Episode der Autor auswählt und verknüpft bzw. im Umkehrschluss, welche Episoden ihm unwichtig erscheinen.

  64. 64.

    Shatzky bezieht sich auf die Schrift Triumpho del govierno popular von 1680, eine Schrift, die in Form einer Essay-Sammlung zum Thema und zur Ehre der Amsterdamer Gemeinde vom Autor verfasst wurde, der sich 1662 als ehemaliger Neuchrist der Gemeinde anschloss. Miriam Bodian charakterisiert die Abhandlung als „rambling, diffuse work (…) dedicated to the communal leaders (…) whose patronage, incidentally, de Barrios needed badly.“ Die Interpretin nennt de Barrios als früheste Quelle zu der von Shatzky angeführten Episode, verweist jedoch auch auf weitere Quellen zu ihr. Vgl. Bodian, Miriam: Hebrews of the Portuguese Nation. Conversos and Community in Early Modern Amsterdam. Bloomington 1997, S. 20.

    Zum Text der hier angesprochenen Gründungslegende bei de Barrios in Relation zu den Details des historischen Beginns wie auch der ersten Phase der Amsterdamer Gemeinde vgl. Rauschenbach, Sina: Judentum für Christen. Vermittlung und Selbstbehauptung. Menasseh ben Israel in den gelehrten Debatten des 17. Jahrhunderts. Berlin, Boston 2012, S. 28–38.

  65. 65.

    Sulzbach, Abraham: Bilder aus der jüdischen Vergangenheit. Frankfurt 1914, S. 172–181. Shatzky bezieht sich auf die Ausgabe von 1923. Vgl. Shatski, Svive, S. 313.

  66. 66.

    Shatzky modifiziert die Angaben Sulzbachs an einigen wenigen Punkten: So ist die Sprache der Rede von HaLevi bei Shatzky Jiddisch, vgl. Shatzky, Svive, S. 13; ebenso Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation, S. 45. Bei Sulzbach sind es, einer assimilatorischen Haltung entsprechend, die „deutsche Aussprechweise wie auch die deutschen Melodien“, die HaLevi einsetzt. Vgl. Sulzbach, Bilder, S. 176. Die von Sulzbach angegebenen biblischen Referenzen werden bei Shatzky nicht übernommen.

  67. 67.

    „Es ist klar, dass das Lesen der Geschichtsquellen Personen und Tatsachen verlebendigen und besser vergegenwärtigen, als es die Bearbeitung derselben für die Geschichtsdarstellung zu tun vermag.“ Auch wenn „für die Quellen zur jüdischen Geschichte zum Teil eine Einschränkung festzustellen“ ist, da „nicht für alle Geschehnisse Primärquellen, bzw. Mitteilungen von Zeitgenossen“ vorliegen und man sich somit „zum Teil mit Sammelwerken begnügen und diese Werke als Quellen ansprechen“ muss, die „die Geschichtsschreibung [jedoch hat sie] als Quellen für die Darstellung der jüdische Geschichte verwendet“ hat. Vgl. ebd. S. VII.

  68. 68.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 14.

  69. 69.

    Die Interpretin Bodian bewertet die Schilderung „in its broad strokes and in its detail“ als „a fascinating story – all the more so since we have documentation of what actually happened. The lore reported by de Barrios depicts the converso colony in Amsterdam as a fully observant Jewish community from its inception (…) moreover, it presents Jewish practice as immediately acceptable to the Dutch authorities when they became aware of it. This offers an idealized, simplified picture of what was in fact a complex process whose longterm outcome was ambiguous for many years.“ Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation, S. 22.

  70. 70.

    Die drei nacheinander gegründeten Gemeinden sind: Beit Jacob, Neve Shalom, Beit Yisrael. Shatzky gibt weder Namen noch Datierungen an, erwähnt aber später 1639 als Datum der Vereinigung. Zu einer Übersicht zur Bildung der Gemeinde in Amsterdam vgl. ebd., S. 43–52, ebenso Fuks-Mansfeld, Renate Gertrud: De Sefardim in Amsterdam tot 1795. Aspecten van de ontwikkeling van een joodse minderheid in een Hollandse stad. Leiden 1989, S. 53–79.

    Neben der Datierung zum Ende des Kapitels finden sich in Shatzkys weiteren Ausführungen an dieser Stelle sieben weitere Datierungen, die sich alle – bis auf die Angabe zur Einwanderung deutscher Juden – auf die Gründung von Gemeinde-Institutionen beziehen.

  71. 71.

    Shatski, Svive, S. 14.

  72. 72.

    Seiner sozial-ökonomischen Perspektive entsprechend erwähnt er, dass die Neuankömmlinge über keinerlei Kapital verfügten. Er gibt auch einige Hinweise auf die hierarchische Struktur der Gemeinde mit drei Klassen von Mitgliedern und einer sehr aristokratischen Führung. Weiterhin weist der Autor hin auf den Abstand, den die Neuankömmlinge zu den Sepharden wegen deren Kultiviertheit einhalten. Ebd., S. 18–19.

  73. 73.

    Ebd. Diese Angabe übernimmt der Autor aus der Abhandlung von Graetz, die er in seiner Bibliographie aber als insgesamt „fareltert un shtark tendentsyel“ bewertet. Vgl. Graetz, Heinrich: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Aus den Quellen neu bearbeitet von H. Graetz. Bd. 10. Leipzig 1868, S. 2.

  74. 74.

    „In vos far a svive hot dos kind Borekh Espinoza farbrakht biz men hot im geshikt in talmetoyre?“ Vgl. Shatski, Svive, S. 25. Zum Abschluss der Ausführungen zum schulischen Umfeld bezeichnet der Autor dieses als das erste geistige Einflussfeld nach seines Vaters Haus. Vgl. ebd., S. 36.

  75. 75.

    Shatzkys Kapitel zwei und drei beziehen sich auf das zweite Kapitel Freudenthals, das dieser Spinozas Jugendjahre überschreibt und in dem er folgende Aspekte thematisiert: das Judenviertel Amsterdams, die Herkunft der Familie von Spinoza, den Vater Michael de Espinoza sowie die jüdische Schule, ihre Rabbiner und Lehrer I. Aboab, M. b. Israel und S. Morteira. Auch das Lehrprogramm der Schule wird vorgestellt, jedoch ohne die Verwendung traditioneller Termini. Zuletzt betont Freudenthal, nachdem er den Einfluss von Schule, „Eltern- und Gotteshause“ sowie den Einfluss der Geschichten zu den Schicksalen seines Volkes zusammensehend, kurz erwähnt hat, dass Spinoza insbesondere als Erbe eines bestimmten, jüdisch-religiösen Geistes betrachtet werden kann. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 17–30. Freudenthal schildert in seinem ersten Kapitel das Judenviertel so, wie er es selbst während seines Forschungsaufenthaltes vorfand und wahrnahm und fügt den Hinweis an: „Einen ähnlichen Anblick muss es nach der Aussage glaubwürdiger Männer [auch] im siebzehnten Jahrhundert gewährt haben.“ „Dieser Teil der großen Handelsstadt (…) erinnert mehr an eine übel gebaute und schlecht gehaltene orientalische Stadt als an eine der schönen und sauberen holländischen Ortschaften.“ Seine Perspektive vermittelt den etwas abwertenden Blick eines etablierten, deutschen Juden einerseits auf die wirtschaftlich weniger avancierten (und sich traditionell verhaltenden) Juden osteuropäischer Herkunft und andererseits auf die von ihm als orientalisch wahrgenommenen und – seiner Ansicht nach – zu einem anderen Extrem neigenden Sepharden, wenn er schreibt: „Hier findet man [hier] Schmutz und Unordnung in Gassen und Höfen, bitteres Elend, oder orientalische Pracht in den Häusern, emsige, aber bleiche, schwächliche, schwarzäugige Gestalten auf den engen Straßen, in den ärmlichen Läden und elenden Werkstätten.“ Vgl. ebd., S. 17. Freudenthal führt weiter aus, dass Spinoza in dieser „halborientalischen Welt“ geboren wurde und dort die ersten 24 Jahre seines Lebens verbrachte. Mit dem Hinweis auf den urkundlich belegten Namen d’ Espinoza verbindet der Autor seine Erläuterungen zur Herkunft und Fluchtgeschichte der Familie, wobei er – auf den Umstand verweisend, dass viele Träger dieses Namens wichtige Persönlichkeiten in der Geschichte Spaniens waren – von deren adeliger Abstammung spricht. Letztlich hält er die Verwandtschaft eines christlichen mit einem jüdischen Zweig der Familie zwar für unwahrscheinlich; durch die bloße Erwähnung dieses Zusammenhangs bleibt eine mögliche Verbundenheit aber doch in seiner (nicht bewussten) Vorstellung zurück. Vgl. ebd., S. 18–19.

  76. 76.

    Shatzky gibt seine fünfmalige Wahl zu Gemeindeämtern in den Jahren von 1633–1651 an – darunter die dreimalige Wahl zum Parnas – sowie seine Wahl zum Verantwortlichen der Gemeindebank. Vgl. Shatski, Svive, S. 22. Freudenthal schreibt zu den Ämtern des Vaters: „In vier verschiedenen Jahren ward er zum Vorsteher einer der drei Teilgemeinden oder der seit 1639 bestehenden Gesamtgemeinde gewählt, und im Jahr 1651 ist er Vorsteher des Leihhauses (monte de piedad), in dem Notleidenden zinsfreie Darlehen gewährt wurden.“ Freudenthal, Leben Spinozas, S. 20. Zur Rolle und dem Status von Spinozas Vater in der portugiesisch-jüdischen Gemeinschaft in Amsterdam vgl. Nadler, Spinoza, S. 36–41.

  77. 77.

    „Er iz geven frum, opgehit ale dinim, gehat groys derekherets far rabeim un talmide-khakhomim un loyt zayn gantsn art lebn dermont er unz a idishn khoshevn balebos fun unzere alte heymen, ohn shum spetsyele neygungen, gelasn, ruik oysgerekhnt, gotsfokhtik un kleynlakh in materyele inyonim.“ („Er war fromm, hielt alle Gesetze, hatte große Achtung für Rabbiner und Talmudgelehrte, und seiner ganzen Lebensart entsprechend erinnert er uns an einen angesehenen Hausherrn unserer alten Heimat, ohne besondere Neigungen, gelassen, ruhig, gottesfürchtig und pingelig in materiellen Dingen.“) Vgl. Shatski, Svive, S. 21–22.

  78. 78.

    Auch Freudenthal erwähnt die Wertschätzung, die der Familie entgegengebracht wurde, die sich darauf gegründet haben muss, dass Baruchs Vater „durch Rechtschaffenheit, Frömmigkeit und Klugheit die Augen seiner Religionsgenossen auf sich gezogen habe[n].“ Freudenthal, Leben Spinozas, S. 20. Anders als Shatzky bietet Freudenthal seiner christlich-jüdischen Leserschaft mit der Person des Vaters keine Identifikationsmöglichkeit, er zeigt ihr aber zu einem späteren Zeitpunkt und auf einer eher kulturgeschichtlichen Ebene die Perspektive, den Philosophen als einen Denker, im Kontext der europäischen Geistesgeschichte stehend, sehen zu können, indem er den philosophischen Werdegang Spinozas verfolgt, und zwar anhand von dessen Rezeption durch wichtige, der allgemeinen europäischen Geistesgeschichte zugehörende Autoren und ihrer Werke. Und so bindet er Spinoza in diesen Kontext ein, wie dies schon das Vorwort deutlich machte.

  79. 79.

    Shatski, Svive, S. 23. Das Verfahren, sich immer wieder selbstverständlich auf den traditionellen Kontext zu beziehen, indem er auf die ihm zugehörigen Vorstellungen, auf bestimmte Termini oder Ereignisse der jüdischen Historie wie auch auf jüdische Feiertage Bezug nimmt, findet sich bei Freudenthal nicht.

  80. 80.

    Vgl. ebd. Der Leser erhält (unter Angabe der Datierungen) Hinweise auf die traurige familiäre Situation – dreimal heiratet der Vater, da jede seiner Ehefrauen nach kurzer Zeit stirbt; die Geschwister Spinozas sterben früh bis auf die einzig verbleibende Schwester Rebecca. Shatzky lässt außer Acht, dass sich zumindest zeitweise gleichzeitig fünf Kinder im Haushalt der Familie befanden, das Kind Baruch demnach keinesfalls immer einsam gewesen sein muss. Vgl. Nadler, Spinoza, S. 46.

  81. 81.

    Freudenthal behandelt das Thema „Einsamkeit“ differenzierter. Er beschreibt Spinoza zwar als einsam, aber nicht als einen, der die Menschen aus „Menschenscheu und Menschenfurcht“ flieht, vielmehr lebte er in selbstgewählter Abgeschiedenheit, um „fern von dem lärmenden Treiben der Welt sich selbst und seiner Wissenschaft angehören [zu] könne[n]“, und dabei „fühlte er sich nicht von den Menschen geschieden, sondern im Genusse wohltuender Stille durch tausend Fäden mit ihnen verbunden“. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 184–186.

  82. 82.

    Shatzky spricht von der rechtlich und ökonomisch prekären Stellung der osteuropäischen Juden, in deren Folge diese den Sepharden gegenüber Abstand wahren: „un nit vayt fun Espinoza’s hoyz hobn zikh gefunen di poylishe un daytshe idn, velkhe hobn zikh gelebt bazunder moyre hobndik tsu kumen in a kontakt mit di shtoltse shpanishe idn, velkhe zaynen geven khosheve un legale aynvoyner fun shtot, damolst ven zey hobn vegitirt halb-legal, ohn a fartretershaft mit a surogat fun a kehile. Afile oyf‘n gebit fun parnose hobn zey nit gevolt shtern di sfardim, kedey nit oyftsuvekn zeyer umtsufridnkeyt un gezukht far zikh azelkhe kvaln fun khayune, fun velkhe di sfardim hot afile nit getrakht.“ („Nicht weit von Espinozas Haus hielten sich die polnischen und deutschen Juden auf, die abgesondert lebten und Angst hatten, mit den stolzen spanischen Juden in Kontakt zu kommen, die angesehene und legale Einwohner der Stadt waren, zu der Zeit als sie selbst halb-legal dahinvegetierten, ohne Repräsentanten und mit einer Behelfs-Gemeinde. Sogar im Erwerbsbereich wollten sie den Sepharden nicht in die Quere kommen, um deren Unzufriedenheit nicht zu erwecken. Daher suchten sie sich solche Verdienstquellen, an die jene nicht einmal gedacht hätten.“). Vgl. Shatski, Svive, S. 23–24.

    Diese sich auf den ökonomischen Status beziehende Aussage zum Verhältnis der beiden Gruppen zueinander wird Shatzky etwas später noch einen Hinweis zum jeweiligen religiösen Selbstverständnis hinzufügen. Anders als Freudenthal, der eine beide Gruppen gemeinsam wertende Außenperspektive wiedergibt, entwirft Shatzky eine Binnenperspektive, die die Relation beider Gruppen zueinander anspricht. Zum Verhältnis und zur Interaktion von Sepharden und Ashkenasen in Amsterdam und der Entwicklung der deutschen und polnischen Gemeinde vgl. Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation, S. 125–131.

  83. 83.

    Die Verachtung, die die Sepharden den ashkenasischen Juden gegenüber zeigten, bringt Shatzky mit der Verwendung des jiddischen Wortes „Shmoysn“ zum Ausdruck, vgl. Shatski, Svive, S. 22.

  84. 84.

    Shatzky spricht von zwei sprachlich-kulturell verschiedenen und distinkt bleibenden Welten, indem er das Bild von den „kinder veltn“ („Kinderwelten, die nie zusammenkommen konnten“) aufruft, „velkhe hobn zikh keyn mol nit gekent tsuzamenkumen“, „in eyn lid hobn geklungen tener fun a shpanisher kantsone un in a tsveyter – poshete idishe klog-verter.“ („In einem Lied erklangen die Töne einer spanischen Canzone und in einem zweiten – einfache jiddische Klageworte“.) Vgl. ebd., S. 25.

  85. 85.

    Ebd.

  86. 86.

    Ebd., S. 25–26.

  87. 87.

    Erwähnung finden – nach Shatzkys Angaben – der in unmittelbarer Nähe wohnende Menasseh ben Israel sowie Jehuda Leyb Templo. Shatzky gibt dessen sich auf ihn als Ersteller eines Tempelmodells beziehenden Spitznamen an – eigentlich Jacob Judah Leon. Zu beiden ergänzt der Autor kurzgefasste, wichtige Information zu Lebensdaten, zum Werdegang und zu verfassten Werken, um dem Leser offensichtlich hier wie an anderen Stellen Hinweise zur Erweiterung des eigenen jüdischen Wissens anzubieten.

    Ebd., S. 26. Menasseh ben Israels wichtige Schrift Esperança de Israel aus dem Jahr 1650 wird erwähnt. Zu ihr gibt Shatzky im folgenden Kapitel einen die Absicht der Schrift verkennenden, negativ wertenden Kommentar. Zur Analyse dieser Schrift und ihrer Bedeutung als einem jüdischen Beitrag im Kontext des christlichen Millenarismus vgl. Rauschenbach, Judentum für Christen, S. 169–195; ebenso Popkin, Richard H.: The Rise and the Fall of the Jewish Indian Theory. In: Kaplan, Yosef u. a. (Hgg.): Menasseh Ben Israel and his World. Leiden, New York 1989. S. 63–82. Zu Templo erwähnt Shatzky dessen Psalmenübersetzung; Berücksichtigung findet auch seine in Spanisch und Holländisch verfasste, den Tempel (Salomons) beschreibende Monographie, die anschließend ins Hebräische übersetzt wurde. Zum Modell des von Templo entworfenen Tempelmodells vgl. Offenberg, Adri K.: Jacob Jehuda Leon (1602–1675) and his Model of the Temple. In: Van den Berg, J.; Van der Wall, E. G. (Hgg.): Jewish-Christian Relations in the Seventeenth Century: Studies and Documents. Dortrecht 1988. S. 95–115. Ebenso Pool, Hermine: Der verschwundene Tempel. Jacob Jehuda Leon (1602–1675) und sein Templum Salomonis. In: Dresdner Kunstblätter 4 (2009). S. 269–280.

  88. 88.

    “Tsugehert hot zikh dos kind tsu di heyse debatn in tatns hoyz mikoyekh di gor shtarke katoylishe tendentsn bay di tsurikgevorene idn.“ („Das Kind hörte im väterlichen Haus die heißen Debatten in Bezug auf die starken katholischen Tendenzen bei den wieder jüdisch Gewordenen.“) Vgl. Shatski, Svive, S. 27.

  89. 89.

    Shatzky erklärt, dass sich die Marranen bisweilen nur schwer von ihrem katholischen Erbe trennen konnten, obwohl sie jüdisch fromm zu sein beabsichtigten, aber ein bestimmtes, zuvor gelebtes ästhetisches Moment in ihrem neuen religiösen Lebens vermissten. Ebd., S. 28.

  90. 90.

    Freudenthal sieht die Grundlage der Bildung Spinozas auch im „weitschichtigen biblischen und rabbinischen Schrifttum“, anhand dessen er seinen Geist schärfte, wobei er aber einerseits von „kleinlichen und spitzfindigen Diskussionen und Deduktionen des Talmuds“ spricht, andererseits aber auch das Verfahren des Pilpul als den Scharfsinn übend und die Phantasie anregend beschreibt.

    Freudenthal ist in Hinsicht auf seine jüdisch-christliche Leserschaft auch hier darum bemüht, Kategorien der Beschreibung zu verwenden, die einer neutraleren Sichtweise und nicht ausschließlich einer jüdischen Perspektive entsprechen: So vergleicht er den Unterricht der höheren Klassen, in denen nur Hebräisch gesprochen wird, mit dem höheren Unterricht der christlichen Lehrinstitute, wenn er bemerkt: „Auf die hebräische Literatur aber beschränkte sich der Unterricht, wie in den höheren Schulen Europas in jener Zeit die lateinische Sprache und Literatur fast ausschließlich gelehrt wurden.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 22–25. Hiermit wird versucht, den jüdischen Unterricht dem in christlichen Schulen erteilten ähnlich erscheinen zu lassen. Ebenso betont der Autor die Bedeutung der hebräischen Sprache und Literatur in einem allgemeinen, eher schon religionswissenschaftlich gefassten Kontext, wenn er schreibt: „Der jüdischen Schule Amsterdams verdankt Spinoza die Kenntnis einer uralten Kultursprache und einer Literatur, welche die ältesten Urkunden über Entstehung und Ausbreitung einer ehrwürdigen Religion enthält.“ Vgl. ebd., S. 25. Er hebt weiter in einem auf die fachliche Expertise verweisenden Vergleich hervor, dass Spinozas Kenntnisse – da er die „Luft des Orients in Schule und Haus“ atmete – die der christlichen Hebraisten an Gründlichkeit und Umfang übertrafen, da sich diese „erst mit Lexikon und Grammatik einen künstlichen Zugang erwerben mussten.“ Ebd., S. 24–25.

  91. 91.

    Ebd., S. 26–27.

  92. 92.

    Shatski, Svive, S. 28.

  93. 93.

    Ebd., S. 29. Shatzky vermittelt mit der Erwähnung der seinen Lesern vertrauten volkstümlichen Bräuche bewusst ein jüdisch-traditionelles Kolorit.

  94. 94.

    Es hat sich „in yenem tog fun dem nes in pores gehert a nit getsoymter lakhn un a doremdike freyd fun kind un keyt, fun groys un kleyn, fun orim un raykh. (…) un alts hot zikh farvandlt in a groysn oysbrukh fun simkhe un freyd; di freyd fun bafrayte knekhtn.“ („Am Tage des Wunders in Persien hörte man ein überbordendes Lachen südländischer Freude, von Kind und Kegel, von Groß und Klein, von Arm und Reich. (…) und alles verwandelte sich in einen großen Ausbruch von festlicher Freude. Die Freude von befreiten Knechten.“) Ebd.

  95. 95.

    Ebd. – Freudenthal spricht vom „Stolz der Amsterdamer jüdischen Gemeinde.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 21.

  96. 96.

    Shatzky betont explizit, dass beide Berichterstatter osteuropäische Gelehrte waren; auch hier nennt er dem Leser die Titel von wichtigen Werken, die sie verfasst hatten. Zu Bass erwähnt er dessen Verdienste um die altjiddische Literatur. Weiter schreibt er, im Unterschied zu Freudenthal, dass besagte Schule, ungeachtet der dieser Gruppe sonst entgegengebrachten Ablehnung bisweilen auch aschkenasische Rabbiner einstellte, wenn sie besonders gelehrt waren. Vgl. Shatzky, Svive, S. 31–33. Zur sephardischen Schule, den Berichten über sie und den jeweiligen Autoren vgl. Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation, S. 107–110, ebenso Nadler, Spinoza, S. 61 ff.

  97. 97.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 32–33. Bodian fasst die besondere Ausrichtung dieser Lehranstalt wie folgt zusammen: „In general, innovation was a necessity in the rejudaisation of the Amsterdam community. An educational system was required that would be consistent both with rabbinic tradition and with ‹‹Portuguese›› intellectual taste. And there was a need to introduce adults to the basics of Judaism including the Hebrew alphabet, without offending their mature sensibilities.“ Vgl. Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation, S. 110.

  98. 98.

    Shatski, Svive, S. 33. Weiter behauptet er dort, dass diese Ausbildung Grundlage für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Themen der jüdischen Tradition ermöglicht: „men hot gekent beemes aroysgeyn fun dortn bavafnt mit di ale klezain vos zaynen noytik tsu a visnshaftlekhn tsugang tsu ‹‹khomes yisroel››“ („Man konnte diese Schule in der Tat verlassen bewaffnet mit allen Mitteln und allem Wissen, das für einen wissenschaftlichen Zugang zum ‹‹Wissen des Judentums nötig war››).

  99. 99.

    Shatzky zählt auf, dass er „Shire“,„Melitse“, „Dikdek“ und „Muser“ lehrte und ein guter Lehrer, jedoch ohne besondere Fähigkeiten gewesen war. Vgl. ebd., S. 34.

  100. 100.

    „Gemore“, „Toysefes“, „Halokhe“, „Poskim“ soll Spinoza bei diesem studiert haben. Vgl. ebd., S. 35. Nadler stellt aber in Frage, ob Spinoza tatsächlich die höheren Klassen besucht hat, da in den historischen Schuldokumenten der Amsterdamer Gemeinde aus seiner Zeit sein Name nicht zu finden ist. Vgl. Nadler, Spinoza, S. 80–81.

  101. 101.

    Diese von Graetz übernommene Beschreibung bezieht sich offensichtlich auf eine von Menasseh selbst gemachte Aussage, nach der er bei der Abfassung der spanischen Version seiner Schrift Conciliador über 2500 Schriften verwendet habe. Menasseh versteht sich als Übersetzer, der Sprüche der Rabbiner veranschaulichend überträgt: „Er übersetzte die Kommentare späterer Gelehrter, indem er sie auf ihre Quellen zurückführte und Begründungszusammenhänge herstellte, die aus den Texten nicht unmittelbar hervorgingen. Er ergänzte Beweise und Belegstellen, und er übertrug schwer verständliche Autoren“ wie Raschi, Abraham ibn Esra und Nachmanides „in eine lesbare Sprache.“ Vgl. Rauschenbach, Judentum für Christen, S. 58–59.

  102. 102.

    Shatski, Svive, S. 34–35. Diese Perspektive geht auf dieselbe Einschätzung von Graetz zurück, der schreibt: „Er hat keine großen und fruchtbaren Gedanken in die Welt gesetzt, sondern die Geisteskinder anderer gehegt und gepflegt, sie wie seine eigenen behandelt. Er war mehr ein Vielwisser als ein Denker“, eine Formulierung, die sich genauso auch bei Freudenthal findet. Vgl. Graetz, Geschichte der Juden, Bd.10, S. 13. Graetz hebt aber die freundliche Persönlichkeit von Menasseh hervor und gewährt ihm eine Vorrangstellung unter den Rabbinern Amsterdams.

  103. 103.

    Dies versucht Shatzky mit seiner Behauptung zu belegen, dass Menasseh den Kontakt zu Rembrandt gesucht habe, eine Sichtweise, die die Art der Beziehung der beiden Persönlichkeiten verzerrt. Vgl. Nadler, Steven: Rembrandt’s Jews. Chicago 2003, S. 104–143.

  104. 104.

    Vgl. Shatski Svive, S. 35–36.

  105. 105.

    Freudenthal beschreibt beide Persönlichkeiten ausgewogener: Er spricht u. a. von dem „gefeierte[n] Menasseh Ben Israel“ und dessen England-Mission; Morteira charakterisiert er als „hochangesehen in der Amsterdamer Gemeinde“, als einen „mittelalterliche[n] Mensch[en]“, der „das Talmudstudium überaus hoch gestellt“ und in vielen Schriften, „das Judentum gegen allerlei Angriffe seiner Gegner“ verteidigt habe. Insbesondere hebt er die Kenntnisse der christlichen Theologie bei beiden Persönlichkeiten hervor. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 23–24.

  106. 106.

    Menasseh ben Israel war auf unterschiedlichen Gebieten mit Erfolg tätig: So ist seine England-Mission zu nennen, d. h. die Verhandlungen, die er mit Cromwell führte, mit der Absicht, es Juden zu ermöglichen, sich wieder in England niederlassen zu können. In diesem Zusammenhang verfasst er seine Schrift Vindiciae Judaeorum, die später in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, u. a. von Marcus Herz; im Anschluss wurde sie von Moses Mendelssohn publiziert. Auch seine Verdienste um den jiddischen Buchdruck sind zu erwähnen, insbesondere aber seine durch wissenschaftliche Arbeiten ausgeübte Vermittlerrolle, „sein Wirken in der christlichen Gelehrtenwelt“, das sich mithilfe „bestimmter Argumentationsstrategien zwischen Vermittlung und Selbstbehauptung in den christlichen Debatten des 17. Jahrhunderts“ vollzog, vgl. Rauschenbach, Judentum für Christen, S. 10–11. Eines der bekanntesten Beispiele dafür, wie Menasseh diese Rolle ausübte, ist die in spanischer und lateinischer Sprache erschienene Schrift Conciliador, die sich jeweils an ein anderes Publikum richtete. Das in seiner Art neue Werk ist zum einen ein Kommentar zum Tanach ähnlich wie andere Kommentare, beispielsweise der von Raschi verfasste, „andererseits erinnerte Menassehs Anspruch, alle scheinbaren widersprüchlichen Aussagen der Bibel gegenüberzustellen und miteinander zu versöhnen, an Sentenzen-Kommentare der christlichen Scholastik.“ Vgl. ebd., S. 59. Der Text zitiert zum Teil auch Autoren der Antike und ebenso auch christliche Theologen bis in die Zeit Menassehs, ein Tatbestand, der für jüdische Schriften des 17. Jahrhunderts sehr ungewöhnlich war. Die spanische Version richtete sich an ehemalige Conversos, überwiegend Kaufleute, die in ihrem Judentum noch gefestigt werden mussten. Die lateinische Version hatte christliche Gelehrte als Zielgruppe; sie weist erhebliche Modifikationen auf, wie z. B. die Bezugnahme auf die aristotelische Kategorienlehre zur Erklärung der Ursache von Widersprüchen. Vgl. ebd., S. 73. Insgesamt „übersetzte [sich] Menasseh auch sich selbst und die Position, aus der heraus er in die christliche Welt“ vermittelte; wenn er sich beispielsweise einen „‹‹jüdischen Theologen und Philosophen››“ nennt, „nähert er sich insgesamt den christlichen Theologen an und stellt sich gleichzeitig in seinem Anderssein neben sie,“ wohingegen er sich, so er sich an ein jüdisches Publikum wendet, als „‹Rabbiner›“ bezeichnet. Ebd., S. 278–279.

  107. 107.

    „Später wurde Menassehs England-Mission erstaunlicherweise nicht nur zum Vorbild für europäische Emanzipationsbewegungen, sondern auch für die Vordenker des Zionismus.“ Ebd., S. 263.

  108. 108.

    Eine protestantische Splittergruppe.

  109. 109.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 31–96.

  110. 110.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 37.

  111. 111.

    Angeführt werden mögliche Gespräche und Diskussionen zu dem Fall des Uriel da Costa, der nach dem über ihn ausgesprochenen „grausamen Bann“, seiner Reue und dem darauf über ihn ausgeübten harten Zeremoniell der jüdischen Gemeinde schließlich Selbstmord beging. Erwähnt wird die große Verehrung, die dem den Fängen der Inquisition entkommenen, in einem höheren Alter nach Amsterdam gelangten Aaron Lusitano entgegengebracht wurde, der Eindruck des stolzen Todes, den der von der Inquisition erhängte Don Lepa erlitt, oder das klagend-inbrünstige Gebet, das die Familie des Isaak de Castro Tartas für den auf dem Scheiterhaufen Ermordeten in der Synagoge sprach. Shatzky spricht diesen Geschehnissen eine Aura zu, die Märtyrerereignisse romantisch verklärt, vgl. Shatski, Svive, S. 37–39.

  112. 112.

    Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 157.

  113. 113.

    Ebd., S. 158.

  114. 114.

    „Di dozike stire tsvishn ideal un virklakhkeyt in tog-teglakhn lebn hot gemuzt virkn oyf dem sharfn kritishn moyekh fun dem yungn Spinoza, vayl er hot dem ethishn printsip fun der toyre gezukht koydem kol farvirklakht in di maysim fun di mentshn gufe. Un in der velt fun der abstraktsye, in di breyte un tife veltn fun der streynger mesoyrisher tenakh-epopeye, in dem farplontertn shikres fun talmudishn pilpl hot er gezukht di zelbe logishkeyt, grodlinikeyt un obyektive gezets-mesikeyt, vi in der velt fun vokhedike groe faktn.“ („Dieser Widerspruch zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit im tagtäglichen Leben hat auf den scharfen, kritischen Verstand des jungen Spinoza einwirken müssen, denn das ethische Prinzip der Tora hat er zuerst verwirklicht gesucht genau in den Handlungen der Menschen. Und in der Welt der Abstraktion, in den ausgedehnten und tiefen Welten der strengen überlieferten Tanach-Epopöe, in der Trunkenheit des talmudischen Pilpul suchte er dieselbe Logik, Gradlinigkeit und objektive Gesetzmäßigkeit wie in der Welt der alltäglichen grauen Fakten.“) Vgl. Shatski, Svive, S. 40.

  115. 115.

    Ebd., S. 40–41.

  116. 116.

    Ebd.

  117. 117.

    Ebd., S. 42. Mit dem Begriff vom enttäuschten, „kindlichen Glauben“ bezieht sich Shatzky auf einen Kontext alltäglicher Erfahrungen seiner Leser, die diese, aufgewachsen und verbunden mit jüdischer Tradition, oft auf ähnliche Weise selbst durchlebten. Demgegenüber spricht Freudenthal über diese Situation in einem abstrakten, wissenschaftstheoretischen Ton, indem er den Verlust als in der Konfrontation von Religion und Wissenschaft wurzelnd beschreibt. Nach ihm geht es um einen Konflikt, dem sich jeder Wissenschaftler stellen muss, seit es Wissenschaft und Religion gibt. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 50.

  118. 118.

    Die Logik einer Aussage kann, wie Shatzky es nennt, nur „durkh dem bikhides dervorbenem poyel-yoytse fun yedn gedank un pshat“ („durch den eigenständig vollzogenen Abschluss eines Gedankens und eines Urteils“) erlangt werden. Shatski, Svive, S. 41.

  119. 119.

    Ebd., S. 42.

  120. 120.

    Ebd.

  121. 121.

    Ein Problem, auf das Spinoza bei seinem Forschen stößt, sind z. B. die Widersprüche in der Schrift, die ihre Heiligkeit in Frage stellen. Spinoza fragt sich u. a., ob Moshe oder die Talmudisten im Recht sind oder wie die auf Widersprüche hinweisenden Interpreten und Kommentatoren fest in ihrer Überzeugung bleiben können.

  122. 122.

    Ebd.

  123. 123.

    Das ist kabbalistisch begriffen Gottes artikulierter Name.

  124. 124.

