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1 Einleitung

Durch den Klimawandel wird die urbane Resilienz gegenüber Extremereignissen, Störungen und Krisen herausgefordert, weil er die Aufrechterhaltung grundlegender städtischer Funktionen beeinträchtigt (Kuhlicke et al. 2020). Für die Entwicklung und Umsetzung gezielter und effektiver Anpassungsstrategien ist neben der gesamtstädtischen Perspektive die Betroffenheit auf Quartiersebene relevant. Dies ist insbesondere nötig, da Resilienz keinen statischen Zustand repräsentiert, sondern durch Anpassung und Transformation erzeugt wird (siehe Rink et al. in diesem Band). Das betrifft zum Beispiel den Umgang mit und die Anpassung an plötzlich auftretende Wetterextreme wie Hitzewellen.

Eine zentrale Voraussetzung dafür ist die genaue, vorausschauende Bewertung des möglichen Hitzestresses. Darunter werden hitzebedingte Belastungen des menschlichen Organismus verstanden, die im Verlauf von Hitzewellen zu ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Für die Bewertung werden mikrometeorologische Simulationen mit soziodemographischen Daten der Kommunalstatistik kombiniert, sodass die gruppenspezifische Betroffenheit räumlich differenziert erkennbar wird. Um Einblicke in den alltagsweltlichen Umgang mit Hitzestress im Quartier zu erhalten, kommen Befragungen von Bewohner*innen zum Einsatz. Die Befragungsergebnisse sind Bestandteil des umfassenden Herangehens an die Herausforderungen von Hitzestress auf Quartiersebene. Sie helfen, durch gezielte Interventionen die Wohnbevölkerung besser vor den Folgen von Hitzestress zu schützen und dadurch individuelle Gesundheitsrisiken zu minimieren (zur persönlichen Exposition von Bewohner*innen siehe Helbig et al. in diesem Band). Dieses interdisziplinäre Vorgehen charakterisiert den Planetary-Health-Ansatz, welcher die Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit, der menschlichen Zivilisation und den natürlichen Systemen (z. B. Biosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre) sowie deren gegenseitige Abhängigkeiten betont (Horton 2013).

Im Folgenden wird Hitzestress ausgehend von der gesamtstädtischen Skala auf der Quartiersebene untersucht. Nach einer Vorstellung der beiden Untersuchungsquartiere werden die jeweiligen mikrometeorologischen Simulationen mithilfe des Modells PALM-4U beschrieben. Der Fokus liegt hierbei auf dem thermischen Komfort. In der Zusammenschau mit kommunalstatistischen Daten und selbst generierten Befragungsergebnissen sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:

  1. 1.

    Wie kann die Ausprägung von Hitzestress auf Quartiersebene bestimmt werden?

  2. 2.

    Welche Erkenntnisse sind aus dem Forschungszugang für die Nutzung des Planetary-Health-Ansatzes abzuleiten?

Nach der Ergebnisdiskussion schließt sich eine kritische Reflexion des verwendeten methodischen Designs an. Zum Abschluss werden die Forschungsergebnisse als Beitrag zur Anwendung des Planetary-Health-Ansatzes eingeordnet.

2 Zum Umgang mit Hitzestress von der Gesamtstadt bis zur Quartiersebene

Im Kontext der weltweit zunehmenden Urbanisierung sind Städte Brennpunkte für Gesundheitsrisiken in Folge von Klimaextremereignissen wie Hitzewellen. Dabei sind verschiedene Skalen von der Stadtregion bis zum Quartier bzw. der unmittelbaren Nachbarschaft zu beachten. Städte und ihre Quartiere weisen unterschiedliche Lagemerkmale und variierende Freiraum- und Bebauungsstrukturen auf, sodass Umwelteinflüsse in den verschiedenen Teilräumen ungleiche Wirkungen entfalten. Des Weiteren sind Quartiere durch variierende soziodemographische Merkmale ihrer Bewohnerschaft gekennzeichnet. Dies impliziert Fragen der Betroffenheit und damit der Gerechtigkeit. Fekkak et al. (2016, S. 77) weisen darauf hin: „Auch unter dem Aspekt der Verletzlichkeit sind Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit in den Blick zu nehmen, da die Betroffenheiten sowohl räumlich … als auch zwischen sozialen Gruppen ungleich verteilt sind.“ Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer genauen Bestandsanalyse auf Quartiersebene. Prioritäre Interventionspunkte sind zu identifizieren, um Robustheit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsvermögen im Sinne von urbaner Resilienz gegenüber Extremereignissen zu stärken. Dies wird in der bisherigen Debatte um urbane Hitzeinseln kaum berücksichtigt. So wird der Hitzeinseleffekt, welcher Hitzestress verstärken kann, meist nur im Vergleich zwischen Stadt und offenem Umland behandelt (Krug und Mücke 2018). Die räumliche Feinstruktur der thermischen Bedingungen („Wärme-Archipel“), also hinsichtlich eines differenzierenden Quartiersbezugs, findet wenig Beachtung (Hupfer und Kuttler 2006; Kuttler 2012). Das Quartier als wichtige Interventions- und Handlungsebene spielt eine zentrale Rolle, was auch im Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung hervorgehoben wird (SRU 2020, Kap. 7). Hier wird betont, dass auf der Quartiersebene das eigene Handeln wirksam wahrgenommen wird, dass Alltagskultur und Daseinsvorsorge konkret erfahren und dass Synergien und Defizite spürbar werden (ebd., S. 406). Das Quartier umfasst das unmittelbare Lebensumfeld der Stadtbevölkerung, wo alltagsweltliche Routinen gelebt werden und eine stadträumliche Verankerung existiert (siehe Schmidt et al. in diesem Band).

