Zusammenfassung
Die horizontale Koordination der Bundesländer im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz hat eine lange Tradition im politischen System Deutschlands. Seit vielen Jahren trägt sie dazu bei, im verflochtenen Föderalismus der Bundesrepublik einen weitgehend reibungslosen, koordinierten und einheitlichen Gesetzesvollzug zu gewährleisten, trotz bestehender Autonomierechte der Länder. Allerdings gerieten diese etablierten Koordinationsverfahren in der vierten Amtszeit Angela Merkels erheblich unter Druck. Einerseits wurde das politische System durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie mit einem historischen Gesundheitsnotstand konfrontiert, der nicht nur eine intensivere Krisenkoordination erforderte, sondern gleichzeitig erhebliche Anpassungen in der praktischen Ausgestaltung der intergouvernementalen Koordinationsprozesse erzwang. Andererseits setzte sich die Fragmentierung und Regionalisierung des Parteiensystems fort, was komplexere Koalitionskonstellationen auf der Länderebene bedingte. Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag, inwiefern diese veränderten Rahmenbedingungen die Leistungsfähigkeit der föderalen Koordination in Deutschland beeinflusst haben. Dabei verdeutlicht die Analyse, dass sich entgegen der öffentlichen Wahrnehmung die horizontale Koordination selbst im Pandemie-Management als leistungsfähig erwiesen hat. Selbst angesichts einer massiven Gesundheitskrise gelang den Ländern bei vielen Sachentscheidungen ein relativ homogener Gesetzesvollzug. Diesem Befund stehen auch Divergenzen bei einzelnen Sachfragen nicht entgegen, die im Rahmen der diffizilen Güterabwägung zwischen dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung einerseits und der Wahrung individueller Freiheitsrechte andererseits als kompetitives Ringen um beste Policy-Lösungen aufgefasst werden können, die die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Entscheidungen mit Blick auf länderindividuelle Besonderheiten sicherstellen sollten.
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Notes
- 1.
https://www.rnd.de/politik/brinkhaus-fordert-permanenten-bund-lander-krisenstab-XSZUTAXIOHEVR4653I65GAVKP4.html [zuletzt abgerufen am 28.10.2021].
- 2.
Zur Unterscheidung von dualen und kooperativen Systemen s. Hueglin und Fenna 2015: 136.
- 3.
- 4.
Die Informalität wurde der MPK während der Pandemie vor allem von Politiker*innen der AfD vorgeworfen: Da sie keinen Verfassungsstatus habe, könne sie auch keine Bindungswirkung entfalten. Dieser Kritikpunkt ist jedoch verfehlt, da genau die Form politischer Entscheidungen, die in der MPK getroffen werden, nämlich als freiwillige Absprachen zwischen demokratisch legitimierten Regierungschefinnen und -chefs, erstens keiner eigenständigen konstitutionellen Legitimation bedarf und zweitens der fehlende Zwangscharakter des Gremiums – im Gegensatz zu den Institutionen der Politikverflechtung, wie etwa den Gemeinschaftsaufgaben (Kropp 2010) – gerade seine Stärke ist, da flexibler verhandelt werden kann.
- 5.
Vgl. die Beschreibung auf der MPK-Webseite von Hamburg: https://www.hamburg.de/mpk/hintergrund/11632226/so-arbeitet-die-konferent/ [zuletzt abgerufen am 19.10.2021].
- 6.
Auflistung der Treffen bis Februar 2021 in BT-Drs. 19/28.056 vom 29.03.2021, ergänzt um eigene Recherchen.
- 7.
Teilnahmelisten zu den Treffen finden sich in BT-Drs. 19/28.056.
- 8.
So verschlechterte sich die SPD in allen Landtagswahlen zwischen 2018 und 2020, und die CDU verlor in fünf von sechs Landtagswahlen an Unterstützung. Die CSU konnte zudem bei den Landtagswahlen in Bayern ihre absolute Mehrheit nicht verteidigen.
- 9.
Die damals in Schleswig–Holstein regierende rot-grüne Koalition unter Beteiligung des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), auch als Dänen-Ampel oder Küstenkoalition bezeichnet, wird hierbei als Zweierbündnis gewertet.
- 10.
Hierbei wurden neben den regulären MPKs auch die pandemiebedingt häufig stattfindenden Besprechungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder (Bund-Länder-Konferenz, BLK) sowie die Besprechungen des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien (CdS) in die Analyse einbezogen. Ergänzend wurde für den Teilbereich Profisport auch die Sportministerkonferenz berücksichtigt.
- 11.
Der Untersuchungszeitraum endet im März 2021, da nach dem Streit um die Osterruhe (BLK vom 22.03.2021) die MPK zunächst für einige Zeit pausierte und anschließend mit dem Beschluss der Bundesnotbremse Ende April 2021 ihre Koordinations- und Steuerungsfunktion in Bezug auf das Pandemiemanagement temporär einbüßte, weil zentrale Infektionsschutzmaßnahmen nun bundeseinheitlich geregelt wurden. Folgerichtig fanden bis zum Ende der Legislaturperiode pandemiebedingte BLKs nur noch sporadisch statt.
- 12.
Nebenbei bemerkt ist der Grundrechtsschutz ein normativ erwünschter und intendierter Effekt der föderalen Machtteilung. Und dass hierbei zwischen Landesregierungen unterschiedliche Maßstäbe angelegt wurden, begünstigt das kollektive Lernen durch unmittelbaren Vergleich.
- 13.
Der Beschluss ist abrufbar unter: www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/09/Staerkung-des-Foederalismus.pdf [zuletzt abgerufen am 19.10.2021].
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Person, C., Behnke, N., Jürgens, T. (2022). Föderale Koordination im Stresstest – zur Rolle der Ministerpräsidentenkonferenz im Pandemie-Management. In: Zohlnhöfer, R., Engler, F. (eds) Das Ende der Merkel-Jahre. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38002-1_7
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