    „Mit der durshtkeyt fun an eynzamn in midber, velkher grobt kedey tsu gefinen vaser, hagam er veyst nit oyf zikher az dos vet im gelingen – azoy hot Spinoza gezukht dem emes un grobndik alts tifer un tifer hot er ongehoybn tsu farlirn dem bodn unter zayne fis un es iz bislakhvays tsurunen gevorn der kindersher gloybn un anshtot yiesh hot a liktikeyt im bazelt, vayl es hot zikh im antplekt der emes, az nit do iz der moker un nit di zaynen di onvayzer un nit di zaynen di vegn un metodn fun dergeyn tsum shem hamfoyresh fun lebn un natur, velkhe men vil oyf im aroyftsvingen in dem skhus, az asoy iz geven un muz zayn, vayl tsulib im un durkh im zaynen zayne oves geblibn idn.“ („Mit dem Durst eines Einsamen in der Wüste, der nach Wasser gräbt, obwohl er sich nicht sicher ist, dass es gelingt – so suchte Spinoza die Wahrheit, und da er tiefer und tiefer grub, begann er, den Boden unter seinen Füßen zu verlieren, und allmählich zerrann der Kinderglauben, und anstatt Verzweiflung beseelte ihn Lichtheit, denn es hat sich ihm die Wahrheit offenbart, dass nicht hier die Quelle ist und nicht diejenigen Hinweisgeber sind und nicht dieses die Wege und Methoden sind, zum Shem Hamfoyresh von Leben und Natur zu gelangen, die man ihm mit der Berechtigung aufzwingen will, dass es so gewesen ist und so sein muss, da auf diese Weise seine Vorfahren Juden blieben.“) Ebd., S. 42.

  125. 125.

    Ebd., S. 43.

  126. 126.

    Zum Thema einer Rabbinats-Ausbildung vgl. Nadler, Spinoza, S. 81.

  127. 127.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 31.

  128. 128.

    Ebd., S. 50.

  129. 129.

    Ebd.

  130. 130.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 32. Diesem Kommentar liegt die Vorstellung von einem Rabbinat zugrunde, wie es beispielsweise dem Ausbildungsverständnis des Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminars entspricht, nach der die Rabbinats-Schüler auch eine wissenschaftliche, im engeren Sinn universitäre Ausbildung zu absolvieren haben.

  131. 131.

    Ebd.

  132. 132.

    Nach Freudenthal vermitteln diese Schriften erste Antworten zu Fragen, die für Spinoza zeit seines Lebens Bedeutung haben sollten. Er erhält beispielsweise Aufschluss zu „Formen und Gesetze[n] des Denkens“, zu Fragen über die „Natur des Menschen“, zu Fragen zur „Unsterblichkeit der Seele“ und dem „Wesen der Gottheit“, dem „Verhältnis Gottes zur Welt“, zu Thesen in Hinsicht auf die „Offenbarung und Prophetie“, zu den „Ziele[n] [des] menschlichen Handelns“ wie auch zu den „Prinzipien der Sittlichkeit“. Des Weiteren bieten diese philosophischen Schriften Einsicht in die „erhabenen Lehren von der Gotteserkenntnis, als der höchsten menschlichen Tätigkeit“, der „Gottesliebe, als der höchsten Seligkeit“, und sie geben beispielsweise auch Auskunft „über die Lehre von dem Einen, schlechthin Einfachen, über Zeit und Raum Erhabenen (…).“ Ebd., S. 33. Als Autoren werden Maimonides, Abraham ibn Esra, Leone Ebreo u. a. erwähnt. Freudenthal verweist aber auch darauf, dass die meisten dieser Autoren die Vorstellung von einem transzendenten Schöpfergott beibehielten.

  133. 133.

    Freudenthal verweist auch auf die Verbindung der Kabbala zur Religionsphilosophie. Erstere wird als zweifelhafte Lehre charakterisiert und mehr noch als „Afterweisheit“ bezeichnet, da sie die „Kluft, die das Denken vom Glauben trennt, mit den flüchtige[n] Gebilden der Phantasie“ zu überbrücken anstrebt.

    Der Autor spricht auch von der starken Ablehnung Spinozas der Kabbala gegenüber. Ebd., S. 34–35.

  134. 134.

    Freudenthal bemerkt, dass Spinoza die Schriften des Aristoteles denen des „Dichterphilosophen“ Platon gegenüber bevorzugt, weil er die strengere Darstellungsform des Erstgenannten schätzt und weil er selbst keine guten Griechisch-Kenntnisse hatte. Ebd., S. 42.

  135. 135.

    Die Aufgeschlossenheit der Sepharden in Amsterdam, die sich anders als deutsche, russische, polnische aber auch französische Juden für die Bildung der Völker, mit denen sie lebten, interessiert an Neuem zeigten, wird von Freudenthal angeführt, womit er seine auf intellektuelle Teilhabe gerichtete Haltung und auch eine Kritik an antiaufklärerischen Positionen zum Ausdruck bringt. Ebd., S. 36.

  136. 136.

    Ebd., S. 42. Später wird er auch die Besonderheiten des lateinischen Schreibstils von Spinoza herausstellen.

  137. 137.

    Ebd., S. 45. Auch die reiche Auswahl an naturwissenschaftlichen Schriften in seiner hinterlassenen Bibliothek, die das große Interesse des Philosophen an diesem Wissensgebiet belegen, erwähnt der Autor.

  138. 138.

    Ebd., S. 52–53.

  139. 139.

    Ebd., S. 54–55.

  140. 140.

    Vgl. ebd., S. 55.

  141. 141.

    Freudenthal vergleicht aber die Wirkung, die das unerbittliche Verhalten der Rabbiner im Fall des Uriel da Costa auf Spinoza machte, mit dem Eindruck, den das Ereignis der Verbrennung von Jehuda dem Frommen durch die Inquisition hervorgerufen hatte, womit eine sehr scharfe Wertung gegeben wird. Ebd., S. 58.

  142. 142.

    Ebd., S. 46.

  143. 143.

    Vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 178–180.

  144. 144.

    Freudenthal bewertet den Bericht von Lucas, indem er auf sachliche Unstimmigkeiten hinweist, als unglaubwürdig. Insbesondere die Details der Schilderung zum Bann benennt er als unwahr, da die Angaben in keiner jüdischen Quelle Bestätigung finden. „Lucas’ Erzählung macht so den Eindruck einer Dichtung, die zur effektvollen Ausschmückung einer einfachen Begebenheit erfunden ist.“ Freudenthal, Leben Spinozas, S. 71.

  145. 145.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 56.

  146. 146.

    Ebd.

  147. 147.

    Ebd., S. 59.

  148. 148.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 72–76.

  149. 149.

    Der Besuch wird unter Ausmalung der situativen Stimmung szenisch dargestellt: Der Leser soll gleichsam die Begegnung miterleben, wohingegen Freudenthal lediglich vom Ereignis der Begegnung berichtet.

  150. 150.

    Shatzky spricht im Unterschied zu Freudenthal, der die Bewohner als „Bauern und Handwerker“ bezeichnet, von „Bauern“ und „Arbeitern“. Er lässt zudem eine bei Freudenthal nicht vorhandene Schilderung der von den Bewohnern praktizierten Lobpreisungen am Ruhetag einfließen, wenn er z. B. schreibt, dass sie mit „monotone nigunim tilim un loyb tfiles (monotonen Psalmenmelodien und Lobgebeten) Dank sagen, d. h. Gottesdienst feiern. Mit diesen Begriffen der jüdischen Tradition ermöglicht er den Lesern eine Übertragung der Geschehnisse in den ihnen bekannten Kontext. Zudem gibt er mit der Schilderung des ungezwungenen, freien und fröhlichen Verhaltens der Dorfkinder eine situative Lebendigkeit des Alltagsgeschehens wieder, ein Moment, das in der Darstellung Freudenthals keinen Platz hat.

  151. 151.

    Shatzky übernimmt Freudenthals Formulierung vom ‚Alten Rhein‘. Während dieser mit seinem auf eine deutsche Leserschaft zugeschnittenen Kommentar zum veränderten Charakter des Flusses in diesem Gebiet im Unterschied zum Rheinland verweist, spricht ersterer von dessen langsamen Fließen als einem ruhigen, seiner Bestimmung folgenden und damit jeder Eile baren Verhaltens, wenn er in das Meer mündet. Damit spricht er einen Gedanken aus, der auf die Vorstellung der Notwendigkeit anspielt und auch auf den ruhigen Weg, den Spinoza verfolgt.

  152. 152.

    „Loyt der kharakteristik fun Froydental iz der doziker traktat in farglaykh mit der ‹‹etik›› – azoy vi an oyf shnel oyfgeshtelt hayzl tsu a prakhtfuln palats vos iz oyfgeboyt gevorn loyt a festn plan fun a groysn mayster.“ („Nach der Charakteristik von Freudenthal ist dieser Traktat im Vergleich mit der Ethik zusammengestellt worden, wie ein schnell aufgebautes kleines Haus im Gegensatz zu einem prachtvollen Palast, der nach einem festen Plan von einem großen Meister gestaltet wurde.“) Vgl. Shatski, Svive, S. 106. Und vgl. dazu Freudenthal, Leben Spinozas, S. 101. Von den detaillierten Angaben Freudenthals zur Überlieferungs- und Editionsgeschichte erwähnt Shatzky lediglich sehr verkürzt, dass 1852 eine holländische Übersetzung gefunden wurde. Ersterer schreibt dazu: „Erst im Jahr 1852 fand Eduard Böhme in einem Exemplar der von Colerus verfassten Lebensgeschichte Spinozas die Grundzüge der verlorenen Schrift auf. “ Vgl. ebd., S. 100.

  153. 153.

    Nach Freudenthal hatte sich Spinoza die Lösung des Problems vorgenommen, wie gesicherte Erkenntnis zu gewinnen sei, und er wollte eine Erkenntnistheorie als zum Entwurf seiner Metaphysik gehörend entwickeln. Die Metaphysik beabsichtigte Spinoza – nach Freudenthal – ursprünglich in dieser Abhandlung mit zu entwerfen. Diese Aufgabe hatte sich Spinoza gesetzt, nachdem er die Mängel der ersten Schrift auch im Kontext des noch nicht entworfenen Verfahrens zur Erkenntnistheorie gesehen hatte. Dieser von Freudenthal dargelegte Zusammenhang wird von Shatzky nicht aufgegriffen.

  154. 154.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 109–110 ebenso Freudenthal, Leben Spinozas, S. 107–109.

  155. 155.

    Vgl. ebd., S. 109–110. Descartes geht es darum, das Denken so auszurichten, dass Sicherheit im Wissen erlangt werden kann; Spinoza hingegen fragt – nach Freudenthal: „Was kann ich tun, um ein Gut zu erreichen, das unvergänglich ist und mir wahre Glückseligkeit gewährt?“

  156. 156.

    „Der emes'er gedank iz, az der, vos trakht nit vegn inyonim velkhe rufn aroys in mentshns neshome gefiln un afektn, der iz etish.“ („Der wesentliche Gedanke ist, dass nur der ethisch ist, der nicht solche Angelegenheiten bedenkt, die in der menschlichen Seele Gefühle und Affekte hervorrufen.“) Shatski, Svive, S. 110.

  157. 157.

    Dabei setzt er beim Vorwort der  Abhandlung an: „Fun dem dozikn antvurf-gedank vos iz oysgedrikt in der hakdome tsu der shrift iber der ‹‹Farbeserung fun farshtand››, firt shoyn der veg tsu di breyte, tife un mayestetishe horizontn fun der ‹‹etik››“. („Von diesem in der Einleitung zu der Schrift über die ‹‹Verbesserung des Verstandes›› artikulierten Gedankenentwurf führt schon der Weg zu den breiten, tiefen und majestätischen Horizonten der ‹‹Ethik››.“) Ebd. Dies ist die Kurzversion des bei Freudenthal inhaltlich nachvollzogenen Arbeitsverfahrens von Spinoza, in dem die Metaphysik entgegen der ursprünglichen Absicht nicht im Rahmen dieser Abhandlung entworfen wird, sondern diese als erster Teil der Ethik umgearbeitet wird. Auch auf die unterschiedliche Darstellungsform von Abhandlung und Ethik, – wobei die Abhandlung noch nichts voraussetzt und daher nicht deduktiv wie die Ethik und somit auch nicht ordo geometrico dargestellt werden kann –, wie Freudenthal erklärt, geht Shatzky nicht ein.

  158. 158.

    Shatzky greift alle wesentlichen, auch bei Freudenthal dargestellten, thematischen Aspekte auf, arrangiert diese aber neu. Als Grund für den Wohnortwechsel von Spinoza nennt Freudenthal die seiner Arbeit hinderliche, zunehmende Besucherzahl in Rijnsburg, Shatzky gibt keinen Grund an. Auch in Voorburg nimmt die Zahl der Besucher allmählich wieder zu, es sind die besten Männer Hollands, die Spinoza aufgrund seiner außerodentlichen Kenntnisse wie auch seines besonderen Wesens zu sehen wünschen. Hier findet dann der Kontakt zu de Witt, dem mächtigen Staatsmann, Erwähnung, der nach Freudenthal bei Spinoza um Unterweisung nachfragt, eine Vorstellung, der neuere Darstellungen widersprechen.

    Freudenthal fügt dann eine Aufzählung weiterer bekannter Persönlichkeiten an, mit denen Spinoza in brieflichem Kontakt stand und die von den Gegnern de Witts als „Komplicen“ des Staatsmanns betrachtet werden. Genannt werden Johan Hudde, Amsterdamer Bürgermeister, von dem drei Briefe Spinozas an ihn erhalten sind, Coenraad van Beuningen, Staatssekretär und Bürgermeister aus Amsterdam wie auch Diplomat, und Abraham Cuffeler, Hofadvokat, der eine Spinoza folgende Schrift herausgibt und nach Freudenthal „einer der wenigen“ ist, die es im 17. Jahrhundert wagen, „Spinozas Ansichten entschieden“ zu verteidigen. Es folgen Angaben zu holländischen Gelehrten, wie u. a. dem wichtigen Naturforscher Christiaan Huygens und seinem brieflichen Austausch mit Spinoza sowie der ausführlich nachvollzogene Briefwechsel mit dem Händler van Blyenbergh. Zusätzlich nennt der Autor noch zwei Ausländer: den Feldmarschall Charles de St.-Denis und den Hugenotten de St.-Glain, der in der Armee der Staaten von Holland gedient hatte und als einer der treuesten Anhänger Spinozas den Traktat ins Französische übersetzte, wie Freudenthal mitteilt. Der Autor berichtet am Ende des Kapitels, auf das Jahr 1665 datiert, von einer Auseinandersetzung um die Neuwahl des Dorfpfarrers. Abschließend wird der Tod des engen Freundes Simon de Vries als eines der traurigen Ereignisse aus der Voorburger Zeit genannt, das Spinoza – so Freudenthal – schwer getroffen haben muss. Die von de Vries Spinoza offerierte Schenkung einer großen Geldsumme wie auch das Anerbieten, ihn zum Gesamterben zu machen, werden von Spinoza abgelehnt, die Summe einer Pension setzt dieser zudem herab, wie Freudenthal berichtet. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 126–146.

    Shatzky stellt die Ereignisse um die Neuwahl des Dorfpfarrers an den Anfang seines Kapitels nach den einführenden Worten zu Vorburg. Diese Episode berichtet von dem Konflikt – anlässlich der Neuwahl des Dorfpfarrers – zwischen den Vertretern der Reformierten, angeführt von Spinozas Hauswirt und den Calvinisten. Spinoza ist mitbetroffen, da die Calvinisten eine auch nach Quellen belegte Mitarbeit Spinozas an einer von den Reformierten vorgelegten Eingabe meinen vorweisen zu können und ihn als einen Atheisten, als eine für die Republik schädliche Person bezeichnen, die zudem jüdischer Herkunft ist. Mit der Umstellung dieser Episode wird das Motiv einer schon frühzeitig wachsenden Feindlichkeit Spinoza gegenüber stärker hervorgehoben. Gleichzeitig wird dieser feindlichen „Svive“ aber auch eine wachsende Zahl Bewunderer und Anhänger zusätzlich zu bereits vorhandenen Freunden und „Chassidim“, wie sie Shatzky nennt, gegenübergestellt und damit das Verhältnis Spinozas zu seinen Freunden aus Amsterdam in den dem Leser bekannten Kontext übersetzt, wenn er die Art ihrer Beziehung mit der von Chassidim zu ihrem Rebben vergleicht. Aus der umfangreichen Gruppe von Diplomaten, Naturforschern und Philologen, die Spinoza aufsuchten, will Shatzky zu einigen besonders charakteristischen „Typen“ einige Aussagen machen: Der Autor folgt dann der Aufzählung Freudenthals mit Hudde, van Beuningen, Cuffeler. Shatzky übernimmt auch das Verfahren Freudenthals, zu den namentlich angegebenen Besuchern jeweils einige wesentliche Informationen zu ihrem Leben und zu ihrer Bedeutung, bisweilen auch zu den von ihnen verfassten Schriften mitzuteilen, und gibt manchmal noch zusätzliche, bei Freudenthal nicht erwähnte Informationen. Die Blyenbergh-Episode wird Shatzky in einem eigenen Kapitel besprechen; Vgl. Shatski, Svive, S. 112–118.

  159. 159.

    Shatzky nennt als Erklärung dazu die bekannten Umstände: die in London grassierende Pest, die Verhaftung Oldenburgs aufgrund einer Anklage, für Frankreich spioniert zu haben und dessen ob dieses einschneidenden Ereignisses erfolgte Persönlichkeitsveränderung.

  160. 160.

    Ebd., S. 138.

  161. 161.

    Ebd.

  162. 162.

    Ebd.

  163. 163.

    Mit diesem Ansatz spitzt Shatzky das Erzählverfahren Freudenthals zu, da dieser jeweils eine Reihe von Persönlichkeiten ausführlicher darstellt.

  164. 164.

    Die Aussagen zu de Witt sind bei Freudenthal in drei Kapiteln – in beiden Kapiteln zu Voorburg und zusätzlich in dem Kapitel Kämpfe um den Theologisch-politischen Traktat aus der Sektion zur Haager Zeit – mit jeweils einem kleineren Abschnitt ausgeführt. Der Leser wird über folgende Aspekte aus dem Leben des Politikers informiert: über die Länge seiner Amtszeit, über seine staatsmännische Begabung, über Eigenschaften wie seine Charakterfestigkeit und Vaterlandsliebe sowie über seine mathematischen und physikalischen Arbeiten. Es folgen dann Angaben zu der allgemeinen politischen Situation, in der de Witt agiert: „In der Zeit, da Jan de Witt als Ratspensionär von Holland die Zügel der Regierung in starken Händen hielt, loderte der nie ganz erloschene Kampf zwischen Regierung und Geistlichkeit von neuem in hellen Flammen empor.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 150.

    Freudenthal ordnet diesen Zusammenhang in einen größeren Kontext der europäischen Geschichte ein, indem er zunächst diese Auseinandersetzung als einen die Geschichte der europäischen Völker seit dem Mittelalter bestimmenden Konflikt bezeichnet. Er erwähnt dabei die wichtigen kirchlichen Protagonisten, die Päpste Gregor V. und Innozenz VIII. und als deren Gegenspieler z. B. Kaiser Heinrich IV. Für Holland statuiert er einen etwas milderen Verlauf, da vor Ort nur die „kleineren Päpste der Niederlande, die reformierten Prediger“, als Gegenspieler des Staates auftraten. Nichtsdestotrotz zeichneten sich die gegenseitigen Angriffe aber auch durch Schärfe auf der kirchlichen Seite und durch rücksichtsloses Eingreifen von staatlicher Seite aus. Die verschärften Attacken der Prediger, die das seit 1659 erlassene Dekret zur Wahrung der Sonntagsruhe als ungenügend betrachteten, markieren eine Zuspitzung des Konflikts. Die von Freudenthal beschriebene Reaktion des Staates („durch scharfe Verordnungen suchte die Regierung den Kampfesmut der Prediger zu brechen“) betont mehr das Handeln des Staates als einer Institution, während Shatzky später de Witt zum Hauptangriffspunkt und demzufolge auch zum Haupthandelnden stilisiert.

    Dieser Biograph verweist zunächst wieder auf Lucas, indem er dessen Aussage anführt, dass Spinoza die Gelegenheit hatte, die Bekanntschaft de Witts zu machen, da dieser von dem bekannten Lehrer in der Mathematik unterrichtet werden wollte und diesen oftmals zur Besprechung wichtiger Angelegenheiten zu sich gerufen habe. Shatzky erwähnt die 19 Jahre, in denen de Witt die politische Führung in Holland innehatte. Zur weiteren Einordnung wird von einer Koinzidenz der Epoche Spinozas mit der historischen Epoche gesprochen, „in der Holland zu einem eigenständigen Staat wurde.“ Der Kampf der Oranier mit Wilhelm von Oranien gegen die Spanier wird angeführt, aber auch die Freiheitsliebe der eroberten Städte, die dessen zentralistischen, ja monarchistischen Tendenzen (des Statthalters Wilhelms von Oranien) gegenüberstanden und aus Furcht vor religiöser Intoleranz, die das Zusammenleben unterschiedlicher religiöser Vereinigungen und Sekten gefährde, eine allgemeine Zentralisierung und besonders die Etablierung der Monarchie ablehnten, so Shatzky. Der Autor richtet seine Perspektive insgesamt – anders als Freudenthal – auf die innenpolitischen Zustände und hebt die Bedeutung der Ökonomie hervor, wenn er von dem republikanischen Geist der tonangebenden, reichen Händler spricht, die – nach ihm – vollständige Gedanken- und Glaubensfreiheit sichern wollten, um „aufgrund der Toleranz ein rein ökonomisches Leben aufbauen zu können.“ Shatzky sieht in diesem Umstand den Grund für die Gründung einer Republik aus den sieben Staaten.

    So standen sich zwei politische Kräfte gegenüber: das republikanische und das monarchische Element, vertreten durch die Dynastie der Befreier, denen der Titel der Statthalter und der Oberbefehl über Heer und Flotte zukam. Daneben – so stellt Shatzky dar – erwählte sich die Bevölkerung ebenso zivile Statthalter, die Pensionäre, die zumeist verdienstvolle Bürger, Gelehrte oder Juristen waren. Mit dem Hinweis auf die zwischen beiden Institutionen immer wieder vorkommenden, teilweise gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen charakterisiert Shatzky die allgemeine politische Lage, um dann mit der Angabe des Jahres 1653, in dem der Mathematiker und Jurist de Witt zum Oberhaupt der Republik gewählt wird, näher auf das Wirken dieser Persönlichkeit einzugehen. De Witt wird als Gegner der Vereinigung der Niederlande und Vertreter einer provinzialen Selbständigkeit bezeichnet, die letztlich sogar jede Provinz als selbständige Republik betrachtet. Shatzky sieht ihn aber gleichzeitig als Realpolitiker, der im Interesse des vereinigten Holland den Staaten Beschlüsse aufzwingt, und er beschreibt ihn weiter als einen genialen Menschen, als den Führer einer Republik aus 56 selbstständigen Staaten, die jeweils von aristokratischen Räten regiert werden. Der Leser erhält in diesem Abschnitt eine recht detaillierte Information über das politische System in den Niederlanden.

    Als weiteres Verdienst im Hinblick auf die Wahrung der republikanischen Werte führt Shatzky den von de Witt verfügten Erlass an, nach dem die Befehlshaber von Heer und Flotte nicht zugleich das Amt des Statthalters respektive des Staatsoberhauptes bekleiden können. Dieser Maßnahme folgte auch eine Verkleinerung der Armee, was von Shatzky als verhängnisvoll für de Witts weiteres Schicksal gewertet wird. Das Bündnis von feindlichen Kirchenvertretern mit monarchistischen Anhängern führt zu einem aggressiv aufgeladenen Klima: Shatzky berichtet unter näherer Beschreibung der Ereignisse des besagten Tages, wie de Witt am 20. August 1672 dem Rasen einer aufgeheizten Volksmenge zum Opfer fällt und ermordet wird. Als die wahren Verantwortlichen benennt der Biograph die Priester und die Oranier, die dem Geschehen – und das sogar während der Sonntagsmessen – zugestimmt hätten. Vgl. Shatski, Svive, S. 140–148.

  165. 165.

    Ebd., S. 139 und S. 148.

  166. 166.

    „In seine Zeit fällt die Verstärkung des Kampfes zwischen Staat und Kirche. Die calvinistischen Kirchenräte sind voller Hass und Intoleranz anderen Gruppen gegenüber. Sie beschuldigen den Staat, dass er die Prinzipien der Religion zerstört, indem er allen Sekten und Religionen die volle Freiheit zugesteht. Das Dekret der Sonntagsruhe, das de Witt 1659 durchgesetzt hatte, war zu milde für die Vorsteher der Kirche. Es begann ein Kampf gegen de Witt wie gegen den ‹‹Antichristen››. (…) De Witt hat erbarmungslos die kirchlichen Reaktionäre verfolgt und hat sie gestraft, mit dem was er nur konnte.“ Vgl. Shatski, Svive, S. 142–143.

  167. 167.

    Freudenthal hebt hervor, dass die Unterordnung der Kirche nicht einfach erzwungen wurde, sondern dass es de Witt auch darum ging, das staatliche Recht „nach allen Seiten zu beleuchten, zu begründen und gegen jeden Angriff zu schützen“ vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 153. Weiterhin weist er darauf hin, dass de Witt bereits bestehende Vorschriften zur Maßregelung von militärischer Führung und Kirchenführung letztlich nur wieder neu in Anwendung brachte.

  168. 168.

    Shatzky gibt eine Auswahl von Werken zum Thema von Staat und Herrschaft, beginnend mit einer kleinen Abhandlung zum Thema des öffentlichen Gebetes, verfasst von einem Familienmitglied de Witts. Er nennt weiter eine Schrift von Dr. Lodewijk Meyer, einem engen Freund Spinozas, in der es darum ging, den Nachweis zu führen, dass es immer schon einen Kampf zwischen Staat und Kirche gegeben habe, die Autorität aber dem Staat gehöre. Shatzky erwähnt weiter die 1667 veröffentlichte Übersetzung des Leviathan von Th. Hobbes ins Holländische. Für 1668 gibt er das Erscheinen eines Werkes des Spinoza-Freundes und Schülers Kerbas an. Vgl. ebd., S. 144–146.

  169. 169.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 149.

  170. 170.

    Ebd., S. 150. Mit seiner Formulierung von der „Gefahr eines Mittelalters im freiheitlichen Holland“ spielt Shatzky auf die zuvor angeführte Aussage Freudenthals an, die kurz auf die mittelalterliche Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaisertum einging.

  171. 171.

    „(…) ven in a vinter-tog, onfang 1665 iz tsu zayn basheydener dire in vorburg tsugeforn di karete fun holendishn namyestnik, un Yohan de Vit iz ibergetrotn di shveln fun zayn eynzamkeyt. (…) dos is geven di haskhole tsu a groyser, intimer frayndshaft fun tsvey mentshn, vos hobn gehat zikh a sakh tsu zogn, un hobn gehat nokh mer zikh tsu lernen eyner fun dem andern.“ („als an einem Wintertag Anfang 1665 die Kutsche des holländischen Statthalters bei seiner bescheidenen Wohnung in Voorburg vorfuhr und Johan de Witt die Schwelle zu seiner Einsamkeit überschritt (…) war das der Beginn einer großen, nahen Freundschaft von zwei Menschen, die einander viel zu sagen und noch mehr voneinander zu lernen hatten.“) Ebd., S. 149.

  172. 172.

    Ebd., S. 150.

  173. 173.

    Ebd., S. 155.

  174. 174.

    Dieses Argument erinnert in der Formulierung an H. Cohen.

  175. 175.

    Um den Anlass der Schrift zu erklären, gibt Freudenthal demgegenüber zunächst eine Übersicht zu den holländischen Verhältnissen während eines länger andauernden Zeitraums, die er unter dem Oberbegriff „Kampf zwischen Staat und Kirche“ beleuchtet. Dem Staat stehen die orthodoxen Kirchenvertreter sowie auch die Oranier gegenüber. Maßnahmen beider Seiten werden benannt, de Witt tritt dabei als Persönlichkeit auf, die die bestehenden Regelungen wieder in Kraft setzt, d. h. dass er also nicht als erster Akteur in dem Konflikt zu gelten hat, gleichwohl weist auch Freudenthal darauf hin, dass der Politiker zur Zielscheibe der genannten Gruppen wurde. Der Biograph unterscheidet bei Spinoza zwischen theologischen, bereits „während seiner Studienjahre“ erdachten Inhalten im Unterschied zu den politischen Gedanken, die erst in der Voorburger Zeit durch die Bekanntschaft mit de Witt und seinen Kreisen Gestalt annahmen. Letztlich ist die politische Situation aber nur ein Anlass zur Abfassung der Schrift, denn dieser tritt hinter ihre „allgemeinen Lehren“ zurück. Zugleich wird mit der Schrift – nach Freudenthal –„ein Grundprinzip geistigen Lebens“ verteidigt: Gemeint sind Gedanken- und Glaubensfreiheit. Der diesen Grundsatz nach allen Seiten hin begründende und rechtfertigende Text Spinozas ist demnach weit mehr als eine „Parteischrift“, „die heiklen Fragen der alttestamentlichen Exegese und die Forderungen des politischen Lebens“ werden in eine „reine Sphäre“ gerückt.

    Zur historischen Einordnung erklärt Freudenthal, dass die Thesen der Schrift nicht grundsätzlich neu seien, denn Autoren, für die die Gewissensfreiheit und Duldsamkeit in Hinsicht auf religiöse Fragen schon Bedeutung hatten, finden sich bereits im Mittelalter, später dann im italienischen Humanismus. Die Zeit der Reformation beförderte dann die Bedeutung der Idee der Gewissensfreiheit. Es findet der besonders vehemente Kampf gegen die „Ausschreitungen des Fanatismus“ in Holland Erwähnung, auch die Situation in England wird genannt. Die besondere Leistung von Spinoza liege aber in seiner umfassenden Begründung der „Idee der Denkfreiheit nach ihrer religiösen, politischen und philosophischen Seite“ hin. Nach der Erwähnung der Vorgänger Spinozas führt Freudenthal die Entwicklung seiner Gedanken in folgenden Zeitabschnitten weiter, bis schließlich eine Zeit kam, da Spinozas Forderungen mit denen anderer Denker allgemeines Gut wurden, sodass der Traktat letztlich zu verstehen ist als eine „der Fackeln [geworden], welche dem Zeitalter der Aufklärung vorangeleuchtet haben“. Spinoza wird somit selbst als Teil der Aufklärung, als ein eminent wichtiger Vertreter der europäischen Geistesgeschichte deklariert. Inhaltlich spricht Freudenthal eine Reihe verschiedener theologischer Aspekte an, insbesondere hebt er Spinozas Verdienst um eine erstmalig umfassende Bibelkritik hervor, wobei auch deren Bestandteile, wie sie der Traktat darlegt, genannt werden. Freudenthal betont dabei – mit dem Verweis auf die Vorstellung der inspirationsbedingten Entstehung – das Fehlen einer Bibelkritik im Mittelalter und hebt die Ansätze zu bibelkritischen Positionen bei früheren jüdischen Autoren hervor. Ebenso betont Freudenthal aber auch den Einfluss der christlichen Sekten in Holland des 17. Jahrhunderts, die bereits ein neues Bibelverständnis propagierten und damit einen „Geist der Unabhängigkeit“ lebten. Freudenthal geht auch auf Hilfsmittel der Kritik ein und nennt grammatische und lexikalische Untersuchungen, theologische Gelehrsamkeit wie auch Verfahren, die bereits historisch-kritisch vorgehen. Damit entwickelt Spinoza eine Perspektive, die die „genetische Betrachtung der Religion vorbereitet hat“, und der Philosoph erscheint damit auch als wichtiger Wegbereiter moderner Bibelwissenschaften.

    Die Einzigartigkeit der Leistung des Spinoza zeigt Freudenthal auf, indem er die Voraussetzung für dieses Projekt der umfassenden Bibelkritik anführt und betont, dass nur eine Person wie Spinoza in der Lage war, dieses Unterfangen durchzuführen, da nur er die genannten Anforderungen in Hinsicht auf die vielfachen Wissensgebiete erfüllte.

    Auch die persönlichen Beweggründe Spinoza werden interpretiert: Nochmals wird hervorgehoben, dass Spinoza den Staat, entgegen der Auffassung der Kirche, nicht schädigen wollte, vielmehr seinen Schutz anstrebte. Freudenthal interpretiert zudem, dass Spinoza der Religion neuerlich – in ihrem wahren Sinn – zur Geltung verhelfen und sie (wieder) zu einer „milde[n] Beherrscherin des Herzens“ machen wollte. Damit rückt er sie – wenn man Freudenthal folgt – nahe an eine protestantisch gefärbte Verinnerlichung. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 149–163.

    Weiterhin belegt Freudenthal, dass Spinoza auch bemüht war, den Vorwurf des Atheismus zu widerlegen: Spinozas Verständnis von Religion, so schreibt er, liege die Vorstellung von einem unendlichen Wesen zugrunde, dem „Urquell alles Seins“. Den religiösen Charakter der Schrift Spinozas sieht er auch in dem Leitspruch des Traktats, der Stelle 1 Johannesbrief 4,1, bestätigt, mit der auch auf den Gedanken des Urquells und des Inneseins verwiesen ist. Freudenthal schreibt: „An keiner Stelle des Traktates bekämpft er die biblische Lehre von Gott.“ Dass dieser Biograph das Zitat aus dem Johannesbrief eigens erwähnt, ist als ein weiterer Beleg seiner beide Konfessionen adressierenden Perspektive zu sehen, wie auch seine Anführung der Aussage, die Spinoza zu der Person Jesus gibt. Der Autor deutet diese dahingehend, dass keine Aussage größerer Ehrerbietung über den „Stifter der christlichen Religion“ als bei ihm gefunden werden könne: Das Wesen Gottes finde sich in allen Dingen, insbesondere im menschlichen Geist, am meisten in der Person Jesus, der als menschlicher Träger des göttlichen Geistes bezeichnet wird. Gleichzeitig betont Freudenthal aber auch, dass Spinoza nirgendwo das christologische Dogma bestätigt und sich ebenso wenig zu den Grundlehren des Christentums bekannt habe. Vgl. ebd., S. 163–165.

  176. 176.

