Zusammenfassung
In diesem Artikel werden KI-gestützte Entwicklungen im Kontext gesellschaftlicher Differenzverhältnisse diskutiert. Im Rahmen dessen sind relevante Aussagen zu marginalisierten Personengruppen erfasst. Ziel ist ein differenziertes Verständnis von KI-Verfahren, in ihrer komplexen Einbettung in gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten. Dies geschieht auf zweifache Weise: Geschlecht, Behinderung, Alter, „race“ und Herkunft werden als Zielgruppen ins Visier genommen. Außerdem werden technologische Logiken als Querschnittsthema verhandelt. Ausgangspunkt bildet die These, dass sich diskriminierende Muster und Machtverhältnisse durch KI modernisieren, aber nicht auflösen. Anders formuliert: Technik verändert sich, Ungleichheit bleibt bestehen. Überdies entsteht durch KI die Gefahr neuer Formen von Ungleichheit entlang von Kriterien der technologischen Verwertbarkeit von Vielfalt und Differenz. Mittels KI-Technologien entstehen zudem neue Zugriffspunkte für verschiedene Ökonomisierungs-, Regierungs- und Herrschaftspraktiken. Gleichwohl wird KI-Technik als nicht determiniert verstanden. Viel eher entsteht ein neues Spannungsverhältnis zwischen neuen (kapitalistischen) Regierungs- und Herrschaftspraktiken sowie (politischem) Gestaltungspotential.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
„Race“ steht in Anführungszeichen, da es keine menschlichen „Rassen“ gibt. Die Beschäftigung mit „race“ in den Sozial- und Kulturwissenschaften bedeutet stattdessen eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen des Rassismus. In diesem Sinne geht es in diesem Artikel u. a. um eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (KI). Gefragt wird nach Prozessen der Rassifizierung durch die KI-Entwicklung.
- 2.
Mit dem Begriff sozialer Zugehörigkeit wird auf sozial-ökonomisch benachteiligte Personen rekurriert. Ein anderer Begriff ist „Klasse“.
- 3.
Gesellschaftliche Differenzverhältnisse: In diesem Artikel wird von Differenz, bzw. von Differenzkategorien gesprochen, um Differenz als das ‚Andere‘, bzw. Nicht-Identische zu kennzeichnen. Zum einen meint Differenz hier Alterität (Andersheit) oder Alienität (Fremdheit). In poststrukturalistischen Debatten ist Differenz das Nicht-Identische, bzw. Andere. Es geht um eine Kritik am dualistischen Denken in der Aufklärung und den diesen begründenden Begriffsapparat der Sozial-/Kulturwissenschaften.
- 4.
In einer inklusiven Gesellschaft gibt es keine definierte Normalität, welche die Mitglieder einer Gesellschaft anstreben oder erfüllen müssen. Normal ist die Tatsache, dass Unterschiede zwischen den Individuen vorhanden sind. Unterschiede werden als Bereicherung interpretiert. Inklusion beschreibt die Gleichwertigkeit eines Individuums, ohne dass Normalität vorausgesetzt wird. Normal ist vielmehr die Vielfalt.
- 5.
Eng mit der Kritik am Kolonialismus verbunden, ist die radikale Analyse von Modernität und der gewaltsamen Eroberung weiter Teile der Welt durch europäische und andere Mächte. Die mit dieser Eroberung einhergehende Ideologie kultureller und technischer Überlegenheit sowie ihre verwendeten Dichotomien, in der Beschreibung der Welt, werden in der postkolonialen Theorie radikal infrage gestellt. Aus diesem Grund gibt es eine gesellschaftswissenschaftliche Diskussion über den Begriff der Moderne. Im Mittelpunkt steht die Kolonialität der Moderne. Deswegen wird inzwischen von einer pluralen, vielfältigen Moderne gesprochen, die nicht allein eine westliche Perspektive einbezieht (vgl. Kerner 2021). Aufgrund ihrer engen Verknüpfung mit militärischer und patriarchaler Gewalt, kapitalistischer Ausbeutung und Zerstörung der Natur, ist die Geschichte der „modernen“ Technologie weder „unschuldig“ noch neutral. Technik wurde als Mittel der Kolonisierung eingesetzt und heutige Innovationen basieren nicht selten auf Rohstoffen, die unter postkolonialen Ausbeutungsverhältnissen gewonnen werden. Die hegemoniale Vorstellung von technischem Fortschritt und die ihr zugrunde liegenden Ideen von Aufklärung und Rationalismus sind eng mit den Herrschaftsansprüchen des globalen Nordens verflochten. Zwar tritt die technologische Entwicklung mit dem Anspruch auf, universalistisch dem Wohl aller Menschen zu dienen, tatsächlich bleibt sie aber den partikularen Interessen postkolonialer Metropolen verpflichtet. Damit stellt sich die Frage, wie die Verzahnung des technologische Fortschrittsversprechens mit der europäischen Moderne gelöst werden kann (Jour Fixe Initiative, Berlin & Frankfurt 2022).
