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Motorisches Lernen

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Bewegung, Training, Leistung und Gesundheit

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird die Bewegungsregulation und das Motorische Lernen auf Grundlage der aktuell prominentesten Motoriktheorie, dem Internen Modelle-Ansatz erklärt. Der Ansatz Interner Modelle wurde zunächst für die Erklärung relativ einfacher Bewegungen entwickelt (z. B. uniplanare Bewegungen eines Effektors). Von Beginn an wurden dabei Adaptationsmechanismen als Modifikatoren Interner Modelle und als zentrale Teilfunktionen von Lernvorgängen unter variablen Ausführungsbedingungen verstanden. Grundlegende Fragen komplexer Sportbewegungen in anspruchsvollen Handlungssituationen lassen sich über den Ansatz jedoch nur sehr begrenzt erklären. Daher werden interne Modelle hier mit der ökologischen Wahrnehmungspsychologie (J. J. Gibson) in Zusammenhang gebracht, um ein weiterführendes Bezugssystem zur Erklärung der Koordination komplexer Sportbewegungen (räumliche Orientierung, Gleichgewichtsregulation, Beobachtungen und Antizipationen unter Zeitdruck etc.) zu entwickeln. Eine solche theorieseitige Integration von Repräsentationsansätzen und ökologischer Wahrnehmungspsychologie wurde zwar bereits mehrfach gefordert (z. B. Hossner et al. 2013), jedoch bisher kaum umgesetzt.

Diese Lücke soll mit dem vorliegenden Beitrag reduziert werden. Mit der dazu vorgeschlagenen umfassenden Berücksichtigung der handlungs- und bewegungsbezogenen Umgebungs- und Situationswahrnehmung wird ein Schwerpunkt auf ökologische, bewegungsinduzierte Informationsanteile gelegt, die erst während der eigenen Bewegung an der Schnittstelle zwischen agierendem Bewegungssystem und der Umgebung erzeugt werden und regulationsseitig zur Verfügung stehen. Diese Informationsanteile werden auf einer höheren, perzeptuomotorischen Ebene verfügbar, da ausgedehnte längs- und querspektrale Integrationen von Reizen in größere Wahrnehmungseinheiten (z. B. optische Fließmuster) dafür die Grundlage bilden. Im sportlichen Handlungszusammenhang kommt solchen Informationsanteilen eine ganz zentrale Bedeutung zu: Mit der Kenntnis zu Genese und Funktion bewegungsinduzierter perzeptuomotorischer Informationsanteile stehen zukünftig neue, effizientere Trainingsformen in verschiedenen Bezugsfeldern sportlichen Trainings (Technik-, Taktik-, Fähigkeitstraining) in Aussicht.

Dieser Beitrag ist Teil der Sektion Sportmotorik, herausgegeben von den Teilherausgebern Alfred Effenberg und Gerd Schmitz, innnerhalb des Handbuchs Sport und Sportwissenschaft, herausgegeben von Arne Güllich und Michael Krüger.

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Notes

  1. 1.

    Der Regulationsbegriff wird hier als übergreifender Begriff verwendet: ‚Bewegungsregulation‘ umfasst die beiden Bereiche der Bewegungskoordination und des motorischen Lernens. ‚Handlungsregulation‘ steht für Planungs-, Entscheidungs- und Ausführungsprozesse etc. und schließt die hierarchisch darunterliegende Ebene der Bewegungsregulation mit ein. ‚Verhaltensregulation‘ schließlich steht für die Gesamtheit aller Handlungsmuster und -formen, die Menschen zur Verfügung stehen, und schließt die beiden untergeordneten Ebenen mit ein.

  2. 2.

    Anm.: Gibson selbst benutzt diesen Begriff der „Subjekt-Umgebungs-Konstellation“ nicht. Die Autoren dieses Beitrags beziehen den Begriff auf die Arbeiten von Lee (1980, S. 169), der feststellt: „… information both about the topography of the environment and about the movement of the organism relative to the environment“ und von Stoffregen et al. (2017) vor, die in einem eng benachbarten Zusammenhang mit intensivem Bezug auf die Arbeiten von Gibson von „animal – environment interaction“ (2017, S. 165) als Quelle regulationsrelevanter Information sprechen.

  3. 3.

    Ebenso erfolgen in diesem Zusammenhang Bezüge auf eine Erweiterung des individuellen Handlungsrepertoires, womit allerdings bereits bewusstseinsgebundenen Anteile der Bewegungs- und Handlungsregulation implizit betont werden, da Handlungen in aller Regel mit bewusst intendierten Zielen assoziiert sind. Alternativ könnte von einer Erweiterung des Bewegungsrepertoires gesprochen werden, denn der Begriff der Bewegungsregulation rekurriert primär auf motorische, koordinative sowie sensorische wie auch perzeptive Funktionen.

