1 Entsorgung radioaktiver Abfälle – Sonder- oder Modellfall?

Jedes Planen in die Zukunft hinein, jedes Vorhaben ist mit Ungewissheiten verbunden. Entscheidungen müssen getroffen werden, obwohl relevante Informationen oder spezifisches Wissen nicht verfügbar sind. Insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften wird Entscheiden unter Ungewissheit bereits seit Jahrzehnten untersucht. Informations- und Entscheidungstheorie stellen Ansätze bereit, die Entscheidungen unter Ungewissheit leiten können. Komplexe und kontroverse gesellschaftliche Probleme, die durch ein hohes Maß an Ungewissheit gekennzeichnet sind, werden im Kontext der „post-normalen“ Wissenschaft erforscht (Funtowicz und Ravetz 1993). Dennoch ist Entscheiden unter Ungewissheit anspruchsvoll geblieben und manche Entscheidungen, die angesichts von Ungewissheiten getroffen wurden, erweisen sich im Nachhinein als wenig zielführend.

Warum ist ein Buch zum Entscheiden unter Ungewissheit und zu Ungewissheiten bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle angebracht?

Nukleare Entsorgung, die wie in Deutschland vorgesehen zur Endlagerung der Abfälle im geologischen Untergrund führt, weist eine spezifische Kombination zweier Merkmale auf, die sie von anderen gesellschaftlich relevanten Aufgaben, bei denen Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen werden müssen, unterscheidet:

  • Das soziotechnische Projekt der Entsorgung ist in einigen Ländern, aber insbesondere in Deutschland, durch eine konfliktreiche Vergangenheit belastet (Kirchhof 2024). Politische, soziale, ökologische, wirtschaftliche und technische Aspekte sind auf vielfältige Art und Weise ineinander verwoben (Brunnengräber et al. 2012). Die damit verbundenen Ungewissheiten werden durch Polarisierungen, Misstrauen und schlechte Erfahrungen, die aus der Vergangenheit nachwirken, verstärkt. Unterschiedliche Sichtweisen, Zielvorstellungen und Interessen begünstigen den taktischen Einsatz von Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg. Ungewissheiten werden ins Feld geführt, um die wissenschaftlichen Grundlagen unerwünschter Entscheidungen infrage zu stellen, und Ungewissheiten können geschaffen werden, um die Sichtbarkeit unerwünschten Wissens zu verringern (Dienel und Henseler 2017, S. 168; Kerr 2017, S. 203 f).

  • Der Bewertungszeitraum für die Langzeitsicherheit eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle ist in Deutschland und der Schweiz auf eine Million Jahre ab Verschluss des Endlagers angesetzt. Der Entsorgungsweg, der vom Beginn eines Standortauswahlverfahrens bis zum verschlossenen Endlager führt, beansprucht viele Jahrzehnte bis mehr als ein Jahrhundert. Realisierungszeiträume von mehreren Jahrzehnten sind gegenwärtig nur von wenigen großen Infrastrukturvorhaben, zum Beispiel zu zentralen europäischen Verkehrsachsen, bekannt. Die ungewöhnlich langen Zeiträume bringen ein hohes Maß an Ungewissheit zu zukünftigen Ereignissen und Entwicklungen mit sich. Das gilt vor allem für menschliche Aktivitäten, die sowohl den Entsorgungsweg betreffen als auch die Langzeitsicherheit des Endlagers beeinflussen können. Über die Zeiträume, für die die Langzeitsicherheit eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle belegt werden muss, sind die Ungewissheiten zu menschlichen Aktivitäten so groß, dass man sich nur mit Konventionen wie der Verwendung stilisierter Szenarien behelfen kann.

Ein spezifisches Merkmal des Projekts „Endlagerung hochradioaktiver Abfälle“ ist zudem, dass es auf zwei „Endpunkte“ abzielt: Den Zeitpunkt, an dem das Endlager verschlossen wird, und das Ende des Bewertungszeitraums von einer Million Jahre für die Sicherheit. Generell lässt sich Endlagerung als „Allokation eines negativen Gutes“ (Ott und Semper 2017) verstehen. Aus gegenwärtiger Sicht verbindet sich mit den Abfällen kein Nutzen; von ihnen gehen nur Gefahren aus. Das verschlossene Endlager soll Mensch und Umwelt vor diesen Gefahren schützen, ohne dass künftige Generationen einen aktiven Beitrag zur Sicherheit leisten müssen. Die nach dem Verschluss des Endlagers verbleibenden Ungewissheiten sind demnach als latente Bedrohung aus dem Untergrund zu verstehen. In Ländern, die aus der Nutzung der Kernenergie ausgestiegen sind oder in näherer Zukunft aussteigen, eröffnet die Endlagerung kaum fassbare Chancen, kaum positive Perspektiven für künftige menschliche Aktivitäten und unterscheidet sich damit von anderen großen gesellschaftlichen Vorhaben wie Klimaschutz und Klimaanpassung, die insbesondere jungen Menschen konkretere und potentiell auch dauerhaftere Gestaltungsperspektiven bieten (BMUV/UBA 2022).

Auf dem weiten Feld der Ungewissheiten zu künftigen Entwicklungen der Entsorgung radioaktiver Abfälle ist Erfreuliches möglich: Politiker:innen setzen sich konsequent und überzeugend für eine sichere Entsorgung ein. Neue Erkundungstechniken erlauben es, die Beschaffenheit des Wirtsgesteins von der Erdoberfläche aus präziser als zuvor zu erfassen. Dank internationaler Forschungs- und Entwicklungsvorhaben gelingt es, neue stabilere Abfallmatrizen zu entwickeln, die die Freisetzung von Radionukliden langfristig verhindern, und damit die von den Abfällen ausgehenden Gefahren weiter zu reduzieren.

Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit richtet sich angesichts tiefgreifender Ereignisse und Entwicklungen derzeit jedoch vor allem auf Ungewissheiten, die mit existenziellen Bedrohungen in Zusammenhang stehen: Der Klimawandel ist mit erheblichen Ungewissheiten zu ökologischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Auswirkungen verbunden. Die COVID-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind Ereignisse, bei denen sich Ungewissheiten manifestiert und in düstere Gewissheiten verwandelt haben. Ein Fokus beim Entscheiden unter Ungewissheit und beim Umgang mit Ungewissheiten liegt daher auf dem Vermeiden, Vermindern und Eingrenzen negativer Auswirkungen. Vorsorge, Robustheit und Resilienz werden als wichtige Anforderungen benannt. Die Konzepte, die damit angesprochen sind, lassen sich allerdings nur schwer allgemeingültig und verbindlich fassen. Ähnlich wie Nachhaltigkeit bezeichnen sie eine Zielrichtung, deren Einhaltung oft anspruchsvolle einzelfallspezifische Lösungen erfordert.

Komplexe, teils umstrittene gesellschaftlich relevante Aufgabenstellungen, die künftige Generationen betreffen – aus dieser Perspektive stellt sich der Umgang mit Ungewissheiten bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle schließlich weniger als Sonder- denn als Modellfall für weitere große, gesellschaftlich relevante Fragen dar.

2 Entscheidungen angesichts von Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg

Bei der Betrachtung von Ungewissheiten zu künftigen Entwicklungen und Ereignissen bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle lassen sich zwei Zeithorizonte unterscheiden, die mit den oben erwähnten „Endpunkten“ in Verbindung stehen:

  • Die Dauer des Entsorgungswegs, der vom Standortauswahlverfahren zum verschlossenen Endlager führt, umfasst Jahrzehnte, unter Umständen mehr als ein Jahrhundert, und ist primär durch Ungewissheiten zu Ereignissen und Entwicklungen gekennzeichnet, die von Menschen verursacht sind. Solche Ereignisse und Entwicklungen betreffen Bereiche wie Politik, Wirtschaft und Technologie.

  • Im Bewertungszeitraum für die Langzeitsicherheit, der eine Million Jahre ab Verschluss des Endlagers umfasst, stehen aus heutiger Perspektive Ungewissheiten zu technischen und natürlichen Entwicklungen im Vordergrund, zum Beispiel von Endlagerbehältern, geotechnischen und geologischen Barrieren, Klima und Ökosystemen.

Zum Umgang mit Ungewissheiten, die diese beiden Zeithorizonte betreffen, haben sich zum Teil unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt. Die Unterschiedlichkeit geht vor allem darauf zurück, dass zur Gewährleistung der Langzeitsicherheit eines Endlagers menschliches Handeln nicht mehr notwendig sein soll, während der vorgelagerte Entsorgungsweg vielfältige Aktivitäten erfordert, um den Prozess, der zur Endlagerung führt, sicher und nachhaltig zu gestalten.

Unterschiede zwischen den beiden Zeithorizonten spiegeln sich auch in den Beiträgen zu diesem Sammelband wider.

2.1 Lehren zum Umgang mit Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg

Rückblickend zeigt sich, dass die Entsorgung radioaktiver Abfälle in Deutschland bereits in den 1970er Jahren in Teilen der Gesellschaft erheblichen Widerstand hervorrief. Ein Zustand, in dem gesellschaftlich unhinterfragte Gewissheit zum grundsätzlichen Verlauf des weiteren Entsorgungswegs bestand, trat seither nicht mehr ein. Politische Entscheidungsträger:innen realisierten, dass sich Entsorgungsprogramme nicht einfach durchsetzen lassen und auf dem Entsorgungsweg permanent mit Ungewissheiten zu rechnen ist, die Anpassungen erforderlich machen können. Bei Prozessen wie dem Standortauswahlverfahren für ein Endlager in Deutschland muss daher ausreichende Offenheit und Flexibilität für Veränderungen gegeben sein (Kirchhof 2024).

Seit 2017 wird das Verfahren für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland durch das Standortauswahlgesetz (StandAG) geregelt. Dieses Gesetz, das sich auf den vorausgehenden Diskurs zum Umgang mit Ungewissheiten im Verwaltungsrecht stützen konnte, sieht ein lernendes und selbsthinterfragendes Verfahren vor. Auf verschiedenen Ebenen verbindet es Elemente miteinander, die für den Umgang mit Ungewissheiten von Bedeutung sind, wie Rückholbarkeit, Reversibilität und Partizipation, und nutzt dabei sowohl Standardsetzungen und -anwendungen als auch auf den Einzelfall bezogene Elemente. Die innovativen Regelungsansätze, die das StandAG verfolgt, bringen jedoch wiederum neue Ungewissheiten mit sich (Smeddinck 2024).

Mit dem Standortauswahlverfahren verbindet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) das Narrativ „Das letzte Kapitel schreiben wir gemeinsam“. Narrative sind sinnstiftende Erzählungen oder Geschichten, deren orientierende Wirkung sich auch in Entscheidungen angesichts von Ungewissheiten entfalten kann. Eine Stärke von Narrativen ist die Verdichtung komplexer und umstrittener Sachverhalte. Damit werden allerdings auch Dispute und Ungewissheiten ausgeblendet, was im ungünstigen Fall zur Verstrickung von Narrativen und Gegennarrativen führt, darunter auch Narrativen, die die Wahrnehmung von Ungewissheiten verstärken. Auf dem Entsorgungsweg sollten unterschiedliche Narrative daher als diskursive Herausforderung mit in die wechselseitige Kommunikation und Kooperation zu einem lernenden Verfahren einbezogen werden – mit dem Ziel, „das letzte Kapitel“ tatsächlich gemeinsam zu verfassen (Becker und Berg 2024).