    Freudenthal hatte zu Anfang des Kapitels darauf hingewiesen, dass Spinoza zwei Werke während seiner Zeit in Voorburg ausgearbeitet habe. Er teilt – unter Angabe von Arbeitsschritten und mit dem Verweis auf den brieflichen Fragestellungen der Ethik besprechenden Austausch mit seinen Anhängern und dem Hinweis auf erste Versuche der Darstellung nach geometrischer Ordnung – mit, dass Spinoza zwei Jahre nach der Herausgabe der Prinzipien der cartesianischen Philosophie in den Jahren 1663 bis 1665 den „größten Teil der Ethik, wie sie zuerst entworfen war“ vollendet hatte, ebenso, dass das erste Buch Anfang 1663 seinem wesentlichen Inhalt nach ausgearbeitet vorlag. Vgl. ebd., S. 148–149. Zum Verhältnis von Ethik und Traktat betont Freudenthal noch einmal, dass nach Spinoza die Aussagen der Ethik nicht theologischer, sondern philosophischer Art sind und dass dort die Vorstellung eines nicht-persönlichen Gottes niedergelegt ist, wozu er kurze Erläuterungen zum Gottesverständnis aus der Ethik anführt. Er sieht seit der ersten Schrift von Spinoza in den Grundzügen seiner (theologischen) Vorstellungen keine Änderung, und so lehrt auch „der Traktat [lehrt] nichts anderes als die übrigen Schriften, nur nicht mit der Klarheit und Unumwundenheit, der wir sonst bei Spinoza begegnen.“ Vgl. ebd., S. 166–168.

    Im Traktat wird aber zudem die Notwendigkeit der biblischen Aussagen für die nicht philosophische Masse belegt, denn dieser ist die reine Gotteserkenntnis unerreichbar. Vgl. ebd., S. 170. Abschließend teilt Freudenthal noch seine Einschätzung der Stellung Spinozas zur Religion mit, die keine Orientierung an einer geschichtlich, traditionell-rituellen Gestaltung des religiösen Lebens benötigt. Dies gilt für Judentum und Christentum. So ein von allen Dogmen gereinigtes Christentum noch als ein solches zu verstehen ist, kann Spinoza, „der vieles lehrt, was mit den sittlichen Anschauungen des Christentums übereinstimmt“, als Christ begriffen werden, „ja mit Goethe vielleicht ‹‹Christianissimus›› genannt werden [dürfen]. Dieselben Gedanken aber, die ihn dem ungläubigen Christen als Christen erscheinen lassen, werden den Juden, der die Glaubenslehren und Satzungen des Judentums von sich geworfen hat und nur seinen ethischen Kern festhält, veranlassen, ihn für einen Juden zu erklären.“ Vgl. ebd., S. 171–172. Die unterschiedlichen Einschätzungen des Traktats erklärt Freudenthal mit der stellenweisen Dunkelheit des Textes, die aber wahrscheinlich durch die Vorsicht Spinozas bedingt wie auch der „Klugheitsregel“ des Descartes geschuldet sei. Vgl. ebd., S. 173. Abschließend weist Freudenthal noch auf die grundsätzliche Friedfertigkeit Spinozas hin, die erklärbar sei durch seine Abstammung von einem Volk der Dulder, sodass er grundsätzlich dem Kampf um des Kampfes willen aus dem Weg gegangen sei, ohne dabei aber als Feigling bezeichnet werden könne. Vgl. ebd., S. 174–176.

  177. 177.

    Vgl. Spinoza, Briefwechsel, Einleitung, S. XXXII. Die Bedeutung dieser Art des Briefwechsels, besonders der Briefe 18–24, zu dem Walther auch die Korrespondenz mit Velthuysen zählt, sieht er u. a. in dem Deutlich-Werden des ungeheuren Abstands des Denkens von Spinoza zu dem seiner Zeitgenossen und damit in ihrem großen Informationsgehalt für das Verständnis der Philosophie Spinozas und ihrer Wirkungsgeschichte. „Aus der Diskussion mit dem aufgeklärten Durchschnittsbürger erfahren wir mit unüberbietbarer Deutlichkeit und Anschaulichkeit, welche ungeheure Herausforderung und Bedrohung für den Zeitgeist das Denken Spinozas darstellte. Es gehört ja zu den von der philosophiegeschichtlichen wie der historischen Forschung allgemein stark vernachlässigten Untersuchungsbereichen, wie sich ein ökonomischer, sozialer oder geistiger Umbruch beim normalen Zeitgenossen darstellt: für Spinoza ist das Material dafür in ausreichendem Maße vorhanden (…).“ Vgl. ebd., Einleitung XLVII.

  178. 178.

    Aufenthalt im Haag. Charakter, Studien, Sprache und äußere Erscheinung; Kämpfe um den theologpolit. Traktat; Besucher, Freunde und Schüler im Haag; Späteste Schriften und letzte Tage; Rückblick.

  179. 179.

    Dos lebn in hag; Der teologisher shturm; Shabse Tsvi; Di geheyme nesie; Di heidelberger profesur; Der ruf tsum shmad; Leybnits; Lukas; In di arems fun eybikeyt; Di yerushe.

  180. 180.

    Der Leser wird von Shatzky, Freudenthal folgend, über Spinozas zweiten Hauswirt im Haag, den Maler van der Spyk, gleich zu Beginn etwas näher informiert.Vgl. Shatski, Svive, S. 167–168.

  181. 181.

    Die Aussage von Colerus zu den im Nachlass vorgefundenen Rechnungen wie auch die zu einer Tagesmahlzeit Spinozas, die lediglich aus Milchsuppe mit etwas Butter sowie einer Kanne Bier bestanden habe, die sich bei Freudenthal findet, übernimmt auch Shatzky. Vgl. ebd., S. 168. Bei den folgenden Aussagen zur Kleidung von Spinoza zitiert Shatzky Lucas, den er modifiziert.

  182. 182.

    Freudenthal vergleicht das „hohe Glück“ des Familienlebens mit der „größeren Muße“, die dem Ehelosen bleibt und vergleicht Spinoza in seiner Konzentration auf das Werk mit anderen ebenso ehelos gebliebenen Größen der europäischen Geistes- und Kunstgeschichte, wie „Lionardo, Michel Angelo und Raphael“ und ebenso „Descartes, Leibniz und Kant.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 184.

  183. 183.

    Freudenthal beschreibt die Einsamkeit als eine von Spinoza selbst gewählte, kreative Lebensform, die sich dem Wissen verdankt, dass er „nur fern von dem lärmenden Treiben der Welt sich selbst und seiner Wissenschaft angehören könne.“ Weder „Menschenscheu“ noch „Menschenfurcht“ oder eine Reaktion auf negative Lebenserfahrungen können Spinoza zugeschrieben werden, seine Zurückgezogenheit darf auch nicht mit einer „klösterliche[n] Abgeschiedenheit“ oder einer „Verlassenheit von den Menschen“ verstanden werden. Vgl. ebd., S. 184–186.

  184. 184.

    Freudenthal korrigiert aber auch die Vorstellung von Spinoza als einem „Idealmenschen“, indem er – nachdem er die Aussagen anderer Autoren zur großen Heiterkeit, Menschenfreundlichkeit, Friedfertigkeit und Bescheidenheit des Philosophen aufgegriffen hat – betont und ausführt, in welcher Hinsicht Spinoza weder. Gefühlsmensch noch völlig frei von Affekten gewesen sei, genauso wie „die Geschichte [kennt] keinen großen Denker kennt, der frei von Affekten und Leidenschaften gewesen wäre.“ Ebd., S. 193–198.

  185. 185.

    Freudenthal widerlegt die lange vorherrschende Aussage, dass Spinoza „ein tiefer Denker, aber kein Gelehrter gewesen sei“, mit den Hinweisen auf seine Forschungsarbeit Spinoza und die Scholastik und mit dem in einem Haager Archiv aufgefundenen Verzeichnis der beim Tode Spinozas in seinem Besitz vorgefundenen Bücher: Diese Liste weist 161 Titel und 5 Bündel kleinerer Schriften auf, und die Bedeutung dieses Verzeichnisses vergleicht der Autor mit der Inventarliste zu Rembrandts Nachlass. Ebd., S. 200. Freudenthal bespricht die zu unterschiedlichen Wissensgebieten gehörenden Werke ausführlich, und er merkt auch an, dass der ursprüngliche Bestand noch umfangreicher gewesen sein muss. Vgl. ebd., S. 200–207. – Shatzky nennt keine einzelnen Titel oder Autoren, sondern klassifiziert die Werke nur allgemein, wenn er von älteren Schriften, kostbaren Lexika, Wörterbüchern, Gesamtausgaben von verschiedenen Autoren, hauptsächlich römischen Klassikern spricht. Vgl. Shatski, Svive, S. 169.

  186. 186.

    „Er zitiert zahlreiche Philosophen, Logiker und Metaphysiker.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 205. Bei der Aufzählung der vielfältigen Bezüge, die sich bei Spinoza zu anderen Autoren finden lassen, erwähnt Freudenthal aber auch dessen eher geringe Kenntnis der Philosophiegeschichte, worin er Kant gleiche. Vgl. ebd., S. 207.

  187. 187.

    Ebd., S. 212.

  188. 188.

    Ebd., S. 213.

  189. 189.

    Hier nennt Freudenthal das Problem von dem Übergang von Endlichkeit zur Unendlichkeit und die nie hinreichenden Versuche, in begrifflicher Rede das Phänomen der Göttlichkeit fassen zu können.

    Ebd., S. 213.

  190. 190.

    „Spinoza hot afile gehaltn az tsufil leyenen iz a groys shterung farn denken.“ („Spinoza war sogar der Ansicht, dass ein Zuviel an Lektüre das Denken störe.“) Shatski, Svive, S. 170.

  191. 191.

    Freudenthal führt eine späte, die Gelehrsamkeit ablehnende Aussage von Descartes an, die durch den Hinweis auf die wenigen Bücher in seinem Nachlass Betonung findet. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 201.

  192. 192.

    „Di idee gufe darf ober geborn vern mekhuts di bikher un nit zayn getsoymt fun di bleter-barikadn.“ („Die Idee selbst muss aber außerhalb der Bücher entstehen und soll nicht durch Barrikaden von Blättern eingschränkt sein.“) Shatski, Svive, S. 170.

  193. 193.

    Freudenthal legt demgegenüber genau dar, inwieweit Spinoza zum einen kein klassisches Latein schreibt, er vielmehr frei verschiedene Sprachebenen mischt, zum anderen aber die klassischen Autoren, insbesondere Terenz gut kennt und sie adaptierend anwendet, sich letztlich aber in der Handhabung des Lateinischen durchaus im Rahmen des zeitgenössischen Verfahrens mit der lateinischen Sprache bewegt. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 208–211.

  194. 194.

    „Davke, vayl er iz nit geven keyn ‹‹homo eruditus›› (a mentsh-boke) hot er oftmol nit gevust fun vemen un vu iz der zelber gedank shoyn aroysgezogt gevorn.“ („Und genau weil er eben kein ‹‹homo eruditus›› war, kein Spezialist, wusste er oft nicht, von wem und wo derselbe Gedanke schon formuliert worden war.“) Shatski, Svive, S. 170.

  195. 195.

    „Un zayn shafn hot nit getrogn keyn kharakter fun eruptive oysgusn, beys der ‹‹ruekh hakoydesh›› bahersht dem mentshn.“ („Sein Schaffen hatte nicht den Charakter eruptiven Ausströmens, während der ‹‹Ruach HaKodesh›› den Menschen gefangen nimmt.“) Ebd.

  196. 196.

    Ebd., S. 175.

  197. 197.

    Shatzky übernimmt folgende Aussagen: Neben dem Hinweis zu weiteren vier Abdrucken in den ersten Jahren nach 1670 führt er unter Angabe der Autoren und der bei Freudenthal zitierten Briefstellen die ersten Entgegnungen aus Deutschland an, beginnend mit Thomasius. Die bei Freudenthal genannte Entgegnung von Leibniz, datiert auf den 31. Juni 1672, erwähnt Shatzky nicht. Es folgen – wie bei Freudenthal – die Angaben zu den ersten Reaktionen aus Holland mit verschiedenen namentlich genannten Autoren. Weiter räumt Shatzky auch der Abhandlung Velthuysens, einer von seinen zwei von Freudenthal besprochenen, nähere Betrachtung ein. Er bleibt auch bei derselben Bewertung der Schrift des Utrechter Theologieprofessors Rainier von Mansfeld, Shatzky gibt auch dieselbe bei Freudenthal eingefügte briefliche Äußerung Spinozas zu der Schrift von Mansfeld an, die mitteilt, dass Spinoza die Schrift in der Auslage eines Buchgeschäftes gesehen und nach einem kurzen Blick auf den Inhalt des Textes eine Erwiderung als unnötig erachtet hatte. Auch die Ausführungen Freudenthals zu den Beschlüssen seitens der holländischen Kirchenräte nennt Shatzky, und er zitiert aus dem Beschluss der Amsterdamer Synode vom 25. Juli 1672; diese bezeichnete die Schrift als ein „gottloses Buch“, das die Religion verachte, den heiligen Namen Gottes lästere, den Shabbat schände und die Sitten verderbe. Schließlich wird das von staatlicher Seite nach dem Tod de Witts schon am 16. April 1672 erlassene Dekret erwähnt, nach dem der Traktat nicht verbreitet werden dürfe. Shatzky nennt noch ein weiteres Dekret zu sogenannten verderblichen Büchern, wie z. B. dem Leviathan. Vgl. ebd., S. 176–186. Abschließend greift er – unter Bezugnahme auf einen Brief Spinozas an Oldenburg – noch den Umstand auf, dass der Philosoph die Herausgabe der Ethik ob der Umtriebe gegen den Traktat nicht weiter verfolgte, und er erwähnt auch die ambivalente Haltung der holländischen Cartesianer, die sich gegen Spinoza stellten, um die im Kontext mit diesem gegen sie gerichteten Angriffe abwehren zu können. Vgl. ebd. S. 187–188.

  198. 198.

    Freudenthal betont in seiner Erörterung zum einen, dass die Berufung Spinozas – der, weder Christ noch Jude seiend, als Atheist und Religionslästerer verschrieen ist – als ein Indiz für den seit dem Religionskrieg gemachten Fortschritt im Hinblick auf Gedankenfreiheit, Toleranz und der Selbständigkeit der Forschung anzusehen ist. Mit seiner Bewertung der sich Spinoza bietenden Möglichkeit, aus seinem engen Haager Leben in den weiten offiziellen Kreis der Wissenschaft kommen und seine Lehren der Jugend Deutschlands vermitteln und mit der Rede von dem Glück, „sich ganz der Wissenschaft [zu]widmen“ zu können, unterstreicht Freudenthal, wie hoch er selbst – dem Selbstverständnis der eigenen Profession wie auch einem Ideal deutsch-jüdischen Selbstverständnisses entsprechend – die Aufgaben der wissenschaftlichen Forschung und Lehre bewertet. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 250–251. Mit dem Zitat der antijüdischen Aussage von der Autorin Luise Hagen, die die Absage Spinozas als das Kneifen eines „ängstlichen Stubengelehrten und kniffligen Winkeladvokaten“ bezeichnet, deutet Freudenthal auf die auch in seiner Zeit in den akademischen Kreisen vorkommenden Ressentiments hin und auf die in seiner Einleitung besprochenen „aufgeheizten Stimmung“, der zum Trotz er selbst aber ausgewogen arbeiten will.

    Shatzky legt den Schwerpunkt seiner Ausführungen zum einen darauf, den Kurfürsten Karl Ludwig als Freidenker, als einen Vorläufer der Aufklärung und heimlichen Spinozisten vorzustellen, zum anderen nimmt er die Person, das Leben und den Charakter des in Heidelberg lehrenden Theologen Johann Ludwig Fabricius näher in Augenschein, der mit Spinoza in brieflichem Kontakt stand.

  199. 199.

    Shatski, Svive, S. 175–176.

  200. 200.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 228–229.

  201. 201.

    Ebd., S. 229.

  202. 202.

    Ebd.

  203. 203.

    Vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 331–333.

  204. 204.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 189.

  205. 205.

    Shatzky benennt in seiner Einschätzung der neuen Bewegung verschiedene Aspekte: Als Hintergrund dafür, dass diese mit einem Erlösungsversprechen eine so große Wirkung im jüdischen, aber auch im nicht-jüdischen Umfeld habe entfalten können, sieht er die historischen Verwerfungen, wie den Dreißigjährigen Krieg, die Pogrome in Osteuropa, die Pest, eine asiatische Hungersnot, insgesamt Verwüstung bringende Ereignisse. Auf diese konnte der Verstand des Menschen keine Antwort finden. In einem engeren religiösen Sinn deutet er die Wirkmächtigkeit von Erlösungsbewegungen auf christlicher Seite, die er als Hinwendung zu einem „chiliastischen Messianismus“ bezeichnet, als eine Reaktion auf die Übersättigung mit dogmatischen Inhalten durch die Kirche. Auf jüdischer Seite führt Shatzky die Sehnsucht nach unmittelbarer Erlösung noch einmal auf die Pogromereignisse in Osteuropa zurück. Andersherum sieht er den Grund dafür, dass der Mystizismus allgemein ausgerechnet in Holland Einfluss gewinnen konnte, darin, dass die Calvinisten ebenso wie die Marranen – beide Gruppen werden als nicht aufgeklärt bezeichnet – nach Erlösung strebten. Damit bezieht sich Shatzky zum einen auf die mit dem Jahr 1666 verbundenen christlichen Hoffnungen auf die Wiederkehr des Messias; im Blick auf die Marranen sind die auf den Ankündigungen Shabbetai Zvis beruhenden Hoffnungen auf Erlösung angesprochen. Einen weiteren Grund sieht Shatzky in dem wirtschaftlichen Erfolg, den sich insbesondere christliche Händler nicht eindeutig als nur dem eigenen Verdienst geschuldet erklären können, sondern in dem diese vielmehr eine gewisse Prädestination zu erkennen glauben. Zudem orientierten sich einige dieser Händler, übersättigt von materiellen Gütern und sich von diesen abwendend, auf ein geistiges Leben hin. Ein Beispiel für eine solche Haltung findet sich bei Jarig Jelles, einem besonders engen Vertrauten Spinozas, so Shatzky. Vgl. ebd., S. 189–190.

  206. 206.

    Vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 333.

  207. 207.

    Vgl. Shatski, Svive, S. 191–192. Der Leser erfährt darüber hinaus, wer die Schreiben übermittelte und dass sich ein bekannter Rabbiner aus Deutschland in Amsterdam zu den neuesten Ereignissen informierte.

  208. 208.

    Meinsma erwähnt einige dieser holländischen „Flugschriften“ namentlich, vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 332, Anm.1. Shatzky bezieht sich genau auf diese Stelle. Vgl. Shatski, Svive, S. 194–195.

  209. 209.

    Shatzky schreibt, dass Spinoza sich zur genannten Zeit in Amsterdam aufhielt, um seine Ethik drucken zu lassen und folgend „hot er zikh tsugekukt tsu der doziker fayerung? Hot er gehert di kantates gezungen funm khazn un di meshorerim in der klingendiker sfardisher khevre? Hot er zikh tsugehrt tsum patos fun gloybn, vos hot geshpart fun di fayerdike droshes fun di matifim un darshonim? Far’akshn't shvaygn di kveln. Oyb er hot zikh ober yo tsugehert, – tsi hot er nisht a trakht geton, az nisht alts, vos zayn genyaler moyekh hot getrakht vegn idn un zeyer tsukunft – iz rikhtik un vet mekoyem vern?“ („Hat er sich diese Feier angeschaut? Hat er die vom Chasan und den Meshorerim gesungenen Kantaten in der klangvollen sephardischen Gemeinschaft gehört? Hat er das Pathos des Glaubens wahrgenommen, das aus den feierlichen Predigten der Redner und Begeisterten drang? Die Quellen schweigen hartnäckig. Wenn er es aber doch gehört hat, – ob er nicht doch überlegte, dass nicht alles, was sein genialer Verstand über Juden und ihre Zukunft dachte – richtig ist und sich verwirklichen werde?“) Ebd., S. 198–199.

  210. 210.

    Shatzky bezeichnet den Stil des Antwortbriefes von Spinoza als „mentorisch, so schreibt ein Lehrer an seinen Schüler“; er mutmaßt, Spinoza habe den Brief evtl. auf Wunsch des Vaters verfasst, um den Abtrünnigen von seinem Irrweg abzubringen. Freudenthal weist demgegenüber wieder auf die Bedeutung der Wissenschaft hin und beschreibt den Stil der Entgegnung so: „Dieser Brief ist wohl das Schärfste, was Spinoza je geschrieben hat, mit unerbittlicher Dialektik das Gewebe von Fehlschlüssen auflösend, in das Burghs kindlicher Glaube ihn verstrickt hatte, schroff im Ton, voll perikleischen Donners“ (…) voll von „Zorn und Entrüstung über die Anmaßung eines unwissenden Zeloten“. Aus dem Brief spricht „glühender Eifer für Vernunft und Wissenschaft und heftiger Widerwille gegen jede Art des Aberglaubens.“ Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 287. Dementsprechend findet sich bei Freudenthal auch eine inhaltliche Bewertung des Briefes hinsichtlich seiner geistesgeschichtlichen Zugehörigkeit, zu der bei Shatzky keine Aussage zu lesen ist. Freudenthal kritisiert das Argumentations- und Urteilsverfahren des Briefeschreibers, wenn er festhält: „Wir finden hier eine wahre Mustersammlung von Denkfehlern. Burghs Schreiben wimmelt von falschen Voraussetzungen, grundlosen Behauptungen und groben Fehlschlüssen“, und weiter, für ihn „hat es keine Reformation der Kirche und keine Wiedergeburt der Wissenschaft gegeben. Für ihn haben Galilei und Kepler, Bacon und Descartes nicht gelebt und nicht geforscht. Er steckt im tiefsten Mittelalter (…).“ Vgl. ebd., S. 284.

  211. 211.

    „Die Begegnung mit der Mutter zu Hause war dramatisch. Die Eltern konnten nicht verstehen, wie sich ihr ältester Sohn so weit von ihnen entfernen konnte (…) Der Vater musste sich anstrengen, zum Sohn freundlich zu sein und ihn zu Tisch zuzulassen (…). Vgl. Shatzki, Svive, S. 235–236.

  212. 212.

    Dass Shatzky seine Informationen als grundlegend intendiert und nicht davon ausgeht, dass sein Publikum dazu informiert ist, macht hier wie auch an anderer Stelle zu anderen Themen der einleitende Abschnitt deutlich, mit dem eine Übersicht zum Leben von Leibniz vorgestellt wird und der mit der Aussage zur Bedeutung dieses Philosophen in der deutschen Philosophiegeschichte anhebt: Leibniz ist der Mann, dem es beschieden war, „Deutschlands Stolz auf dem Gebiet der Philosophie zu werden, bis ihn der gaonische Stern des Königsberger Peyresh Imanuel Kant verdunkelt hat.“ Vgl. ebd., S. 244. Es folgen Angaben zu seinem Geburtsjahr, seiner aristokratischen Abstammung und ein Hinweis zu seinem als Professor tätigen Vater. Der Leser wird weiter informiert über seine frühe Bildung und Erziehung, seinen Studienabschluss als Jurist und folgend über seinen Eintritt in den fürstlichen diplomatischen Dienst im Jahr 1667 beim Mainzer Kurfürsten, da er sich zunächst nicht für den akademischen Weg interessierte, denn „er zeigt keine Neigung zu stiller, forschenden Arbeit.“ Shatzky beleuchtet auch die allgemeine politische Lage in Europa einschließlich der Ereignisse in Osteuropa um Jan Sobieski, 23 Jahre nach dem Westfälischen Frieden, als deren Ergebnis „die christliche Welt in zwei Gruppen versprengt“ wurde. Zum Abschluss des Kapitels liefert Shatzky noch eine Einschätzung zu Leibniz selbst, aber in seiner Spinoza nachrangigen Bedeutung.

  213. 213.

    Die einzelnen Schritte der Beschäftigung von Leibniz mit der Lehre Spinozas zählt Shatzky wie folgt auf: Beginnend mit einem ersten Kommentar, verfasst in einem Brief an seinen Lehrer Thomasius, in dem Leibniz Spinoza in einer Reihe mit anderen Cartesianern nennt, folgt dann die Lektüre des nach einem weiteren Jahr erschienenen Traktats und die ablehnende Einschätzung von Leibniz in einem weiteren brieflichen Kommentar an einen Freund. Mit diesen Aussagen bis zu dem bekannten Brief, den Leibniz am 5. Oktober 1672 an Spinoza mit der vorgeschobenen Bitte um Bewertung eigener Arbeiten zur Optik schreibt, seiner ersten brieflichen Kontaktaufnahme und der darauf folgenden Antwort Spinozas orientiert sich Shatzky an Freudenthal. Vgl. ebd., S. 246 ff.

  214. 214.

    Shatzky gibt ausführlich die Angaben seitens Tschirnhaus wieder, die Spinoza überzeugen sollten, Leibniz Einsicht in seine Arbeit zu geben, und ebenso die Überlegungen Spinozas zu seiner Weigerung.

  215. 215.

    Vgl. ebd., S. 252.

  216. 216.

    Vgl. Meinsma, Spinoza und sein Kreis, S. 490–492.

  217. 217.

    Shatski, Svive, S. 257.

  218. 218.

    Vgl. ebd., S. 262.

  219. 219.

    Shatzky berichtet, den Angaben Freudenthals folgend, von den Schriften, die Spinoza noch verfasst hatte, ohne dabei aber die Zusammenhänge näher zu beleuchten, wie dies Freudenthal leistet. Seine Orientierung an Freudenthal ist offensichtlich, da er dem Ablauf des Haupterzählstranges folgt und Zitate und Verweise übernimmt. Er schildert die bei Freudenthal angegebenen Vorkehrungen, die Spinoza im Wissen um seinen nahenden Tod vornimmt, wie z. B. die Übergabe eines Teils seiner Bibliothek an Schuller oder die Anweisung, den Schreibtisch mit den Manuskripten der unveröffentlichten Werke an Jan Rieuwertsz zu senden. Als Begründung, warum ein Testament fehle, gibt Shatzky dasselbe von Freudenthal angeführte Zitat aus der Ethik an, fügt dem aber andere, die Lebenseinstellung Spinozas noch deutlicher unterstreichende hinzu. Shatzky gibt keinen Hinweis zu den von Freudenthal angeführten „ganz anders lautenden Berichten zu seinem Tode“, die von einem elenden Ende eines Gottlosen sprechen, die von Freudenthal aber als „völlig unglaubwürdig“ abgewiesen werden. Auch die Angaben zu den Umständen der Veröffentlichung der nachgelassenen Schriften, u. a. des voreiligen seitens Dr. Schuller an Leibniz gemachten Angebots, die Ethik käuflich zu erstehen, das nach genauerer Überlegung von den Freunden aber zurückgezogen wurde, finden sich bei Shatzky. Aus Meinsma übernimmt dieser sowohl die Angabe zu einem später aufgestellten Grabstein mit einer Schmähinschrift als auch die Aufzählung der Spinoza nach und nach in den Tod folgenden Anhänger und Freunde.

  220. 220.

    Ebd., S. 285.

  221. 221.

    „In der groyser minut fun derlayterung hot zikh far ir nisgale geven der heyliker gayst fun Spinoza: ‹‹ora pro nobis sankte Spinoze!›› (tu tfile far unz, heyliker Spinoza)“ („In der großen Minute der Läuterung wurde ihr der heilige Geist Spinozas offenbar: ‹‹Ora pro nobis, heiliger Spinoza!›› Bete für uns, heiliger Spinoza!“) Ebd.

  222. 222.

    Shatzky spricht genau wie Freudenthal von sechs Kutschen. Vgl. ebd., S. 287.

  223. 223.

    Auf Colerus verweisend schreibt der Autor von „sechs Karossen im Leichenzug“ und „(…) viele angesehene Männer folgten dem Sarge.“ Unter den Teilnehmenden vermutet Freudenthal die Freunde aus Amsterdam wie auch Vertraute aus Haag, die er alle namentlich nennt. Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 301.

  224. 224.

    „Die velt hot im bahandelt vi ‹‹a ge’peyger’tn hunt›› – “ Vgl. Shatski, Svive, S. 299.

  225. 225.

    Neben den im Abschnitt Benediktus und Malediktus zusammengestellten Aussagen ist der Verweis auf Lessing an dieser Stelle der einzige Hinweis, den Shatzky seiner Leserschaft zu der wichtigen Spinoza-Rezeption während der Goethezeit gibt.

  226. 226.

    „(…) az dos farbotene un geroydefte zol vern der shtoltser oytser fun der mentshheyt.“ Ebd.

  227. 227.

    Ebd.

  228. 228.

    Vgl. Freudenthal, Leben Spinozas, S. 312.

  229. 229.

    So schreibt Schwartz: „To this day, it remains the most significant exemplar of a Yiddish scholarly account of the life and times of the Amsterdamer philosopher.“ Schwartz, First Modern Jew, S. 162.

  230. 230.

    Vgl. Klaphek, Elisa: Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie. Berlin 2014, Vorwort, S. 7. „Margarete Susman … überbrückt weittragend die intellektuelle und politische Landschaft beider Jahrhunderte. Das gilt auch für ihre Denkweise.“, da sie an „verschiedenen theoretischen Strömungen teilgenommen hat: der Lebensphilosophie, der Phänomenologie, dem Existentialismus.“ Sie gehört auch in dem Sinne zu beiden Zeitebenen, da sie das „Gegenwärtige des Zusammenbruchs der metaphysischen Ordnung und die Rückkehr zur ursprünglichen Erfahrung als paradoxe Gleichzeitigkeit dachte.“ Ebenso vgl. Nordmann, Ingeborg: Der Dialog ist Bruch und Beginn: Zu Margarete Susman. Ein Porträt ihres Denkens. In: Carlebach, Julius (Hg.): Zur Geschichte der Jüdischen Frau in Deutschland. Berlin 1993. S. 203–218, hier S. 207.

  231. 231.

    Elisa Klaphek führt eine Reihe von Interpretinnen an, die diesen Aspekt besprechen. Vgl. ebd., S. 58. Dazu ist (hier) besonders die Arbeit von Lydia Koelle zum Briefwechsel Susmans mit Paul Celan und Elazar Benyoëtz zu erwähnen. Die Korrespondenz mit ihrer engen, später in Theresienstadt ermordeten Freundin, der Kunsthistorikerin Gertrud Kantorowicz, ist von besonderem Interesse. Mit ihr und Georg Simmel hatte Susman in einer „Dreierkonstellation“ gearbeitet. Die Autorin war in die Schweiz emigriert und hatte die Briefe der Freundin – insgesamt 68 Briefe und Postkarten – aufbewahren (können), während deren Nachlass mit den entsprechenden Briefen verloren ging. Barbara Hahn betont die Einzigartigkeit dieser Dokumente, denn „im deutschen Sprachraum liegt bislang kein einziger Briefwechsel intellektueller Frauen aus dem 20. Jahrhundert vor. Nirgendwo sonst kann man die Spuren von gemeinsamem Denken, von Debatten und Fragen lesen.“ Vgl. Hahn, Barbara: Die Jüdin Pallas Athene. Auch eine Theorie der Moderne. Berlin 2002, S. 153. Ebenso liegt ein umfangreicher Briefwechsel mit Siegfried Kracauer (1920–1922) und Georg Simmel (1910–1918) vor. Vgl. ebenso Pöder, Elfriede: Lebendige Dialektik. Sprache und [jüdische] Identität bei Margarete Susman. Zur Charakteristik ihrer Essays in der Weimarer Republik. In: Klein, Michael u. a. (Hgg.): Literatur der Weimarer Republik. Kontinuität – Brüche. Innsbruck 2002. S. 145–172, hier S. 147.

  232. 232.

    Ingeborg Nordmann schreibt in Hinsicht auf die Vielfältigkeit ihrer Arbeitsfelder: „Sie war Malerin, Lyrikerin, Essayistin und Privatgelehrte.“ Vgl. Margarete Susman. Das Nah- und Fernsein des Fremden. Essays und Briefe. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingeborg Nordmann. Frankfurt a. M. 1992. Nachwort S. 229–267, hier S. 229.

  233. 233.

    Vgl. Klaphek, Susman, S. 406–407. Zur Problematik der genauen Angabe ihrer Lebensdaten vgl. Pöder, Lebendige Dialektik S. 145–146.

  234. 234.

    Vgl. Klaphek, Susman, Vorwort, S. 7. Die Abhandlung Klapheks entkräftet damit die in der Forschung bis dahin oft vertretene These von einem disparaten Werk. Ebenso weist sie bereits zu Beginn darauf hin, dass das Verkennen dieses von ihr genannten roten Fadens zu einer verzeichnenden Deutung, zumindest aber zu einer einseitigen Deutung führen muss und so auch die Bedeutung der Theorie Susmans für die Gegenwart nicht erkennbar wird. In diesem Sinn können auch die bis zum Zeitpunkt der von Klaphek vorgelegten Abhandlung bereits vorhandenen Rezeptionsarbeiten dem Werk Susmans nur zum Teil gerecht werden: Ab den 1950er Jahren wurde – nach Klaphek – von einigen Interpreten, deren Verdienst auch darin bestand, die Autorin einem breiteren Publikum (wieder) bekannt zu machen, zunächst die religiöse Grundstimmung des Werkes von Susman hervorgehoben, wobei dabei aber ein einseitig zum Christentum tendierendes Bild gezeichnet wurde. Klaphek erwähnt dazu die Autoren Manfred Schlösser, Walter Nigg, H. L. Goldschmidt und Michael Landmann. Die zweite Phase der Rezeption setzt, beginnend in den 1990er Jahren, neue Schwerpunkte im Kontext der feministischen Frauenforschung mit verdienstvollen Arbeiten von Ingeborg Nordmann und Barbara Hahn, die aber auch die jüdisch religiösen Aspekte vernachlässigen und damit nur „schemenhafte Andeutungen zu der politischen Dimension des Judentums“ anzeigen. Als entscheidend für die Verkennung dieser Dimension des Judentums konstatiert Klaphek das grundlegend semantische, teilweise bis heute bestehende Problem, das darin bestehe, dass sämtliche religiösen Begriffe des Judentums durch die der vorherrschenden christlich gesetzten Terminologie überdeckt würden. Klaphek, Susman, S. 8–9. Elfriede Pöder will dem Werk Susmans weder die „Logik einer bruchlosen Entwicklung und Veränderung“, aber auch nicht die Logik der Diskontinuität zuordnen und meint auch nur im Einzelfall „zwischen einer frühen und einer späten Susman“ unterscheiden zu können. Sie sieht die Notwendigkeit, jeweils differenzieren zu müssen nach ihren literarischen, lyriktheoretischen und literaturhistorischen, journalistischen, kulturphilosophischen und politischen Beiträgen. Vgl. Pöder, Lebendige Dialektik, S. 153.