Zum Umgang mit Hitzestress gehören darüber hinaus die Wahrnehmung von Umweltbelastungen und das Risikobewusstsein verschiedener Bevölkerungsgruppen. So wird Hitzestress aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen und körperlicher Konstitution nicht von allen Menschen gleich stark empfunden (Großmann et al. 2012). Gerade Personen mit Mehrfachbelastung im Alltag und vulnerable Gruppen wie Ältere oder Menschen mit Behinderung haben besondere Herausforderungen zu bewältigen. Ihre Wohn- und Mobilitätsbedingungen, ihr Zugang zu grün-blauer Infrastruktur oder die Möglichkeiten, Alltagsroutinen zu durchbrechen, sind hinsichtlich einer individuellen Verhaltensanpassung zu beachten. Darüber hinaus belegen Studien, dass ältere Menschen überdurchschnittlich häufig gesundheitliche Risiken unterschätzen und sich schwer von Alltagsroutinen lösen können (Sandholz et al. 2021).

Notwendige stadtplanerische Maßnahmen wie Hitzeaktionspläne dienen dem Ziel, gesundheitsfördernde und hitzeresiliente Lebensbedingungen zu begünstigen. Hitzeaktionspläne zeigen präventive Handlungsoptionen auf und unterstützen die Kommunikation im Umgang mit Hitzestress. Ihre Struktur und Ausgestaltung kann auf Leitfäden der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Erstellung von Hitzeaktionsplänen aufbauen. Seitens des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUV 2017) sind entsprechende Handlungsempfehlungen vorgelegt worden. Diese umfassen Sofort- und Langfristmaßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Bisherige Erfahrungen zeigen allerdings, dass der konkrete Einsatz der Hitzeaktionspläne begrenzt ist und je nach Kommune unterschiedlich gestaltet wird. Darüber hinaus bleibt eine für die jeweilige Quartiersstruktur angepasste Umsetzung weitgehend aus (Osterloh 2022).

Dennoch wird der Handlungsbedarf auf städtischer Ebene durchaus anerkannt. Beispielsweise verfügt die Stadt Erfurt bereits über einen Hitzeaktionsplan (Hitze-PortalFootnote 1 der Stadt Erfurt). Die Stadt Leipzig hat eine Stadtklimaanalyse erarbeiten lassen (Stadt Leipzig 2019). Hierin werden vor allem typische Kaltluftprozessräume identifiziert und zusammen mit einer bioklimatischen Bewertung Planungshinweiskarten für den Tag und für die Nacht vorgelegt. Diese Karten (Auflösung 10 m) wurden hinsichtlich der zukünftigen klimatischen Entwicklung und entsprechender klimatischer Sanierungsbereiche ausgewertet, sodass verschiedene Anpassungsmaßnahmen entwickelt werden konnten. Zur Priorisierung wurden außerdem Daten zu besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen (Anteil an Kleinkindern und älteren Menschen) sowie zur Bevölkerungsdichte und dem Vorhandensein sensibler Infrastruktureinrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Seniorenheime) einbezogen (Stadt Leipzig 2021). Ein Hitzeaktionsplan ist in Erarbeitung.

Anknüpfend an die skizzierten Erfahrungen und Wissensvorräte soll der hier präsentierte Forschungszugang in den Planetary-Health-Ansatz eingeordnet werden.

3 Zur Einordnung des Forschungszugangs in den Planetary-Health-Ansatz

Die Herausforderung, hitzeresiliente Quartiere zu schaffen, steht in einem engen Zusammenhang mit den zentralen Perspektiven des Planetary-Health-Ansatzes:

  1. 1.

    Die Menschen müssen ihr Verhältnis zur Umwelt und deren Wahrnehmung grundlegend neu denken.

  2. 2.

    Das Wissen über die Wechselwirkungen zwischen Umwelteinflüssen und individueller Gesundheit muss verbessert werden.

  3. 3.

    Das Verständnis für praktische Realisierungen nachhaltiger Lösungen zur Minimierung langzeitlicher Gesundheitsrisiken muss vertieft und deren Implementierung verstärkt werden (nach Gabrysch 2018, S. e372).

Der Planetary-Health-Ansatz wird in der Gesundheitsforschung als Paradigmenwechsel bezeichnet, der durch eine starke multi- und interdisziplinäre Herangehensweise charakterisiert ist (Müller et al. 2018). In seinem Rahmen werden lokale Gesundheitsrisiken im Kontext globaler Systeme betrachtet. Planetare Gesundheit wird von den Menschen in den Städten und vor allem deren Quartieren „global gedacht und lokal gemacht“ (Masztalerz und Kleineberg-Massuthe 2019, S. 5).

Die Wirkung und Intensität von Umweltstressoren hängt von einer Vielzahl von Handlungsfeldern ab. Diese schließen die individuellen Lebensumstände, die von soziodemographischen Merkmalen bestimmt werden, ein. French et al. (2021) benennen folgende, einzubindende Themenfelder: sozioökonomisches Wohlbefinden, individuelle Gesundheit, Umwelt und Ökologie sowie physikalische/bebaute Umwelt. Planetary Health bietet somit ein ganzheitliches Konzept im Umgang mit gesundheitsbeeinflussenden Extremereignissen und urbaner Resilienz.