Laut StandAG wird die Festlegung des Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle für das Jahr 2031 angestrebt. Ende 2022 gab das Bundesumweltministerium bekannt, dass das Standortauswahlverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen werden kann. Die Anpassung des Zeitplans wurde mit den „hohen Anforderungen an die Auswahl des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit“ begründet (BMUV 2022). Die Verlängerung des Standortauswahlverfahrens bringt neue Ungewissheiten mit sich, die dazu führen könnten, dass letztlich kein Standort für ein Endlager gefunden wird und die Zwischenlagerung in eine dauerhafte Oberflächenlagerung übergeht. Die Partizipation, die dazu beitragen sollte, Ungewissheiten zu vermindern, birgt das Potential, sich zu verselbständigen und letztlich der Problemlösung im Weg zu stehen. Um zu vermeiden, dass die Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg wachsen, die Risiken aber nicht geringer werden, ist die politische Bereitschaft erforderlich, schwierige Entscheidungen entschlossen anzugehen (Ott 2024).

Das schweizerische Standortauswahlverfahren für ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle wurde 2008 begonnen und soll zu Beginn der 2030er Jahre abgeschlossen werden. Das Verfahren basiert auf dem in der Schweiz etablierten raumplanerischen Instrument des Sachplans und zielt darauf ab, einen Standort zu identifizieren, dessen Eignung durch Daten und Prozessverständnis gezeigt werden kann. Dabei nimmt der systematische Umgang mit Ungewissheiten eine zentrale Rolle ein. Ungewissheiten werden zunächst auf ihre Sicherheitsrelevanz geprüft. Erweist sich eine Ungewissheit als sicherheitsrelevant, wird geklärt, ob sie sich durch Anpassungen vermeiden lässt. Ist das nicht möglich, muss die Ungewissheit verringert oder in ihrer Wirkung eingegrenzt werden. Wesentliche politische Entscheidungen im Standortauswahlverfahren der Schweiz waren durch Ungewissheiten bestimmt. Beim Abschluss von Etappe 2 des Standortauswahlverfahrens stimmte der Bundesrat beispielsweise dem Vorschlag zu, auf das Wirtsgestein Opalinuston zu fokussieren, dessen Eigenschaften sich aufgrund seiner natürlichen Homogenität so einschätzen lassen, dass nur geringe Ungewissheiten verbleiben (Rahn et al. 2024).

Zusammenfassend führten Entsorgungsprogramme, die an gesellschaftlichen Widerständen scheiterten, in Deutschland (Kirchhof 2024) und der Schweiz (Kuppler et al. 2023) letztlich dazu, dass neue Auswahlverfahren für den Standort eines Endlagers konzipiert und zusätzliche Anforderungen wie Rückholbarkeit an Endlagersysteme gestellt wurden, die auch auf den Umgang mit Ungewissheiten ausgerichtet sind. In Deutschland soll ein partizipatives, wissenschaftsbasiertes, transparentes, selbsthinterfragendes und lernendes Standortauswahlverfahren sowohl zur Vermeidung von Ungewissheiten als auch zum Sicherheits-gerichteten Umgang mit Ungewissheiten beitragen (Smeddinck 2024). Im schweizerischen Standortauswahlverfahren wurden wichtige politische Entscheidungen zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle vom Ziel geleitet, Ungewissheiten zu vermeiden (Rahn et al. 2024). Neue, vielversprechende Ansätze, das gesellschaftliche Problem der Entsorgung zu lösen, bringen jedoch ihrerseits Ungewissheiten hervor: Innovative Regelungsansätze eröffnen Interpretationsspielräume (Smeddinck 2024), Narrative stimulieren Gegennarrative (Becker und Berg 2024), Partizipation kann sich verselbständigen und unvorhergesehene Wege nehmen (Ott 2024).

2.2 Ungewissheiten zur Zukunft der Entsorgung

Wissen über die Zukunft und damit auch das Wissen, das sowohl den künftigen Entsorgungsweg für hochradioaktive Abfälle als auch den Bewertungszeitraum für die Langzeitsicherheit betrifft, ist immer mit Ungewissheiten verbunden. Zukunftswissen wird von Menschen konstruiert, die dazu auf gegenwärtiges Wissen und gegenwärtige Einschätzungen zurückgreifen. Bei der Entsorgung tut sich ein Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und der Erkenntnis, dass Zukunft immer ungewiss ist, auf. Um künftige Ereignisse und Entwicklungen auf dem Entsorgungsweg berücksichtigen zu können, sind flexible, adaptive und lernende Entscheidungswege erforderlich. Ein begleitendes Monitoring des Entsorgungswegs, das periodische und kritische Evaluierungen einschließt, ist unerlässlich, um den lernenden Prozess aufrecht zu erhalten. Die Long-Term Governance der Entsorgung muss sich immer wieder der veränderten Wissensstände und ihrer Relationen zu Politik und Gesellschaft versichern und die Offenheit der Zukunft als Gestaltungsraum nutzen. Auf dem Entsorgungsweg gilt es, die menschliche Freiheit und Flexibilität verantwortlich zu nutzen (Grunwald 2024).