    Eine andere Interpretation jüngeren Datums, verfasst von Jürgen Egyptien, verweist auf die kontinuierliche, über 50 Jahre andauernde Auseinandersetzung Susmans mit dem Thema zum „Wesen und Schicksal des Judentums“. Er weist diese Thematik damit als grundlegend in der Arbeit Susmans aus. Als Aspekte dieser Thematik führt er an: die Stellung des Judentums zu Fragen der nationalen Identität, das Verhältnis zur Geschichte, das Verhältnis, die Spiegelungen seines Schicksals im Bild der biblischen Hiobs-Gestalt wie auch das Verhältnis des Judentums zu Deutschland. Interessanterweise wird bei dieser zutreffenden Auflistung aber genau der von Klaphek genannte Aspekt der politischen Dimension des religiösen Judentums nicht genannt, wie diese ihn insbesondere mit dem Konzept Susmans zur Neuinterpretation des jüdischen Gesetzes auslegt. Vgl. Egyptian, Jürgen: Die messianische Sendung der Selbstaufhebung. Margarete Susmans Reflexionen über das Wesen und Schicksal des Judentums. Mit einem Exkurs zu ihrer Konzeption von Weiblichkeit. In: Integration und Ausgrenzung. Studien zur deutsch-jüdischen Literatur-und Kulturgeschichte in der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Festschrift für Hans Otto Horch zum 65. Geburtstag. Hg. von Mark H. Gelber. Tübingen 2009. S. 257–268, hier S. 257–258.

  235. 235.

    Elfriede Pöder spricht „von einer relativ kontinuierlichen lyrischen Produktion zwischen 1890 und 1950, also über einen Zeitraum von 60 Jahren“, auch wenn zwischen dem 1922 erschienenen, vorwiegend Rollengedichte präsentierenden Lyrikband – Lieder von Tod und Erlösung – und dem letzten Band – Aus sich wandelnder Zeit – 30 Jahre liegen. Einzelne Texte aus diesem letzten Band wurden jedoch bereits ab 1938 in verschiedenen Publikationsorganen veröffentlicht. Zu den Bedingungen der Lyrikarbeit Margarete Susmans, vgl. Pöder, Lebendige Dialektik, S. 149–153.

  236. 236.

    Klaphek, Susman, Vorwort, S. 7.

  237. 237.

    Ebd.

  238. 238.

    Ebd.

  239. 239.

    Der dort vorherrschende Geist war ihr fremd und die dort aufgenommenen Impulse führten dazu, dass sie ihre eigene Lyrik und die Arbeit daran einer kritischen Bewertung unterzog. Egyptien, Jürgen: Margarete Susman und der George-Kreis. Persönliche Beziehungen, Dichtungstheorie und Weiblichkeitsentwurf. In: Oelmann, Ute; Raulff, Ulrich (Hgg.): Frauen um Stefan George. Göttingen 2010. S. 157–172, hier S. 159–160.

  240. 240.

    Dies zeigt sich in der Herausgabe der nicht abgeschlossenen Schriften ihres verstorbenen Freundes E. Kirchner sowie der Publikation der Übersetzung von Bergsons Introduction á la metaphysique, die sie auf Anregung ihres Mentors Georg Simmel erstellt hatte und bei dessen privat abgehaltenen Kolloquien, den „Empfängen des Hauses Simmel, den wöchentlichen ‹‹Jours››“, die eine „soziologische Schöpfung im Kleinen“ waren, sie auch eine sehr wichtige Rolle spielte. Vgl. Hahn, Die Jüdin Pallas Athene, S. 142–144.

  241. 241.

    Im Dezember 1932 erscheint ihr letzter Artikel in dieser Zeitung.

  242. 242.

    Vgl. Klaphek, Susman, S. 168–169. 1921 wird sie den Aufsatz Exodus der Philosophie verfassen, in dem sie Ernst Bloch, aber insbesondere Franz Rosenzweig als „Repräsentanten“ eines neuen Denkens würdigt. Vgl. Klaphek, Susman, S. 238.

  243. 243.

    Ebd., S. 121.

  244. 244.

    Ebd., S. 152.

  245. 245.

    Ebd., S. 157.

  246. 246.

    Ebd., S. 165.

  247. 247.

    Vgl. ebd., S. 166. In den 1930er Jahren verfasst Susman eine Reihe längerer Abhandlungen, in denen das Thema der Bedeutung des jüdischen Gesetzes zentral ist; es sind Texte, die vorwiegend in jüdischen Publikationen erschienen und die – nach Klaphek – in einzelnen Aspekten auch als Kommentar zu den politischen Ereignissen in Deutschland zu lesen sind: Das Judentum als Weltreligion (1932), Der jüdische Geist (1933), Trost (1934), Vom geistigen Anteil der Juden im deutschen Raum (1935) sowie Sterne (1936). Vgl. Klaphek, Susman, S. 247–248. In ihrem Aufsatz Der jüdische Geist deutet Susman Einfluss und Wirkung des jüdischen Gesetzesdenkens für das abendländische Denken, indem sie auf Philo, Maimonides, Spinoza, Mendelssohn, Freud und Kafka Bezug nimmt. Außerdem sieht sie die anfängliche Dualität von griechischem und jüdischem Geist, von Idee und Gebot in der Tradition des Christentums verknüpft, weiterentwickelt und dort kontinuierlich neue Formen hervorbringend, während sie die jüdische Tradition sich „rein“ dem Gebot verpflichtet sieht. Vgl. ebd., S. 285–289.

  248. 248.

    Der Text vermittelt die Unverzichtbarkeit des Judentums für Deutschland, spricht aber auch die Rolle der anderen an, die aufgefordert sind, sich aktiv in der Begegnung mit dem Judentum zu zeigen. Vgl. ebd., S. 173.

  249. 249.

    Susman, Margarete: Spinoza und das jüdische Weltgefühl. In: Vom Judentum. Ein Sammelbuch. Hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag. Mit einem Geleitwort von Hans Kohn. Leipzig 1913. S. 51–70.

  250. 250.

    Die Schrift stellt sich als Dokument unterschiedlicher Versuche dar, neue Wege für eine Generation „postassimilatorischer Juden“ zu finden, die sich mit Europa eng verbunden fühlten. Vgl. Weltsch, Robert: Erinnerungen an ein vergessenes Buch. (Nach fünfzig Jahren). In: Schlösser, Manfred (Hg.): „Auf gespaltenem Pfad“. Für Margarete Susman (Zum 90. Geburtstag von Margarete Susman). Darmstadt 1964. S. 219–220.

  251. 251.

    Susman, Spinoza, S. 52.

  252. 252.

    Ebd., S. 51.

  253. 253.

    Ebd., S. 52.

  254. 254.

    Ebd.

  255. 255.

    Ebd., S. 51.

  256. 256.

    Ebd.

  257. 257.

    Ebd.

  258. 258.

    Ebd.

  259. 259.

    Vgl. ebd., S. 51–52.

  260. 260.

    Diese Position Susmans entspricht aber durchaus auch der Intention der Herausgeber des Sammelbandes, denn der Begriff des Zionismus fand in diesem Kontext und bei der Generation der Jüdischen Renaissance überhaupt in einem umfassenderen Verständnis Anwendung. Er war nicht nur auf eine Heimstätte im alten Land gerichtet. Der Begriff wurde für ein „politisches Judentum“ zum Sinnbild, das im „realen Palästina ebenso gut aber auch im deutsch-jüdischen Kulturzusammenhang“ gültig sein könnte.“Vgl. Klaphek, Susman, S. 95.

  261. 261.

    Susman, Spinoza, S. 52.

  262. 262.

    Ebd.

  263. 263.

    Yovel, Spinoza das Abenteuer der Immanenz, S. 218 ff.

  264. 264.

    Susman, Spinoza, S. 53.

  265. 265.

    Ebd., S. 53–54.

  266. 266.

    Ebd., S. 54.

  267. 267.

    Ebd.

  268. 268.

    Ebd., S. 55.

  269. 269.

    Ebd.

  270. 270.

    Susman wechselt an dieser Stelle die Darstellungsweisen, und damit wird hier ein Merkmal ihres Schreibens besonders deutlich:„In ihrer Schreibweise blieb sie jedoch Grenzgängerin“, wie Ingeborg Nordmann formuliert und mit dem Verweis auf eine Aussage von Hannah Arendt zu Walter Benjamin über das Schreiben Susmans noch genauer sagt, „dass sie ‹‹dichterisch dachte››“, (…) „philosophische Texte als Dichterin liest“ und ihre „Interpretationen [haben]damit nicht den Charakter von wissenschaftlichen Studien“ haben wollen. Sie interpretiert „als Schriftstellerin, die das hervorhebt, was ihr wichtig erscheint und das andere unbeachtet lässt.“ Margarete Susmans Werk gleicht somit einer „Vernetzung sich wiederholender Bilder und Gedankenfiguren, deren Ausdruckskraft und Bedeutungsreichtum sie an verschiedenen Gegenständen erprobt.“ Vgl. Nordmann, Der Dialog, S. 208–209. Als ein ihren Schreibstil bestimmendes Moment nennt Pöder in Gegenüberstellung zu der Essayistin Virginia Woolf ein hohes Pathos, das anders als bei dieser keinen Raum für Ironie, Satire oder sprachspielerische Momente bietet. Vgl. Pöder, Lebendige Dialektik, S. 158–162.

  271. 271.

    Susman, Spinoza, S. 55.

  272. 272.

    Ebd.

  273. 273.

    Ebd.

  274. 274.

    Ebd., S. 55–56.

  275. 275.

    Ebd., S. 56.

  276. 276.

    Ebd.

  277. 277.

    Ebd.

  278. 278.

    „Der Begriff der Unendlichkeit, wie ihn Margarete Susman an Spinoza extrapoliert, führt sie zu dem Gedanken, daß es in der Geschichte der europäischen Philosophie einen bisher verborgenen Einfluß jüdischen Denkens gibt, der selbst im Pantheismus Spinozas, einer ‹‹tief unjüdischen›› Vorstellung, Spuren hinterlassen hat.“ Selbst in der „spinozistischen Unendlichkeit [bleibt] die (…) ursprüngliche Proportion der Beziehung zwischen Mensch und Gott erhalten, die in der absoluten Entfernung des Schöpfers vom Geschöpf besteht (…).“ Vgl. Nordmann, Ingeborg: Transzendenz und Verantwortung. Margarete Susman im Dialog mit Nietzsche und der Tora. In: Goodmann-Thau, Eveline (Hg.): Vom Jenseits. Jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte. Berlin 1997. S. 169–178, hier S. 174. Klaphek meint demgegenüber sogar eine Übereinstimmung zwischen dem Gottesbegriff der Rabbinen und dem des Spinoza erkennen zu können, die sie in der „Unteilbarkeit des in sich einen Gottes“ sieht. Ihre Argumentation nennt zwar die unterschiedlichen Wirkungsorte als „transzendente Ursache“ bzw. „als immanente Substanz der Manifestationen [Gottes – Ergänzung M. N.] in der Welt“. Sie sieht diese Unterschiede aber nur als formal trennende. Darüber hinaus erkennt sie Parallelen in der Sicht der „Religion als Mittel der Erkenntnis zur politischen Befreiung und Spinozas Erkenntnislehre.“ Vgl. Klaphek, Susman, S. 99–102.

  279. 279.

    Vgl. ebd., S. 57.

  280. 280.

    Ebd.

  281. 281.

    Ebd., S. 58.

  282. 282.

    Vgl. ebd., S. 57–58.

  283. 283.

    Vgl. ebd., S. 58.

  284. 284.

    Ebd., S. 59.

  285. 285.

    Ebd.

  286. 286.

    Vgl. ebd., S. 60.

  287. 287.

    Vgl. Klaphek, Susman, S. 103.

  288. 288.

    Susman, Spinoza, S. 61. Ebd., S. 61.

  289. 289.

    Vgl. Klaphek, Susman, S. 102–103.

  290. 290.

    Vgl. ebd., S. 103–104.

  291. 291.

    Susman, Spinoza, S. 62.

  292. 292.

    Vgl. ebd., S. 63.

  293. 293.

    Klaphek, Susman, S. 107.

  294. 294.

    Zu Lebensdaten und der Chronologie seiner Werke vgl. LNYL, Bd. 8, S. 314–318.

  295. 295.

    Eidherr, Armin: Melech Rawitsch. Sein Leben – sein Werk. In: Melech Rawitsch. Das Geschichtenbuch meines Lebens. Auswahl. Aus dem Jiddischen übersetzt und herausgegeben von Armin Eidherr. Salzburg, Wien 1995. S. 225–235, hier S. 230.

  296. 296.

    Ebd., S. 227.

  297. 297.

    Vgl. ebd., S. 228.

  298. 298.

    Die Angaben im LNYL nennen als Datum seines Debuts das Jahr 1910.

  299. 299.

    Novershtern, Avraham: Ravitch, Melech. http://www.yivoencyclopedia.aspx/Ravitch_Melech (20.01.2019).

  300. 300.

    Das LNYL nennt Ravitch als einen der Hauptgründer des jiddischen Pen-Clubs.

  301. 301.

    Eidherr, Melech Ravitsch, S. 227.

  302. 302.

    Ravitsh, Meylekh: Eynems yidishe makhshoves in tsvantsikstn yorhundert. Eseyen. Beiker oyf di temes:Vegn tsunoyfshteln un kanonizirn a tsveytn tanakh. Linye un krayz, oder: Yid un velt. Buenos Ayres, Montreal 1949.

  303. 303.

    Ravitsh, Meylekh: Oyf di vegn tsu a geshlosenem velt-banem, in gayst fun Spinoza. In: Ders.: Eynems yidishe makhshoves in tsvantsikstn yorhundert. Eseyen. Beiker oyf di temes: Vegn tsunoyfshteln un kanonizirn a tsveytn tanakh. Linye un krayz, oder: Yid un velt. Buenos Ayres, Montreal 1949. S. 178–180.

  304. 304.

    Ravitsh, Makhshoves, Hakdome.

  305. 305.

    Ebd. In dem zu den Hadroges des zweiten Teils gehörenden Abschnitt Meditatsyes vegn got und yidishn got formuliert Ravitch eine Art persönliches Glaubensbekenntnis, das die zentralen Aspekte seiner Haltung zusammenfasst. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der Autor Judentum als weit gefassten kulturellen Kontext begreift und sich selbst in diesem in kritischer Affirmation verortet, so schreibt er: „Ikh gloyb – / Ikh gloyb in got – vi ken ikh den andersh, ikh bin dokh a yid. / Ikh gloyb kritish – vi ken ikh den andersh, ikh bin a yid. / Ikh gloyb in gots neviim, un oyk kritish, varum oykh zey hobn kritish gegloybt. Umkritisher gloybn iz dokh getsndinst, un getsndinst iz dokh avade nisht yidish. / Ikh gloyb in di neviim fun tanakh un in novi fun bris khadoshe. Ober in im tsum kritishstn, vayl zayn toyre hot lakhlutn nisht oysgehaltn di kritik fun der virklekhkeyt. Ikh gloyb in Spinoza, in Marks, in Froyd, in Eynsteyn, in Perets. Ikh gloyb oykh in dem, vemens nomen ikh ruf nisht on vayl er iz nokh nishto, oder shoyn do un mir kenen nokh zayn nomen nisht. Ikh gloyb, gloyb – ober vos far a gloybn iz dos, oyb er iz keseyder kritish? / Es iz a frage fun a vort. Efsher past zikh do take an ander vort. Efsher:

    Ikh bin fargloybt in – –“ („Ich glaube – / Ich glaube an Gott – wie kann ich anders, ich bin doch Jude. / Ich glaube kritisch – wie kann ich anders, ich bin Jude. / Ich glaube an die Propheten Gottes, und auch kritisch, denn auch sie haben kritisch geglaubt. Unkritischer Glauben ist Götzendienst, und Götzendienst ist selbstverständlich nicht jüdisch. / Ich glaube an die Propheten des Tanach und an den Propheten des neuen Bundes. Aber an ihn am kritischsten, denn seine Lehre konnte der Kritik der Wirklichkeit nicht standhalten. Ich glaube an Spinoza, an Marx, an Freud und Einstein und an Peretz. Ich glaube an den, dessen Namen ich nicht rufe, weil er noch nicht hier ist, oder er ist schon hier, aber wir kennen seinen Namen nicht. Ich glaube, glaube – aber was für ein Glauben ist das, wenn er doch immer kritisch ist? Es ist die Frage nach einem Wort.Vielleicht passt hier wirklich ein anderes Wort: Ich bin im Glauben an –“) Vgl. Ravitsh, Makhshoves, S. 116.

  306. 306.

    Zur Übersetzung des Begriffs ‚Seyfer hasforim‘ (Buch der Bücher) ist zu berücksichtigen, dass der Begriff ‚Seyfer‘ eine religiöse Schrift, ein religiöses Buch meint, mit dem Begriff ‚Bukh‘ (Buch) hingegen andere, nicht-religiöse Publikationen bezeichnet werden.

  307. 307.

    Ebd. S. 9–12. Das Gedicht mit dem Zusatz A lid fun goyrl, fun shlikhes un fun treyst (Ein Gedicht über Schicksal, Aufgabe und Trost) beginnt mit Ani maymen und bezieht sich damit auf die von Maimonides verfassten dreizehn Artikel jüdischer Glaubensprinzipien, die mit denselben Worten einsetzen. Im Text von Ravitch ist diese Bekundung aber an das jüdische Volk adressiert, mit der er dieses, noch im Angesicht der Vernichtung, an seine Aufgabe erinnert. Zum Abschluss tritt der Name des Menschen, Adam, an die Stelle von YHVH: „Ani maymen – yidish folk, ikh gloyb in dayn shlikhes, / (…) Ani maymen – khotsh tsekrigt bin ikh kimat mit ale draytsn / Ani maymens fun dem moyekh, dem ayzernem und shpitsikn fun Ramba'men. / (…) Yidish folk, ikh gloyb in dayn shlikhes, / meg ikh muzn shteyn un geyn derfar vi a metsoyre opgezundert / fun di frume, di tsioynim, di yehudim, un oykh apikorsim. / Ikh gloyb un gloybn muz ikh, khotsh ikh bin an ekhter zun fun / 20tn-yorhundert. // Yidish folk, ikh gloyb in dayn shlikhes, / mit tseyner un mit negl halt ikh on dem gloybn. / Lakh, lakh – Du tsiniker, halt dikh bay di zaytn; (…) Ot iz dayn shlikhes, yidish folk; in a velt vos iz in sheynkeyt / un in zind farzunken, (…) Tsu shrayen shma in eynem fort, in eynem fort, in eynem fort: / Dayn shlikhes, yidish folk, iz der velts gevisn oyfstsutreyslen. / (…) Un dos ershte vort in ot di naye lukhes – letste lukhes, / In blut in yidishn gevashn un geleytert, / veyt oykh onoykhi zayn. Nor – nisht YHVH – / Odom – vet dort zayn dos vort, dos tsveyte.“ („Ani maymen – Jüdisches Volk, ich glaube an deine Aufgabe (…) Ani maymen – obwohl ich mit allen Dreizehn des scharfen Verstandes des Rambam zerstritten bin. / (…) Jüdisches Volk, ich glaube an deine Aufgabe, / auch wenn ich wie ein Aussätziger gehe, abgesondert / von den Frommen, den Zionisten, den Yehudim und auch den Häretikern. / Ich glaube, und glauben muss ich, obwohl ich ein echter Sohn des 20. Jahrhunderts bin. // Jüdisches Volk, ich glaube an deine Aufgabe, / mit Zähnen und Klauen halte ich mich am Glauben fest. / Lach‘, lache, du Zyniker, halte dich vor Lachen; (…) Dies ist deine Aufgabe, jüdisches Volk / in einer Welt, die in Schönheit und Sünde versunken ist, (…) in einem fort zu schreien Sch’ma, in einem fort, in einem fort:/ Deine Aufgabe ist es, das Weltgewissen aufzurütteln. / (…) Und das erste Wort auf den neuen Tafeln – den letzten Tafeln, / in jüdischem Blut gewaschen und geläutert wird auch ‚Onoykhi‘ sein, aber nicht – JHWH –, / Adam – wird dort das zweite Wort sein.“)

  308. 308.

    Als Begründung dafür verweist er auf seine lückenhafte jüdische Bildung, die er gleichzeitig als Fluch und Segen ansieht. „Der kharakter un di natur fun der yidisher svive in mayn galitsishn geboyrn-shtetl, un in mayn mishpokhe, zenen gevezn azelkhe, az keyn talmed khokhem hob ikh zikher nisht gekent oys-vaksn.“ („Der Charakter und die Natur des jüdischen Umfelds in meiner galizischen Geburtsstadt und auch meiner Familie waren dergestalt, dass ich nicht zu einem großen Gelehrten jüdischen Wissens werden konnte.“) Vgl. ebd., S. 13.

  309. 309.

    Als Beispiele für die nicht identischen, aber doch in einem bestimmten Sinn parallelen Überlegungen anderer Autoren zu dem Thema nennt Ravitch u. a. den am 12. September 1947 im Yidishn kemfer von A. J. Heschel erschienenen Artikel Der zinen fun yidishn kiem, in dem Heschel postuliert, dass der Sinn der jüdischen Existenz darin bestehe, so leben zu müssen, dass aus der Geschichte des jüdischen Volkes eine Tora werde. Ebenso verweist Ravitch auf Y. Opatoshu, der in einer Rede, gedruckt im Berichtbuch des ersten allweltlichen jüdischen Kulturkongresses von 1937 in Paris, wie folgt formuliert: „Mir darfn a nay bukh in yidish, vu s’zol arayngeyn an opklayb fun unzere beste kultur-shafungen far di letste toyznt yor. Vgl. ebd., S. 15. Ravitch erwähnt abschließend eine eigene Schrift aus dem Jahr 1935, in der die Erstellung eines „modernen Tanach“ bzw. eines Tanach des 20. Jahrhunderts thematisiert ist. Dieser soll alle wesentlichen Werke der jiddischen und der hebräischen Literatur wie auch solche von jüdischen Autoren anderer Literaturen, hauptsächlich aber Texte des 19. und 20. Jahrhunderts aufnehmen, und so soll diese Schrift den kommenden Generationen die für den genannten Zeitabschnitt zentralen Werte vermitteln. Sie soll ein Dokument der Anstrengungen und Opfer sein, die das jüdische Volk im Kontext des Kampfes um den Fortschritt der universalen Menschheit in den zwei letzten Jahrhunderten geführt hat. Sie ist auch Zeugnis des politischen und humanistischen Engagements und vermittelt zuerst den universalen Beitrag der jüdischen Gemeinschaft in der Welt. Die Perspektive dieses Werkes ist somit eine andere als die des Zweiten Tanach. Welche Texte in diese Variante aufgenommen werden könnten, teilt Ravitch nicht mit. Ebd., S. 15–16. Eine von ihm nicht erwähnte Abhandlung zu dem Thema verfasste auch Avrom Koralnik, vgl. Koralnik, Avrom: Der „yidisher intelekt“. In: Ders.: Viderklangen un vidersprukhn. Ershter teyl. Varshe 1928. S. 45–50.

  310. 310.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 13.

  311. 311.

    In einem anlässlich seines 80. Geburtstags in der Zeitschrift Di goldene keyt veröffentlichten, von Yehuda Elberg mit Melech Ravitch geführten Interview berichtet letzterer von dem großen Zuspruch, den seine Idee erhielt und auch davon, dass die Bezeichnung „Zweiter Tanach“ von Befürwortern seiner Idee kam, insbesondere von Yoysef Leftvitch, der dann eine ausführliche Abhandlung zu dem Thema verfasste und den Begriff „Zweiter Tanach“ einführte. Ravitch gibt auch an, sich gegen den Titel zunächst gewehrt zu haben. Vgl. Elberg, Yehuda: Shmues mit Meylekh Ravitsh. In: Di goldene keyt 82 (1974). S. 17–27, hier S. 22.

  312. 312.

    So spricht der Autor von „Mayse-form“ und „Gezets-form“, die sich in Chumesh und Tanach finden. Vgl. Ravitsh, Makhshoves, S. 17.

  313. 313.

    Ebd., S. 13.

  314. 314.

    Das jüdische Volk hat – nach traditionellem Verständnis – gegenüber der einen Menschheit die Aufgabe übernommen, die Bedeutung des einen und einzigen Gottes und damit seine Weisungen, die für die Entwicklung der Menschheit als entscheidend begriffen werden, zu vermitteln und dieser Bedeutung immer wieder, dem Widerstand entgegentretend, Geltung zu verschaffen. Diese Aufgabe steht im Zusammenhang mit der Vorstellung von der Erwählung, zu der sich in der Schrift die folgenden Bestimmungen finden „Heiliges Volk“, „Eigenvolk“, „Reich von Priestern“ (Dtn. 7, 6, Ex. 19, 6). Durch die Forderung, die Gebote zu halten, soll Israel zum „Licht der Völker“ (Jes. 49, 6) werden. Zu dieser Einmaligkeit gehört auch die Liebe Gottes zu Israel (Dtn.7, 7 f.), aber auch die besondere Ahndung von Schuld. Zum Verständnis der Erwählungsvorstellung und zu Yehuda HaLevi als „Promotor of the Chosen“ vgl. Beker, Avi: The Chosen. The History of an Idea and the Anatomy of an Obsession. New York 2008, S. 20–37.

  315. 315.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 14.

  316. 316.

    Ebd., S. 17. Diese Art der Verbundenheit nimmt auf die talmudischen Aussagen Bezug, nach der alle Juden füreinander verantwortlich sind.

  317. 317.

    Ebd., S. 16.

  318. 318.

    Ebd., S. 17. Dieser Grundgedanke hat seine Entsprechung in dem sich auf Dt. 6, 4 gründenden, zentralen „theologischen Leitmotiv“, das seinerseits besonders im Sch’ma-Bekenntnis Ausdruck findet. Der Gedanke der Einheit und Einzigartigkeit des jüdischen Volkes nimmt eine wichtige Stellung in der jüdischen, im islamischen Umfeld entstehenden Philosophie des Mittelalters ein. Vgl. Liss, Hanna: Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel. Dritte Auflage. Heidelberg 2011, S. 168–169. Mit seiner Rede von der Ein-Gott-Idee wählt Ravitch eine philosophisch orientierte Perspektive. Auf andere Attribute Gottes nimmt er an dieser Stelle keinen Bezug. Das Sch’ma ist als Glaubensbekenntnis integraler Bestandteil der jüdischen Liturgie. Es ist gleichzeitig eine beschwörende Affirmation des Bundes mit dem einen, einzigen Gott und die Bejahung des Judentums. Es hat drei Teile, die sich beziehen auf Dtn. 6, 4–9; Dtn.11, 13–21 sowie Num. 15, 37–41. Dieser zentralen Bedeutung gibt Ravitch in seinem vorangestellten Gedicht Ausdruck, wenn er das Volk in dreifach formulierter Emphase beschwört, das Sch’ma auszuschreien und die Aufgabe des Mahnens – selbst im Angesicht der Vernichtung – fortzuführen.

  319. 319.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 19.

  320. 320.

    Dass es für die Übersetzung des Einheitsbekenntnisses aus Dtn. 6,4 – Höre Israel! Der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist Einer (Echad) – mehrere Möglichkeiten gibt, hängt u. a. damit zusammen, dass das letzte Wort, das Zahlwort ‚Echad‘ auch andere Bedeutungen haben kann. So kann es u. a. ‚Eins‘ aber auch ‚allein‘ oder ‚einzig‘, bedeuten. Es gibt somit auch unterschiedliche Modelle des Einheitsverständnisses: Das prophetische Verständnis unterscheidet sich von dem der Rabbinen oder dem der jüdischen Religionsphilosophen oder einem kabbalistischen Verständnis. Zum Aspekt der Bedeutung des jüdischen Monotheismus vgl. Krochmalnik, Daniel: JHWH. Im Spanungsfeld der Jüdischen Theologie. In: Boschki, Reinhold u. a. (Hgg.): Gott nennen und erkennen. Theologische und philosophische Einsichten. Freiburg i. Br. 2010. S. 7–38. Ebenso ders.: Der eifersüchtige Gott Israels. Zum Wandel des jüdischen Gottesbildes. In: Koltermann, Rainer (Hg): Universum – Mensch – Gott. Graz u. a. 1997. S. 347–361.

  321. 321.

    Im Kontext der Ein-Gott-Theorie des Ersten Tanach spricht Ravitch in den Hadroges des ersten Teils noch von einem weiteren Hauptzweck der Schrift, nämlich zu zeigen, dass die Juden Gottes Volk sind, womit sozusagen der Geburtsschein des jüdischen Volkes ausgestellt ist. Ebenso ist es das Ziel aufzuweisen, dass Gott gut und der Mensch schlecht sei. Der Zweite Tanach soll eine andere Idee haben, es geht nicht um „Geburts-yikhes“, denn mit der Hauptidee des Zweiten Tanach, der Ein-Mensch-Theorie, ist die Annahme verbunden, dass Gott schlecht oder gleichgültig ist und der Mensch gut ist oder gut sein kann. Da der Einheitsgedanke zum Zeitpunkt der Entstehung des Tanach die wichtigste Idee war, musste er dies belegen. Der neue Tanach muss zeigen, dass jeder Mensch für sich eine Welt ist und jede Welt Gott, jeder Mensch damit einzig und heilig ist. Vgl. Ravitsh, Makhshoves, S. 76.

  322. 322.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 19–20.

  323. 323.

    Den Gedanken vom Volk Israel als dem „Herzvolk“ formuliert Yehuda HaLevi in seinem apologetischen Kusari I, 95. Israel wird als Volk unter den Völkern mit dem Herzen in einem Körper und damit als Herz im Menschheitsorganismus verglichen.

  324. 324.

    Die jüdische Eschatologie nennt  u. a. diese zwei Messias-Figuren. Ersterer wird als Nachfahre Josefs das jüdische Volk sammeln und kämpferisch Widerstände überwinden, „Meshiekh ben Dovid“, aus dem Stamme König Davids, folgt auf diesen.

  325. 325.

    Zur Figur des Elija in der jiddischen Literatur vgl. Eidherr, Armin: Sonnenuntergang auf eisig-blauen Wegen, S. 264–278.

  326. 326.

    Zur Golem-Vorstellung vgl. Idel, Moshe: Golem. Jewish Magical and Mystical Traditions on the Artificial Anthropoid. Albany (N.Y.) 1990. Deutsch: Der Golem: Jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden. Frankfurt am Main 2007, ebenso: Goldsmith, Arnold: The Golem Remembered, 1909–1980. Variations of a Jewish Legend. Detroit 1981 wie auch u. a. Scholem, Gershom: Die Vorstellungen vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen. In: Ders.: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Frankfurt am Main 1973. S. 209–260.

  327. 327.

    Ebd. S. 20. Ravitch spricht an, dass die Verwendung dieses wichtigen Begriffs der christlichen Theologie problematisch ist. Die bewusste Verwendung des Begriffs ist eher als rhetorisches Mittel zu betrachten, was ein Merkmal im Verfahren des Autors ist, den Kontext jüdischer Kultur weit zu fassen.

  328. 328.

    Ravitsh, Makhshove, S. 20–21.

  329. 329.

    Melech Ravitch ordnet den beiden Thesen explizit keine Kapitel aus der Ethik zu, gleichwohl lässt sich nachvollziehen, dass der Autor in dem die Substanz respektive Gott thematisierenden Kapitel De Deo die Gerechtigkeit im Strukturgesetz adaptiert sieht, mit der dann Notwendigkeit, wiederum interpretiert als Gerechtigkeit, gesetzt ist. Das dritte Kapitel De Origine et Natura Affectuum und das vierte Kapitel De Servitute Humana seu de Affectum Viribus und das fünfte Kapitel De Potentia Intellectus seu Libertate Humana thematisieren u. a. das Vermögen des Menschen und sind damit seinem Anliegen, Freiheit zu gewinnen, gewidmet.

  330. 330.

    Vgl. ebd., S. 20. Mit der Verwendung dieses Begriffes verfährt Ravitch rhetorisch ähnlich wie in seinem Verweis auf den Begriff der Reinkarnation, den er als problematisch bezeichnete; hier ist es ein Begriff aus dem chassidischen Kontext, den Ravitch zitiert, um sich davon aber auch zu distanzieren.

  331. 331.

    Ebd., S. 22. Ravitch sagt an gleicher Stelle: Eine Haltung, die mit dem Blick in die Vergangenheit die Schlechtigkeit des Menschen behauptet, entspricht der hellenischen Perspektive; eine Haltung, die den Menschen als gut anerkennt bzw. immer an die (Möglichkeit) seiner moralischen Integrität glaubt, ist jüdisch, weil das Judentum auf die eigene Zukunft und auf die Zukunft der Menschheit ausgerichtet ist.

  332. 332.

    Ebd., S. 23. Das Bild der Brücke knüpft an eine Vorstellung in der Gemara an, nach der Avraham und seine Nachkommen auf einer Seite stehen und am anderen Ufer die andere Welt existiert.

  333. 333.

    Ebd.

  334. 334.

    Ebd.

  335. 335.

    Ebd. In der jiddischen Literatur hat sich insbesondere Peretz die Aufgabe gestellt, Antworten zu dieser Problematik zu finden.Vgl. Wisse, Ruth: I. L. Peretz and the Making of Modern Jewish Culture. Seattle, London 1991, XIII.

  336. 336.

    Vgl. ebd. S. 24. Ravitch verweist kurz auf eine Diskussion, in deren Verlauf Y. Opatoschu auf H. Leyvicks Einwurf, kein Blatt Sholem Aleichem beten zu können, antwortet, täglich aber sehr wohl ein Blatt Peretz beten zu können.

  337. 337.

    Ebd., S. 26.

  338. 338.

    Mit dem von ihm verwendeten Begriff „Märtyrer-Volk“ verkennt der Autor – evtl. sogar mit Absicht – das Spezifische des Massenmords, der nicht mit den Kategorien vorausgegangener Verfolgungserfahrungen begriffen werden kann.

  339. 339.