Hitzewellen gehören zu den besonders dramatischen Umweltextremen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit, der Lebensqualität und des Wohlbefindens der Menschen führen. Dafür liegen medizinisch gesicherte Belege vor (Adams und Jardine 2020; Krug und Mücke 2018). Die hohen Zahlen an Hitzetoten sind die tragischste Auswirkung. Auf der Basis belastbarer Schätzungen wurden 2018 deutschlandweit 8700 hitzebedingte Sterbefälle, 2019 6900 und 2020 3700 registriert (Winklmayr et al. 2022).

Hitzestress wirkt nicht nur unmittelbar auf den Menschen, sondern auch mittelbar, da die urbane Vegetation ebenfalls leidet. Vertrocknen Bäume, dann fällt ihre kühlende und schattenspendende Funktion aus (siehe Knapp und Dushkova in diesem Band). Dieser Verlust führt zu einer stärkeren Erwärmung und damit zu erhöhtem Hitzestress. Fassadengrün, als Beispiel für eine konkrete Anpassungsmaßnahme gegenüber Hitzestress (siehe Karutz et al. in diesem Band), kann bei einem solchen Funktionsverlust nicht mehr zur Stärkung der Hitzeresilienz beitragen. Dementsprechend wird ein umfassender Zugang benötigt, der häufig unzureichend realisiert wird, sodass manche Analysen und Bewertungen zu kurz greifen (Coutts und Hahn 2015).

In zunehmenden Maße wird Hitzestress als ein gravierendes, durch den Klimawandel verstärktes Problem für die Gesundheit anerkannt. In einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Umweltbundesamtes von 2016 sahen sich ~50 % der Befragten nur wenig oder überhaupt nicht gesundheitlich von Hitzestress betroffen (UBA 2019, S. 33). Darüber hinaus hat das Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation an der Fachhochschule Erfurt eine Vielzahl von Umsetzungs- und Kommunikationshemmnissen hinsichtlich des Umgangs mit Hitze und ihren gesundheitlichen Auswirkungen identifiziert (ISP 2021, S. 20–33). Mit der Anwendung des Planetary-Health-Ansatzes bei der Untersuchung von Hitzestress auf Quartiersebene soll ein Beitrag zu entsprechendem Umdenken geleistet werden.

4 Methodisches Vorgehen

Die Stadt Leipzig stellt das übergeordnete Untersuchungsfeld für den hier präsentierten interdisziplinären Forschungsansatz dar. Somit ist das Forschungsvorhaben Bestandteil des Stadtlabors Leipzig (siehe Banzhaf et al. in diesem Band).

Entsprechend der Lage in der ostdeutschen Tieflandsbucht (51°20′N, 12°22′E) sind die klimatischen Bedingungen Leipzigs nach Köppen-Geiger durch das Cfb-Klima (warm gemäßigt mit warmen Sommern, vollständig humid) charakterisiert (Kottek et al. 2006). Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 9,1 °C, und der mittlere Jahresniederschlag umfasst 584,6 mm (DWD Messstation Leipzig-Holzhausen). In der Großstadt lebten Ende 2021 ca. 610.000 Einwohner*innen auf 298 km2. 18 % der Stadtfläche sind als Erholungs- und Waldfläche ausgewiesen (Stadt Leipzig 2022a).

Administrativ ist Leipzig in 63 Ortsteile, die über spezifische Charakteristika verfügen, gegliedert. Zwei unterschiedliche Ortsteile wurden als Untersuchungsquartiere ausgewählt. Sie werden jeweils hinsichtlich Temperatur-Hotspots, Grünflächenanteil, Wohnbaustruktur und Alters- und Sozialstruktur näher beleuchtet, um die Ausprägung von und den Umgang mit Hitzestress zu bestimmen. Die kommunalstatistischen Daten sind neben der Ortsteilebene bis auf die Ebene der statistischen Blöcke (SB) verfügbar. Die SB sind nicht mit Baublöcken zu verwechseln; sie sind eine rein kommunalstatistische Kategorie. Der Ortsteil Grünau-Nord umfasst 42 SB, der Ortsteil Zentrum-West 54 SB.

4.1 Kommunalstatistische Charakteristik der Untersuchungsquartiere Grünau-Nord und Zentrum-West

Die Fallstudie umfasst zwei Leipziger Wohnquartiere, die sich kontrastierenden Quartierstypen – randstädtisches Plattenbaugebiet (Grünau-Nord) und innenstadtnahes Wohngebiet mit gemischter Baustruktur (Zentrum-West) – zuordnen lassen. Zentrale Auswahlkriterien waren die Lage und Größe der Quartiere, die Baustruktur, die Ausstattung mit Grünflächen, die Bevölkerungs- und die Eigentumsstruktur.

Grünau-Nord ist einer von fünf Ortsteilen der randstädtischen Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau. Diese ist komplett in Plattenbauweise errichtet worden. Der Ortsteil erstreckt sich insgesamt über 0,95 km2 (0,44 km2 Wohnbaufläche). Davon zählen 15 % als Erholungs- und Waldflächen. Der Ortsteil Zentrum-West grenzt an den Leipziger Innenstadtring an und ist durch eine Mischbebauung mit Gründerzeithäusern und Plattenbauten auf 1,65 km2 (0,50 km2 Wohnbaufläche) und einen hohen Anteil an Erholungs- und Waldflächen (30 %) sowie knapp 10 % Wasserfläche gekennzeichnet (Stadt Leipzig 2022a).