Die Anforderung, ein partizipatives, wissenschaftsbasiertes, transparentes, selbsthinterfragendes und lernendes Standortauswahlverfahren in Deutschland durchzuführen, kann immer Dissens auslösen und als unerfüllt erachtet werden. Aufgrund seiner unerfüllbaren Erfüllungsbedingungen besteht die Gefahr, dass das Verfahren, das sich selbst unter Dauerbeobachtung gestellt hat, letztlich zu einem Zustand beiträgt, in dem die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle zwar weiterhin verwaltet wird, aber niemand mehr ausreichend Verantwortung für das Fortschreiten auf dem Entsorgungsweg übernimmt (Ott 2024).

Der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung in Deutschland ist mit der Anforderung konfrontiert, den Finanzbedarf angesichts erheblicher Ungewissheiten zu künftigen Ereignissen und Entwicklungen möglichst realistisch zu kalkulieren. Im Auftrag an den Fonds werden finanzielle und gesellschaftlich-ökologische Kriterien miteinander verknüpft, die zum Teil widersprüchlich sind. Daher geht die Finanzierung der Entsorgung mit einem Komplex an Ungewissheiten und Widersprüchen einher, die sich nur bedingt im Sinne eines gesellschaftlichen Nutzens auflösen lassen (Brunnengräber und Sieveking 2024)

Wird der gesamte Entsorgungsweg bis zu einem Zustand, in dem wartungsfreie Langzeitsicherheit gewährleistet ist, betrachtet, lassen sich für Deutschland mehrere Zukunftspfade identifizieren, die plausibel sind und deren Umsetzung wahrscheinlich ist. Diese Pfade spiegeln drei grundsätzliche Ansätze zum Umgang mit Ungewissheiten wider: 1. Mit einem schrittweisen Vorgehen, das sich an den jeweils aktuellen Rahmenbedingungen orientiert, soll Planungssicherheit gewährleistet werden. Ein solches Vorgehen ist aber auch stark durch Zwänge und Notwendigkeiten, die mit der Ausrichtung an den Rahmenbedingungen einhergehen, geprägt. 2. Durch die starke Einbindung von Öffentlichkeitsbeteiligung sollen gesellschaftlich bedingte Ungewissheiten vermindert werden. Die demokratischen Entscheidungen zur Entsorgung und die Prozesssteuerung durch Akteure der Entsorgung dürfen dadurch jedoch nicht wesentlich beeinträchtigt werden. 3. Flexibilität und Reversibilität sollen sicherstellen, dass Handlungsfreiheit auch angesichts künftiger Ungewissheiten aufrechterhalten wird. Voraussetzung dafür ist, antizipative Governance-Strukturen in Institutionen und Entscheidungsprozessen zu gestalten (Scheer et al. 2024).

Zu den Ungewissheiten, die die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle begleiten, gehören Ungewissheiten, die auf menschliches Handeln zurückgehen. Zuversicht ist eine Haltung, die angesichts solcher Ungewissheiten eine positive Wirkung auf die Lösung des Problems der Entsorgung entfalten kann und sollte. Zuversicht beruht auf guten Gründen und rationalen Abwägungen. In einem lernenden Verfahren, wie für den deutschen Standortauswahlprozess vorgesehen, kann Zuversicht ihre handlungsleitende Funktion entfalten. Anders als Zuversicht ist Hoffnung auch möglich, ohne dass ihr gute Gründe und vernünftige Abwägungen zugrunde liegen. Dennoch kann Hoffnung aus rationalen Gründen gepflegt werden. Angesichts von Ungewissheiten, die auf menschliches Handeln zurückgehen, bedeutet das insbesondere, dass Bürger:innen, Politiker:innen und Akteur:innen von Hoffnung geleitet auf den dauerhaften Bestand eines rechtsstaatlichen Systems hinarbeiten sollten (Sierra 2024).

Zusammenfassend führen die Ungewissheiten zu künftigen Ereignissen und Entwicklungen unweigerlich dazu, dass Zukunftswissen immer von Menschen konstruiertes Wissen ist. Ungewissheiten sind Ausdruck einer offenen Zukunft, die für die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle als Gestaltungsraum genutzt werden kann und verantwortlich genutzt werden sollte (Grunwald 2024; Ott 2024). Der Umgang mit Ungewissheiten zum weiteren Verlauf der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle, die von Menschen verursacht sind, sollte aus guten Gründen von Zuversicht geleitet sein, dieses gesellschaftliche Problem zu lösen, und von der Hoffnung, dass die Problemlösung dauerhaft in einem rechtsstaatlichen System erfolgen kann (Sierra 2024). Es darf beim Umgang mit Ungewissheiten aber nicht unterstellt werden, dass insbesondere, was menschliche Aktivitäten und gesellschaftliche Entwicklungen betrifft, langfristig Kontinuität besteht (Grunwald 2024; Sierra 2024). Für Deutschland lassen sich unter Berücksichtigung von Ungewissheiten mehrere plausible Zukunftspfade identifizieren, die auf die langfristig sichere Lagerung der Abfälle ausgerichtet sind. Erfolgversprechende Strategien zum Umgang mit Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg basieren auf Flexibilität und Reversibilität, einem schrittweisen adaptiven Vorgehen und Öffentlichkeitsbeteiligung (Scheer et al. 2024).