    Ebd. Ravitch stellt die Frage danach, ob der Tanach bzw. ein Tanach als weltliches „bukh“ (Buch) oder als „weltliche Bücher“ verstanden werden kann, ob die Begriffe „Enzyklopädie“, „Lexikon“, „Anthologie“ Anwendung finden können oder ob es ein literarisches „Tohuwabohu“ oder ein „Chaos“ ist. Mit den zuletzt genannten Begriffen stellt er ein den Zustand des Anfangs beschreibendes Bild, wie in der Bibel vermittelt, der Vorstellung von einem Anfang, wie in der griechischen Theogonia von Hesiod dargestellt, gegeneinander. Mit dem Dualismus von Klaffen (Chaos) und Tohuwabohu (das Wüste und die Leere) stellt Ravitch erneut jüdische und hellenische Kultur einander gegenüber.

  340. 340.

    Ebd.

  341. 341.

    Ebd., S. 27.

  342. 342.

    Melech Ravitch argumentiert hier recht plakativ, denn die Frage der Gerechtigkeit ist eine Thematik, die beispielsweise bei Platon und auch bei Aristoteles an zentralen Stellen ihrer Werke ausführlich behandelt wird. Platon beschäftigt sich im Kontext seiner Politeia damit, wie Gerechtigkeit zu bestimmen ist. Aristoteles entfaltet das Konzept seiner Gerechtigkeitsvorstellung in der Nikomachische[n] Ethik.

  343. 343.

    Ebd., S. 27–28. Der Autor zählt auf: Gedicht, Gleichnis, Erzählung, Drama, Bericht, Chronik, Statistik, Register, Gesetz, Weisung, Drama, Klagelied, Gesang, Dithyrambus, Geschichte, Panegyrik, Vorschrift, Statuten, Dokumentation, Rätsel, Bauplan, Brief, Shlikes (Auftrag), Zaubersprüche, Prophezeiung.

  344. 344.

    Ebd.

  345. 345.

    Ebd., S. 31. Ravitch nimmt an dieser Stelle Bezug auf seine Darstellung des Prozesses des Hervor- und Zurückgehens von Sprache und Denken aus einem Ursprung, wie er dies in seinem Gedicht Teologish-politisher-traktat darstellte.

  346. 346.

    Dazu sei verwiesen auf die Darlegungen des Heraklit zum Logos oder auch auf das Lehrgedicht des Parmenides, das die Frage nach dem Sein, dem Seienden und nach der Sprache des anfänglichen Denkens stellt.

  347. 347.

    Ebd., S. 33.

  348. 348.

    Ebd., S. 34.

  349. 349.

    Ebd., S. 34–35. Wissenschaftler sind wegen ihrer Detailorientiertheit nicht geeignet, da sie die Gesamtheit aus den Augen verlieren. Theologen sind nicht geeignet, da die Schrift nicht nur ein religiöses Buch ist, sondern auch eine Darstellung der nationalen Geschichte. Juden, die Anhänger von politischen Parteien sind, sind ebenso wenig hilfreich, da sie die Gesamtheit des Volkes nicht berücksichtigen. Auch Belletristen sind nicht tauglich, da sie halachische Textarten nicht beachten, während umgekehrt Gesetzesschreiber Texte aggadischer Art nicht würdigen, so der Autor. Ravitch lässt die Frage nach dem geeigneten Verfasser unbeantwortet, da er meint, die Aufzählung beliebig fortsetzen zu können.

  350. 350.

    Ebd., S. 35–36.

  351. 351.

    Ebd., S. 36.

  352. 352.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 178.

  353. 353.

    Ebd. Yitshak Katzenelson (geboren 1886 bei Minsk, ermordet 01. Mai 1944 in Auschwitz). Katzenelson war wie Avrom Sutzkever in der Untergrundbewegung aktiv, letzterer im Ghetto von Vilna, jener im Ghetto von Warschau. Beide leisteten kulturelle Widerstandsarbeit. Kurz nach Beginn des Aufstandes wurde Katzenelson (mit seinem Werk) aus dem Ghetto geschleust und wenig später dann doch in das KZ nach Vitell transportiert. Das dort in jiddischer Sprache entstandene Lid und die dort in hebräischer Sprache verfassten Tagebücher waren die letzten Werke dieses Autors. Katzenelson war bei Ausbruch des Krieges 53 Jahre und hatte bereits eine lange Schaffensphase als jiddischer und hebräischer Autor hinter sich. Ihm ging es bei dem in jiddischer Sprache verfassten Werk Lid auch darum, ein Zeugnis in der Sprache zu verfassen, die mit den Menschen unterzugehen drohte. Er verfasste sein Werk unmittelbar während der Ereignisse, die in ihm beschrieben werden, so dass kaum ein zeitlicher Abstand zwischen Geschehen und Schreiben vorhanden ist. In Katzenelsons Werk ist die Auseinandersetzung mit traditionellen Vorstellungen, die Distanzierung von ihnen und die Neudeutung derselben wesentlich. Sein Werk ist ein Gedenkstein für das untergegangene osteuropäische Judentum, und es markiert den gewaltsam herbeigeführten Endpunkt einer kulturellen Tradition. Literarisch orientiert er sich hin auf die jiddischen Klassiker. Diese im Text hergestellte Relation ist die poetologische Begründung zur Wahl des Jiddischen. Gerichtet ist das Werk an Juden außerhalb Europas. Es sind zwei dichterische Redeweisen erkennbar, eine eher darstellende und eine kommentierende. Katzenelson beginnt sein Werk mit dem Ende der Ereignisse, denn die Geschichte ist an ihrem Ende angelangt, und so bleibt dem Dichter nur der rückwärtsgewandte Blick, der die Ereignisse genau registriert. Dazu gehören die Angaben der Daten der Niederschrift vor den einzelnen Abschnitten sowie die Angabe wichtiger Daten im Text. Ihm ist es auch um die explizite Nennung der Täter und ihrer spezifischen Sprache zu tun. Einige Ermordete werden in seinem Werk mit Namen angesprochen, andererseits müssen sie anonym bleiben, denn dies war ein wesentlicher Aspekt des Vernichtungsplans und -geschehens.

    Zu den im Warschauer Ghetto verfassten Schriften: Katsenelson, Yitskhok: Yidishe geto ksovim. Varshe 1941–1943. Aroysgegebn loyt opgeratevete ksav-yadn mit araynfir un derklerung fun Yekhiel Sheyntukh. K. Lohamei. Haghetaot 1984.

  354. 354.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 178.

  355. 355.

    Ebd., S. 179.

  356. 356.

    Ebd.

  357. 357.

    Ebd.

  358. 358.

    Ebd.

  359. 359.

    Ebd., S. 180.

  360. 360.

    Ebd.

  361. 361.

    Ebd.

  362. 362.

    Ebd. In dem Bild der Mühlen Gottes, die die menschlichen Leiber zu Knochenbrei zermahlen, wird ein Aspekt der Literatur der Schoa deutlich: Ihre Bilder sind keine Metaphern mehr, da mit ihnen reales Geschehen bezeichnet ist. Rosenfeld, Alvin: A Double Dying: Reflections on Holocaust Literature. Bloomington, London 1980, S. 12–34.

  363. 363.

    Ravitsh, Makhshoves, S. 180.

  364. 364.

    Diese Aussagen bilden insgesamt keinen geschlossenen naturphilosophischen Gesamtentwurf in ihrem Werk.

  365. 365.

    Vgl. Klaphek, Susman, S. 271.

  366. 366.

    Susman, Margarete: Pole jüdischen Wesens – Hermann Cohen und Georg Simmel. In: Die Tat. Monatshefte für die Zukunft deutscher Kultur XV, 5 (1923). S. 385–389 zitiert nach Klapek, Susman, S. 269.

  367. 367.

    Insgesamt sind mit diesen Bestimmungen natürliche und ideelle Güter bezeichnet, mithin alles, was die menschlichen Affekte betrifft und die Orientierung auf das Glückselig-Machende, Ewige verhindert.

  368. 368.

    Susman, Spinoza, S. 55.

  369. 369.

    In weiteren lyrischen Texten, versammelt in dem Band Aus sich wandelnder Zeit, vermittelt sie – auch zu anderen Themen als denen der Natur – Perspektiven, die die Essays nicht aufgreifen. So verbindet sie beispielsweise Momente eines personalen Gottesverständnisses mit solchen, die an ein philosophisches, auch an Spinoza erinnerndes Konzept von Göttlichkeit reichen, wie es in dem Gedicht Ewigkeit deutlich wird: Das Wesen der Ewigkeit wird hier als Eifersucht bestimmt, die sich auf das Leben in seinem kontinuierlichen Wandel richtet, auf das, was ihr nicht zukommt, denn „Sie hasst das Leben, / Sie hasst den Tod, / Sie hasst das Erblühn und Vergehen, / Sie starrt auf der Zeit Gewebe / Mit fremden Augen.“ Das lyrische Ich sieht das eigene Leben von dieser Ewigkeit bedrängt und bestohlen, denn „Die Ewigkeit hat ihre schwere Hand / Auf mein Leben gelegt“ und „Sie stahl mir das Blut aus den Adern“. Ewigkeit ist damit als zerstörerisch und gewalttätig bestimmt. Der zweite Abschnitt spricht nicht mehr von einem personalisierten, philosophischen Begriff für die Transzendenz, sondern spricht jetzt – Personalität stärker betonend – von einem Gott; dieser steht dem Menschen aber ebenso feindlich gegenüber. Die Vorstellung von der Bezogenheit des Menschen auf ihn bleibt gewahrt, wird er doch als „Der Seele heimischer“, als „Sehnsuchterweckender“, als „Traumentflammender“ verstanden. Dies sind Bezeichnungen, die noch den Bezug auf biblisches Geschehen erkennen lassen. Auch der Gedanke der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott ist – wenn auch nur vorhanden in der Betonung des Unterschieds der Augen – noch erinnert. Hier sind für die Dichterin die Augen des Gottes – der Artikel vermittelt Distanziertheit – denen des Menschen gänzlich fremd: „Augen des Gottes, / Ihr schließt euch nie, / Wie Menschenaugen tun.“ Diese göttlichen Augen starren ins Leben, der Bezug zum Leben ist distanziert-bedrohlich, unbeweglich, hart. Das Motiv Bedrohlichkeit entfaltet das Gedicht auch in den folgenden Versen, denn die Schönheit der Gestalten des Lebens wird durch die Strahlen lichten Zorns „getroffen“, „verwundet“ und „durchbohrt“ und „Ins Nichts“ gestoßen. Der Grund für diese Nihilierung vermittelt sich in dem Gedicht lediglich mit der Unvereinbarkeit der Existenzform von endlichem Wesen und transzendentem Sein, wie in der ersten Strophe vorgestellt. Auch die zweite Strophe gibt diesen Gedanken wieder, indem sie eine durch die Fremdheit evozierte Gnadenlosigkeit zeichnet, in der Gott gegenüber allen Gestalten des Lebens steht. Sein Zorn, der sich an dem Wesen der Gestalten des Lebens entzündet, ist in dem Abstand zu ihnen begründet, es ist eine sich auf die existentielle Verfasstheit richtende, grundlegende Ablehnung. Zorn und Vernichtung wenden sich gegen die Lebensformen einfach auf Grund ihres Seins, nicht aber gegen ein bzw. das jüdische Volk und seine Handlungen oder in einem weiteren Sinn gegen die Menschheit. Vgl. Susman, Margarete: Aus sich wandelnder Zeit. Gedichte. Zürich 1953, S. 34.

  370. 370.

    Vgl. Susman, Pole jüdischen Wesens, S. 386.

  371. 371.

    Vgl. Nordmann, Transzendenz, S. 174.

  372. 372.

    Ebd.

  373. 373.

    Als Motto des Gedichtbandes wählte Susman Luthers Ausspruch, noch angesichts des Weltuntergangs einen Apfelbaum pflanzen zu wollen, mit dem – trotz des vorangegangenen Vernichtungsgeschehens und auch trotz der problematischen Haltung Luthers dem Judentum gegenüber – eine ungebrochene, auf ein Morgen gerichtete Zuversicht vermittelt wird.

  374. 374.

    Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 78.

  375. 375.

    Lebendigkeit und Lebenskraft sind auch im Kontext anderer Gedichte an das Motiv der Farbe Rot gebunden. So spricht das Gedicht Die Straße einen der Romantik vertrauten Gedanken von der Profanisierung der Welt und dem Verlust der Lebendigkeit und der Seele aus, indem es auf die Verwandlung der Welt verweist anhand der Wandlung des „weichen Weg[s] zu einer „Strasse von Asphalt“ und von dem Zermahltwerden des Herzens, „das zu rot geloht“ hat und durch die „graue[r] Wucht“ „toter Dinge erschlagen wurde. Vgl. Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 68. Von der Vergänglichkeit des gerade noch in höchster Intensität erfahrenen Lebens wird in dem Gedicht Sommer in dem Bild des üppigen Austreibens der Rosen gesprochen, die in einem intensiven Rot über die Mauer stürzend und Lebendigkeit verkörpernd, von „Trauer“ „und Erde und Tod“ umgeben sind. Das lyrische Ich erinnert an einen Zustand, da sein Gegenüber (noch) das Ganze, demnach auch die Rose in ihm begriffen und lebendig war und eine Identität von Seiendem und Sein existierte. Vgl. Susman, ebd., S. 69.

  376. 376.

    Die Rose ist auch in dem poetologischen Text Das Gedicht von thematischer Bedeutung.

  377. 377.

    In jeder der drei Strophen des Gedichtes finden sich Licht anzeigende Verben: erglühen, entflammen und leuchten. Mit dieser dreifach bestimmten Lichtmetaphorik, die unterschiedliche Arten von Licht und auch Wärme anzeigt, wird aber „mehr als nur Licht“ vermittelt, in dem Sinn wie es der Aufsatz formulierte. Hier knüpfen die Bilder des Gedichtes an die Aussage des Essays an, die das Wesen der Seinswelt im Bild erkennbar werden lassen. Diese Seinswelt ist mehr als der „kalte[n] und logische[n] Gesetzeszusammenhang“, es ist eine Einheit, die nicht nur Identität ist. Es ist ein Gesamtes, aus dem sich gleichzeitig ein Strom „von Glut und Kraft“ ergießt, die den Gesetzeszusammenhang dieser „Welt lebendig aufglühen lässt.“ Im Bild des Erglühens eines Geheimen im Geranium, am Beispiel dieser botanischen Art findet dieser Gedanke lyrisch Ausdruck.

  378. 378.

    Das Bild des dunklen Leuchtens greift die Vorstellung von dem „leuchtende[n] Dunkel“ auf, mit dem die Autorin im Kontext ihres Spinoza-Aufsatzes das Wesen der Lehre des semitischen, des jüdischen Geistes bestimmt hatte, die dieser – nach ihrem Verständnis – dem Abendland übergeworfen hatte. Vgl. Susman, Spinoza S. 62. Indem die im Aufsatz genannte Bestimmung im Gedicht gewendet wird, wird diese in Relation zur ersten Lehre gestellt. Diese wurde als ein Dunkel bestimmt, das leuchtet. Das Gedicht spricht dagegen von einem Leuchten, das sich dunkel und damit sozusagen die andere Seite der Medaille zeigt. Sie trägt die Seite einer hellen (philosophisch verstandenen) Erkenntnis, die ihrerseits aber gleichzeitig auch ein Moment des Dunkelseins sowie das Moment der Dunkelheit der nicht umfassend begreifbaren, ursprünglichen Lehre beinhaltet. Von jener geht ihrerseits ein Leuchten aus, womit auch Hoffnung bedeutet ist. Auf der Ebene der Motivik verweisen somit die Gedicht-Aussage und die des Aufsatzes aufeinander.

  379. 379.

    Das Bild des Leuchtens findet sich bei Susman außer in ihrem Spinoza-Aufsatz auch an einigen anderen Stellen: So spricht beispielsweise das Gedicht Das Ewige von einem unendliche[n] Leuchten, das in der Finsternis durch der „Nächte zerrissnes Gewand“ hervortritt. Die Dunkelheit im Gedicht knüpft an das Psalmen-Motiv der durch den Begriff Finsternis vermittelten Gottesferne an. Vgl. Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 26. Dieser Text spricht davon, dass nur durch Wandlung Anteilhaben am Ewigen möglich ist. Es stellt ein immer wieder durchlebtes Sterben und ein wiederkehrendes Ende der Zeiten als Voraussetzung dar, um an den Punkt zu gelangen, da das Ewige in dem unendlichen Leuchten durch die irdische Nacht der Vergänglichkeit wahrnehmbar wird bzw. das Ewige selbst das Gegenüber „sucht[e] und ihn heimsucht[e]“ (II,5). Dieser Text vermittelt einerseits die Todesverfallenheit des Irdischen, eine sich in dem Kreislauf alles Lebendigen aussprechende Notwendigkeit, diesen Kontext immer wieder erleben zu müssen, und darüber hinaus vermittelt sich auch die unendliche Ferne des Abstands zum Ewigen: Diese ist nur als ein Leuchten an den Enden der Zeit, am Ende der Endlichkeit aus einer darüber noch hinausliegenden Ferne wahrnehmbar, bleibt aber in dieser weitesten Ferne doch noch sichtbar. Die Zuordnung der Farbenmetaphorik des Spinoza-Aufsatzes ist hier gewendet, denn hier stehen die Vergänglichkeit alles Lebendigen, des Farblichen, sein dem Tode Verfallen-Sein und damit seine Dunkelheit im Vordergrund. Als Chiffre für den Kreislauf des Werdens und Vergehens wird in dem Gedicht Die Rose das Bild dieser Blume verwendet, in deren Betrachtung andernorts Sein und damit Ewigkeit unmittelbar erkennbar und damit der Aspekt der Identität betont wird. Vgl. ebd., S. 39. Beide Gedichte, Das Ewige und Die Rose vermitteln zusammen die Doppelung von Immanenz und Abstand, wie im Essay dargelegt.

  380. 380.

    Insgesamt ist in einigen die Natur thematisierenden Gedichten Susmans ein starker Einfluss der Lyrik Rilkes zu erkennen. Besonders deutlich wird dies in dem poetologischen, nicht zum genannten Themenfeld gehörigen Text „Das Gedicht“, das den dritten Abschnitt des Bandes einleitet, in dem sich auch das Gedicht „Geranium“ findet. Es ist aber anzumerken, dass die genannten Gedichte letztlich die Perspektive einer traditionellen Erlebnislyrik beibehalten, so z. B. auch das Gedicht Der Falter. Darüber hinaus spricht sich in einigen dieser Gedichte auch die Vorstellung von dem Vorhandensein einer „Subjekt und Objekt übergreifenden Totalität“ aus, die als ein Merkmal traditioneller Lyrik zu betrachten ist. Zum Begriff der traditionellen Lyrik vgl. Lamping, Dieter: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. Göttingen 1989, S. 146–147.

  381. 381.

    Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 39.

  382. 382.

    In ihrer Autobiografie Ich habe viele Leben gelebt beschreibt Susman die große Bedeutung, die für sie ihr erstes Zimmer hatte, das sie zu Beginn ihres Studiums bezog und mit dessen Anblick sie ein starkes Gefühl von Freiheit empfand. Das Zimmer steht im Gedicht für den allerpersönlichsten Raum, mit dem auch die sehr persönliche Aussage des lyrischen Ichs und die Intimität der Situation zu verbinden ist. Das Gedicht Mein Zimmer setzt mit der Beschreibung des Raumes ein, in dem „alles noch beim alten“ ist. Jedoch hat sich in diesem Gedicht die innere Haltung des lyrischen Ichs geändert, das sich dort nicht mehr beschützt, sondern auch an diesem zuvor behüteten Ort einem „gesetzlose[n] Rasen ausgeliefert sieht. „Das Zimmer ist erfüllt vom großen Sterben und des Chaos schwarzer Rand.“ Vgl. Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 18–20.

  383. 383.

    Das Gedicht Duft stellt dessen Qualität in den Mittelpunkt seiner Aussage. Es vermittelt den Gedanken vom Duft als einem „Geschenk der Erde“, wie ihn das lyrische Ich in einer Sommernacht erlebt; ob der Dunkelheit ist die optische Wahrnehmung nicht von Bedeutung, und so kann das Innewerden des Olfaktorischen umso intensiver erlebt werden. Dieses Gedicht verdichtet den Moment der Wahrnehmung des Duftes; in dem Gedicht Die Rose steht der Moment des Duftes nur als einer neben anderen. Das Gedicht Der Duft beschreibt den Duft blühender Gärten, den Duft des Jasmins und des Holunders, den Duft der Rosen, den eines frisch geschnittenen Wiesenhangs, der als Ort, an dem die Seelen der sterbenden Blumen erwachen, gezeichnet ist. Das lyrische Ich nimmt ein Duftmeer wahr und fordert dazu auf, diesen Duft tief in sich aufzunehmen, einzutrinken und damit das „Wehn“ des sich im Duft niederschlagenden Werdens und Vergehens zu verinnerlichen auch eingedenk der eigenen Vergänglichkeit. Vgl. ebd., S. 66.

  384. 384.

    Vgl. Susman, Spinoza, S. 55.

  385. 385.

    Ebd., S. 53.

  386. 386.

    Ebd., S. 55.

  387. 387.

    Ebd., S. 55.

  388. 388.

    „Wie wir den uns unergreifbaren Sternenhimmel unendlich klarer zu schauen und reiner zu ordnen vermögen als das verwirrende Durcheinander unseres nächsten Lebens, so sah Spinoza den Wesenszusammenhang der Dinge unendlich klarer als ihre verworrene bedrückende Empirie, die durch ihre plumpe Nähe kein reines Anschauen, kein unmittelbares Erfassen ihrer Zusammenhänge zuläßt.“ Vgl. Susman, Spinoza, S. 53–54.

  389. 389.

    Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 98.

  390. 390.

    Dass das lyrische Ich in diesem Gedicht den Falter als ein Naturwesen anschaut und mit ihm keine symbolische Aussage angibt, wird darin deutlich, dass Susman an anderer Stelle mit dem Bild des Schmetterlings im Kontext des Aufsatzes Das Frauenproblem in der gegenwärtigen Welt einen Ausdruck für die weibliche Art zu sein findet, die sie der männlichen Art gegenüberstellt, für die sie das Bild des Turms verwendet. Zu dem Konzept der weiblichen Bewusstseinsmodi vgl. Klaphek, Susman, S. 189.

  391. 391.

    In dem zweistrophigen, den Abschnitt III des Bandes einleitenden und diesem damit einen Schwerpunkt verleihenden, poetologischen Gedicht Das Gedicht ist Geheim-Sein bzw. das alles Geheim-Sein einschließende „Geheimnis“ thematisch. Vgl. Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 54: Geheim der Kreis, geheim der Ring, der Reigen, / Geheim die Rose und das Angesicht, / Geheim, was schwingt um ein verschwiegnes Eigen, / Geheimnis, Ring und Reigen das Gedicht. // Umschwingung und Umschreibung ohne Ende, / Musik, die Kranz an Kranz zum Kranze reiht, / Ein Leben ohne Eckstein, Ohne Wende / Und unablässig Heimkehr aus der Zeit.

    Die Verse 1 bis 4 heben jeweils an mit (dem Prädikatsattribut) „Geheim“ und intensivieren und verdichten, indem sie die Bestimmung wiederholen, einer magischen Beschwörung gleich, die Aussage des Geheim-Seins. Der erste Vers bestimmt als „Geheim“ drei Figur-Körper-Gestalten runder Art (Kreis, Ring, Reigen); diese zeichnen sich dadurch aus, ohne Anfang und Ende zu sein. Damit ist im Kontext dieses Gedichtes die Assoziation von einem in sich Beschlossen-Sein, aber auch die Dimension der Verborgenheit und damit eine zweifache Konnotation von Geheim-Sein aufgerufen: Geheim ist die geometrische, zweidimensionale Figur des „Kreise[s]“, geheim ist der „Ring“, ein Rund aus metallischem, anorganischem Stoff und ebenso „der Reigen“, der gleichermaßen als poetische wie auch musikalische Form zu begreifen ist. Letztere ist zum einen durch die Bewegung aber auch durch die Musik bestimmt. Die Reihe setzt sich im Lebendigen fort: „Geheim [ist] die Rose, die Pflanze und das (menschliche) „Angesicht“, das als das zuletzt genannte die größte Komplexität hat. Beide, die Rose wie auch das Angesicht, sind ebenso von runder Form. Mit dem Fehlen der Kopula – ist – wird in den beiden Versen Subjekt und Prädikatsattribut in eine direkte Relation gefügt, und mit dieser Engführung und Verdichtung vermittelt sich Verschlossenheit auf der Ebene der Satzstruktur. Der anschließende dritte Vers spricht allgemein von einem Eigen, das allem Seienden zugesprochen werden kann und das selbst verschwiegen ist und zugleich um ein Eigenes schwingt, dessen Herkunft oder Zugehörigkeit aber offen bleibt. Hier ist eine doppelte Verschwiegenheit im Inneren und in einem Außen ausgesagt, die aber der Beschreibung der zweiten Bewegung entsprechend nicht als eine statische zu begreifen ist. Der die Strophe abschließende Vers verdichtet die Elemente des Gedichtes zu einem Ganzen, das sich insgesamt als Geheimnis, als Ring und Reigen, Musik und Bewegung artikulierend konstituiert. An das Motiv des Reigens anknüpfend, fängt die zweite Strophe die Bewegung, die das Gedicht bestimmt und die Unendlichkeit der Bewegungen ein. „Umschwingung und Umschreitung ohne Ende“ (II/1). Mit dem Gedicht kommt auch Musik zur Wirkung. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck und fügt ihrerseits Lebendiges, in sich Geschlossenes immerfort in eine unendliche Reihe. „Musik, die Kranz an Kranz zum Kranze reiht“ (II/2). Diese nicht erschließbare Unendlichkeit bestimmt Leben schlechthin, das als Sein begriffen wird und von dem das Gedicht handelt. Dieses Leben ist „ohne Eckstein, ohne Wende“ (II/3) vorgestellt und kann demnach nicht als linearer Ablauf bzw. Weg begriffen werden. Dieses Leben hat keine Wegmarken und weist damit keine Richtungs- oder Ablaufänderungen auf. Der Gedanke einer unablässigen Heimkehr aus der Zeit stellt die immer andauernde Rückkehr und Abkehr von einem Verhaftet- und Verbunden-Sein in der Zeit zurück in den Kontext des Seins dar, d. h. das sich immer wieder auf Sein Ausrichten wird im Gedicht angedeutet. Dieses Gedicht vermittelt und sammelt auf der Metaebene die sich in den anderen Gedichten in unterschiedlicher Weise ausgesprochenen Verhältnisse von Unendlichkeit und Geheimnis- (haftigkeit) und damit verbunden von Abstand und Sein.

  392. 392.

    Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 135–137.

  393. 393.

    Im Gedicht heißt es dazu: „Was ist denn fromm sein, wenn nicht anzunehmen, / Was unerträglich, Unerträgliches von uns verlangt (…) (II/1–3).

  394. 394.

    Vgl. Susman, Spinoza, S. 63–65.

  395. 395.

    Goethe lässt im dritten Akt des Egmont den Protagonisten eine Vorstellung vom menschlichen Schicksal vermitteln, indem er das Bild des Schicksalswagens als einem von wilden Pferden gezogenen Streit- oder Rennwagen zeichnet. In diesem Gleichnis kann der Einzelne sein Schicksal nur insoweit beeinflussen, so er, die Zügel festhaltend, Stürze zu verhindern sucht; die Richtung zu ändern kann ihm aber nicht gelingen: „Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefasst, die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.“ Anders als in dieser Darstellung Goethes, in der der Einzelne ein Getriebener seines Schicksals ist, der das Woher und das Ziel seines gefährlichen Weges nicht kennt, vermittelt das Bild Susmans zwar auch Gefahr, gleichzeitig steht dem aber Rettung und Ziel – wenn auch nicht gesichert – gegenüber. Die Position des Lenkers und die der vorwärtstreibenden Kraft ist bei Susman Gott zugeordnet. Die Metapher des Wagenlenkers und des rapide dahinfahrenden Streitwagens findet sich in der antiken philosophischen Literatur bei Platon, der im Phaidros damit ein Bild gibt, um die Aufgabe des Verstandes zu bestimmen, dem es zukommt, die unbändigen seelischen Vermögen, die Seelenrösser zu bändigen. Bei den Autoren vor Vergil findet diese Metapher Verwendung im Kontext der Beschreibung von der Möglich- und Notwendigkeit, kriegerische Ereignisse zu steuern. Vgl. Schindler, Claudia: Untersuchungen zu den Gleichnissen im römischen Lehrgedicht: Lukrez. Vergil. Manilius. Göttingen 2000, S. 205–208.

  396. 396.

    Susman, Aus sich wandelnder Zeit, S. 133–134.

  397. 397.

    Zur Beschreibung des Tempels vgl. 1 Kön. 7, 15–22.

  398. 398.

    Susman orientiert sich an einer Evangeliums-Darstellung (Matth. 28, 8–10), die davon spricht, dass der in einem Licht erscheinende Auferstandene seinen Jüngern die Furcht nahm. Weiterhin wird im Gedicht auf die christliche Vorstellung von einer durch das Wirken von Jesus eingetretenen grundsätzlichen Wandlung des Verhältnisses Gott – Mensch Bezug genommen. Nach christlicher Vorstellung ist diese Wandlung als innerliche zu begreifen, der hier die Vorstellung einer Wandlung des Gesetzes zugeordnet ist.

  399. 399.

    Es muss an dieser Stelle nicht die Problematik dieses Gedichtes als eines Schoa-Gedichtes besprochen werden, die sich auf die Möglichkeit der Repräsentierbarkeit bzw. der Adäquatheit der eingesetzten Metaphorik bezieht.

  400. 400.

    Ravitsh, Meylekh: Di lider fun mayne lider 1909–1954. Montreal 1954, S. 7.

  401. 401.

    Shpinoza. Poetisher pruv fun Meylekh Ravitsh. Der mensh. Dos verk. Di shpin. Ktoyres. Vin 1921. Ravitch verwendet oft variierende Schreibweisen. So z. B. mensh / mentsh, Shpinoza / Spinoza u. a.)

  402. 402.

    Ravitsh, Lider, S. 49–74.

  403. 403.

    Zur jiddischen Literatur in Österreich vgl. Eidherr, Sonnenuntergang auf eisig-blauen Wegen, S. 91–193.

  404. 404.

    Ravitsh, Lider, S. 11.

  405. 405.

    Mit dieser Formulierung nimmt Ravitch Bezug auf seine Aussagen in der von ihm am 06. Dezember 1954 im Technikum in Haifa gehaltenen Rede anlässlich des Spinoza-Tages, die den Titel trug Borekh Shpinoza. Nisht undzer got – nor undzer mentsh, wiederveröffentlicht in: Ravitsh, Meylekh:  Eseyen. Gegreyt tsum druk fun Yosl Birshteyn. Yerusholaim 1992, S. 273–279. In dieser Rede stellt Ravitch die zentralen Aspekte seiner Spinoza-Deutung und -Rezeption zusammen. So hebt er hervor, dass ihm Spinoza in seinem Menschsein Vorbild ist: „Un dokh un dokh un dokh. Er iz dokh fort geven a mentsh, take on laydnshaftn, oder mit bahershte laydnshaftn – pretsiz loyt dem finftn teyl fun der etik. Ober a mentsh aranygeremt in zayn tsat in zayn Eyrope fun zayn zibetsentn yorhundert.“ Ebenso wird verdeutlicht, dass der Wert der Philosophie Spinozas nicht im Erkennen der Wahrheit allein beschlossen, dass für Ravitch vielmehr die ethische Bedeutung dieser Philosophie wesentlich ist, insbesondere da er mit dem Erreichen der geistigen Liebe quasi unmittelbar eine von Mitmenschlichkeit bestimmte Haltung gewirkt sieht: „Abstrakt un din un hel vi a shtral iz Shpinozas filosofye. Zi vil ober nisht blaybn hengen in kholel vi a shtral. Zi zukht dem mentsh. Zi iz far im. Zi vil im derheybn tsum gefil fun der reynster gaystiker libe tsu got, vayl demolt vet di libe fun mentsh tsu mentsh zayn shoyn nor a zelbsfarshtendlekhkeyt. Shpinoza vil undz derheybn tsu got, ober undz vil er derheybn, undz – mentshn. Un dem ershtn, vos er shtrebt azoy tsu derheybn, iz zikh aleyn. Vayl er iz koydem kol a mentsh. Un deriber – az mir trakhtn vegn im vi mentshn stam – filn mir, az er iz undzer mentsh. Nisht undzer got, nor undzer mentsh. Un az mir trakhtn vegn im vi yidn – filn mir, az nisht nor iz er undzer mentsh, nor undzer bruder.

  406. 406.

    Ravitsh, Lider, S. 8.

  407. 407.

    Die Version aus dem Jahr 1921 weist insgesamt 14 Gedichte auf: Akord, 24. XI .1632–22. II. 1677, Lid fun zayn yugnt, Der kheyrem, Olimpia Maria Klara, Zayn tsayt, Reynsburg, Vizye / Haag, Variant Voorburg, Yohanes de Vit, Shapse Tsvi, Der onev, Lid fun zayn elter, Der toyt, Der letster tog, Di byografen. Als wichtiger Unterschied ist zu nennen, dass die Version von 1921 mit dem poetologischen Gedicht Akord anhebt, das mit seinem Titel Dichtung als musikalischer Ausdruck, als (stimmiger) Zusammenklang verschiedener Töne bestimmt ist, die zu verstehen sind als verschiedene Modi dichterischer Rede. In diesem Gedicht sieht Melech Ravitch die Entstehung seiner Gedichte durch das Herabströmen der vielfältig wunderlichen Arten der Bilder des Lebens von Spinoza gewirkt: „In kolerley vunderlikhe formen / shtromen / dayn lebns bilder. Arop tsu der nider / fun mayne lider (…).“ Das lyrische Ich wird als „Bard fun dem gayst“ (Sänger des Geistes) bestimmt, der seinen Gesang, seine Dichtung großen Bedrohungen abtrotzt: „Fun sheyterhoyfns, vos brenen hoykh, / mit dine hent. / Ikh vel dikh afir fun di gilotinen, / mit shrekn tsurikgevinen / gezang!“ Vgl. Ravitch, Shpinoza pruv, S. 8–33. Mit dem „Signalbegriff“ „Geist“ wird an ein Moment expressionistischen Dichtungsverständnisses in der deutschen Literatur erinnert, mit dem gleichzeitig das Anliegen einer Wesensschau, aber auch das Moment bestimmt ist, da der Dichter seine Autonomie den bedrängenden Schrecken der Wirklichkeit gegenüber abtrotzt. Mit diesem Begriff versuchen unterschiedliche Literaten, eine Vielzahl von kulturkritischen und poetologischen Formen auf einen Nenner zu bringen. Vgl. Anz, Thomas; Stark, Michael (Hgg.): Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910–1920. Stuttgart 1982, S. 215–217. Der Terminus „Barde“ unterstreicht, dass sich dieser Text an der poetischen Form des Gesangs orientiert. Ravitch vermittelt in dem Gedicht auch einen revolutionären Gestus, „Un umvarfn vel ikh altar nokh altar, / un oyfrekhtn vel ikh fun zey tribinen: Remozim akegen dem blayernem himl.“ – Dass dieses Gedicht in der dritten Version nicht aufgenommen ist, legt nahe, dass der Autor dieses poetologische Credo nicht mehr vertritt.

