Das Hören

Zusammenfassung

Die Hörwelt der Tiere entsteht durch eine unüberschaubare Vielfalt von Schallquellen, die von jedem einzelnen Tier ganz individuell ausgewertet werden. Ob immerzu hörbare Hintergrundgeräusche, wie der Wind sie in Bäumen und Gräsern erzeugt, irgendeine Bedeutung für Tiere haben? Wie ist es mit gurgelnden, glucksenden Wassergeräuschen oder dem gleichmäßigen Summen aus der Richtung einer entfernten Autobahn? Hat das Zirpen der Grillen in einer Wiese eine Bedeutung für den Hasen und das Lied der Nachtigall für den Uhu im nächtlichen Wald? Da diese Fragen kaum beantwortet werden können, behilft man sich bei der Erforschung des Hörens mit einer Annahme, die von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Hörens ist: Geräusche, die Verhaltensänderungen auslösen, sind für ein Tier von Bedeutung. Hören wird daher fast immer als kontextabhängige Sinnesleistung gesehen. Die große Leistung des Hörsinnes ist es, aus der chaotischen Mischung von Schallsignalen, die das Ohr erreichen, diejenigen Schallmuster herauszufiltern, die für ein Tier von Bedeutung sind. Unsere Gazelle hat ein feines Gehör für das Rascheln von trockenem Gras. Der Wind bewegt Grashalme überall in der Umgebung, andere Gazellen machen ähnliche Geräusche beim Abrupfen von Grasbüscheln, und ihre Hufe lassen das Gras ebenso rascheln wie das Herumhuschen einiger ungefährlicher Kleintiere. Wenn der Gepard seine Pfoten auf den Steppenboden setzt, dann macht er das mit größter Vorsicht, langsam und sachte, um möglichst gar kein Geräusch zu erzeugen. Dennoch, eine Gepardenpfote in 20 m Entfernung raschelt irgendwie besonders, irgendwie verstohlen und gefährlich. Die Gazelle kann das Schallmuster erkennen, obwohl der Trittschall des Raubtieres leiser ist als das Rauschen des Windes. Und sie kann fliehen, denn dieses Geräusch ist für sie ein Signal, ein Geräusch mit Bedeutung. Mit akustischen Signalen kann der Biologe arbeiten, denn er kann die Verhaltensreaktionen eines Tieres beobachten und interpretieren. Da Signale eine Auswirkung auf das Verhalten haben, sind sie auch für die Tiere selbst interessant, denn sie bieten die Möglichkeit, das Verhalten anderer Tiere zu beeinflussen. Also lernen sie, Signale zu hören und zu interpretieren, ihre Aufmerksamkeit auf sie zu richten und sie für eigenes Wohlergehen zu nutzen. Vom profitablen Umgang mit solchen Signalen bis zur Erzeugung eigener Signale ist es kein weiter Weg. Lautsignale, die zum Zweck der Verhaltenslenkung anderer Tiere ausgestoßen werden, bezeichnet man in der Ethologie als Rufe. Rufe dienen oft zwei der wichtigsten Anliegen der Tiere: der Behauptung ihres Reviers und der Anlockung von Partnern.