In Grünau-Nord lebten Ende 2021 9012 Menschen, im Zentrum-West 11.263. Es ergeben sich vergleichsweise hohe Einwohnerdichten von 9540 Einwohner*innen pro km2 in Grünau-Nord und 7056 Einwohner*innen pro km2 im Zentrum-West (ebd.). Um erkennen zu können, inwieweit ein Quartier von Hitzestress betroffen ist, wird die jeweilige Bewohnerschaft anhand ihrer soziodemographischen Merkmale beschrieben. Es fallen markante Unterschiede hinsichtlich Altersstruktur, Ausbildungsabschluss, Erwerb und Einkommensniveau auf (Tab. 16.1). Die Altersstruktur in Grünau-Nord ist einerseits durch einen sehr hohen Anteil älterer Bewohner*innen gekennzeichnet. Andererseits erhöhte sich aufgrund des vermehrten Zuzugs von Familien in der jüngeren Vergangenheit der Anteil an Kindern und Jugendlichen. Im Zentrum-West dominieren die mittleren Altersgruppen. Des Weiteren zeigt sich, dass das Bildungs- und Einkommensniveau in Grünau-Nord deutlich niedriger ist als im Zentrum-West.

Tab. 16.1 Ausgewählte soziodemographische Daten der Stadt Leipzig und der Ortsteile Grünau-Nord und Zentrum-West. (Stadt Leipzig 2022a, Stand der Daten: 2021)

4.2 Mikrometeorologische Simulation der beiden Untersuchungsquartiere mittels PALM-4U

Um die thermische Situation in den beiden Untersuchungsquartieren vergleichend zu bewerten, kam das mikrometeorologische Modell PALM-4U (v6.0, 2018) zur Anwendung.Footnote 3 PALM-4U ist ein dreidimensionales, nicht hydrostatisches LES-Modell (Large-Eddy Simulation) (Maronga et al. 2019). Damit sind turbulente Strömungen in komplexen Umgebungen hochaufgelöst und performant berechenbar. Das originale LES-Modell PALM (engl. Parallelized Large-Eddy Simulation Model) existiert bereits seit 1997. Es wurde ab 2015 schrittweise für urbane Anwendungen (4U) erweitert. Das Anwendungsspektrum umfasst u. a. Bestandsanalysen, Variantenprüfungen (Szenarien), Kommunikation, Klimawandel, Windturbinen und Windböen-Abschätzungen für Flughäfen. Aufgrund der Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten und der Kombination aus hoher Genauigkeit und effizienter Rechenleistung gewinnt es für eine klimaangepasste Stadtplanung zunehmend an Bedeutung.

Da solche Modelle sehr rechenintensiv sind, wird meist nur ein Zeitfenster von einem Tag oder wenigen Tagen simuliert. Aufgrund der Verfügbarkeit luftgestützter Thermalaufnahmen wurde der 23.09.2010 als Simulationsgrundlage für eine repräsentative warme Hochdruckwetterlage gewählt. Den Ausgangspunkt für die Simulationen bildete ein hochaufgelöster 3D-Datensatz für das gesamte Stadtgebiet von Leipzig. Zur Analyse der beiden Untersuchungsquartiere wurde jeweils ein Gitter mit 750 × 750 Zellen (je 2 m × 2 m) ausgeschnitten und für die Simulationen aufbereitet.

Die zur Modellinitialisierung erforderlichen meteorologischen Randbedingungen (Lufttemperatur in 2 m Höhe über dem Boden, spezifische Feuchte und bodennahe Windgeschwindigkeit) wurden von der Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am Flughafen Leipzig-HalleFootnote 4 und der Messstation des Leipziger Institutes für MeteorologieFootnote 5 übernommen.

4.3 Bewohnerbefragungen in den Untersuchungsquartieren Grünau-Nord und Zentrum-West

Die Wahrnehmungen und Einschätzungen der Bewohner*innen hinsichtlich ihrer Betroffenheit von Hitzestress sowie ihre Priorisierung von Schutzmaßnahmen wurden mithilfe eines explorativen Ansatzes ermittelt. Dazu dienten Daten aus Bewohnerbefragungen. Die Befragung im Quartier Grünau-Nord fand im Rahmen der Erhebung zur soziologischen Langzeitstudie Wohnen und Leben in Leipzig-Grünau im Juni und Juli 2020 statt (Kabisch und Pößneck 2021). Die Bewohnerbefragung im Quartier Zentrum-West wurde im März und April 2022 durchgeführt (siehe Karutz et al. in diesem Band). Beide Erhebungen konzentrierten sich ausschließlich auf den Plattenbaubestand im Quartier.

Es kam jeweils ein halbstandardisierter Fragebogen mit vergleichbaren Fragestellungen zum Einsatz. Diese bezogen sich auf die wahrgenommenen Auswirkungen des Klimawandels im Wohnumfeld, das subjektive Hitzeempfinden in der Wohnung im Hochsommer (tagsüber und nachts) sowie auf Maßnahmen zur Verringerung von Hitzestress im Wohnumfeld (z. B. Dämmung von Dach und Fassade, Dach- und Fassadenbegrünung, Springbrunnen). Die persönliche Verteilung der Fragebögen und deren Abholung nach wenigen Tagen garantierten hohe Rücklaufquoten. Die Auswertung der Daten erfolgte mittels der Statistiksoftware SPSS.