  408. 408.

    Ravitsh, Lider, S. 51. Die frühere Variante markiert den christlichen Kontext deutlicher, so mit der Zeitangabe „yohr in Yezu, dem har“ und spricht des Weiteren auch von dem gesegneten Jahr, in dem Spinoza geboren wurde. Die angeführten Variationen lassen erkennen, dass Ravitch die christlichen Bezüge in seiner späteren Version zurückstellt. So verwendet er auch nicht mehr das Motiv des in die Ewigkeit eingegangenen Philosophen, der sich im Licht hält, das an die Figur des in Licht getauchten Auferstandenen erinnert, das Ravitch in der Vorgängerversion eingeführt hatte. Vgl. Ravitsh, Pruv, S. 10.

  409. 409.

    Der katholischen Liturgie entsprechend erinnert das Licht der auf hohen Ständern bzw. der auf dem Altar platzierten Kerzen oder der die Verlesung des Evangeliums begleitenden Kerzen an den Gesalbten, der von sich selbst als dem Licht spricht.

  410. 410.

    Die Version aus dem Jahr 1921 betitelt den Philosophen an dieser Stelle nur mit „Shpinoza“.

  411. 411.

    Die Attributierung der Nacht vor dem Bann als „vogelfrei“ ist in der früheren Version nicht angegeben, womit das Geschehen in der Neubearbeitung zusätzlich dramatisiert wird, da es unmittelbar auf den Bann bezogen ist.

  412. 412.

    Die Gedichte der Version von 1921 weisen keinerlei Datierungen auf.

  413. 413.

    Während in der dritten Version die traditionelle Schreibweise des Gottesnamens gesetzt ist, wählte Ravitch in der zweiten Version eine Schreibweise, die auch Vokale verwendet.

  414. 414.

    Ravitsh, Lider, S. 51–52.

  415. 415.

    Hönig, Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und Interpretationen. Würzburg 2000, S. 15. Bei Melech Ravitch gehört auch der Leuchtturm zu dem Inventar des nautischen Topos.

  416. 416.

    Zur expressionistischen Konzeption und zur Motivik liegt sehr umfangreiche Forschungsliteratur vor, hier können nur beispielhaft wenige Arbeiten genannt werden, die einen Überblick zu den wesentlichen Aspekten bieten. Neben dem bei Ravitch zur Anwendung kommenden Aspekt der Vision eines neuen Lebens mit einer neuen vereinten Menschheit stehen auch Momente wie die „Integration des Hässlichen“ (…) und Pathologischen“. Und neben dem bei Ravitch nur sehr zurückhaltend dargestellten Menschheitspathos findet sich genauso die Darstellung von Angst und Verzweiflung und einem lyrischen Ich, das sich darin gefangen sieht. Vgl. Anz, Thomas: Expressionismus. In: Borchmeyer, Dieter; Žmegač, Viktor (Hgg.): Moderne Literatur in Grundbegriffen. 2. Auflage. Tübingen 1994. S. 142–152. Ebenso Vietta, Silvio; Kemper, Hans-Georg: Expressionismus. München 1975, S. 182–185. Sowie Brinkmann, Richard: Expressionismus. Internationale Forschung zu einem internationalen Phänomen. Stuttgart 1980, S. 167–173.

  417. 417.

    Zur Bedeutung des in etwa 6848-fach in der Schrift vorkommenden Gottesnamens JHWH ( und JH) gegenüber dem 2000-fach verwendeten „Gemeinnamen“ Elohim, der Selbstdarstellung Gottes und dem mit seinem Namen verbundenen Programm der Befreiung vgl. Krochmalnik, Daniel: Elohim. Gottesfragen in der Synagoge. In: Mühling, Markus: Gott und Götter in den Weltreligionen. Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Konfuzianismus, Buddhismus. Göttingen 2014. S. 74–102, hier S. 80–90; ebenso beispielhaft Marmorstein, Arthur: The Old Rabbinic Doctrin of God. The Names and Attributes of God. London 1969, S. 17–145.

  418. 418.

    Ravitsh, Lider, S. 56–57.

  419. 419.

    Ebd., S. 54–56.

  420. 420.

    Ebd., S. 56.

  421. 421.

    Die Version von 1921 führt folgende Gedichte an: Gloz-shleyfer (Glasschleifer), Di form (Die Form), Der roym (Der Raum), Teologish-politisher traktat (Theologisch-politischer Traktat), Di brif (Die Briefe), Der politisher traktat (Der politische Traktat), Di etik / Gezang (Die Ethik / Gesang), Di etik / Aynteylung (Die Ethik / Gliederung), Di etik / Gotbagrif (Die Ethik / Gottesbegriff), Di etik / Zindbagrif (Die Ethik / Sündenbegriff), Di etik / Bagrif fun gut un shlekht (Die Ethik / Begriff von Gut und Schlecht), Di etik / Eyde (Die Ethik / Gruppe).

  422. 422.

    Ravitsh, Lider, S. 61–62.

  423. 423.

    Vgl. Joh 1, 1–2.

  424. 424.

    Es ist ein kurzes, klares Erzählen, dem Geschehen folgend, jeweils die einzelnen Geschehnisse mit der Konjunktion „und“ verbindend.

  425. 425.

    Dtn 8,15. Hier wird auf Schlangen und Skorpione als tödliche Gefahren verwiesen, die z. B. das Volk Israel während der Wüstendurchquerung bedrohten.

    Das Schlangenmotiv kann im Kontext der hier angesprochenen Schriftdeutung aber auch auf eine bestimmte, gefährliche Art der Deutung verweisen, mit der eine Anspielung auf eine der Weisen der Lehre vom vierfachen Schriftsinn (PaRDeS) gegeben ist. Die rabbinische Literatur bezeichnet den Pardes, ursprünglich ist es der Garten Gottes, als „Lernort“. Von diesem Garten als Vierstromland strömt ein sich in vier Ströme aufteilender Fluss aus. Der zweite der vier Flüsse trägt den Namen Gichon und ist im Kontext der Deutung dieser Textstelle wichtig.

    Für den Versuch, die Deutungen der Lehre von der Schöpfung und der Offenbarung zu reglementieren, man kann auch sagen, für die Absicht, philosophisches Räsonieren zu unterbinden, steht eine bekannte Erzählung aus dem babylonischen Talmud, nach der vier Weise das Paradies betraten und eine „Wasserprobe“ zu bestehen haben. Nur einer von ihnen kehrt heil zurück. In einem diese Erzählung deutenden Kommentar aus dem Sohar gelangen die Weisen über die vier Flüsse in den Paradiesgarten. Die Namen der Flüsse sind in diesem Kontext auf die vier Formen des Schriftsinns bezogen (einfacher / angedeuteter / belehrender / geheimer Sinn) „Der Name Gichon erinnert an das Wort Schlangenbauch (Gachon, nach Lev 11,42) und wird vielleicht durch die Assonanz „Remess“ (Kriechtier, Gen 1,24) mit dem Begriff „Remes“ dem angedeuteten Sinn assoziiert.“ Vgl. Krochmalnik, Daniel: Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen. Augsburg 2006, S. 7–16.

    Das von Ravitch verwendete Bild der die Quelle vergiftenden Schlangen und Skorpione verweist somit evtl. auf eine bestimmte Art der Schriftinterpretation.

  426. 426.

    Spinozas die Bedeutung der Propheten schon fast nivellierende Perspektive greift Ravitch nicht auf, er spricht umgekehrt vielmehr davon, dass die Tat des Traktats den Propheten neue Geltung verschaffte. Dass sich die Propheten – nach Spinozas Einschätzung – letztlich nicht in besonderer Weise vor allen Menschen auszeichnen und ihre Botschaft in erster Linie ethisch ist, entspricht aber dem Menschenbild von Ravitch und seinen Lebensmaximen, wie besonders in seinem kurzen Aufsatz Nisht mayn got nor mayn mentsh deutlich wurde, und so erkennt er neben der neuen Hermeneutik des Spinoza gerade hinter der abschätzigen Bewertung der Propheten das Moment, das ihr Wesen erkennt und die Propheten bedeutend werden lässt und ihre Rolle erneuert.

  427. 427.

    Eine Datierung hat der Autor für dieses Gedicht nicht angegeben.

  428. 428.

    Ravitsh, Lider, S. 63–64.

  429. 429.

    Ravitsh, Lider, S. 65–66.

  430. 430.

    Ravitsh, Lider, S. 66–67.

  431. 431.

    Ebd. S. 66.

  432. 432.

    Ebd., S. 66–67.

  433. 433.

    E 1 P15. Auf die Schwierigkeit, wie dieses Inne-Sein zu begreifen und zu bestimmen ist, und die Tatsache, dass dies in der Ethica letztlich nicht klar deutlich wird, weist R. Schnepf in seiner Abhandlung hin, die sich auch mit der Terminologie beschäftigt.

  434. 434.

    In der Ausgabe von 1921 finden sich sieben Gedichte in der folgenden Reihenfolge: Yiesh/Dyalog (Verzweiflung/Dialog), Menshlikhe derkentnish (Menschliche Erkenntnis), Oyfshray (Aufschrei), Onlehn, Bruder in kranken blut (Bruder im kranken Blut), Fal (Fall), Glaykhgiltikeyt (Gleichgültigkeit). Das Gedicht Spinoza un du der dritten Version entspricht dem zweiten Gedicht der zweiten Version, und das Gedicht Fartsveyflung un fal der Version drei entspricht dem sechsten Gedicht der zweiten Version.

  435. 435.

    Ebenso kann darin aber auch die Bezugnahme auf eine Detail aus der Biographie von Spinoza erkannt werden, das weniger oft Beachtung findet, das aber für den Autor Ravitch, der sich mit der Philosophie des Spinoza ihrem Geiste nach, wie er sie versteht, auseinandersetzt und sie dementsprechend assimiliert, von Interesse ist: Spinoza soll oft mit großem Vergnügen zu seiner eigenen Unterhaltung das tödliche Geschehen beobachtet haben, das sich vollzog, wenn er eine Fliege zu einer von ihm in ein Glas gesetzten Spinne warf. Auch wenn die mitleidlose Haltung, die Spinoza Tieren gegenüber einnahm, durchaus als dem Zeitkontext entsprechend verstanden werden kann, so hat dieses Verhalten Ravitch irritiert, was z. B. auch die Aussagen nahelegen, die sich seinem, auch mit einer Weiterinterpretation der spinozanischen Philosophie in Verbindung gebrachten Vegetarismus verdanken, die, wie bereits dargelegt, auch im Kontext der Überlegungen zum Zweiten Tanach formuliert wurden. Jedenfalls scheint der Autor mit dem Titel die Widersprüche zwischen seinem eigenen Handeln und seinem seelischen Vermögen andeuten zu wollen, die – für Ravitch offensichtlich – auf ein Moment der (scheinbaren) Widersprüchlichkeit im Agieren von Spinoza hinzuweisen scheinen, für das die Spinne ein Zeichen sein kann. Der Aufsatz Nisht undzer got nor undzer mentsh führt einige Aspekte an, die die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der spinozanischen Theorie aus ihrem Geist erkennen lassen und damit dartun, dass eine neue Ethik und die Lebensweise nach ihr in der Theorie des Spinoza ihre Grundlegung hat, aber keinesfalls mit dieser zu einem Abschluss gekommen ist, sondern dass die kontinuierliche Weiterentwicklung durch sie begründet und gefordert ist. Ravitch nennt folgende Überlegungen der Spinoza „blondzshenishn“ („Irrungen“): So bezeichnet Ravitch z. B. den von Spinoza euphemistisch als scharfsinnigen Florentiner eingeschätzten Machiavelli als Zyniker. Er tadelt den Ausschluss von Frauen aus dem politischen Leben im idealen Staat, da ihnen, nach Spinoza, die Fähigkeit abgesprochen werden muss, frei mit ihrem Willen agieren zu können. Das Schweigen Spinozas zu Sklaverei führt Ravitch an, und insbesondere die im 37. Lehrsatz des Teil IV dargelegte Geringschätzung des Gedankens vom Mitgefühl Tieren gegenüber hält Ravitch für eine Irrung, von der er sagt: „a zakh, vos tut mir, a vegetarianer, bazunders tif vey.“ Ravitch führt weiter aus, dass Spinozas Perfektion darin bestand, die Perfektion anzustreben, „er hot gelernt, er hot eybik gelernt.“ Schließlich folgert er und findet darin Beruhigung, dass Spinoza die genannten Fehler in seinem Denken erkannt hätte, hätte er mehr Lebenszeit und damit mehr Zeit zur weiteren Durchdringung seiner Überlegungen gehabt. Vgl. Ravitsh, Nisht undzer got, S. 277.

  436. 436.

    Ravitsh, Lider, S. 67–68.

  437. 437.

    Ebd., S. 68–69.

  438. 438.

    Ebd., S. 68.

  439. 439.

    Hier ist das Gebet in der Variante mit den drei einleitenden Gott addressierenden Worten angegeben, die das Bekenntnis affirmieren. Diese Variante wird von einem allein Betenden gesprochen.

  440. 440.

    Dieses Gedicht spricht von einem allmählichen Wandel der Welt bzw. dem Wunsch des lyrischen Ichs, dass sich nach Hunderten von Jahren, in denen Autodafés vollzogen wurden, der spinozanische Gedanke allmählich Bahn brechen möge, die Erde in Licht erstrahlt und sie sich in eine dreitausend oder drei Millionen Jahre blühende Sonnenblume verwandelt und sich damit der Licht-Gedanke als Natur verwirklicht.

  441. 441.

    Das Gedicht drückt den intenisv gefühlten Wunsch nach Ruhe aus.

  442. 442.

    In diesem Gedicht aus dem Jahr 1918 spricht das lyrische Ich zu Moshe und Jesus, beide sind mit den ihrer Tradition entsprechenden Attributen ausgestattet, die zum Teil kritisch bewertet werden. Das lyrische Ich fordert beide auf abzutreten, da ihre Heilsversprechen nicht hinreichend sind: Das lyrische Ich setzt seinen Weg der Suche fort und gelangt, über die gesamte Erde wandernd, nach mehr als sechzehnhundert Jahren an den Punkt, da das Herz des Menschen mit Logik und mit scharfkantigen Worten und mit luziden, klaren, einfachen und tiefen menschlichen Gedanken sein Ziel erreicht und sich in der Ewigkeit verankert.

  443. 443.

    Ebd., S. 69–74.

  444. 444.

    Dieser in der zweiten Version verwendete Abschnittstitel deutet auf eine Spinoza und seine Philosophie sakral betrachtende Perspektive hin. Zudem ist mit dem Weihrauch auch das olfaktorische Moment angesprochen, mit dem auf eine von der Gedankenwelt des Spinozas ausgehende, ästhetische Wirkung angespielt wird, die ihrerseits Einfluss auf die Dichtung des Autors ausübte, wie es Melech Ravitch in dem Gedicht In likht zum Ausdruck bringt.

    Die zweite Version versammelt in diesem Abschnitt die Gedichte Hispayles (Begeisterung), Optimistish lid (Optimistisches Gedicht, – diesem Text entspricht in der dritten Version Hundert yorn, oytodafeen –, Derkentnish (Erkenntnis), Naylebn (Neuleben), Dos lid fun glik (Das Gedicht vom Glück), Ruh (Ruhe), In likht (Im Licht, – auch in der dritten Version In likht), Obhengikeyt (Abhängigkeit, – in der dritten Version Bashert is mir efsher), Kategorish lid (Kategorisches Gedicht) und Variant (Variante).

  445. 445.

    Ravitsh, Lider, S. 71–72.

  446. 446.

    „Abstrakt un din un hel vi a shtral iz Shpinozas filosofye.“ Vgl. Ravitsh, Nisht undzer got, S. 278.

  447. 447.

    Ravitsh, Lider, S. 71.

  448. 448.

    Ravitsh, Lider, S. 73–74.

  449. 449.

    Ravitsh, Nisht undzer got, S. 277.

  450. 450.

    Vgl. Volpe, Dovid E.: Mit Avrom Sutskever iber zayn lidervelt. Yohanesburg 1985, S. 192–193.

  451. 451.

    Vgl. Bass, Hyman: Oyf di vegn fun der yidisher literatur. Tel Aviv 1980, S. 517–518.

  452. 452.

    Nebo, Miriam: Die Shoa-Gedichte Avrom Sutzkevers und Rose Ausländers. Magisterarbeit (unveröffentlicht). Mainz 2003, S. 7. Der Autor und Kulturaktivist Shmerke Kaczerginski gibt in seinem Ondenkbukh ein Gespräch mit Sutzkever aus dem Ghetto wieder, in dem dieser über die Bedeutung spricht, die Sibirien für ihn hatte. Kaczerginski gehörte wie Sutzkever zur Partisanen-Organisation, beide beteiligten sich intensiv an der Kulturarbeit im Ghetto, und beide mussten auch für den Einsatzstab von Reichsleiter Rosenberg bei der Zusammenstellung von jüdischen Kulturgütern arbeiten, die nach Deutschland verschleppt, später für eine Erforschung des Judentums ohne Juden verwendet werden sollten. Sutzkever spricht über Sibirien wie folgt: „(…) dortn bin ikh shoyn oykh geven a shrayber, khotsh keyn lider hob ikh nit geshribn dan, ober in mayne demoltike iberlebungen bin ikh geven a fulshtendiker dikhter, di gantse sheynkayt fun der velt shtamt fun zibir“, zitiert nach Nadav, Mordekhai (Hg.): Avrom Sutskever. Tsum vern a benshivim. Yerusholaim 1993, S. 114. Ihren dichterischen Ausdruck findet die Bedeutung Sibiriens in dem Zyklus, in dem die Kindheit des Autors (dort) thematisiert wird und an dem er 1935 bis 1936 arbeitete. Unter dem Titel „Shtern in shney“ erschien dieser Titel als letzter Abschnitt in dem 1937 in Warschau erschienenen ersten Lyrikband Lider, nachdem zuvor bereits einige der Gedichte dieses Zyklus’ in der Zeitschrift der Inzikhisten in New York erschienen waren. Nach intensiver Überarbeitung veröffentlichte Sutzkever den Zyklus dann 1953 in einer neuen Ausgabe mit dem Titel Sibir, illustriert von seinem Freund Marc Chagall. Charakteristisch für diesen Zyklus ist das starke Hervortreten des visuellen Momentes. Dass Sutzkever seine Dichtung an der Malerei orientiert, ist ein Moment ihrer Modernität. Zur Thematik der Relation von Malerei und Lyrik vgl. Lamping, Dieter: Moderne Lyrik. Eine Einführung. Göttingen 1991, S. 72.

  453. 453.

    Sutzkever, Abraham: Geh über Wörter wie über ein Minenfeld. Lyrik und Prosa. Einleitung von Heather Valencia. Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Peter Cormans. Frankfurt, New York 2009, S. 45.

  454. 454.

    Besonders bekannte Texte aus dieser Zeit sind z. B. das im Februar 1943 fertiggestellte lange Gedicht „Kolnidre“ oder auch das Gedicht „Dos keyver-kind“.

  455. 455.

    Aaron, Frieda W.: Bearing the Unbearable. Yiddish and Polish Poetry in the Ghettos and the Concentration Camps. New York 1990, S. 27.

  456. 456.

    Dies findet sich beispielsweise in dem aus fünfzehn kurzen Texten bestehenden Zyklus Griner akvaryum, der zuerst 1953/1954 in Di goldene keyt und dann als kompletter Zyklus 1995 in dem Gedichtband  Ode tsu der toyb erschien.

  457. 457.

    Sutzkever bereiste beispielsweise 1950 den afrikanischen Kontinent; im Anschluss daran entstand 1950–1954 der umfangreiche Zyklus Helfandn bay nakht. Die bleibende und essentielle Bedeutung, die das Vernichtungsgeschehen für die Dichtung Sutzkevers hat, wird deutlich in dem auf das Jahr 1982 datierten und zu dem Band Lider fun togbukh gehörenden Gedicht: „S’ gehert tsu mir di opgehakte hant, vos krik mit yorn / gefunen hob ikh zi in gortn tsvishn pomidorn. / Un vayl zi iz a menerhant vos hot keyn balebos nit / gehert zi mir. A drite hant. Ikh shrayb on ir keyn os nit… tsu leyenen ir shrift iz nit genug tsu kenen yidish, ikh lern zikh aleyn ir loshn. Blondzshe um yekhidish / bay nakht oyf ire shtegelekh un fal oyf shtern un dorn, baginen ze ikh zi in tsrikhe tsvishn pomidorn // S’gehert tsu mr di opgehakte hant vos hot getsertlt, kon zany, a yunge froy, ven men hot ir balebos tsefertelt / Un ikh hob zi gefunen ven der man hot zi forlorn / September nayntsn eyn un fertsik tsvishn pomidorn.

  458. 458.

    Über die poetologische Funktion der eigenen Dichtung äußert sich Sutzkever wie folgt: „A dikhter tor keynem nit fartroyen zayne poetishe soydes – keynem nit – nor zayn lid.“ Vgl. Sutskever, Avrom: Togbukh-notitsn. In: Di goldene keyt 42 (1962). S. 164–167, hier S. 165.

  459. 459.

    Sutzkever, Minenfeld, S. 19.

  460. 460.

    Ebd., S. 47.

  461. 461.

    Valencia, Heather: ‘Bashtendikayt’ and ‘Banayung’. Themes and Imagery in the Earlier Poetry of Adam Sutzkever. Dissertation. Sterling 1991, S. 252–256.

  462. 462.

    Sutskever, Avrom: Yidishe gas. Nyu York 1948, S. 188–191. Ein großer Teil der in diesem Band versammelten Texte bezieht sich thematisch auf die drei Jahre, die Sutzkever noch in Europa verbrachte, bevor er nach Israel gelangte, das als Staat noch nicht gegründet war. In dieser Zeit verfasste er u. a. die autobiographisch ausgerichtete Darstellung Fun vilner geto 1941–1944 (Wilnaer Ghetto 1941–1944), entstanden in Moskau, sowie das in den Jahren 1945 bis 1947 geschriebene Epos Geheymshtodt. Zwischenstationen seiner Reise in Europa waren Moskau, Wilna, sein Aufenthalt in Nürnberg, um dort im Prozess auszusagen, Holland und Frankreich. Der Titel des Bandes kommt einer Beschwörung gleich. Das Titelgedicht „Yidishe gas“ („Jüdische Straße“) aus dem mit „Gezegenish“ („Abschied“) überschriebenen Abschnitt beschwört mit einer Geste des Abschiednehmens das Fortbestehen des jüdischen Volkes und der jiddischen Kultur im Moment, da Zerstörung und Vernichtung nur noch klaffende Leere hinterlassen, „bist nit fargangen. dayn pustkeyt iz ful.“ („du bist nicht untergegangen. Deine Leere ist angefüllt.). Weiterhin findet sich in dem Band ein Abschnitt mit einer Reihe von poetologischen Texten; dieser ist überschrieben „Fun antlofenem indzl“ („Von einer verlassenen Insel“). Ein weiterer Teil mit dem Titel „Sdom“ („Sodom“) enthält sehr seltene Tätergedichte: „Brandenburger toyer“ („Brandenburger Tor)“, „Oyfn mark“ („Auf dem Markt“), „Farn nirnberger tribunal“ („Vor dem Nürnberger Tribunal)“, „In straykhers palats“ („In Streichers Palast“), ebenso zwei an die Juden in Deutschland gerichtete Gedichte „Berliner yidn“ („Berliner Juden“) und „Tsu di yidn in daytshland“ („An die Juden in Deutschland“) und ein Gedicht über amerikanische Soldaten, „Dray negers“ („Drei Schwarze“). Weiter beinhaltet der Band einen Abschiedszyklus, an Polen gerichtet „Tsu Poyln“ („An Polen“) mit Bezugnahme auf das sehr bekannte Gedicht „Hymn“ von Julius Słowaki. Zum Aspekt des Themas von jiddischen Autoren und ihrer Beziehung zur polnischen Literatur vgl. Adamczyk-Garbowska, Monika: „I Know Who You Are, But Who I Am – You Do Not Know …“: Reading Yiddish Writers in a Polish Literary Context. In: Shofar 29/3 (2011). S. 83–104. Der letzte Abschnitt des Bandes ist überschrieben „A flash mit nemen“ („Eine Flasche mit Namen“); darin findet sich ein Zyklus über Paris und der Spinoza-Text. Die Überschrift ist gleichzeitig der Titel des auf den kommenden Band und des auf die neue Zeit in einem anderen Land hinweisenden Schlussgedichtes. In diesem wird die Vorstellung von einer Flaschenpost entwickelt, mit der eine Botschaft aus einer anderen (untergegangenen) Welt, aber buchstäblich auch über das Wasser weitergegeben wird: Diese Flasche ist „a henglbrik (farvarft zi) iber thomen“. Das Andenken an Spinoza wird mit in diese neue Welt hinübergenommen, wobei der Gedanke des Andenkens auch die Vorstellung von der Zugehörigkeit der Erinnerten zu einer vergangenen, untergegangenen Zeit und Epoche evoziert.

  463. 463.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  464. 464.

    Ebd.

  465. 465.

    Ebd.

  466. 466.

    Bis zu Beginn der vierziger Jahre, insbesondere in dem Band Valdiks sind Sutzkevers Ansichten über Dichtung und die Rolle des Dichters stark von romantischen Einflüssen, vor allem von solchen der polnischen Literatur geprägt, und ohne diesen Kontext können auch die Gedichte der Verfolgungszeit nicht adäquat eingeschätzt werden. Vgl. Novershtern, Avrom: Der nartsis un der regn. In: Sadan, Dov u. a. (Hgg.): Yikhes fun lid. Yikhuso shel shir. Lekoved Avrom Sutskever. Tel Aviv 1983. S. 187–211, hier S. 191. Bei Professor Krydel hatte Sutzkever als freier Zuhörer an der Universität in Wilna Vorlesungen über die polnische Romantik gehört, Sutzkever hatte außerdem den wichtigen polnischen Autor und Maler Cyprian Norwid ins Jiddische übersetzt und diesem ein längeres Gedicht gewidmet.

  467. 467.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  468. 468.

    Ebd. Mit dem Blühen der Buchstaben wird gleichzeitig auch ihre Bedeutung in der kabbalistischen Tradition angespielt; jeder (lebendige) Buchstabe ist gemmatrisch verstanden auch Zeichen, Bedeutungsträger eines verborgenen Sinns. Zum Aspekt kabbalistischer Elemente bei Avrom Sutzkever vgl. Lipiner, Elyohu: An alef-beys fun tsvey un tsvantsik fligl. In: Sadan, Dov u. a. (Hgg.): Yikhes fun lid Yikhuso shel shir. Lekoved Avrom Sutzkever. Tel Aviv 1983. S. 147–166, hier S. 149. In vielen seiner späteren Gedichte treten immer wieder und besonders im Zusammenhang mit Khurbn und Oyfkum Vorstellungen eines kabbalistischen Sprachverständnisses auf. Das hier aufgerufene Bild der blühenden Buchstaben kann auch im Zusammenhang mit der fast zeitgleich mit dem Erscheinen der spinozanischen Theorie einsetzenden Deutungstradition verstanden werden, nach der die Theorie Spinozas als (stark) kabbalistisch beeinflusst gesehen wird. Vgl. Bann, H. W.: Spinoza and the Kabbalah. In: Hessing, Siegfried (Hg.): Speculum Spinozanum. London 1977. S. 108–118.

  469. 469.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  470. 470.

    Zur Spinoza-Rezeption in der Romantik vgl. Bollacher, Martin: Der Philosoph und die Dichter. Spiegelungen Spinozas in der deutschen Romantik. In: Delf, Hanna u. a. (Hgg.): Spinoza in der europäischen Geistesgeschichte. Berlin 1994. S. 275–288, hier S. 280.

  471. 471.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  472. 472.

    Ebd.

  473. 473.

    Ebd.

  474. 474.

    Bei aller Wertschätzung seitens einiger Dichtungtheoretiker der Romantik stieß die systematische Form des Denkens von Spinoza auf Ablehnung, da es fixierend, statisch sei, wie Bollacher auf Schlegel verweisend anführt. Vgl. Bollacher, Der Philosoph und die Dichter, S. 278.

  475. 475.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  476. 476.

    Ebd.

  477. 477.

    Ebd.

  478. 478.

    Ebd.

  479. 479.

    Ebd.

  480. 480.

    Die Texte der Vorkriegszeit, insbesondere die des Bandes Valdiks sind zu einem großen Teil einem (neo-) romantischen Kontext zuzuordnen.

  481. 481.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 188.

  482. 482.

    Valencia, Bashtendikayt and Banayung, S. 252–256.

  483. 483.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 189.

  484. 484.

    Ebd.

  485. 485.

    Ebd.

  486. 486.

    Es sind im Wesentlichen drei Kategorien, in die sich die Gedichte dieser Zeit (thematisch) einteilen lassen: Zum einen sind es auf eine bestimmte Situation oder Person bezogene Gedichte, die dabei eine Auseinandersetzung mit den physischen oder moralischen Problemen dieser Situation ansprechen; weiterhin sind es poetologische Texte, die sich mit dem Wert und der moralischen Rechtfertigung der Dichtung und der Rolle des Dichters in dieser bestimmten Zeit beschäftigen. Als letztes gibt es deklamatorische Ansprache-Gedichte an das jüdische Volk. Vgl. Valencia, Bashtendigkayt and Banayung, S. 252–256.

  487. 487.

    Diese findet sich beispielsweise besonders eindringlich in den Gedichten „Tsum kind“ und „Tsum khaver“. Zum letzteren vgl. Hirsch, David H.: Abraham Sutzkever’s Vilna Poems. In: Modern Language Studies. Vol.16 (1986). S. 37–51, hier S. 44–46.

  488. 488.

    Es finden sich eine Reihe von Gedichten, die sich (implizit) an Gott richten, so etwa „Glust zikh mir tsu ton a tfile“ und „Unter dayne vayse shtern“.

  489. 489.

    Valencia, Bashtendikayt and Banayung, S. 252–256.

  490. 490.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 189.

  491. 491.

    Valencia, Bashshtendikayt and Banayung, S. 252–256.

  492. 492.

    Neben der überwältigend schönen Natur Sibiriens war es auch die Musik, das Violinspiel seines Vaters, das eine große Bedeutung für das Erwachen der poetischen Kreativität von Avrom Sutzkever hatte. Das 1936 entstandene Gedicht „In khuter“ (In der Hütte), das in den Kontext der Gedichte gehört, in denen die Kindheitserlebnisse in Sibirien thematisch sind, spricht von dem Zusammenhang der Musik, der Töne und dem Schnee: „S’fidle fun vant. Und din-din-din / shneyklangen faln oyf mayn kop“. Das Kompositum „shneyklangen“ erzeugt einen synästhetischen Effekt. Das Bild lautlos fallenden Schnees wird mit der Vorstellung des tönenden Klangs verbunden, der Ton der zarten Klänge, die auf den Kopf des Kindes fallen, trägt die Farbe des Schnees – klingender Schnee und weiße Töne. Das Gedicht spricht weiter von der großen Anziehungskraft und der Vitalität der Musik, denn durch das mit Eis wie einem Pelz beschlagene Fenster nimmt ein Wolf Witterung zum „flaysh fun der muzik“ auf, da er ihrer Anziehungskraft nicht widerstehen kann.

  493. 493.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 190.

  494. 494.

    Ebd.

  495. 495.

    Die Gedanken Spinozas erscheinen dabei in der Farbe ‚Gold’, die in vielen berühmten Bildern Rembrandts zentral ist.

  496. 496.

    Rembrandt und Spinoza haben sich nicht gekannt, beide fanden sich aber in der Situation des Außenseiters wieder, denn im selben Jahr, in dem der Bann über Spinoza verhängt wurde, verlor der Maler sein Haus durch Versteigerung und wurde damit gesellschaftlich deklassiert. Karl Jaspers stellt Ähnlichkeiten und Unterschiede in ihrem Schaffen wie folgt heraus und nennt auch den Punkt, an dem die Malerei die Philosophie vollendet: „Beide haben sie aus dem Äußersten die Helle ihrer Metaphysik gewonnen (…). Was Rembrandt im geschaffenen Bild sah, (…) das sah Spinoza nicht. Spinoza ist ohne Anschauungskraft: seine Denkfiguren selber haben keine plastische Kraft der Chiffern. (…) Der Sinn seines Denkens traf das untilgbar Übergeordnete, das Unveränderliche, Unantastbare, das in Rembrandts Werk der verborgene Führer ist, aber nicht hervortritt, da es in kein Bild und Gleichnis eingeht, während Bild und Gleichnis doch so umgängliche, so hinreißende Sprache sind, wenn sie die Sprache Rembrandts haben.“ Jaspers, Philosophen, S. 870. Jaspers führt auch an, dass Rembrandt etwas sah und darstellte, das Spinoza nicht sah, an dem er aber Anteil hatte. Nach Jaspers gelang es Rembrandt, die „ursprüngliche Gottesgewißheit“, die selten ist, aber am „leibhaftesten“ bei Juden hervortritt, in seinen Porträts jüdischer Menschen deutlich zu machen. Ebd., S. 870–871.

  497. 497.

    Sutskever, Yidishe gas, S. 190.

  498. 498.

    Heute kann man auf der Gedenktafel auf dem Grab von Spinoza lesen: „Diese Erde birgt die Gebeine Benedictus de Spinozas, die einst in der neuen Kirche beigesetzt waren.“

  499. 499.

    Sutskever, Ebd., S. 191.

  500. 500.

    Ebd., S. 191.

  501. 501.

    Ebd.

  502. 502.

    Ebd.

  503. 503.

    Ebd.

  504. 504.

    Ebd.

  505. 505.