- 6.
Universal Design, deutsch Universelles Design, ist ein internationales Design-Konzept, welches Produkte, Geräte, Umgebungen und Systeme derart gestaltet, dass sie für so viele Menschen wie möglich, ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung, nutzbar sind. Der Begriff „Universelles Design“ wird häufig mit anderen Begriffen, wie z. B. „Design für Alle“ oder Barrierefreiheit, gleichgesetzt und synonym gebraucht. Doch auch wenn sich die Begriffe sehr ähneln, unterscheiden sie sich in ihren Grundgedanken. Design für Alle als europäische Strategie meint aus diesem Grund, verschiedene Gruppen von Menschen zu integrieren, ohne eine Einheitlichkeit zu erzwingen.
- 7.
Vgl. International Research Network on Design (and) Activism. Siehe den Link: https://desactivism.wordpress.com/. Siehe außerdem: Design Activist Institute. http://designactivistinstitute.org/. The Design Activist Institute is a Philadelphia-based, intersectional, feminist, autonomous, grassroots collective of designers working for radical, utopian resistance and building a better world.
- 8.
Siehe beispielsweise, Link: https://www.uni-kassel.de/eecs/gedis/forschung/recoding und https://tupviskom.net/category/re-search/. Homepage Prof. Johanna Schaffer, Universität Kassel. (abgerufen 31.3.2023).
- 9.
Ein Beispiel: https://ride4all.nrw/sofia-inklusiv. Abgerufen am 7.8.2022.
- 10.
Siehe: Institut für digitale Teilhabe. Link: https://www.hs-bremen.de/die-hsb/fakultaeten/elektrotechnik-und-informatik/forschung-und-transfer/institut-fuer-digitale-teilhabe/#c18998. Abgerufen am 25.07.2022.
- 11.
Siehe die Homepage – Link: https://www.interaktive-technologien.de/projekte/dof-adaptiv.
Abgerufen am 25.07.2022.
Literatur
Barad, Karen. 2012. Agentieller Realismus: Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken. Berlin: edition unseld.
Bath, Corinna und Yvonne, Bauer, u.a. (Hrsg.). 2005. Materialität denken. Expertisen zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper. Bielefeld: transcript Verlag.
Bauer, Susanne, Thorsten Heinemann und Thomas Lemke (Hrsg.). 2017. Science and Technology Studies. Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Beck, Ulrich. 2015a. Moderne. In Lexikon der Soziologie und Sozialtheorie. Hundert Grundbegriffe, hrsg. von Sina Farzin und Stefan Jordan, 198–201. Ditzingen: reclam.
Beck, Ulrich. 2015b. Risikogesellschaft, Berlin: suhrkamp Verlag.
Bergt, Svenja. 2023. Moratorium über Umgang mit KI: Pause mit Problemen Hilft ein temporärer Entwicklungsstopp, KI in Bahnen zu lenken? Expert:innen finden, die Forderung gehe an den echten Gefahren vorbei. März 31. https://taz.de/Moratorium-ueber-Umgang-mit-KI/!5925502&s=KI/ (abgerufen am 31.03.2023).
Bieling, Tom. 2019. DESIGN (&) ACTIVISM – Perspectives on Design as Activism and Activism as Design. Mimesis International (Design Meanings).