5 Ergebnisse

5.1 Thermische Situation in den Untersuchungsquartieren

Zur Bewertung der lokalen thermischen Bedingungen in den beiden Untersuchungsquartieren (für Grünau-Nord siehe auch Kabisch et al. 2018) wurden verschiedene Karten aus den PALM-4U-Simulationen erstellt. Basierend auf den Simulationen zu Lufttemperatur, relativer Feuchte, Strahlungstemperatur, Windgeschwindigkeit sowie Kleidung und typischem Gesamtenergieumsatz (metabolische Rate) eines Menschen bei verschiedenen Aktivitäten (siehe VDI 1998, Tab. 1, S. 11) kann die bioklimatische Situation (mittlerer thermischer Komfort) bewertet werden (VDI 1998). Ein verbreiteter Bewertungsmaßstab ist der PET-Wert (Physiological Equivalent Temperature). Dieser beschreibt den thermischen Komfort eines Individuums auf Basis der Wärmebilanz an der Hautoberfläche. Dabei repräsentiert die PET „diejenige Lufttemperatur im Freien, bei der die Wärmebilanz eines Menschen in einem typischen Innenraum ausgeglichen ist wie bei den Außenbedingungen“ (VDI 1998, Blatt 2, S. 18). Ein optimaler thermischer Komfort stellt sich dann bei 20 °C ein. Höhere Werte werden als Hitzestress empfunden, niedrigere als Kältestress. Je nach Aktivität oder Kleidung kann sich der als optimal empfundene Wert etwas verschieben.

In der vorliegenden Studie wurde beispielhaft für den 23.09.2010 um 17:00 der PET-Wert für die beiden Untersuchungsquartiere berechnet (Abb. 16.2 und 16.4). Der Wertebereich (Tab. 16.2) liegt zwischen ~10,1 °C und ~37,4 °C im Zentrum-West und ~12,6 °C und ~37,7 °C in Grünau-Nord. Die Maximalwerte von ~37 °C des PET sind für beide Untersuchungsquartiere in etwa gleich und entsprechen starkem Hitzestress. Insgesamt ist das Zentrum-West aufgrund der Simulationsdaten als thermisch leicht komfortabler einzuschätzen, d. h. es gibt hier eine geringere Wärmebelastung im Vergleich zu Grünau-Nord (vgl. Mittelwert und Median des PET in Tab. 16.2). Dies lässt sich auf die Verschattung durch eine dichtere Bebauung mit vielen Innenhöfen sowie das Vorhandensein größerer Parkareale und Wasserkanäle im Zentrum-West zurückführen. Die Wasserflächen können zwar aufgrund von Verdunstung den Hitzestress erhöhen, zugleich aber auch kühlend wirken. Der kühlende Effekt überwiegt, da die Windgeschwindigkeiten im Zentrum-West höher sind als in den begrünten Gebieten von Grünau-Nord. Tab. 16.2 verdeutlicht, dass die PET-Werte in Grünau-Nord etwas stärker streuen als im Zentrum-West, d. h. die räumlichen Variationen der Wärmebelastung sind in Grünau-Nord stärker.

Tab. 16.2 Für die Untersuchungsquartiere ermittelte statistische Kenngrößen des PET-Werts sowie der in PALM-4U verwendete Grünflächenanteil

Das Simulationsgebiet, in dem sich das Untersuchungsquartier Grünau-Nord befindet und welches aus technischen Gründen auch benachbarte Areale aus anderen Ortsteilen abbildet, lässt vier Temperatur-Hotspots (a bis d) auf der Ebene der statistischen Blöcke (SB) erkennen (Abb. 16.1 und 16.2). Zur besseren Lesbarkeit der Karte ist jedem SB eine fortlaufende Nummer zugeordnet:

Abb. 16.1
figure 1

Statistische Blöcke 1 bis 12 und PET-Hotspots a bis d (rot) im Ortsteil Grünau-Nord (Ortsteilgrenze schwarz gepunktet hervorgehoben) und in den benachbarten Ortsteilen. (Kartengrundlagen: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen – SB, GeoSN – Hausumringe)

Abb. 16.2
figure 2

Simulierte PET für Grünau-Nord (Ortsteilgrenze schwarz gepunktet hervorgehoben) und in den benachbarten Ortsteilen; weiße Konturen markieren Gebäude

  1. a)

    1 ≙ SB 653004, ohne Wohnbauten, „urbaner Wald“ mit niedrigem Baumbestand und Büschen, wodurch eine hohe Sonnenexposition besteht, daran östlich anschließend 2 ≙ SB 653011, 3 ≙ SB 653012, 4 ≙ SB 654006, 5 ≙ SB 654004, 6 ≙ SB 654003, sowie nördlich 7 ≙ SB 650007, 8 ≙ SB 650006, mit geringer Wohnbebauung und breiten Straßen

  2. b)

    9 ≙ SB 655001, im östlichen Bereich des Ortsteils, Freifläche umgrenzt von 7- und 9-geschossigen Wohnbauten sowie einem Schulgebäude

  3. c)