    Zu den Lebensdaten von Rose Ausländer vgl. Braun, Helmut: „Ich bin fünftausend Jahre jung“. Zur Biographie von Rose Ausländer. Stuttgart 1999, S. 201–206. Ebenso Helfrich, Cilly: „Es ist ein Aschensommer in der Welt“. Rose Ausländer. Biographie. Weinheim, Berlin 1995, S. 356–360.

  506. 506.

    Constantin Brunner, 1862 in Altona als Arjeh Yehuda Wertheimer geboren, gehörte zu einer prominenten Familie in Hamburg, sein Großvater war Oberrabbiner von Schleswig–Holstein. Constantin Brunner hatte, ohne mit einer Dissertation abzuschließen, Philosophie, Vergleichende Religionswissenschaft und später noch Geschichte studiert. Einer seiner wichtigsten Themen war die Problematik des Antisemitismus und die damit verbundene Frage nach der „Möglichkeit einer jüdischen Emanzipation in Deutschland“. Brunner vertrat den Gedanken von einer aktiven und wahren Philosophie im Sinne einer Lebensphilosophie. „Brunner schwärmte für einen durch Moses, Sokrates, Buddha und Jesus repräsentierten Typus, wie er ihn auch in Spinoza erkennt.“ Brunner war als Literaturagent tätig und arbeitete 13 Jahre an seinem Hauptwerk „Die Lehre von den Geistigen und vom Volk, ein[em] Werk, dessen Vektoren ins Werk Spinozas fuhren. Vgl. Hainz, Martin A.: Ein Dialog – Constantin Brunner und Rose Ausländer. In: Braun, Helmut: „Mein Heiliger heißt Benedict“. Rose Ausländer und die Philosophie. Weilerswist 2016. S. 47–65, hier S. 48–49.

  507. 507.

    Ausländer, Rose: Gesammelte Werke in sieben Bänden mit einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Band 3. Frankfurt am Main 1985, S. 284–288. Die Gesamtausgabe wird folgend unter GW zitiert.

  508. 508.

    Ausländer, GW, Bd. 3, S. 285.

  509. 509.

    Es ist u. a. Brunners Gedanke von der Bewegung als der Ursache für die „Wesensverwandtschaft alles Seienden“, mit dem dieser Denker den kosmischen Zusammenhang begründet. Zudem ist – nach ihm – außer dieser Form der Bewegung nichts für das Denken vorhanden. Vgl. Reiter, Gerhard: Das Eine und das Einzelne. Zur philosophischen Struktur der Lyrik Rose Ausländers. In: Braun, Helmut (Hg.): Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main 1991. S. 154–197, hier S. 155. Der Gedanke der „Dynamologie“ ist ein Aspekt, dem Rose Ausländer in vielen ihrer Gedichte auf unterschiedliche Weise Ausdruck verleiht. Vgl. Hainz, Ein Dialog, S. 56.

  510. 510.

    Maria Kłańska spricht von einer „weltanschaulichen Kohärenz“ im Werk der Dichterin, die im Wesentlichen auch nicht durch die Erfahrungen der Verfolgungszeit und ihres mehrfachen Exils erschüttert wird. Vgl. Kłańska, Maria: Spinoza und seine Philosophie im Schaffen der deutschsprachigen Dichterin Rose Ausländer. In: Forum Philosophicum 16/2 (2011). S. 111–119, hier S. 116.

  511. 511.

    Vgl. Ausländer, Rose: Zum 28. August 1943. In: Braun, Helmut (Hg.): Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main 1991. S. 61–63.

  512. 512.

    Ausländer, Zum 28. August 1943, S. 61.

  513. 513.

    Ebd.

  514. 514.

    Zum Begriff „Das Denkende“ als einem zentralen Begriff im Konzept von Constantin Brunner vgl. Zimmer, Robert: Philosophische Randspuren in der Dichtung Rose Ausländers. In: Braun, Helmut (Hg.): „Mein Heiliger heißt Benedict“. Rose Ausländer und die Philosophie. Weilerswist 2016. S. 95–119, hier S. 98.

  515. 515.

    Ausländer, Zum 28. August 1943, S. 61.

  516. 516.

    Ausländer, GW, Bd. 5, S. 172.

  517. 517.

    Vgl. Hainz, Ein Dialog, S. 56.

  518. 518.

    Ausländer, Zum 28. August 1943, S. 62. Ausländer greift aber einen anderen Aspekt der Affekten-Lehre Spinozas auf, wenn sie an gleicher Stelle „Philosophie, Kunst und Mystik als die drei großen Passionen“ bezeichnet, „die [als] Erzieher der kleineren Passionen“ fungieren. Sie bezieht sich damit auf E4, P7: Affectus nec coerceri nec tolli potest, nisi par affectum contrarium et fortiorem affectu coercendo. (Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden als durch einen Affekt, der dem zu hemmenden Affekt entgegengesetzt und stärker ist als dieser ist.).

  519. 519.

    Ausländer, Zum 28. August 1943, S. 62.

  520. 520.

    Rose Ausländer hält auch nach der Schoa an den Vorstellungen der traditionellen Ästhetik fest, in der die Begriffe Wahrheit und Schönheit bedeutend und verbunden sind, sie bleibt damit auch bei der Vorstellung von einer ästhetisch-schönen Dichtung fest. So schreibt sie in ihrem vom 18. März 1958 datierten Brief an Paul Celan: „Ich aber glaube, dass der Schönheitsbegriff nur verschoben, nicht aufgehoben wurde. Ich finde, dass wir ein Kunstwerk als Erleuchtung, ja als Wunder erleben, […] Ich habe Ihre Dichtung immer – auch die letzten abstrakten Gedichte – als Schönheit UND Wahrheit empfunden.“ Vgl. Brief vom 18. März 1958, zitiert nach Firges, Jean: Das Verhältnis Rosa Ausländers und Paul Celans zum Chassidismus. In: Gans, Michael u. a. (Hgg.): „Wörter stellen mir nach, ich stelle sie vor“: Dokumentation des Ludwigsburger Symposiums 2001: „100 Jahre Rose Ausländer“. Baldmannsweiler 2002. S. 155–159, hier S. 158. Dieses Verständnis findet sich auch in einigen Gedichten, z. B. in dem in der Zeit 1983–1987 entstandenen. In: Ausländer, GW, Bd. 7, S. 74: „Laß mich / dir entgegenblühn / Schönheit // Es heißt blühn und sterben“. Das lyrische Ich richtet seine Sehnsucht auf die Schönheit, indem es diese ansprechend, in der Bewegung, die Blühen ist, sich – einer Pflanze gleich, die sich zur Sonne richtet – der „Schönheit“ zuwendet. Mit dem Verbum „blühn“ identifiziert sich das Ich mit der Fähigkeit einer Pflanze; zugleich bezeichnet es ein intensiviertes Leben, das mehr als ein biologisches Leben ist, denn mit ihm ist auch Schönheit konnotiert. Dieses Leben steht daneben auch in Bezug zum Sterben, das als zweites Moment der Bewegung, dem Blühen, gegenübergestellt ist. In einem zweiten Gedicht ist auf die Verbindung von Schönheit und dem Absoluten verwiesen, vgl. Ausländer, GW, Bd. 7, S. 85: „Die bunte Rosette / von Chartres // Der Schönheit / ins Auge schauen“. Hier ist die Schönheit der Fensterrosette der Kathedrale von Chartres gemeint, die ein eindrucksvolles Kunstwerk ist. Die auf diesem Fenster dargestellten Motive und ihre farbliche und formale Schönheit verweisen im sakralen Raum auf ein Absolutes. Ein weiteres Gedicht aus demselben Zeitraum spricht von der Wahrheit, vgl. Ausländer, GW, Bd. 7, S. 83: „Du bist / unwiderstehlich / Wahrheit. // Ich erkenne dich / und nenne dich / Glück“. Das lyrische Ich spricht hier zur Wahrheit, von der – in Urteilsform – Unwiderstehlichkeit und Notwendigkeit ausgesagt ist. Das lyrische Ich konstatiert, diese zu erkennen, und indem es die Wahrheit als Glück bezeichnet, ist auf die Vorstellung von der spinozanischen Glückseligkeit verwiesen, die mit der höchsten Erkenntnis verbunden ist. Die vielschichtige Problematik, die für dichterisches Sprechen mit dem Ereignis der Schoa grundsätzlich entstanden ist – unabhängig davon, ob dieses Sprechen das Ereignis thematisiert –, wird in dem Gedicht Rückblick aus dem Zeitraum 1977–1979 deutlich, wie die Vorstellung der Schönheit, an der die Dichterin festhält, gleichzeitig fundamental in Frage gestellt ist. Vgl. Ausländer, GW, Bd. 5, S. 163: „Schön der Mensch / wer leugnets // Schön / sein aufrechter Gang / seine Augen genialer Maler / sein Wortschatz // Gefühl aus Feuer und Eis / helle und dunkle Gedanken / helle und dunkle Absichten // Schön der Mensch / wer leugnets // Sein Drang zu schaffen / Menschen zu schaffen / Menschen aus der Welt zu schaffen // Mit schönen Händen / Städte bauend / Häuser mit mächtigen Öfen // Wer leugnets / daß der helle Menschenverstand / stehnbleibt / vor den mächtigen Öfen / der schönen Menschen“

  521. 521.

    Zimmer, Philosophische Randspuren, S. 101.

  522. 522.

    Der Interpret Zimmer nennt als einen wichtigen Aspekt der Interpretation Platons durch Rose Ausländer, von ihr in ihrem wohl als Seminararbeit verfassten Phaidros-Aufsatz aus dem Jahr 1920 entwickelt, ihre Neubewertung der (Dicht-)Kunst: „Die Dichterin identifiziert die platonische Indienststellung des Schönen, der Kunst und der Rhetorik zugunsten der Wesenserkenntnis des ‹Wahren› mit der Brunner’schen Einheitserfahrung, in der die Kunst einen eigenständigen systematischen Platz an der Seite der Philosophie hat.“ Ebd. Die Abwertung der Kunst durch Platon, wie dies in der Politeia dargelegt ist, steht der Bedeutung entgegen, die Brunner der Kunst gibt, und an der sich Rose Ausländer orientiert. „Sie ist vor allem an dem Teil der platonischen Philosophie interessiert, der sich mit der Beziehung zwischen Eros und Kunst und deren philosophischer Erkenntnisfunktion beschäftigt.“ Ebd., S. 100. Ausländer interpretiert Platon im Sinne des Monismus von Spinoza-Brunner, „obwohl Platons Denken mit der eindeutigen Trennung zwischen Wahrnehmungswelt und Ideenwelt dualistisch angelegt ist.“ Ebd., S. 101. Sie schreibt in ihrem Aufsatz: „Wenige können den wahren Allzusammenhang erfassen, das absolute Sein klar denken. Doch alle waren im Himmel und hatten einen Blick in den überhimmlischen Raum geworfen. (…) Aus diesem Mythos steigt der Wunderbaum der platonischen Lehre empor: Stamm ist die Grund-Konzeption, die Idee der Ideen, das Seiende, die Substanz, der außerhimmlische Ort. Die Äste sind die Ideenlehre, das Gattungsdenken (die Attribute). Das Laub sind die Individualitäten der unendlichen Einzeldinge, Modi und Einzelseelen, deren jede menschliche ihren Beruf, d. h. ihre besondere Anlage mit auf diese Welt bringt.“ Braun, Materialien, S. 43. „Also die Idee des Guten wird mit Spinozas ››Substanz‹‹ und damit auch mit dessen Gottesbegriff identifiziert und die platonische Liebe, die eine Lösung von sinnlicher Erfahrung und eine Hinwendung zur geistigen Ideenschau meint, wird [bei Rose Ausländer – ergänzt M. N.] zum spinozistischen ‹‹Amor Dei›› im Sinne einer pantheistischen mystischen Einheitserfahrung (…)“, so Zimmer, Philosophische Randspuren, S. 101. Die Verbindung – die keine platonische ist – besteht für die Dichterin darin, dass „der tiefer von der Liebe Berührte über das Liebesobjekt hinaus in einen Seligkeitsrausch [gerät], in dem er sich wundersam mit allem Seienden verschmolzen fühlt“. Vgl. Braun, Materialien, S. 44. Vgl. das Gedicht Amor Dei aus der frühen Werkphase, es verbindet diese Bedeutungsebenen und spielt mit seinem Titel auf einen zentralen Begriff Spinozas an, und es verweist mit den Begriffen „Leib“ und „Geist“ auch auf die beiden Attribute Ausdehnung und Denken. Es lässt aber gleichzeitig mit dem Personalpronomen „Er“ ein personales Gottesverständnis anklingen, das im Gedicht zudem pantheistisch gezeichnet ist und zu dem auch die zuvor genannte Art der Verschmelzung gehört.

  523. 523.

    In den zu ihrer frühen Schaffensphase gehörenden Sonetten Die Schönheit und Liebe zur Schönheit finden sich einige „ganz authentische platonische Elemente“. Vgl. Zimmer, Philosophische Randspuren, S. 103. Das erste Gedicht spricht von der Schönheit, die nur intuitiv, visionär schauend erfasst werden kann, da die Möglichkeiten des Verstandes nicht hinreichend sind, ihr Wesen zu erfassen. Zudem unterscheidet sie sich als vollkommene Einheit vom einzelnen schön Seienden, da ihr kein Mangel eignet. Das zweite Gedicht vermittelt die Ewigkeit der Idee der Schönheit, wobei diese – von Platon abweichend – in dem Gedicht mit dem Kunstwerk identifiziert wird. Vgl. ebd., S. 102–103.

  524. 524.

    Ausländer, Zum 28. August 1943, S. 63.

  525. 525.

    Vgl. Ausländer, Rose: Zur Spinoza-Festschrift. In: Braun, Helmut (Hg.): Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main 1991. S. 58–60.

  526. 526.

    Behre, Maria: Dichtung als Traumwirklichkeit – Die Poetologie Rose Ausländers auf der Basis der Philosophie Spinozas. In: Braun, Helmut (Hg.): „Mein Heiliger heißt Benedict“. Rose Ausländer und die Philosophie. Weilerswist 2016. S. 67–93, hier S. 70.

  527. 527.

    Rolland, Romain: Der Lichtstrahl Spinozas. In: Spinoza-Festschrift. Hg. von Siegfried Hessing. Zum 300. Geburtstage Benedict Spinozas (1632–1932). Heidelberg 1933. S. 173–182.

  528. 528.

    Ausländer, GW, Bd. 5, S. 263.

  529. 529.

    Das aus der Zeit ab 1927 stammende, aber erst 1985 erschienene, in jambischer Form verfasste und neoromantische Bilder verwendende Gedicht Spinoza I führt biographische Details an, wie die Anfeindung Spinozas, den Bann und seinen Ausschluss aus der Gemeinde. Diesen Einzelheiten wird ein Bild des Philosophen gegenübergestellt, das ihn gleich einem Heiligen als arm, demütig und bescheiden zeichnet. Mit den einleitenden und den das Gedicht beschließenden Versen ist das Gedicht als ein Gedenkgedicht charakterisiert. Zunächst gedenkt ein lyrisches Ich des Philosophen: „Des Meisters denk ich, adelig und schlicht, / aus dessen Wort die Stimme Gottes spricht.“ Im Abschluss wird ein Kollektiv zum Gedenken aufgerufen: „Des Meisters laßt uns denken überm Grab, / der seines Werkes Edelstein uns gab!“, vgl. Kłańska, Spinoza und seine Philosophie, S. 115–116.

  530. 530.

    Ausländer, GW, Bd. 4, S. 25.

  531. 531.

    Behre, Dichtung als Traumwirklichkeit, S. 77.

  532. 532.

    Zur Problematik der Schoa-Literatur Lamping, Dieter: Sind Gedichte über Auschwitz barbarisch? Über die Humanität der Holocaust-Lyrik. In: Ders.: Literatur und Theorie. Poetologische Probleme der Moderne. Göttingen 1996. S. 100–118.

  533. 533.

    Ausländer, GW, Bd. 2, S. 266.

  534. 534.

    Ebd.

  535. 535.

    Ebd.

  536. 536.

    Nebo, Die Shoa-Gedichte, S. 62.

  537. 537.

    Ebd.

  538. 538.

    Ebd. Dieser Gedanke findet sich beispielsweise auch in dem Gedicht Strand im August, in dem das lyrische Ich an einem unbeschwerten Tag am Meer in den schönen angespülten Muscheln die Toten schimmern sieht. GW, Bd. 3, S. 128.

  539. 539.

    Nebo, Shoa-Gedichte, S. 62.

  540. 540.

    Ebd. Da die Sprache nach dem Geschehen von Auschwitz „ihrer Darstellungsfunktion in toto nicht mehr gerecht werden kann“, denn „die Inkongruenz von Sprache und Wirklichkeit lässt sich nicht [mehr] überbrücken“, setzt in der Dichtung von Rose Ausländer eine Entwicklung hin zur „Wortdichtung“ ein. Unter ihr versteht die Interpretin Rugart eine Auslotung des Wortes, in deren Folge ihre Gedichte „wortärmer, fragmentarischer werden, die Syntax zunehmend aufgelöst wird und die Sprachreflexion in den Vordergrund tritt. Vgl. Rugart, Claudia: Der Holocaust in der Lyrik Rose Ausländers. Genese einer poetischen und poetologischen Auseinandersetzung. In: Braun, Helmut (Hg.): „Mutterland Wort“. Rose Ausländer 1901–1988. Düsseldorf 1996. S. 211–247, hier S. 234–242.

  541. 541.

    Besonders eindringlich stellt Rose Ausländer das Leuchten des Wortes in ihrem Gedicht In Memoriam Paul Celan heraus, erstmals 1970 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen, vgl. Ausländer, GW, Bd. 3, S. 138. Es ist ein Gedicht, mit dem sie zugleich einen Kommentar zu der Dichtung Celans schreibt, aber auch einen Aspekt der Poetologie ihrer eigenen Dichtung, insbesondere im Kontext der Schoa deutlich macht:

    In Memoriam Paul Celan / „Meine blonde Mutter / kam nicht heim“ / Paul Celan // Kam nicht heim / die Mutter // nie aufgegeben den Tod // vom Sohn genährt / mit Schwarzmilch // die hielt ihn am Leben / das ertrank / im Tintenblut // Zwischen verschwiegenen Zeilen / das Nichtwort / im Leerraum / leuchtend

    Das Gedicht zielt auf die Bestimmung eines Wortes, des „Nichtwort[es]“. Dessen Charakter wird dialektisch gedeutet. Das Gedicht Ausländers bezieht sich auf Paul Celans frühes Gedicht Espenbaum, es verweist indirekt auf die Posaunenstelle, wie Hainz darlegt. Meiner Ansicht ist es aber auch auf Engführung bezogen. Das Gedicht thematisiert die Problematik von Celans poetischer Existenz. „Es handelt von der Sprache bzw. dem Wort vor dem Hintergrund von Auschwitz und ist gleichzeitig in doppelter Hinsicht auch Totengedenken: Es erinnert zum einen – mit dem intertextuellen Bezug – direkt an die ermordeten Opfer bzw. an ein Opfer, zum anderen spricht es von dem Überlebenden-Opfer, dem Dichter, der in Folge von Auschwitz [im Schreiben darüber] zu Tode kommt.“ Das Gedicht endet aber nicht mit der Leere, dem Nichts, vielmehr bleibt ein Leuchten des paradoxen ‹‹Nichtwort[es]›› zurück. „Die Rede von ‹‹verschwiegenen Zeilen›› der sich [anschließenden] sechsten Versgruppe spricht von Gedichtzeilen und deren Text, der seinen Inhalt aber verschweigt. Zwischen diesen „verschwiegenen Zeilen“, demnach nicht in dem verschwiegenen Text, sondern eben in einer weiteren nicht zu lokalisierenden Zwischenebene hat das ‹‹Nichtwort›› seinen Ort in einem ‹‹Leerraum››. Mit den beiden Komposita ‹‹Nichtwort›› und ‹‹Leerraum››, die das Wesen des Wortes und seinen Ort bestimmen, ist es auf zweifache Weise als paradox charakterisiert, wobei sich die Paradoxa noch verstärken. Das erste Lexem des Kompositums „Nichtwort“ versieht die Bedeutung des zweiten mit einem Minuszeichen, hebt sie quasi auf. Gleichzeitig liegt aber eben genau in dieser dialektischen Bestimmung das Wesentliche dieses Wortes begründet, das sich sozusagen einem unendlichen Prozess von Setzen und Aufheben verdankt.

    Entscheidend ist aber der Abschluss des Gedichtes, denn dieses Wort, das keines-eines ist, das sich in einem leeren Raum, zwischen Zeilen, die das, was sie sagen, verschweigen, hält, ist „leuchtend“. Mit diesem durativen Partizip Präsens ist die Dauer der Leuchtkraft, die von diesem Wort ausgeht, festgehalten. Die Aussage über die Dauer wird formal durch die Alliteration von „Leerraum“ und „leuchtend“ noch verstärkt. Dieses Wort ist wahrnehmbar, es ist hell und erhellt. Indem das Gedicht mit der prädikativen Bestimmung „leuchtend“ endet, setzt Ausländer einen positiven Kontrapunkt.“ Vgl. Nebo, Shoa-Gedichte, S. 65–68. Sie bestätigt damit ihren Glauben an das weiterbestehende Vermögen des Wortes und die von dem Ereignis der Schoa letztlich nicht veränderte Kraft des Leuchtens, das sie dem Wort Celans zuspricht.

  542. 542.

    Ausländer, GW, Bd. 4, S. 146.

  543. 543.

    Ausländer, GW, Bd. 7, S. 150.

  544. 544.

    Zu Deutungsansätzen für dieses Gedicht vgl. Behre, Dichtung als Traumwirklichkeit, S. 84–85.

  545. 545.

    Um nicht mit dem Autor Moshe L. Halpern verwechselt zu werden, hatte der Autor seinen ursprünglichen Namen Leyvik Halpern zu (jiddisch) H. Leyvik geändert. Eine kurze, verdichtete biographische Darstellung über ihn verfasste Charles A. Madison, eine umfassende Biographie neueren Datums liegt bisher nicht vor. Vgl. Madison, Charles B.: Yiddish Literature. Its Scope and Major Writers. New York 1968, S. 348–381. Zu biografischen Angaben, dem Nachweis zu seinen Werken wie auch zu Monographien und Aufsätzen der Sekundärliteratur vgl. LNYL, Bd. 5. S. 107–128.

  546. 546.

    Gilman, Ernest B.: Yiddish Poetry and the Tuberculosis Sanatorium 1900–1970. New York 2015, S. 85.

  547. 547.

    Ebd.

  548. 548.

    Zum Verhältnis von H. Leivick und der Gruppe Di yunge vgl. Goldsmith, Emanuel S.: Leivick’s Quest. On the Centenary of his Birth. In: Jewish Book Annual 45 (1987–1988/5748). S. 79–98, hier S. 88–90.

    Zur Darstellung der Gruppe „Di yunge“ vgl. Wisse, Ruth: Di Yunge and the Problem of Jewish Aestheticism. In: Jewish Social Studies 38, 3/4 (1976). S. 265–276.

  549. 549.

    Chametzky, Jules u. a. (Hgg.): Jewish American Literature. A Norton Anthology. Syracuse (N. Y.) 2001, S. 283.

  550. 550.

    Harshav, Benjamin; Harshav, Barbara: American Yiddish Poetry: A Bilingual Anthology. Berkeley u. a. 1986, S. 675.

  551. 551.

    Harshav, American Yiddish Poetry, S. 676–677.

  552. 552.

    Vgl. LNYL, Bd. 5, S. 115.

  553. 553.

    Harshav, American Yiddish Poetry, S. 676. Gershon Winer spricht von der besonderen Rolle, die einige der jiddischen Dichter für die Angehörigen einer Generation einnahmen, die den Chassidismus hinter sich gelassen hatten und die mit ihrem Bedürfnis, Orientierung zu finden, auf diese Dichter schauten. Leivick war für sie somit weit mehr als nur ein Autor. In der hebräischen Literatur sieht Winer Ahad Ha-Am und Hayim Nahman Bialik, in der jiddischen Literatur sieht er Yitskhok Leybush Peretz und Leivick in dieser Rolle. Vgl. Veyner, Gershn: Mistik und metafizik in Leyviks lid. In: Ders. (Hg.): Shtudyes in Leyvik. Forshungen vegn zayn lebn un shafn geleyent oyf dem simpozyum in Bar-Ilan universitet tsum dikhters hundertyorikn geboryntog. Ramat-Gan 1992. S. 90–96, hier S. 90.

  554. 554.

    Veyner, Shtudyes in Leivik, S. 92. Erstmalig wurde das Drama 1925 von dem Habimah Ensemble in Moskau in hebräischer Sprache, 1927 erstmals in jiddischer auch in Moskau und 1928 in polnischer Übersetzung in Lublin aufgeführt. 1929 folgte eine Aufführung in einer englischen Version und 1962 dann eine Präsentation in einer Bearbeitung als Oper in englischer Sprache in New York. Zur Listung der Aufführungen seiner dramatischen Werke vgl. ebd., S. 201–202.

  555. 555.

    Auch der Autor Yehoash hielt sich über lange Zeit, insgesamt neun Jahre, im JCRS auf. „The leisure afforded by life in the JCRS accounts in part for this extraordinary activity. In New York, the writer had been forced to support himself by odd jobs.“ Yehoash nahm während dieses langen Aufenthalts eine Reihe von wichtigen literarischen Projekten in Angriff bzw. brachte einige von ihnen auch zum Abschluss: Dazu gehörten seine Übersetzung der Bibel in die jiddische Sprache; er erstellte weiter ein neues jiddisches Lexikon, das gegenüber dem monumentalen Werk von A. Harkavy einen neuen Ansatz bot. Der erste Band seiner gesammelten Gedichte wurde in Zusammenarbeit mit Dr. Spivak erstellt, dem Gründer des Sanatoriums. Ebenso verfasste der Dichter eine Übersetzung von Longfellow’s Hiawatha in die jiddische Sprache. Yehoash hatte aber auch eine führende Rolle bei der Gründung des Sanatoriums eingenommen, da er intensiv Fundraising zur Bereitstellung der Mittel für das Sanatorium betrieben hatte; später gehörte er dann dem Verwaltungsdirektorium an. Weiterhin half er bei der Etablierung des ersten sich an Patienten und Mitarbeiter richtenden Newsletters und initiierte – wie auch später H. Leivick – einen Schreibworkshop. Vgl. Gilman, Yiddish Poetry and Tuberculosis, S. 40–50.

  556. 556.

    Zur Bedeutung der Literatur als einer Art Medizin im Kontext der Therapie zur Heilung von Tuberkulose vgl. ebd., S. 3–9.

  557. 557.

    Ebd., Einleitung, S. XVI.

  558. 558.

    Zum oft besprochenen Thema der Tuberkulose als einer „romantische[n] Krankheit“ wie auch zur „Ästhetisierung der Tuberkulose“ mit einem Verweis auf Susan Sontag vgl. Max, Katrin: Liegekur und Bakterienrausch. Literarische Deutungen der Tuberkulose im Zauberberg und anderswo. Würzburg 2013, S. 33–38.

  559. 559.

    Gilman, Yiddish Poetry and Tuberculosis, Einleitung, S. XXI.

  560. 560.

    Leyvik, H: Lider fun ganeydn 1932–1936. Shikago 1937. Im ersten Teil der Sammlung finden sich Gedichte der Jahre 1932 bis 1936, im zweiten Teil Gedichte aus den Jahren 1937 bis 1940.

  561. 561.

    Die Titel der einzelnen Gedichte aus dem Zyklus Shpinoza sind folgende: Intelektuele libe (I),  Vi kumt aher? (II), Er zogt tsu nakht (III),  Nihst geherter (IV),  Nisht gezetikt (V),  Midber (VI),  Nes (VII),  Mentsh gegarter (VIII),  Ze vi veynik (IX),  Gebentsht gezang (X),  Tsvey mol tsvey iz fir (XI).

  562. 562.

    Gilman, Yiddish Poetry and Tuberculosis, S. 86.

  563. 563.

    Niger, Shmuel: H. Leyvik. Zayn opshtam, zayne kinder- un yugnt-yorn, zayne lirishe un dramatishe verk, zayn dikhterisher gang. Tsu zayn vern a benshishim 1888–1948. Nyu York 1951, S. 305. Auch in dem Gedicht J. C R. S. – es trägt als Titel die Initialen des Sanatoriums und gehört zum ersten Teil der Lider fun ganeydn – nennt Leivick, den nahenden Frühling vor Augen, mit dem Moment der „Ruhe“ und dem der „Läuterung“ zwei in seiner Dichtung neue thematische Aspekte.

  564. 564.

    Leyvik, Lider, S. 101.

  565. 565.

    Ebd.

  566. 566.

    Leyvik, Lider, S. 102.

  567. 567.

    Ebd., S. 103.

  568. 568.

    Ebd., S. 104.

  569. 569.

    Ebd.

  570. 570.

    Ebd.

  571. 571.

    Ebd.

  572. 572.

    Ebd.

  573. 573.

    Ebd., S. 105.

  574. 574.

    Ebd.

  575. 575.

    Ebd.

  576. 576.

    Ebd., S. 106.

  577. 577.

    Ebd.

  578. 578.

    Ebd.

  579. 579.

    Ebd.

  580. 580.

    Ebd., S. 107.

  581. 581.

    Ebd.

  582. 582.

    Ebd.

  583. 583.

    Ebd., S. 108.

  584. 584.

    Biblica Hebraica. Edidit Rud. Kittel. Textum Masoreticum Curavit. P. Kahle. Leipzig, Halle (Saale), Oxford. 7. Auflage. 1951, S. 993.

  585. 585.

    Ersehnter Mensch, reiner, ganzer, / meiner Freude übergeben, – /„– Du meine Festung, mein Schutz, mein Panzer – – “ (…) // Du bringst mir die Ruhe grüner Weiden, / tränkst mich am frischen Quell, / hilfst mir wieder auf meinen Weg, / wenn ich strauchle, wenn ich falle. // Wenn ich in das Tal der Ängste komme / und der Tod mich beklemmt, – / auch dorthin reichst du deine Hand / dorthin reicht dein Trost. // Einen Tisch bereitest du für mich im Weißen, // roter Wein im Becher glüht, – nur auf der Schwelle sollen sich Schatten / meines Schrittes zeigen. // (…).

  586. 586.

    Ebd., S. 109.

  587. 587.

    Ebd.

  588. 588.

    Ebd.

  589. 589.

    Ebd.

  590. 590.

    Ebd.

  591. 591.

    Ebd., S. 110.

  592. 592.

    Ebd.

  593. 593.

    Ebd.

  594. 594.

    Ebd, S. 111.

  595. 595.

    Gilman, Yiddish Poetry and Tuberculosis, S. 96–97.

  596. 596.

    Zu Yoysef Tunkel (1881–1949) vgl. LNYL, Bd. 4, S. 48–51. Im damaligen Weißrussland (Bobriusk) als Sohn eines Melamed geboren, musste er sein 1896 in Wilna begonnenes Zeichenstudium 1899 wegen einer zunehmenden Verminderung seiner Sehfähigkeit aufgeben. Von Wilna ging er nach Odessa. Nach seinem literarischen Debut im Jahr 1901 mit volkstümlichen Gedichten veröffentlichte er in verschiedenen jiddischen Zeitungen Feuilletons, Gedichte und Humoresken. 1906 bis 1909 hielt er sich in den Vereinigten Staaten auf. Dort gründete er zwei humoristische Magazine: 1908 erschien erstmalig Der kibetser, ein illustriertes Wochenblatt für Humor, Witz und Satire. 1909 gab er dann die gleichartige Publikation Der groyser kundes heraus. Nach seiner Rückkehr nach Polen im Jahr 1910 war er ab 1911 ständiger Mitarbeiter des Moment, in dem er wöchentlich humoristische Kolumnen unter dem Titel Der krumer shpigl veröffentlichte, die ihm zu großer Beliebtheit bei der polnisch-jiddischen und russisch-jiddischen Leserschaft verhalfen. Tunkel fertigte in der Zwischenkriegszeit auch oft Karikaturen zu seinen Zeichnungen an. Später versuchte er, ein eigenes humoristisches Wochenblatt zu etablieren. Ebenso verfasste er in der Zwischenkriegszeit Szenen, Einakter und Monologe, die sehr erfolgreich auf Kleinkunstbühnen aufgeführt wurden. Bisweilen präsentierte er diese auch selbst. Seine Arbeiten erschienen im Forverts und in jiddischen Zeitungen anderer Länder. Unter dem Synonym „Androgynus“ publizierte er in der Warschauer bundistischen Folkstsaytung insbesondere zu Themen, die wegen ihrer Brisanz und Schärfe nicht im Moment erscheinen konnten. Yechiel Szeintuch zählt inklusive der Sammelbände über 30 Monographien, die Tunkel herausgab, darunter beispielsweise Der krumer shpigl (1911), Der griner popugay, Fledermayz (beide 1912), Der purim ber (1919), Der humorist un der khazn (1920), Gelekhter on a zayt, Ikh lakh fun aykh (1930), Fort a yid keyn erets-yisroel (1932). Des Weiteren adaptierte Yoysef Tunkel in jiddischer Sprache Werke von Wilhelm Busch, darunter Max und Moritz als  Notl un Motl (1928) und weitere mehrfach neu aufgelegte Geschichten für Kinder aus der Weltliteratur, darunter Royt hitele als Rotkäppchen. Tunkel übersetzte auch Sammy Gronemanns Komödie Jakob und Esau ins Jiddische. Im Sommer 1939 ging er auf Lesereise nach Westeuropa und konnte dann von Belgien aus nicht mehr weiterreisen. Es schloss sich eine Fluchtodyssee durch Belgien und Frankreich an, auf der Tunkel mehrfach verhaftet und einmal in ein Lager verschleppt wurde. 1941 gelangte er in die Vereinigten Staaten und wurde permanenter Mitarbeiter des Forverts, er konnte aber nicht mehr an seine vorherige Produktivität anknüpfen. 1943 gab er in New York Goles. Ksovim fun a flikhtling heraus, in dem er seine Fluchtgeschichte darlegte. Folgend erschienen noch Der groyser genits oder a nudner tog in nyu york (1948). Des Weiteren beteiligte sich Tunkel bei der von Kadia Molodowsky herausgegebenen literarischen Zeitschrift Svive. In dem Sammelband Lite (1951) veröffentlichte er zuletzt die autobiographische Arbeit Dos kapitl vilne in mayn leben.

  597. 597.