  4. 4.

    Der Begriff „Zustand“ steht hier explizit anstelle des Begriffs einer „Subjekt-Umwelt-Konstellation“, d. h. es geht um die spezifischen Merkmale einer Personenkonstellation in ihrer direkten, wahrnehmungsseitig abgebildeten Umgebungskonstellation.

  5. 5.

    Diese Aspekte systeminterner wie externer Variabilität und der entsprechenden Anpassungen der Bewegungskoordination werden in Abschnitt „Adaptation“ umfassender behandelt.

  6. 6.

    W. James zum Begriff „Ideo-Motor Action“: „The question is this: Is the bare idea of a movement’s sensible effects its sufficient mental cue (S. 497), or must there be an additional mental antecedent, in the shape of a fiat, decision, consent, volitional mandate, or other synonymous phenomenon of consciousness, before the movement can follow?

    I answer: Sometimes the bare idea is sufficient, but sometimes an additional conscious element, in the shape of a fiat, mandate, or express consent, has to intervene and precede the movement. The cases without a fiat constitute the more fundamental, because the more simple, variety.

    …. For the present let us turn to ideo-motor action, as it has been termed, or the sequence of movement upon the mere thought of it, as the type of the process of volition.

    Wherever movement follows unhesitatingly and immediately the notion of it in the mind, we have ideo-motor action. We are then aware of nothing between the conception and the execution. All sorts of neuro-muscular processes come between, of course, but we know absolutely nothing of them.“ (James 1918, S. 522, gescannte Ausgabe aus dem „Project Gutenberg EBook“, 2018).

  7. 7.

    Ein derartiger Bezug in Form von „bidirektional aktivierbare Bewegungs-Effekt Assoziationen“ ist ja bereits in dem Illustrationsbeispiel des Singen-Lernens eines neuen Lieds auf S. 6 veranschaulicht worden.

  8. 8.

    Allerdings ist dieses breit etabliere Verständnis einer Abgrenzbarkeit von Entwicklungs- zu Lerneinflüssen bei differenzierter funktionaler Betrachtung nicht aufrechtzuerhalten: Auch im Entwicklungszusammenhang ist eine gezielte physische Aktivität Grundlage für eine Realisation der jeweiligen Entwicklungsstufe. Gezieltes sportliches Training, z. B. Technikerwerbstraining, forciert die Ausführung spezifischer Bewegungsmuster mit oftmals hohen Umfängen. Sowohl im Entwicklungs- wie auch im Lernzusammenhang entwickeln sich neue Strukturen (Anabolismus – z. B. Zunahme des Muskelquerschnitts, Plastizität – Verstärkung von bestehenden bzw. Emergenz von neuen neuronalen Strukturen).

  9. 9.

    Neben intendierten Bewegungshandlungen gibt es weitere Kategorien menschlicher Bewegungen, wie z. B. Reflexe oder automatisierte Bewegungen, wenn man plötzlich stolpert, ausrutscht oder auch spontan ausweichen muss etc. Hier stehen allerdings Bewegungen in Zusammenhang eines weitgehend intendierten, agierenden Bewegungsverhaltens im Vordergrund, das grundsätzlich gegenüber reaktivem Bewegungsverhalten abgegrenzt werden kann.

  10. 10.

    Der Kognitionsbegriff wird im vorliegenden Text i. S. eines offenen, umfassenden Verständnisses verwendet, wie es u. a. bei Neisser, einem der zentralen Begründer der kognitiven Psychologie, zu finden ist. So bezieht Neisser (1967, S. 4) den Kognitionsbegriff auf „ … all the processes by which the sensory input is transformed, reduced, elaborated, stored, recovered, and used“. Hier wird darüber hinausgehend der Bezug auf sensorischen Input sogar in der Form erweitert, dass insgesamt informationserzeugenden Prozesse im ZNS als kognitive Prozesse verstanden werden, also z. B. auch Reflexionen auf der Grundlage von gespeicherten Gedächtnisinhalten, die zumindest unabhängig von aktuellem sensorischen Input realisiert werden können.

  11. 11.