    10 ≙ SB 631003 und 11 ≙ SB 631011 südlich angrenzend, außerhalb des Ortsteils Grünau-Nord, Straßenbahn- und S-Bahnlinien

  4. d)

    12 ≙ SB 602013, östlich angrenzend, außerhalb des Ortsteils Grünau-Nord, Einkaufszentrum mit versiegeltem Parkplatz

Das Simulationsgebiet, welches weitgehend vom Untersuchungsquartier Zentrum-West bedeckt wird (Abb. 16.3 und 16.4), zeigt fünf Hotspots (a bis e):

Abb. 16.3
figure 3

Statistische Blöcke 1 bis 14 und PET-Hotspots a bis e (rot) im Ortsteil Zentrum-West (Ortsteilgrenze schwarz gepunktet hervorgehoben) und in den benachbarten Ortsteilen. (Kartengrundlagen: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen – SB, GeoSN – Hausumringe)

Abb. 16.4
figure 4

Simulierte PET für das Zentrum-West (Ortsteilgrenze schwarz gepunktet hervorgehoben) und in den benachbarten Ortsteilen; weiße Konturen markieren Gebäude

  1. a)

    1 ≙ SB 041001, 2 ≙ SB 040007, großzügig begrüntes Villenviertel mit Stadthafen, Wärmestau an Bebauung

  2. b)

    3 ≙ SB 041015, Parkanlage

  3. c)

    4 ≙ SB 043001, 5 ≙ SB 044001, breiter Straßenraum mit Straßenbahngleisen

  4. d)

    6 ≙ SB 040001, versiegelte Flächen der Universität, und nordöstlich angrenzend, außerhalb des Ortsteils Zentrum-West 7 ≙ SB 051009, große Veranstaltungsstätte mit versiegeltem Parkplatz

  5. e)

    8 ≙ SB 001022, 9 ≙ SB 001021, 10 ≙ SB 001020, 11 ≙ SB 001017, 12 ≙ SB 001014, 13 ≙ SB 001009, 14 ≙ SB 001008, Ringstraße, angrenzend an benachbarten Ortsteil

Die Räume mit hoher Wärmebelastung (große PET-Werte) und somit starkem Hitzestress schließen an die Westfassaden der Gebäude an und befinden sich auch im Bereich von großen Instituts- und Veranstaltungsgebäuden mit versiegelten Parkplätzen. Das ist insbesondere dort der Fall, wo die Luftströmung abgebremst oder der turbulente Vertikalaustausch behindert wird, auf sonnenexponierten Parkflächen und locker bebauten und durchgrünten Wohnflächen sowie in breiten Straßenräumen.

Im Untersuchungsquartier Grünau-Nord ist auffällig, dass einige Innenhöfe und Räume an Ostfassaden von Gebäuden kühl sind. Deren Verschattungsleistung wird durch relativ dichte Vegetation unterstützt. Im Zentrum-West sind tendenziell kühlere Temperaturen festzustellen. Wesentliche Ursachen dafür sind die großen Parkflächen, die Nähe zu Wasserläufen und die häufigere Gebäudeanordnung um geschlossene Innenhöfe mit schattenspendender Begrünung.

Die Ausweisung der Hitzestress-Schwerpunktgebiete auf der Ebene der SB ermöglicht die kleinräumige Zuordnung von soziodemographischen Merkmalen und subjektiven Hitzewahrnehmungen, die durch Bewohnerbefragungen erfasst wurden.

5.2 Befragungsergebnisse

Bezüglich der soziodemographischen Charakteristik der Bewohner*innen in den Untersuchungsquartieren Grünau-Nord und Zentrum-West bestätigen die Befragungsergebnisse die Unterschiede hinsichtlich Alter, Ausbildungsabschluss und Erwerb, auf die auch die Leipziger Kommunalstatistik (Tab. 16.1) verweist. Der Fokus der Auswertung liegt im Folgenden auf dem Indikator Alter, da alte Menschen in Bezug auf Hitzestress zu den vulnerablen Bevölkerungsgruppen zählen.

Durch Befragungen können Aussagen zu Hitzestress innerhalb der Wohnung ermittelt werden. Sie ergänzen damit die mikrometeorologischen Simulationen, die sich auf die Außenbereiche konzentrieren. Wird der subjektiv wahrgenommene hochsommerliche Hitzestress in der Wohnung (tagsüber und nachts) in beiden Untersuchungsquartieren verglichen, dann zeigt sich eine ähnliche Verteilung. Der t-Test weist keine signifikanten Unterschiede nach (p > 0,05).

Werden die Befragungsergebnisse nach Altersgruppen ausgewertet, fällt sowohl in Grünau-Nord als auch im Zentrum-West auf, dass von der Gruppe der Hochaltrigen (85 Jahre und älter, jeweils N = 5) Hitzestress in der Wohnung am wenigsten stark empfunden wird (Abb. 16.5).

Abb. 16.5
figure 5

Subjektiver Hitzestress in der Wohnung (tagsüber im Hochsommer) in den beiden Untersuchungsquartieren nach Altersgruppen

Zur Identifizierung der teilräumlichen Betroffenheit konnten die Ergebnisse je eines SB genutzt werden. Die SB 8 (Grünau-Nord) und 5 (Zentrum-West) befinden sich jeweils in einem PET-Hotspot. Die Befragungsergebnisse belegen, dass der Hitzestress in den ausgewählten SB stärker wahrgenommen wird als in den Untersuchungsquartieren insgesamt (Vergleich der Mittelwerte).