    Themen sind beispielsweise der Generationenkonflikt zwischen Vätern und Söhnen, moderne (jüdische) Bettlertypen, der Kontrast zwischen den Welten einer Ehefrau und der ihres in Warschau geschäftig agierenden Mannes, die übertriebene Betonung der weltlich sozialistischen Haltung in den Elementarschulen des Bund, jüdische Künstler und moderne Kunst wie auch die Formen des zweitklassigen yiddischen Theaters. Vgl. Yechiel Szeintuch. http://yivoencyclopedia.org/articl.aspx/Tunkler  Yosef (15.01.2017).

  598. 598.

    In der von Y. Szeintuch herausgegebenen Anthologie werden im zweiten Teil, der mit Literarische Parodien überschrieben ist, Texte von Tunkel versammelt. Er verfasst Parodien zum literarischen oder essayistischen Schreiben prominenter Autoren zu: Sh. Niger; zu Sh. Y. Abramovitsh: Yidishlekh (Typisch Jiddisch); Shoymer: Daytshmerisch (Eingedeutscht); Sh. Aleichem: A rendl a vort und zu Yitskhok Leybush Peretz: Khsidish (Chassidisch). Dem oft als symbolistisch bezeichneten Autor Der Nister (Der Verborgene) wird die verballhornende Überschrift Kukeriku zugeordnet. Der Anspruch einer gewissen Erhabenheit spricht aus dem Titel Roymishe motivn (Römische Motive), mit dem der Abschnitt zu Uri Tsevi Grinberg überschrieben ist. Der ironische Titel der Parodie Vi‘s vern lider farfast … / A dikhter retsept spricht für sich. Vgl. Der Tunkeler (Yoysef Tunkel): Der seyfer fun humoreskes un literarishe parodyes. An opklayb fun humoristishe shriftn vegn di misrekh-eyropeishe yidn un zeyer kultur in poyln tsvishn beyde velt-milkhomes. Redagirt fun Yekhiel Sheyntukh. Yerusholaim 1990 (hebr./jidd.). Toykhn (Inhaltsverzeichnis).

  599. 599.

    Hier ist z. B. zu nennen der Text Der frumer redaktor, zayn trayer sekretar un dos redagirte lid. Vgl. Tunkel, Seyfer humoreskes, S. 107–111.

  600. 600.

    Der Autor formuliert in seinem Text Di yidishe parodye (materyal far a shtudyum) eine engere und eine weiter gefasste Definition der Parodie: Von der ursprünglichen Bedeutung des Terminus „Parodos“ ausgehend, betont er die veränderte Bedeutung, nach der „Parodie“ als die Nachahmung eines Stils oder einer Form zu verstehen ist und in diesem Sinn zu einer Form des komischen, humoristischen und satirischen Schaffens wurde, sich aber nicht darauf begrenze: „Nokhmakhn un derbay oysgefinen un aroysbrengen di lekherlekhe zaytn fun dem nokhgemakhtn un oysgelakhtn, do ersht heybt zikh on di eygntlekhe kinstlerishe parodye. Fun dem min parodye bashteyt beemes a groyser teyl fun humoristishn shafn: Parodyes oyf literarishe verk, oyf mentshn, oyf klasn, oyf a gantser epokhe, oyf der gantser mentshheyt.“

    Näher auf die literarische Parodie eingehend, hebt Tunkel unter den die Komik hervorrufenden Elementen das Element des Kontrastes als besonders eingängig und herausstechend hervor, wie es z. B. in der Gegenüberstellung von Don Quichote und Sancho Pansa oder Menachem Mendl und seiner Frau Sheyne Sheyndl deutlich wird, oder auch der Kontrast zwischen dem Optimismus von Tevye und seiner traurigen Lebenswirklichkeit.

    „Parodie“ bezeichnet – nach Tunkel – weiter literarische Komik, die sich auf das Prinzip des Kontrasts von Form und Inhalt stützt. Er bestimmt dann drei Formen der Parodie: zunächst die römische und die griechische Parodie. Letztere übernimmt die Form eines Originals, lässt dieses aber unberührt, womit eine Parodie „nach“ einer Form entsteht. Als Beispiel gibt der Autor dazu die nach Friedrich Schillers Die Glocke verfasste Ballade Dos lid fun kugl an, die von dem Aufklärer Abraham Gottlober verfasst wurde. Die dritte Art der Parodie ist die Form, zu der er ein Werk wie Don Quichote des Cervantes zählt, das wohl eine Parodie auf die zeitgenössischen Ritterromane ist, gleichzeitig – bis zu einem gewissen Grad – aber auch ohne diesen Bezug verständlich und damit als ein eigenständiges Werk zu verstehen ist. Zu dieser Kategorie zählt er auch Die Reisen Benjamins des Dritten (deutscher Titel) von Sh. Y. Abramowitsch. Die jüdischerseits bevorzugte Form der Parodie ist – nach Tunkel – die griechische Parodie, mit der alle möglichen Auswüchse des jüdischen Lebens karikiert wurden. In diesem Sinn ist die Darstellung Tunkels zum Besuch von Spinoza in Warschau in diese zweite Kategorie einzuordnen. Vgl. ebd., S. 71–76.

  601. 601.

    Vgl. ebd.,S. 132.

  602. 602.

    Die Bedeutung der Zeitschriften in dem angesprochenen Zeitabschnitt kommentierte Melech Ravitch mit dem Ausspruch, ehemals sei das jüdische Volk das Volk des Buches gewesen, wohingegen es jetzt das Volk der Zeitung sei. Vgl. Ravitsh, Makhshoves, S. 286.

  603. 603.

    Tunkel, Seyfer humoreskes, S. 132. Zur Bedeutung von Warschau als der jüdischen Metropole, vgl. Weiser, Kalman: The Capital of „Yiddishland. In: Dynner, Glenn u. a.:  Warschau. The Jewish Metropolis. Essays in Honor of the 75th Birthday of Professor Polonsky. Leiden 2015. S. 298–322.

  604. 604.

    Deshalb bittet Spinoza Melech Ravitch zusätzlich um Reisegeld quasi als Beteiligung an dem aus seinen Werken generierten Verdienst. Vgl. ebd.

  605. 605.

    Ebd.

  606. 606.

    Ebd., S. 132–133.

  607. 607.

    Die Zeitschrift Literarishe bleter. Ilustrirte vokhnshrift far literatur, teater un kunstfragn erscheint 1924 bis 1939 und war das führende jiddische literarische Magazin in Polen. Neben Nakhmen Mayzl als dem Gründer, der auch lange Jahre der literarische Herausgeber des in dieser Untersuchung später erwähnten Haynt gewesen ist, war Melech Ravitch 1924 bis 1926 auch Herausgeber der Zeitschrift. Mit dieser Publikation gelang es, seriös in anschaulich-lebendiger Darstellung literarische und kulturelle Fragestellungen zu vermitteln und damit eine Verbindung zwischen den jiddischen Schriftstellern und Autoren sowie einem großen Lesepublikum herzustellen. Vgl. Prager, Leonard; Greenbaum, A. A.: Yiddish Literary and Linguistic Periodicals and Miscellanies. Darby, Haifa 1982, S. 57.

  608. 608.

    Dieser umfangreiche Sammelband wurde 1926 von der Vereinigung der jiddischen Schriftsteller und Journalisten als zweiter nach dem 1923 erschienenen Varshever almanakh (Warschauer Almanach) herausgegeben.

  609. 609.

    Zu Leo Finkelshteyn (1895–1950) vgl. LNYL, Bd.7, S. 384–386. Ebenso vgl. Ravitsh, Meylekh: Mayn leksikon. Yidishe publitsistn, zhurnalistn, aktyorn, moler, parteyfirer, kulturtuer in poyln tsvishn di tsvey groyse velt-milkhomes. Bd. 2. Montreal 1947. S. 60–62. Der im südpolnischen Radom geborene Leo Finkelshteyn hatte in Kraków Philosophie studiert, ab 1923 bis 1939 lebte er in Warschau, floh dann in die Sowjetunion und kam 1946 zurück nach Polen. Literarisch debütierte er 1916, ab 1919 schrieb er u. a. für den Moment, später für eine bundistische Publikation ebenso für eine polnische Publikation und für die Literarishe bleter. Finkelshteyn beschäftigte sich mit Literaturtheorie und Literaturkritik zu europäischer, jiddischer und polnischer Literatur wie auch zu philosophischen Themen. Eines seiner Hauptwerke war Grunt-strikhn fun der yidisher filozofye. Fun Filo Yudeus biz Moyshe Mendelson. Varshe 1937. Darin finden sich die Aufsätze Spinoza kontra Rambam sowie Der Spinoza-Kongres. Den letztgenannten Text verfasste der Autor, nachdem er im Jubiläumsjahr 1932 als Vertreter der Vereinigung der jüdischen Schriftsteller und Journalisten am Spinoza-Kongress in Haag teilgenommen und dort auch vorgetragen hatte.

  610. 610.

    Zu Avrom Gliksman (1883–1943), vgl. Almi, A.: Literarishe nesies. Varshe 1931, S. 112. A. Gliksman aus einer wohlhabenden chassidischen Familie in der Warschauer Region stammend, war um 1900 nach Berlin gekommen. Von dort führte ihn sein Weg in Europa nach Leipzig, Zürich, Jena und Paris. Gliksman hielt sich mit einer kurzen Unterbrechung fast 20 Jahre lang im nicht-jiddischen kulturellen Kontext auf. Neben den Sozialwissenschaften studierte er Wirtschaft und erlangte sein Doktorat in Zürich. Er schrieb als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung sowie auch für andere deutschsprachige Publikationen. 1920 ließ er sich – nach Melech Ravitch aus finanziellen Gründen – in Warschau nieder und nahm das Publizieren in jiddischer und hebräischer Sprache aus seinen jungen Jahren wieder auf. Zu vorwiegend philosophischen Themen publizierte Gliksman in Moment und Haynt und in den Literarishe[n] bleter – dort u. a. über Immanuel Kant – sowie im Lodzher tageblat. In Bikher velt erschien eine Arbeit von ihm über die Abhandlung Shpinoza un Bergson“, verfasst von W. Nathanson, einem von zwei Übersetzern der Ethik.

  611. 611.

    Der Eindruck, dass Spinoza – für Ravitch – einer unter vielen Autoren ist, stellt sich mit dessen Kommentar zu der großen Anzahl von Teilnehmern ein, von denen Tunkel Ravitch auch einige namentlich aufzählen lässt.

  612. 612.

    Tunkel, Seyfer humoreskes, S. 132.

  613. 613.

    Wenn Tunkel von einem ‚Verein‘ und der Teilnahme Spinozas an Versammlungen spricht, ist damit auch auf eine weitere Institution des jiddischen literarisch-kulturellen Lebens in Warschau, auf Tlomakie 13 (poln.) hingewiesen, einem Ort, den Avrom Sutzkever aufgrund seiner Bedeutung für das kulturelle Leben auch in einem seiner Gedichte aus der Ghettozeit thematisierte. Das Haus war Treffpunkt für jiddische Autoren, Pädagogen, Künstler, Schauspieler; auch Autoren, die aus anderen Städten oder dem Ausland kamen, fanden sich dort ein. Anfänglich war dieser für alle, die sich für säkulare jüdische Kultur interessierten, zugängliche Ort auch der Sitz der Vereinigung jüdischer Schriftsteller und Journalisten in Warschau. Dort fand eine Vielzahl von kulturellen und literarischen Veranstaltungen der Art statt, die Tunkel auch in seiner Darstellung anspricht. Hyman Bass schreibt über diesen Ort: „Di heym fun yiddishe shrayber in varshe is geven Tolmatske 13. Dos hoys oyf Tolmatske is geven a sakh zakhn in eynem: A shrayberklub, a restoratsye, a lektsyezal, an akhsanye far arbetsloze shrayber oyf ibertsunekhtikn, a bilike kikh (…) un avade un avade der yidisher „parnas“, vu dikhter hobn bakumen onerkenung mitsad eygene shrayber, brider-poetn un vu es iz garantirt gevorn di literarishe eybikkeyt.“ Vgl. Bass, Oyf di vegn fun der yidisher literatur, S. 583. Ebenso Cohen, Nathan: Tłomackie 13. The Heart and Soul of Jewish Literary Warsaw. In: Zydzi Warszawy (2000). S. 99–110.

  614. 614.

    Tunkel, Seyfer humoreskes, S. 132.

  615. 615.

    Ebd.

  616. 616.

    Ebd.

  617. 617.

    Ebd.

  618. 618.

    Ebd.

  619. 619.

    Ebd.

  620. 620.

    Vgl. Wichtige Etappen in der Entwicklung der jiddischen Presse können wie folgt bestimmt werden: Die Entwicklung setzte 1862–1873 ein mit der von Aleksander Zederbaum als Beilage zu der hebräischen Wochenzeitschrift Hamelits in Odessa herausgegebenen Publikation. 1881–1890 gab er eine zweite Publikation in St. Petersburg heraus. Die nächste Etappe in der Entwicklung in Osteuropa war die Herausgabe des zunächst alle zwei Wochen erscheinenden, aus politischen Gründen in Warschau edierten, aber in Krakau herausgegebenen und zionistisch orientierten Der yid (1899–1902). 1902 konnte dann der  Fraynd (1903–1913), nachdem das Projekt die Genehmigung der russischen Autoritären erhalten hatte, als erste jiddische Tageszeitung im russischen Kaiserreich erscheinen. „The Fraynd provided his readers with the best and latest Yiddish works and with translations from world literature. The Fraynd set high standards for subsequent Yiddish dailies. In 1906 there were already 11 daily yiddish newspapers in Russia, five of them in Warsaw“. Im Januar 1908 erschien die erste Ausgabe des Haynt, der zusammen mit der Zeitung Der moment als einzige jiddische Zeitung ununterbrochen bis 1939 erschien. Vgl. Cohen, Nathan: The Yiddish Press as Distributor of Literature. In: Berger, Shlomo: The multiple Voices of Modern Yiddish Literature. Amsterdam 2007. S. 7–29, hier S. 7–12.

  621. 621.

    Yankev Pat schreibt weiter: „Di yidishe tog-tsaytungen in poyln zaynen geven nokh zeyer kharakter un nokh zeyer batayt, nit nor gor vikhtike folks-institutsyes, nor zey zaynen geven eygnartik, gants andersh vi tsaytungn by di umes haoylem. Andersh in zeyer inhalt, andersh in der batsiung mitsad di lezer un andersh in di gefiln fun akhrayes farn klal. (…) Zey hobn gefirt shtraytn tsvishn zikh, gefirt kamfn kegn gzeyres un tsores, gevekt di efentlekhe meynung. Vgl. Pat, Yankev (Hg.): Fun noentn over. Di yidishe prese in varshe. Bd. 2. Aroysgegebn fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres (fareynikt mit „Tsiko“). Nyu York 1956. Hakdome.

  622. 622.

    Die Bedeutung diese Blattes, das auch das weltliche Organ der Agudas Yisroel war, fasst Prager folgendermaßen zusammen: Di tsentrale ortodoksishe tribune farn dozikn period iz geven „Dos yudishe togblat“ (…) „Dos broyzndike, filfarbike lebn fun dem zelbstshtendik-organizirtn ortodoksishn yidntum in mizrekh-eyrope, vos davke oyf der shevl fun khurbm hot es oyfgezotn mit gevaldike impulsn, vibrirt in di bend fun dem tsendling yorgeng ‹‹Togblat››“. Der Erfolg dieser Zeitung beruhte auf der Tatsache, dass es schließlich gelungen war, von Anfang an eine eigene Redaktion zusammenzustellen, die der Intention der Bewegung entsprach und dementsprechend das Profil der neuen Zeitung auch entwickelte, ganz im Unterschied zu früheren Publikationen, wie beispielsweise Dos yudishe vort (1916–1919). Diese hatte die Mitglieder ihres redaktionellen Stabes zu einem großen Teil „zusammengekauft“, was eine innere Instabilität bedingte. Die Entstehung der orthodoxen Presse steht im Zusammenhang mit der Entwicklung der orthodoxen Bewegung, die sich sehr schnell und geschickt die Presse als ein Mittel zur eigenen Etablierung bediente: „In meshekh fun tsvey tsendling yorn tsvishn beyde velt milkhomes iz di ortodoksishe prese shtark oysgevaksn in tsol un in aynflus. Zi hot zikh funandergetsveygt (…) hot zikh genumen spetsifizirn loyt bazundere klasn leyener un afile zikh diferentsirt loyt sotsyale kategoryes. Lebn der teglekher prese hobn aroysgeshprotst religyez-literarishe zshurnaln, a yugnt-prese, zshurnaln far religyeze froyn un meydlekh, kinder-tsaytungen, pedagogishe oysgabes, un mit a gants bazundern gang hot zikh farnumen di religyeze arbeter-prese (…).“

    Das Verdienst der orthodoxen Presse war, wie Prager an gleicher Stelle darlegt, dass sie den Einfluss des historischen Judentums darlegte und sein Anliegen vertrat, das Anliegen der „toyre-traye[n] emune-yid[n]. Des Weiteren verhalf sie der großen Gruppe der frommen Juden, den „breyte shikhtn fun dem folkstimlekh pasivn element“, von Prager als „ayngedrimlt“‘ oder „apatish-dershlogn“ bezeichnet, dazu, Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich zu organisieren und auch parlamentarische Fürsprecher zu bestimmen. Folgend gingen aus diesem Umfeld auch Lehrer, Dichter, modern ausgebildete Pädagogen, Gründer von Kooperativen und Bankdirektoren hervor. Auch die religiöse Frau trat mit dem Aufkommen einer orthodoxen Frauenbewegung den Weg einer eigenen Emanzipation an. In dem allgemeinen jüdischen Kampf gegen eine von außen aufgezwungene Emanzipation, für die insbesondere die allgemein-staatlichen Elementarschulen standen, hat die orthodoxe Presse insbesondere mit der aktiven Unterstützung des weitverzweigten religiösen Schulwesens wie auch mit der Vermittlung von Inhalten, die sich der Assimilation entgegenstellten, einen „Schutzschild“ errichtet. Trotz ihrer starken antimodernistischen Einstellung hat die orthodoxe Presse auch einen erheblichen Beitrag zur jiddischen Kultur geleistet: Der Einfluss der dort publizierenden Schriftsteller und Autoren ging über den Kontext, in dem sie erschienen, hinaus und förderte das Bemühen, die traditionellen Kulturwerte auf neue Weise zu vermitteln und sie in einem neuen Licht darzustellen. Dies brachte auch eine Bereicherung der jiddischen Sprache mit neuem Wortschatz. Vgl. Prager, Moyshe: Dos yudishe togblat. In: Pat, Yankev (Hg.): Fun noentn over. Di yidishe prese in varshe. Bd. 2. Aroysgegebn fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres (fareynikt mit „Tsiko“). Nyu York 1956. S. 443–534, hier S. 443–460.

  623. 623.

    Zur Geschichte der Zeitschrift Der moment mit einer Aufzählung der Mitarbeiter darunter Yoysef Tunkel vgl. Mozes, Mendl: Der moment. In: Pat, Yankev (Hg.): Fun noentn over. Di yidishe prese in varshe. Bd. 2. Aroysgegebn fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres (fareynikt mit „Tsiko“). Nyu York 1956. S. 239–299.

  624. 624.

    Zur Geschichte des Haynt vgl. Finkelshteyn, Khaim In: Pat, Yankev (Hg.): Fun noentn over. Di yidishe prese in varshe. Bd. 2. Aroysgegebn fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres (fareynikt mit „Tsiko“). Nyu York 1956. S. 69–232. Zu den Redakteuren des Haynt vgl. Nalewajko-Kulikov, Joanna: „Di haynt-mishpokhe“: Study for a Group Picture. In: Dynner, Glenn u. a. (Hgg.): Warsaw. The Jewish Metropolis. Essays in Honor of the 75th Birthday of Antony Polonsky. Leiden 2015. S. 252–270.

  625. 625.

    Zur Geschichte der Folkstsaytung vgl. Shvarts, P.: Folkstsaytung. In: Pat, Yankev (Hg.): Fun noentn over. Di yidishe prese in varshe. Bd. 2. Aroysgegebn fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres (fareynikt mit „Tsiko“). Nyu York 1956, S. 303–424. Zum jüdischen Arbeiterbund „Bund“ vgl. Ebenso Pickhan, Gegen den Strom, S. 248–262. Ab 1926 erschien die Zeitung unter dem Namen Naye Folkstsaytung. Neben der Folkstsaytung als Zentralorgan erschienen eine Reihe von Wochenblättern, Monatsschriften und eine Jugendpublikation bundistischer Ausrichtung.

  626. 626.

    H. Bass gibt einen Hinweis zu der Verfügbarkeit der Tageszeitungen und Publikationen: „Di varshever kioskn zaynen geven baputst mit umtseylike yidishe tsaytungen: Der „Haynt“, „Der moment“, „Di folks-tsaytung“(…) „Der alef-beys fun marksizm“, zamlbikher, vi „Der royter pinkes“ un oykh bilike oysgabes fun Sholem Aleykhems humoreskes un kinder mayses: „Dos meserl“, „Briv fun Menakhem Mendl tsu Sheyne-Sheyndl“. Vgl. Bass, Yidishe literatur, S. 583.

  627. 627.

    Für den Zeitabschnitt der Darstellung von Tunkel legt Nathan Cohen dar, dass die nach dem und durch den Ersten Weltkrieg bewirkten geographischen und politischen Veränderungen neben dem großen Einfluss, den sie auf die weitere Entwicklung der jiddischen Literatur hatten, auch zu einem großen Aufschwung der Presse im ganzen Land führten. Zusätzlich veränderte sich auch deren Ausrichtung. „The daily newspaper became more political and instead of widening their reader’s horizons they aimed to arouse political awareness“. Vgl. Cohen, The Yiddish Press, S. 22. Diese Politisierung wird auch in der Darstellung von Tunkel deutlich. So wurde der Haynt nach einer Veränderung der Zusammensetzung des Herausgebergremiums zum Organ der zionistischen Bewegung in Polen. Der moment blieb folkistisch und „the orthodox obtained their own organ and the Bundists fought (successfully) for their right to have a newspaper of their own“. Vgl. ebd.

  628. 628.

    Tunkel, Shpinoza, S. 134.

  629. 629.

    Ebd.

  630. 630.

    Ebd.

  631. 631.

    Dieser Tendenz verleiht Tunkel mit dem Namen Groyser monument Ausdruck, so wie auch die dem Redakteur zugeschriebene, an Spinoza gerichtete Geste der Aufforderung, sich zu setzen, eine gewisse Saturiertheit vermitteln soll.

  632. 632.

    „Der ‚moment‘ iz bikhlal geven a politish mesike tsaytung, ir stil iz geven a gelasener un politish nit angazshirt.“ Vgl. Mozes, Der moment, S. 249.

  633. 633.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135.

  634. 634.

    „Tsvishn ‚Moment‘ un ‚Haynt‘ iz bemeshekh a rey yorn ongegangen a konkurents-kamf: Ofte kegnzaytike bashuldikungen hobn derfirt tsu gerikht-protsesn un gerikht-urteyln. Di dozike konkurents iz ober nit geblibn bloyz in di ramen fun materyele interesn, zi hot ongerirt oykh gebitn fun a politishn kharakter“. Im Gegensatz zur ausgeglichenen Haltung im Moment hat dagegen „der ‚Haynt‘ leheypekh [hot] fun onheyb on zikh geyogt nokh sensatsyes un zikh oysgetsaykhnt dermit vos er hot oft gebitn zayn politishe kredo“, vgl. Mozes, Der moment, S. 249.

  635. 635.

    Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund (Bund) wurde 1897 in Wilna als erste Arbeiterpartei im Russischen Reich noch vor der sozialdemokratischen russländischen Arbeiterpartei gegründet, zu deren Gründung er dann auch beitrug; zudem war der Bund maßgeblich am Sturz der Zaren und damit an der Russischen Revolution beteiligt. Der Bund verstand sich als Teil der internationalen Arbeiterbewegung, engagierte sich aber gleichzeitig intensiv für die Bewahrung und Förderung der jiddischen Sprache und Kultur. Dabei war die „yidishkeyt“ nicht bloß ein „Programmpunkt“, sondern „konstitutives Element der politischen Identität“. Nach der ersten Etappe bis zur Russischen Revolution durchlief der Bund eine Transformation. In der Zwischenkriegszeit agierte er in Polen auf drei Ebenen: der Ebene der europäischen Arbeiterbewegung, auf der Ebene der polnischen Republik und auf der Ebene der „yidishe[r] gas“; Letzteres meinte zum einen konkret das Feld der Lebenswelt der Jiddisch sprechenden Bevölkerung, auf das sich die Parteiarbeit richtete, wie auch das Feld der „ideologischen Positionsbestimmungen“. Vgl. Pickhan, Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund, S. 13–19.

    Der Bund stand für ein Kulturverständnis, das, von einer antielitären, auf der jiddischen Muttersprache beruhenden Volkskultur ausgehend, die „Veredelung“ der (jüdischen) Arbeiterschaft anstrebte. Er leistete durch die Etablierung eines weit verzweigten Systems von Kultur-, Schul- und sonstigen Bildungsinstitutionen und für „sein Engagement für eine auf der jiddischen Sprache basierenden, weltlich ausgerichtete[n] Kultur in den zwanziger und dreißiger Jahren einen […] Beitrag zur Vielfalt des jüdischen Lebens in Polen.“ Nach 1918 konnte der Bund wichtige Jiddischisten zur Mitarbeit in der Partei gewinnen, so erhielt seine Arbeit viel Anerkennung seitens der kulturellen Zirkel wie auch seitens der Bildung vermittelnden Kreise. Vgl. ebd., S. 222–229.

  636. 636.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135.

  637. 637.

    Ebd.

  638. 638.

    Diese Angabe bezieht sich auch auf die Tatsache, dass es eine Reihe von jungen Lehrern gab, die redaktionell eingebunden waren.

  639. 639.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135.

  640. 640.

    Tunkel kommentiert hier die Inanspruchnahme von Literatur durch Autoren im Umfeld der Arbeiterbewegung, bei denen bisweilen literarische Maßstäbe hinter ihre weltanschaulich-ideologischen Positionen zurücktraten.

  641. 641.

    Ebd.

  642. 642.

    Hier ist auf ein Phänomen der von N. Cohen genannten zunehmenden Ideologisierung der Presse nach dem Zweiten Weltkrieg angesprochen, mit dem auch einherging, dass jede Zeitung, die auch für einen Teil der literarischen Beiträge ihrem Profil entsprechende Autoren einsetzte. Neben den vielen Beiträgen einer großen Zahl von bekannten Autoren, die der Haynt in den ersten Jahren seines Erscheinens publizieren konnte, war insbesondere die Innovation der „instalment novels“ sehr erfolgreich. Bei diesen Fortsetzungsromanen handelte es sich neben speziell für die Zeitung verfassten Romanen um Adaptionen von Romanen der Weltliteratur, insbesondere von solchen der russischen und deutschen Literatur, die dann – Spannung und Faszination standen dabei im Vordergrund – dem jüdisch-jiddischen kulturellen Umfeld, in dem sie erscheinen sollten, angepasst wurden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Serienromane in Publikationen unterschiedlichster Couleur herausgegeben. „Each newspaper recognized the need to include a weekly literary supplement and to provide at least one daily serialized novel.“ Zu diesem Zweck hatte jede Zeitung einen literarischen Herausgeber, „who could supply the readers with information about current affairs in Yiddish, Jewish local or world literature; bring literary criticism; sometimes a sharp feuilleton; a poem or two, or a short story. All of these, directly or indirectly, fit in with the newspaper’s political agenda. Vgl. Cohen, Yiddish Press, S. 23.

  643. 643.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135. Die bloße Tatsache, dass die genannten Begriffe in einem theologisch-politischen Traktat erscheinen, ist dem Redakteur bereits Provokation genug, unabhängig davon, dass Spinoza sie in einem Kontext verwendet, der das Bund-Verständnis in einigen Punkten berührt, worüber der Redakteur offensichtlich aber nicht informiert ist. Der für das bundistische Konzept zentrale Begriff der „doigkayt“, in etwa das Hiersein, impliziert die Gestaltung jüdischen Lebens und die Weiterentfaltung jüdischer Kultur im Land der momentanen Existenz, somit war der Bund der „historische Gegenpol“ zum Zionismus. Die Bundisten lehnten „das Konzept eines klal yisroel, das eine klassenübergreifende jüdische Gemeinschaft postulierte“, ab.Vgl. Pickhan, Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund, S. 23. In diesem Sinn moniert der Redakteur die Verwendung des Begriffes „Jerusalem“ als Zeichen einer nicht-bundistischen Haltung.

  644. 644.

    Die bundistische Folkstsaytung gab ab Oktober 1926 als einzige der großen in Warschau erscheinenden jiddischen Tageszeitungen eine Kinderzeitung mit dem Namen Di kleyne folkstsaytung heraus, die immer freitags mit einem Format von acht Seiten herauskam, die dem Umfang von zwei Seiten der Hauptpublikation entsprachen. Die Schrift war entsprechend groß, die Beiträge waren kurz, ein Artikel hatte maximal 30 Zeilen, Gedichte hatten maximal vier Strophen. Die Erzählungen waren etwas länger, aber auch noch sehr knapp. Es gab sogar einen kleinen besonderen Teil für ganz kleine Kinder mit einer noch größeren Schrift. Das Lesepublikum der Folkstsaytung war im Durchschnitt 20 bis 40 Jahre und damit wesentlich jünger als das der anderen Zeitungen, die orthodoxen Publikationen ausgenommen. Die Kinder der Leser gingen überwiegend auf jiddisch-weltliche Schulen, und der Bund hatte mit der Absicht, die Bindung zwischen Schule, Familie und der gesellschaftlichen Bewegung zu stärken, ab 1926 begonnen, eine sozialistische Kinderorganisation zu gründen und dann auch die Kinderzeitung herauszugeben. Neben vielerlei Autoren, die Kinderliteratur veröffentlichten, beabsichtigte die Redaktion aber auch, die Kinder für praktische Fragen zu interessieren. „Di dozike kinder-tsaytung hot gevolt aroysrufn bay ire yunge leyener interes un mitgefil tsu di sotsyale un politishe kamfn, vos es hot gefirt der elterer dor. Men hot eksperimentirt mit di populere artiklekh oyf di dozike temes. (..). Di kleyne folkstsaytung[iz] gevorn eyner fun di hilfs-mitlen, vos hobn nokhmer tsugeshmidt dos kind tsu der yidsher shul un tsum yidishn loshn. (…). Dervaksene – bakante yidishe shraybers fun ale ekn velt – zenen geven ofte gest oyf di shpaltn fun der Kleyner folkstsaytung: Sholem Ash, Avrom Reyzen, Yoysef Opatoshu, Leyb Kvitko, (…) Mani Leyb (..) Der Nister, (..) Leon Kobrin, (..) Eyda Maze. Ebenso beteiligten sich viele der Nachwuchsautoren, von denen auch viele junge Lehrer waren. Oft erschienen auch Übersetzungen von Kinderliteratur, verfasst von Autoren der Weltliteratur, insbesondere der polnischen und russischen Literatur. Außergewöhnlich war, dass auch Beiträge der jungen Leser verschiedenster Altersgruppen, z. B. Briefe oder auch kleine literarische Arbeiten abgedruckt wurden. Die Gedanken der Kinder wurden sehr ernst genommen. Diese Zeitung wurde auch von Erwachsenen sehr geschätzt, und ihre Redakteure fanden immer Beachtung bei der Redaktion der Hauptzeitung. P. Shvartz fasst seine hier verdichtet wiedergegebenen Ausführungen folgendermaßen zusammen: „Die Kleyne folkstsaytung iz geven a vikhtiker faktor baym dertsyen badeytndike teyln fun yungn yidishn dor in poyln – fun zayn yungstn teyl – di oreme arbeter-kinder und folks-kinder.“ Der Autor weist auch darauf hin, dass nur wenige dieser jungen Leser überlebten und die Verbliebenen aber mit einem warmen Gefühl daran zurückdachten, dass sie auch durch die Anregungen der Kleyne[n] folkstsaytung zu guten Juden und guten Sozialisten herangewachsen seien. Vgl. P. Shvarts, Volkstsaytung (1921–1939), S. 349–353.

  645. 645.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135. Der von Tunkel erwähnte Yankev (hier: Yankl) Pat war Generalsekretär des Zentralverbandes jiddischer Schulen des Bundes in Polen, ebenso war er Grinder un langyoriker forzitser fun administrativn komitet fun alveltlekhn yidishn kultur-kongres. Er hatte in den 1920er Jahren u. a. auch Kinderliteratur herausgegeben, darunter ein Buch mit Erzählungen für Kinder mit dem – von Tunkel verwendeten – Titel Far di kleyne kindersvegn, ebenso publizierte Pat Moyshe dertseylt far kinder oder auch Yerikhe dertseylt far kinder. Nach dem Krieg publizierte er u. a. Henekh. A yidish kind vos iz aroys fun geto. Pat ist auch der Autor der in meiner Arbeit verwendeten Schrift zur Presse in Warschau. Zu Yankev Pat vgl. LNYL, Bd. 2, S. 69–74. Dieser Band wurde Yankev Pat auch gewidmet.

  646. 646.

    Ebd.

  647. 647.

    An der Entwicklung dieser Art von Presse waren auch die beiden großen Blätter Haynt und  Moment beteiligt. Deren billigere und verknappte Nachmittagsausgaben wurden zunehmend reißerischer, daneben entwickelte sich auch eine eigene Sensationspresse „the content in these yiddish tabloids deteriorated and their headlines became louder. In these newspapers the „sensational“, „exciting“, „thrilling“, „erotic“ etc. novels played a central role“. Vgl. Cohen, Yiddish Press, S. 23.

  648. 648.

    Tunkel, Shpinoza, S. 135.

  649. 649.

    Ebd., S. 136.

  650. 650.

    Ebd.

  651. 651.

    Ebd.

  652. 652.

    Tunkel, Shpinoza, S. 136.

  653. 653.

    Vgl. Cohen, Nathan: The Yiddish Press and Yiddish Literature. A Fertile but Complex Relationship. In: Modern Judaism. A Journal of Jewish Ideas and Experience. Oxford 28, 2 (2008). S. 148–172.

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Nebo, M. (2023). Poetische Rezeptionen (Adaptionen). In: Spinoza im frühen 20. Jahrhundert. Schriften zur Weltliteratur/Studies on World Literature, vol 14. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67160-3_3

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg

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