Bieling, Tom. 2021. Inklusion als Entwurf. Birkhäuser: DeGruyter.
Biniok, Peter, und Eric Lettkemann. 2017. Assistive Gesellschaft. Multidisziplinäre Erkundungen zur Sozialform „Assistenz“. Wiesbaden: Springer Verlag.
Blanc, Berit, und Susan Beudt. 2022. Monitoring KI-gestützter Assistenztechnologien für Menschen mit Behinderungen. Stand der Entwicklungen und Trends. Ergebnisbericht des Projekts KI.ASSIST. Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V.
Butollo, Florian, und Sabine Nuss. 2019. Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit. Berlin: Dietz Verlag.
Daum, Timo. 2019: Künstliche Intelligenz als vorerst letzte Maschine des digitalen Kapitals. In: Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit, hrsg. Florian Butollo und Sabine Nuss, 311–327. Berlin: Dietz Verlag.
Endter, Cordula. 2020. Assistiert Altern. Die Entwicklung digitaler Technologien für und mit älteren Menschen. Wiesbaden: Springer Verlag.
Engel, Antke. 2007. Gefeierte Vielfalt. Umstrittene Heterogenität. Befriedete Provokation. Sexuelle Lebensformen in spätmodernen Gesellschaften. In Heteronormativität und Homosexualitäten, hrsg. Rainer Bartel, Waltraud Finster, Meinrad Ziegler, 43–64. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien Verlag.
Feministische Studien. 2019. Cyborgs Revisited: Zur Verbindung von Geschlecht, Technologien und Maschinen. 37/2. https://blog.feministische-studien.de/aktuell/.
Fink, Dagmar. 2021. Cyborg werden. Möglichkeitshorizonte in feministischen Theorien und Science Fictions. Bielefeld: transcript
Fraser, Nancy. 2003. Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt: suhrkamp Verlag.
GENDER. 2019. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. Schwerpunkt: Gender, Technik und Politik 4.0. 11/3. Leverkusen: Budrich Verlag.
Hamraie, Aimi, und Kelly Fritsch, 2019. Crip technoscience manifesto. Catalyst: Feminism, Theory. Technoscience, 5/1: 1–34. https://catalystjournal.org/index.php/catalyst.
Haraway, Donna. 1995a. Die Neuerfindung der Natur. Frankfurt/New York.
Haraway, Donna. 1995b. Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. Frankfurt, New York.
Henwood, Flis, und Sally Wyatt. 2019. Technology and In/Equality, Questioning the Information Society (Almost) 20 Years Later. In DCS. Digital Culture and Society. 5/1. 183–194. Bielefeld: transcript Verlag.
Heiler, Hannes. 2020. Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft (FBAG). Fachausschuss Verkehr und Beförderungsdienst. Sprecher: Hannes Heiler. Stellungnahme zum neuen Nahverkehrsplan (NVP) der Stadt Frankfurt am Main.
Holert, Tom, und Mark Terkessidis. 1997. Mainstream der Minderheiten. Berlin: Edition ID-Archiv.
Houben, Daniel, und Bianca Prietl. 2018. Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen. Bielefeld: transcript Verlag.
Imbusch, Peter. 1998. Macht und Herrschaft in der wissenschaftlichen Kontroverse. In Peter Imbusch, Macht und Herrschaft. Sozialwissenschaftliche Theorien und Konzeptionen. 275–299.
Jour Fixe Initiative Berlin/Frankfurt. 2022. Vortragsreihe: Dialektik der Technik. Sommer 2022. https://www.jourfixe.net/index.php/veranstaltungsreihe/dialektik-der-technik.
Kalender, Ute. 2011. Körper von Wert: Eine kritische Analyse der bioethischen Diskurse über die Stammzellforschung. Bielefeld: transcript Verlag.
Kerner, Ina. 2021. Postkoloniale Theorien zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag.
Klein, Barbara. 2020. Hilfsmittel, Assistive Technologien und Robotik. Selbständigkeit und Lebensqualität im Alter erhalten. Stuttgart. Wiesbaden: Springer Verlag.
Latour, Bruno. 2010: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft: Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Berlin: Suhrkamp-Verlag.