Zudem liegen für beide SB sowohl Daten aus der Kommunalstatistik als auch aus den Bewohnerbefragungen (für ausgewählte Adressen) vor. Der Anteil von Personen über 65 Jahren beträgt laut Leipziger Kommunalstatistik im SB 8 34 % und im SB 5 7 % (Stadt Leipzig 2022b). Die Befragungsergebnisse bestätigen die Unterschiede hinsichtlich Durchschnittsalter und Rentneranteil (Adressen im SB 8, N = 15: 59 Jahre, 64 % Rentner*innen; Adressen im SB 5, N = 20: 37 Jahre, 0 % Rentner*innen).

Des Weiteren wurde die Frage gestellt, welche Maßnahmen zur Verringerung von Hitzestress im Haus und im Wohnumfeld die Befragten begrüßen würden. Auch hier lassen sich Unterschiede erkennen. Im SB 5 wurden Dachbegrünungen sowie Baumpflanzungen und Sonnenschutzvorrichtungen am häufigsten angekreuzt. Unter den Befragten im SB 8 erhielt die Dämmung von Dach und Fassade den größten Zuspruch, gefolgt von Sonnenschutzvorrichtungen und mit etwas Abstand Springbrunnen. Weitere Befragungsergebnisse belegen, dass die Bewohner*innen sich hier eher unzufrieden mit der Wärmedämmung zeigten und einen Sanierungsbedarf angaben. Betrachtet man die Ergebnisse für den Ortsteil Grünau-Nord insgesamt, wird Dämmung im Vergleich zu anderen Maßnahmen eine geringere Priorität zugesprochen. Rund 40 % der Befragten verwiesen auf eine bereits vorhandene Dämmung ihres Hauses. Dies verdeutlicht kleinräumige Unterschiede, die im Umgang mit Hitzestress zu beachten sind.

6 Diskussion der Ergebnisse

6.1 Quartiersbezug von Hitzestress

Die Zusammenschau von mikrometeorologischen Simulationen, Befragungsergebnissen und soziodemographischen Daten der Kommunalstatistik ermöglicht umfassende Erkenntnisse zum Umgang mit Hitzestress. Insbesondere die räumliche Verteilung und die individuelle Ausprägung konnten mit dem hochauflösenden Ansatz (Ebene des Untersuchungsquartiers bis zur SB-Ebene) genauer analysiert werden. Dadurch wurden räumliche Hotspots hinsichtlich Hitzestress identifiziert.

Um deren Ursachen zu erklären, müssen neben dem thermischen Komfort die spezifische Bebauungsstruktur und der jeweilige Grünflächenanteil Beachtung finden. So verfügen hohe Gebäude über einen charakteristischen Schattenwurf, und die Intensität der Sonneneinstrahlung in der Wohnung ist von der Ausrichtung der Fenster abhängig. Die Flächennutzung variiert von Schlichtrasen bis hin zu Parkanlagen mit Großgrün. Darüber hinaus sind versiegelte Flächen wie Parkplätze und Straßen für Hitzestress in der Wohnumgebung bedeutsam.

Die Abschätzung der realen Betroffenheit von Hitzestress und des Umgangs damit setzt zusätzlich die Kenntnis der soziodemographischen Struktur der Bewohnerschaft voraus. Gleichzeitig muss die Erkundung der individuellen Wahrnehmung von Hitzestress erfolgen. Kommunalstatistische Daten bieten einen guten Überblick über die Bewohnerstruktur auf Ortsteil- und SB-Ebene. Sie erfahren durch Befragungen vor Ort eine wertvolle Ergänzung, da die Ergebnisse Einblicke in die subjektive Wahrnehmung von Hitzestress ermöglichen.

Da sich die beiden Untersuchungsquartiere hinsichtlich der aufgezeigten Merkmale und der Ergebnisse voneinander unterscheiden, konnte eine vergleichende Analyse der räumlichen Feinstruktur von Hitzestress erfolgen. Die erkannten Unterschiede lassen Rückschlüsse auf eine gruppenspezifische Betroffenheit und deren Ursachen zu.

Der erprobte quartiersbezogene Forschungsansatz ist übertragbar. Die Voraussetzungen dafür sind eine entsprechende Datenverfügbarkeit und die Bereitstellung ausreichender Rechnerkapazität für die Anwendung des PALM-4U-Modells.

6.2 Grenzen des methodischen Zugangs

Der präsentierte Forschungszugang ist als explorativer Prozess zu betrachten. Es wurde geprüft, wie Hitzestress auf Quartiersebene aus interdisziplinärer Perspektive gemessen und bewertet werden kann. Dafür wurden zwei unterschiedliche Quartiere vergleichend untersucht. Das ambitionierte, jedoch zeitlich beschränkte Forschungsvorhaben sah sich verschiedenen Limitierungen gegenüber, die bei der Auswertung und Interpretation der Untersuchungsdaten zu berücksichtigen sind. Beispielsweise kann für mikrometeorologische Simulationen mit dem Modell PALM-4U aufgrund der langen Rechendauer meist nur ein Tag berücksichtigt werden.

Die kommunalstatistischen Daten standen zwar in großem Umfang zur Verfügung und deckten neben der Ortsteilebene für zentrale Merkmale auch die SB-Ebene ab. Der räumliche Zuschnitt der SB beschränkte jedoch die angestrebte, themenspezifische Auswertung.