    Dass auch kurvig ausgeführte Bewegungen auf der Planung geradliniger Vektoren basieren können, wurde am Beispiel von Sakkaden gezeigt. Sakkaden sind schnelle Augenbewegungen, die äußerst geradlinig ausgeführt werden. Weniger bekannt ist, dass sie auch kurvig verlaufen können. Dies passiert, wenn zwei Reize in einem bestimmten Zeitintervall hintereinander im Blickfeld erscheinen. Dieser sogenannte ‚globale Effekt‘ wird über zwei sich überlappende Bewegungsprogrammierungen erklärt. Jede Programmierung für sich resultiert in einem Bewegungsvektor. Überlagern sich beide Bewegungsvektoren anteilig in der Zeit, erzeugen sie eine Gesamtbewegung, die kurvig verläuft (Becker und Jürgens 1979). Ein vergleichbarer Effekt wurde auch für Handbewegungen nachgewiesen (Van Sonderen et al. 1988). Wahrnehmungsseitig scheinen Bewegungsvektoren ebenfalls relevant zu sein (Moutoussis und Zeki 2008). Unter der Annahme, dass unser motorisches System an der Bewegungswahrnehmung beteiligt ist, könnte dies möglicherweise erklären, warum es vergleichsweise schwerer erscheint, kurvige im Vergleich zu geradlinigen Bewegungen zu beurteilen (Bian et al. 2013; Knoblich et al. 2002; Ni und Andersen 2008). Wahrnehmungsseitige Veränderungen wurden nach motorischer Adaptation vermehrt berichtet (Awater et al. 2005; Hatada et al. 2006).

  12. 12.

    Bewegungssequenzen lassen sich als serielle Abfolge mehrerer Bewegungsvektoren verstehen. Ein isoliertes Adaptieren der Ausrichtung eines einzelnen Bewegungsvektors verändert im Anschluss die Metrik des entsprechenden Bewegungsanteils bei der Ausführung der Sequenz (Wu und Smith 2013).

  13. 13.

    Auch diese Form der Prädiktion spielt eine wichtige Rolle bei der Adaptation: Scott und Gray (2010) zeigten in ihrer Studie mit Baseballspielern, dass für eine Gewöhnung an einen leichteren oder schwereren Schläger eine Exploration sowie Schwünge ohne Ball nicht hinreichend sind. Vielmehr muss die Schlagbewegung intendiert und auf das Treffen des Balls hin geübt werden.

  14. 14.

    Gestaltgesetze nach Wertheimer (1923): Gesetz der Nähe, Gesetz der Ähnlichkeit, Gesetz der guten Gestalt, Gesetz der guten Fortsetzung bzw. der durchgehenden Linie, Gesetz der Geschlossenheit, Gesetz des gemeinsamen Schicksals.

  15. 15.

    So bieten z. B. auch die von der Gestaltpsychologie beschriebenen Prinzipien „der durchgehenden Linie“ und „der Geschlossenheit“, welche bei einer gegenseitigen Überdeckung optischer Objekte aufgrund gegebener Tiefenstaffelung im Raum Konturüberdeckungen indizieren, zuverlässige Informationen für die Entfernungseinschätzung etc. an.

  16. 16.

    Auch Kawato und Cortese (2021) erweitern die Theorie Interner Modelle auf eine höhere Ebene, in diesem Falle aber auf die Ebene höherer Kognitionen (metacognition).

  17. 17.

    Ein alternativer Ansatz zur Unterstützung einer effizienteren Etablierung von Vorwärtsmodellen zur Forcierung der motorischen Kontrolle (Effenberg 2005), des motorischen Lernens (Effenberg et al. 2016) und auch zur gezielten Modulierung der Wahrnehmung großmotorischer Sportbewegungen auf der perzeptuellen Ebene (Effenberg und Schmitz 2018) existiert mit der Transformation kinematischer Bewegungsinformation in die auditive Modalität (Vinken et al. 2013; Effenberg et al. 2018).

  18. 18.

    Eine der aktuell populärsten perzeptiv-kognitiven Trainingsinstrumente ist der „Neurotracker“, ein virtuelles „3D Multiples Objekt-Tracking-Szenario“, mit dem die visuelle Wahrnehmung mehrerer, sich simultan bewegender Objekte trainiert werden kann. Dieses System wird z. B. in der Nachwuchsentwicklung im Leistungsfußball eingesetzt. Allerdings ist die empirische Befundlage zu spezifischen Wirkungen dieses Trainingsinstruments gegenwärtig noch sehr dünn und auch uneindeutig (Vater et al. 2021).

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Effenberg, A.O., Schmitz, G. (2023). Motorisches Lernen. In: Güllich, A., Krüger, M. (eds) Bewegung, Training, Leistung und Gesundheit. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53410-6_60

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