Lemke, Thomas. 2000. Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die gouvernmentality studies. http://www.thomaslemkeweb.de/engl.%20texte/Neoliberalismus%20ii.pdf.
Lorey, Isabell, Roberto Nigro, und Gerald Raunig. 2011. Inventions. Actualizing Poststructuralist Theory. Transversal.at. https://www.transversal.at/transversal/0811/raunig-lorey-nigro/en?hl=Assemblage.
Netznova*. 2020. Wenn KI dann feministisch. Impulse aus Wissenschaft und Aktivismus. Berlin: Netznova.
Pfeiffer, Sabine. 2021. Digitalisierung als Distributivkraft. Über das Neue am digitalen Kapitalismus. Bielefeld: transcript Verlag.
Raab, Heike. 2011. Sexuelle Politiken. Die Diskurse zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Frankfurt/ New York: Campus Verlag.
Ravneberg, Bodil, und Sylvia Söderström. 2018. Disability, Society and Assistive Technology. London/New York. Routledge.
Schaupp, Simon. 2021. Technopolitik von unten: Algorithmische Arbeitssteuerung und kybernetische Proletarisierung. Berlin: Matthes & Seitz.
Schmid, Florian. 2023. Künstliche Intelligenz: Angst-Gegner oder Verbündete? In der Science-Fiction treten künstliche Intelligenzen schon seit Jahrzehnten auf. Erst allmählich nicht mehr nur als Bösewichte. Neues Deutschland. März 24. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171963.science-fiction-kuenstliche-intelligenz-angst-gegner-oder-verbuendete.html.
Schmitz, Sigrid. 2021. TechnoBrainBodies-in-Cultures: An Intersectional Case. In Frontiers in Sociology. https://www.frontiersin.org/articles/https://doi.org/10.3389/fsoc.2021.651486/full.
Staab, Philipp. 2020. Digitaler Kapitalismus. Berlin: suhrkamp Verlag.
Suchmann, Lucy. 2019. Feministische Science & Technology Studies (STS) und die Wissenschaften vom Künstlichen. GENDER. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. Schwerpunkt: Gender, Technik und Politik 4.0.,11/3: 56–84. Leverkusen: Budrich Verlag.
Waldschmidt, Anne. 2014. Macht der Differenz: Perspektiven der Disability Studies auf Diversität, Intersektionalität und soziale Ungleichheit. In Soziale Probleme. Zeitschrift für soziale Probleme und soziale Kontrolle, 25/2: 173–193. Herbolzheim: BELTZ/ Juventa.
Weber, Jutta. 2002. Technoscience als Epoche? Ontologische, epistemologische und narrative Grundlagen der Techno/Wissenschaften. In Techniken der Reproduktion. Medien – Leben – Diskurse. hrsg. Bergermann, Ulrike. Helmer Verlag, Königstein, S. 51–66.
Weber, Jutta. 2003. Umkämpfte Bedeutungen: Natur im Zeitalter der Technoscience. Frankfurt am Main. Campus Verlag.
Weber, Jutta, und Bianca Prietl. 2021. On the Rise of Data Driven AI and its Epistem-Ontological Foundations. In The Routledge Social Science Handbook of Ai., eds. Anthony Elliott, 58 – 74. Routledge.
Wentz, Daniela. 2022. “You make me feel like a natural woman‹.(Neuro)queerness und Affective Computing”. Unveröff. Vortrag. Internationale Tagung – DIGITAL GENDER: ETHIK, MACHT UND (GESCHLECHTER-)WISSEN IN SYSTEMEN KÜNSTLICHER INTELLIGENZ. APRIL.
Whittaker, Meredith, Meryl Alper und Cynthia L Bennett. 2019. Disability, Bias, and AI. AI Now – Institute at New York University (NYU). New York. chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://ainowinstitute.org/disabilitybiasai-2019.pdf.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2024 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Raab, H. (2024). Toys are us: KI, Diversität und soziale Ungleichheit. Oder: KI für Alle?. In: Heinlein, M., Huchler, N. (eds) Künstliche Intelligenz, Mensch und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43521-9_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-43521-9_11
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-43520-2
Online ISBN: 978-3-658-43521-9
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)