2.3 Gewissheit und Ungewissheit in Entscheidungsgrundlagen

Endlager für hochradioaktive Abfälle sind dafür konzipiert, Mensch und Umwelt langfristig vor den schädigenden Auswirkungen der Abfälle zu schützen und dabei auch Ungewissheiten, die sich negativ auf die Sicherheit auswirken können, zu vermeiden, zu vermindern oder ihre Auswirkungen zu begrenzen. Bevor die Abfälle auf Dauer sicher und wartungsfrei gelagert sind, muss auf dem Entsorgungsweg eine große Vielfalt an Entscheidungen unter Ungewissheit und zum Umgang mit Ungewissheiten getroffen werden. Die Beurteilung, ob und wenn ja unter welchen Umständen Ungewissheiten akzeptabel sind, kann anhand von Kriterien wie Sicherheitsrelevanz, Tragweite, Aussagenqualität und Behebungspotential vorgenommen werden. Da Ungewissheiten viele unterschiedliche Formen annehmen und sich nicht einheitlich charakterisieren lassen, bleiben Gesamtbeurteilungen von Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg oder bei einem Endlagersystem anspruchsvoll und müssen den Entscheidungsträger:innen nachvollziehbar dargelegt werden (Eckhardt 2024).

Eine zentrale Grundlage für Entscheidungen, die die Sicherheit der Entsorgung betreffen, stellt der Safety Case dar. In diesem umfassenden Berichtswerk wird die Sicherheit strukturiert belegt. Zum Safety Case gehören eine systematische Darstellung der jeweils bestehenden Ungewissheiten und Empfehlungen zum weiteren Umgang mit Ungewissheiten. Entscheidungsträger:innen sollen damit in die Lage versetzt werden, sicherheitsrelevante Ungewissheiten im Entscheidungsprozess zu erkennen und zu berücksichtigen (Röhlig 2024a).

Das Belegen der Sicherheit wird ebenso wie die Standortauswahl und die Planung und Konzeption eines Endlagers wesentlich durch organisatorische und menschliche Faktoren beeinflusst. Am Beispiel konkreter numerischer Simulationen lässt sich zeigen, dass die Ergebnisse, die verschiedene Personen infolge ihrer individuellen Ansätze und Entscheidungen erzielen, deutlich voneinander abweichen können. Ungewissheiten bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle sind also nachweislich auch durch den menschlichen Faktor bedingt und müssen im Interesse der Sicherheit durch ein wirksames Qualitätssicherungsmanagement eingedämmt werden (Muxlhanga et al. 2024).

Ein Teil der Ungewissheiten, die für die Sicherheit der Entsorgung relevant sind, lässt sich quantifizieren. Das gilt insbesondere für Ungewissheiten, die die technischen, geotechnischen und geologischen Sicherheitsbarrieren in einem Endlagersystem betreffen. Mathematische Methoden und Werkzeuge erlauben es, quantitative Ungewissheiten zu bewerten. Im Safety Case steht eine Kombination von deterministischen und probabilistischen Ansätzen im Vordergrund. Welche Ansätze im Einzelnen gewählt werden, wird zum Teil durch rechtliche Vorgaben bestimmt. Es existieren aber auch Freiheitsgrade, die weiter erforscht und erprobt werden sollten, unter anderem im Hinblick auf die Kommunizierbarkeit von Ungewissheiten (Röhlig 2024b).

Bei der Kommunikation zu Entwicklungen, die in die Zukunft hinein reichen, zählt die Vermittlung von Ungewissheiten an Entscheidungsträger:innen und die breite Öffentlichkeit mittlerweile zur guten Praxis. Zur Art und Weise, wie diese Kommunikation am besten erfolgen soll, sind jedoch weiterhin Fragen offen. Im Kontext der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle wird unter anderem diskutiert, wie Ungewissheiten so dargestellt werden können, dass die Grenzen quantitativer Aussagen deutlich werden, ohne gleichzeitig Verunsicherung hervorzurufen. In einer empirischen Untersuchung zur Kommunikation von Modellungewissheiten wurde deutlich, dass die Wirkungen der Kommunikation nicht nur von der Art und Quelle einer Ungewissheit und ihrer Darstellungsweise abhängen. Eine wesentliche Rolle spielen auch interindividuelle Unterschiede bei den Adressaten, zum Beispiel bei der Fähigkeit, mit mathematischen Aussagen umzugehen (Seidl et al. 2024).

Darstellungen, die auf deterministischen Ansätzen beruhen, lassen sich gut erfassen und schaffen damit insbesondere bei Personen Vertrauen, die mit mathematischen Aussagen weniger vertraut sind. Probabilistische Ansätze ermöglichen eine genauere Erfassung der Ungewissheiten, erfordern jedoch ein Mindestmaß an statistischen Kenntnissen. Ihr höherer Informationsgehalt wird allerdings auch von Personen, die nicht an den Umgang mit mathematischen Aussagen gewohnt sind, positiv bewertet. Da sowohl empirische Untersuchungen zur Kommunikation von Ungewissheiten als auch Empfehlungen von Expertengruppen darauf hinweisen, dass probabilistische und deterministische Bewertungen wichtige, aber unterschiedliche und komplementäre Beiträge leisten, sollten beim Belegen der Sicherheit sowohl probabilistische als auch deterministische Bewertungen vorgenommen und kommuniziert werden (Becker et al. 2024; vgl. auch Röhlig 2024b).

Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle ist vielfach nicht nur für die beteiligten Bürgerpartner:innen, sondern auch für die beteiligten Wissenschaftler:innen eine Reise ins Ungewisse. Mit zunehmendem Wissen und Erfahrung in der transdisziplinären Entsorgungsforschung verringern sich bei den Bürgerpartner:innen, nicht nur die Ungewissheiten aufgrund von Nicht-Verstehen, sondern es wachsen auch die Möglichkeiten und der Anspruch, die Forschung mitzugestalten. Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen können Ängste, Misstrauen und Ablehnung hervorbringen. Offenheit und Transparenz bei Akteur:innen der Entsorgung ebnen den Weg, um Ungewissheiten aufgrund von Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen abzubauen. Durch transdisziplinäre Formate lassen sich Ungewissheiten zu Interaktionen zwischen Vertreter:innen der Bevölkerung und Akteur:innen der Entsorgung vermindern. Die offene Kommunikation von Ungewissheiten trägt zur vertrauensvollen Zusammenarbeit bei. Letztlich vereint Wissenschaftler:innen und Bürgerpartner:innen die Gewissheit, dass bei der Entsorgung manches ungewiss bleiben wird (Kramer et al. 2024).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass wegweisende Entscheidungen auf dem Entsorgungsweg in der Regel im politischen Raum oder von Behörden getroffen werden. In den Grundlagen, auf die sich solche Entscheidungen stützen, sollten Ungewissheiten transparent und nachvollziehbar dargelegt und beurteilt werden. Ungewissheiten aufgrund menschlicher und organisatorischer Faktoren müssen dann bereits durch ein wirksames Qualitätsmanagement eingedämmt worden sein (Muxlhanga et al. 2024). Eine zentrale Entscheidungsgrundlage stellt der Safety Case dar. In diesem Berichtswerk, wird die Sicherheit eines Endlagersystems umfassend und strukturiert belegt, wozu auch eine systematische Darstellung der Ungewissheiten gehört (Röhlig 2024a). Bei der Entscheidung, ob einzelne Ungewissheiten akzeptabel sind oder nicht, können Kriterien unterstützend wirken. Oft liegt Entscheidungsgrundlagen aber eine anspruchsvolle Gesamtbeurteilung vielfältiger Ungewissheiten zugrunde, die für Entscheidungsträger:innen nachvollziehbar gestaltet werden muss (Eckhardt 2024). Ungewissheiten, die sich quantifizieren lassen, können mithilfe mathematischer Methoden und Werkzeuge bewertet werden. Welche Ansätze im Einzelnen gewählt werden, ist auch von rechtlichen Vorgaben bestimmt. Im Safety Case hat es sich bewährt, probabilistische und deterministische Ansätze miteinander zu kombinieren (Röhlig 2024b). Da beide Ansätze wichtige, aber unterschiedliche und komplementäre Beiträge zur Bewertung von Ungewissheiten leisten, sollten beim Belegen der Sicherheit sowohl probabilistische als auch deterministische Bewertungen vorgenommen und kommuniziert werden (Becker et al. 2024). Die Wirkungen der Kommunikation von Ungewissheiten hängt wesentlich von der Art und Quelle einer Ungewissheit und ihrer Darstellungsweise ab, aber auch von interindividuellen Unterschieden bei den Adressaten, zum Beispiel bei der der apriori Einstellung zum Thema der Entsorgung radioaktiver Abfälle und der Fähigkeit, mit mathematischen Aussagen umzugehen (Seidl et al. 2024). Ungewissheiten offen und differenziert zu kommunizieren, trägt zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Akteur:innen der Entsorgung und Vertreter:innen der Bevölkerung bei (Kramer et al. 2024).

3 Das „wicked problem“ der Entsorgung und Entscheidungen auf dem Entsorgungsweg

Die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle ist eine Aufgabe, für die es oft nicht den einen, richtigen Lösungsschritt gibt. Entscheidungen auf dem Entsorgungsweg müssen nicht nur unter Ungewissheiten zu künftigen Ereignissen und Entwicklungen getroffen werden, sondern auch unter Ungewissheiten darüber, was normativ geboten ist.

Beim Standortauswahlverfahren für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland zeigt sich, dass die im Recht geforderten Merkmale „partizipativ“, „wissenschaftsbasiert“, „transparent“, „selbsthinterfragend“ und „lernend“ unterschiedlich auslegbar sind (Ott 2024, Smeddinck et al. 2022) und damit grundlegende Fragen aufwerfen. Was heißt es beispielsweise, aus Fehlern zu lernen, wenn umstritten ist, was als Fehler zu betrachten ist? Dass das Verfahren tatsächlich partizipativ, wissenschaftsbasiert, transparent, selbsthinterfragend und lernend erfolgt, lässt sich vor diesem Hintergrund immer bestreiten (Ott 2024).

Letztlich ist die Gestaltung des gesamten Entsorgungswegs für hochradioaktive Abfälle als „wicked problem“ zu betrachten. Wicked problems sind Probleme, bei denen keine Einigkeit darüber besteht, was unter einer „guten Lösung“ zu verstehen ist, die deshalb nie völlig und zufriedenstellend gelöst werden können und bei denen verschiedene Problemdimensionen auf komplexe Weise ineinandergreifen (Brunnengräber und Sieveking 2024). Akteure vertreten unterschiedliche Werte und Interessen, bei der Lösung des Problems sind politische, soziale, ökologische, wirtschaftliche und technische Aspekte miteinander vielfältig verbunden (Brunnengräber et al. 2012). Wie lassen sich unter diesen Voraussetzungen wenn auch nicht die einzig richtigen, aber doch gute Entscheidungen angesichts von Ungewissheiten treffen?