Die Befragungsergebnisse lieferten wichtige Informationen dazu, wie unterschiedliche Bewohnergruppen Hitzestress wahrnehmen. Befragungsaktionen sind jedoch sehr ressourcenaufwendig und nur begrenzt umsetzbar. In der vorliegenden Studie wurden Befragungsdaten genutzt, die im Zusammenhang mit anderen Erhebungen entstanden waren. Aus diesem Grund lagen nur in begrenztem Umfang vorhabenrelevante Ergebnisse vor. Des Weiteren stammten die Befragungsergebnisse aus den beiden Untersuchungsquartieren aus verschiedenen Zeiträumen. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der Kooperation mit dem kommunalen Wohnungsunternehmen die Befragung im Untersuchungsquartier Zentrum-West auf dessen Plattenbaubestand beschränkt wurde, welcher nur einen Teil des Wohnungsbestandes umfasst.

Der gewählte methodische Zugang kalkulierte in Ermangelung von Alternativen diese Restriktionen ein. Zentral war der Versuch einer Kombination der verschiedenen disziplinären Ansätze zur Erforschung von Hitzestress auf Quartiersebene. Dazu lagen bislang kaum Erfahrungen vor. Dieser explorative Prozess dient als ein Testfeld für die Nutzung des Planetary-Health-Ansatzes auf Quartiersebene.

7 Schlussfolgerungen zur Umsetzung des Planetary-Health-Ansatzes

In Anlehnung an die konzeptionelle Rahmung des Planetary-Health-Ansatzes wurden mikrometeorologische Simulationen mit Daten der Kommunalstatistik und aus Bewohnerbefragungen verknüpft, um Hitzestress auf Quartiersebene zu untersuchen.

Im Zentrum des Planetary-Health-Ansatzes stehen die vier definierten Handlungsfelder Soziodemographie, Gesundheit, Ökosystem und bebaute Umwelt (French et al. 2021). In dieses System wurden die Forschungsergebnisse der vorliegenden Studie eingeordnet (Abb. 16.6).

Abb. 16.6
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Handlungsfelder und Schlüsselfaktoren im Rahmen des Planetary-Health-Konzeptes, die Hitzestress auf Quartiersebene beeinflussen. (Eigener Entwurf in Anlehnung an French et al. 2021)

Alle Handlungsfelder sind direkt miteinander verzahnt, beeinflussen sich gegenseitig und stehen in Wechselwirkung mit der gesamtstädtischen Ebene. Deshalb ist der Vergleich mit den kommunalen Strategien im Umgang mit Hitzestress hilfreich. Im Abschlussbericht zur Stadtklimaanalyse Leipzigs (Stadt Leipzig 2019) wurde ebenfalls Hitzestress (mittels PET-Wert) ausgewiesen. Dabei zeigte sich am Tag vor allem im westlichen und zentralen Bereich des Zentrums-West eine etwas geringere Wärmebelastung als in Grünau-Nord. Dies korrespondiert mit den in diesem Beitrag beschriebenen Ergebnissen. Darüber hinaus werden im Abschlussbericht vor allem für die Gebiete in Leipzig-Grünau, welche Hotspot d (SB 602013 ≙ 12) entsprechen, sowie den SB, der nordwestlich an Hotspot b angrenzt (Abb. 16.1 und 16.2), sehr hohe PET-Werte hervorgehoben. In der Nacht hingegen weist das Untersuchungsquartier Zentrum-West ein deutlich höheres Risiko für Tropennächte (Lufttemperatur > 20 °C) und insgesamt höhere PET-Werte auf als Grünau-Nord.

Die präsentierten Untersuchungsergebnisse bilden einen Ausschnitt der in Abb. 16.6 verdeutlichten komplexen Interaktionen ab. Sie sind als erster Schritt zu einem umfassenden Planetary-Health-Konzept auf der Quartiersebene zu verstehen. Mikrometeorologische Simulationen, die den thermischen Komfort, den Grünflächenanteil und die Lufttemperatur einbeziehen, werden in engem Zusammenhang mit der Baustruktur interpretiert. Diese physischen Ausprägungen werden der Betroffenheit der Bewohnerschaft von Hitzestress gegenübergestellt. Dabei sind soziodemographische Faktoren ebenso bedeutsam wie Faktoren, die das gesundheitliche Wohlbefinden bestimmen. In diesem Sinn kann eine Resilienzbewertung von Quartieren bezüglich Hitzestress vorgenommen und dadurch die Planung und Umsetzung resilienter Stadtkonzepte unterstützt werden (siehe z. B. Baumgart et al. 2022 mit Bezug auf COVID-19).

Es lässt sich insgesamt konstatieren, dass nur ein interdisziplinäres Vorgehen im Sinne des Planetary-Health-Ansatzes zu erforderlichem Wissensgewinn und praxisrelevanten Lösungen führt. In diesem Sinne repräsentiert der Zugang über Planetary Health einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Resilienz – nicht nur auf der Quartiersebene, sondern auch gesamtstädtisch. Seine forschungspraktische Umsetzung ist aktuell durchaus herausfordernd. Es werden weitere empirisch untersetzte Studien gebraucht, die den Ansatz überzeugend demonstrieren und übertragbare methodisch-konzeptionelle Ergebnisse liefern.