Zum Entscheiden unter Ungewissheit und zum Umgang mit Ungewissheiten, liegen – wie in diesem Sammelband dargelegt – verschiedene Ansätze und Instrumente vor. Für Entscheidungsträger:innen bedeutet, „gute“ Entscheidungen angesichts von Ungewissheiten zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle zu fällen, zunächst, sich ein differenziertes Bild der verfügbaren Entscheidungsgrundlagen und des Entscheidungsraums sowie der mit ihnen verbundenen Ungewissheiten zu machen, sich eigener Vorurteile und kognitiver Verzerrungen bewusst zu werden (Muxlhanga et al. 2024) und sich fachlichen und politischen Kontroversen zu stellen, um letztlich klug abzuwägen und Wege aus mitunter komplexen Spannungsfeldern zu finden. Jede solche Entscheidung ist ein Einzelfall und doch zeichnen sich aus den Beiträgen zum Sammelband „Entscheidungen in die weite Zukunft“ zwei grundlegende Muster zum Entscheiden unter Ungewissheit und zum Umgang mit Ungewissheiten ab.

3.1 Entscheidungen zu einer Ungewissheit

Entscheidungen zu einer konkreten Ungewissheit zielen auf den weiteren Umgang mit der Ungewissheit. Ist die Ungewissheit akzeptabel? Muss sie vermieden, vermindert werden? Unter der Voraussetzung, dass eine Ungewissheit bereits identifiziert und charakterisiert wurde, ist der in Abb. 1 dargestellte Entscheidungsbaum vor allem auf natur- und technikwissenschaftliche Fragestellungen bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle anwendbar (Rahn et al. 2024; Eckhardt 2024).

Abb. 1
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Entscheidungsbaum für den Umgang mit bekannten, gut charakterisierten Ungewissheiten, vor allem im natur- und technikwissenschaftlichen Bereich. Die Relevanz bezieht sich auf die Ziele der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle, also vor allem die Sicherheit von Mensch und Umwelt

In begründeten Fällen kann von diesem Schema abgewichen werden, zum Beispiel wenn sich eine Ungewissheit nur mit großem Aufwand vermeiden oder vermindern lässt, sich ihre Auswirkungen aber wirksam und effizient begrenzen lassen. Besonders anspruchsvoll sind Entscheidungen zum weiteren Umgang mit Ungewissheiten, die sich weder vermeiden, noch vermindern oder in ihren Auswirkungen begrenzen lassen, und Entscheidungen in Fällen, in denen das Vermeiden, Vermindern oder Begrenzen weitere Ungewissheiten nach sich zieht.

3.2 Entscheidungen unter Ungewissheit

Zum Entscheiden unter Ungewissheit stehen drei grundlegende Ansätze zur Verfügung, die sich gegenseitig überschneiden und ergänzen können (vgl. Abb. 2). Diese Ansätze finden sowohl bei Fragestellungen, die gesellschaftliche Ungewissheiten betreffen, als auch bei solchen im natur- und technikwissenschaftlichen Bereich Anwendung. Affirmative Entscheidungen bejahen Ungewissheiten, um Flexibilität und Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Robuste Entscheidungen sind darauf ausgerichtet, negative Auswirkungen von Ungewissheiten zu vermeiden oder einzudämmen. Adaptive Entscheidungen erlauben es, sich neuen zuvor ungewissen Ereignissen und Entwicklungen anzupassen.

Abb. 2
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Grundlegende Ansätze zum Entscheiden unter Ungewissheit bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle

  1. 1.

    Affirmative Entscheidung: Ungewissheiten werden absichtlich eingegangen oder belassen, um Entscheidungs- und Handlungsfreiheit in der Zukunft zu ermöglichen. Ein Beispiel betrifft die geologische Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle in der Schweiz. Nach der Einlagerung der radioaktiven Abfälle schließt sich eine Beobachtungsphase an. Wie lange das Lager zur Beobachtung offengehalten werden soll, wurde nicht festgelegt, um künftigen Generationen die Entscheidungsfreiheit zu überlassen, wann sie das Tiefenlager endgültig verschließen wollen. Da die Entscheidungsträger:innen der Gegenwart die Werthaltungen und Präferenzen der Entscheidungsträger:innen der Zukunft nicht kennen, halten sie bewusst unterschiedliche Optionen und damit Ungewissheiten über den weiteren Verlauf des Entsorgungsweges offen. Affirmative Entscheidungen setzen voraus, dass die Ungewissheiten, über die entschieden wird, bekannt und bereits recht gut charakterisiert sind, sodass eine fundierte Entscheidung getroffen werden kann. Mit affirmativen Entscheidungen stehlen sich Entscheidungsträger:innen nicht aus der Verantwortung, sondern übernehmen Verantwortung im Interesse künftiger Generationen.

  2. 2.

    Robuste Entscheidung: Robuste Entscheidungen sind Entscheidungen, die nur selten korrigiert werden müssen, wenn sich Ungewissheiten manifestieren. Ganz grundlegend ist bereits die Entscheidung für ein Endlager im tiefen geologischen Untergrund eine robuste Entscheidung. Ein Endlager, das fernab menschlicher Aktivitäten in stabilen geologischen Verhältnissen erstellt wird, mit einfacher Lagerauslegung, unter Verwendung gut bekannter Techniken und Materialien, wobei viele Sicherheitszuschläge zur Anwendung kommen, ist in der Lage, ein breites Spektrum an Ungewissheiten abzufangen (Rahn et al. 2024; Eckhardt 2024).

    Mit Blick auf die Langzeitsicherheit eines Endlagers wird Robustheit dadurch belegt, dass Entscheidungen zahlreiche ungünstige Annahmen, die die Sicherheit eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle betreffen, zugrunde gelegt werden und gezeigt wird, dass das Endlager auch unter diesen Bedingungen sicher bleibt (Röhlig 2024b). Mit robusten Entscheidungen kann einer großen Vielfalt von Ungewissheiten begegnet werden, darunter auch Ungewissheiten, deren Existenz heute noch nicht bekannt ist. Auf dem Entsorgungsweg vermitteln sie Orientierung, Stabilität und Planungssicherheit.

  3. 3.

    Adaptive Entscheidung: Wissenschaftsbasierte, selbsthinterfragende und lernende Verfahren erfordern Flexibilität, um insbesondere mit Ungewissheiten umzugehen, die noch nicht oder kaum bekannt sind. Entscheidungen unter Ungewissheit sollen so getroffen werden, dass Korrekturen möglich sind, wenn sich Ungewissheiten auf dem Entsorgungsweg verändern oder in Gewissheiten verwandeln. Das betrifft ausdrücklich auch Entwicklungen und Ereignisse, die sich als positiv für eine sichere Entsorgung erweisen, zum Beispiel neue, bessere Technologien zur Erkundung des geologischen Untergrunds.

    Adaptive Entscheidungen sind vor allem wesentlich, um den Entsorgungsweg, der zum verschlossenen Endlager führt, zu gestalten, und weniger zur Gewährleistung der Langzeitsicherheit mit ihrem sehr langen Bewertungszeitraum. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Entsorgung können sich schnell und in vielfältige Richtungen verändern, sodass immer wieder Anpassungen erforderlich sind.

Ein schrittweises adaptives Vorgehen ist – anders als ein kontinuierlicher Prozess – darauf ausgelegt, angesichts von Ungewissheiten periodisch auf neue Erkenntnisse, Ereignisse und Entwicklungen einzugehen. Iterative Elemente eröffnen Möglichkeiten, Korrekturen und Verbesserungen vorzunehmen, wenn sich Ungewissheiten manifestieren. Elemente, bei denen bestimmte Schritte auf dem Entsorgungsweg wiederholt durchlaufen und dabei aktualisiert und weiterentwickelt werden, sind im deutschen Standortauswahlverfahren zum Beispiel im Konzept der aufeinander aufbauenden vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen angelegt. Das schrittweise Vorgehen zeigt sich in den verschiedenen Phasen des deutschen und auch des schweizerischen Standortauswahlverfahrens. Reversibilität bezeichnet die Möglichkeit, Schritte auf dem Entsorgungsweg zu korrigieren, beispielsweise, indem Haltepunkte im Endlagerprogramm vorgesehen werden, die es erlauben, bereits gemachte Schritte wieder rückgängig zu machen, oder indem die Rückholbarkeit und Bergbarkeit von Abfallgebinden aus einem Endlager ermöglicht wird.

Adaptives Entscheiden und Handeln ist oft mit Widerständen konfrontiert. Bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle können Widerstände insbesondere durch widerstreitende Ansichten bedingt sein, die es erschweren, sich auf die Ausrichtung der Anpassung zu einigen, durch Pfadabhängigkeiten, zum Beispiel historischer, politischer, soziotechnischer und wirtschaftlicher Art, oder durch mangelnde Ressourcen, wie Wissen, Zeit oder finanzielle Mittel, um Anpassungen umzusetzen.

3.3 Spezialwissen und Sicherheitsgemeinschaft

Mit der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle im tiefen geologischen Untergrund wurde in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, Einigung erzielt, für die dauerhafte Entsorgung eine robuste Option zu wählen, die einem breiten Spektrum von Ungewissheiten standhält. Widerständen gegen affirmative, robuste und adaptive Entscheidungen auf dem Weg zur Endlagerung wirken demokratische Mitbestimmung und Partizipation entgegen, die gesellschaftlichen Konsens auch bei Entscheidungen angesichts von Ungewissheiten begünstigen. Demokratische Mitbestimmung und Partizipation setzen ihrerseits voraus, dass die Verständigung zwischen den Akteuren und Stakeholdern der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle gelingt und gegenseitiges Vertrauen wachsen bzw. erhalten werden kann (Becker und Berg 2024, Seidl et al. 2024, Becker et al. 2024). Damit verliert auch der zu Beginn dieses Beitrags erwähnte taktische Umgang mit Ungewissheiten an Bedeutung.

Oberstes Ziel der Entsorgung ist der Schutz von Mensch und Umwelt. Eine „Sicherheitsgemeinschaft“, die neben Vorhabenträgerin und Aufsichtsbehörden Wissenschaft und Zivilgesellschaft umfasst und Sicherheit als gemeinsames Gut versteht (Themann 2022; Smeddinck 2024), bietet gute Voraussetzungen dafür, den Sicherheits-gerichteten Umgang mit Ungewissheiten weiterzuentwickeln. Sicherheit ist ein umfassendes Konzept, in dem neben Ungewissheiten, die überwiegend natur- und technikwissenschaftlich erfasst und behandelt werden müssen, auch gesellschaftlich, organisatorisch und menschlich (Muxlhanga et al. 2024; Sierra 2024) bedingte Ungewissheiten eine wesentliche Rolle spielen. Die Sicherheitsgemeinschaft, zumindest aber alle Akteure der Entsorgung, müssen sich laufend der aktuellen Wissensstände und gesellschaftlichen Situation versichern (sinngemäß Grunwald 2024), Institutionen und Entscheidungsprozesse sollten so ausgestaltet werden, dass sie einem vorausschauenden Umgang mit Ungewissheiten den Weg ebnen (Scheer et al. 2024).

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Vorhabens TRANSENS entstanden, einem Verbundprojekt, in dem 16 Institute bzw. Fachgebiete von neun deutschen und zwei Schweizer Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und im Niedersächsischen Vorab der Volkswagenstiftung vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) von 2019 bis 2024 gefördert (FKZ 02E11849A-J).