Zusammenfassung
Nicht erst seit der Corona-Krise spielen Pandemien und die um sie herum kursierenden Verschwörungsideologien in aktuellen Fernsehserien eine zentrale Rolle. Dabei zeichnen die Serien die von solchem Verschwörungsglauben heimgesuchten Figuren als durch und durch einsame Gestalten, für die das Festhalten an verschwörerischem Denken eine scheinbare Chance auf Orientierung, Sinnstiftung und dadurch auf Gemeinschaft bedeutet. Anhand einer detaillierten Betrachtung der sozialen Konstellationen und Handlungsmotive der fiktiven Figuren in aktuellen Pandemie-Serien wie Sløborn und Y: The Last Man soll gezeigt werden, dass Verschwörungsideologien als Folgeerscheinung der vereinsamenden Tendenzen komplexer spätmoderner Lebensverhältnisse gedeutet werden können und mögliche realweltliche Interventionsstrategien vor diesem Hintergrund betrachtet werden sollten.
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Notes
- 1.
Dieser Beitrag basiert auf ersten Überlegungen, die in die beiden Aufsätze „Fighting Conspiracy Ideologies: Learning from Pandemic Movies to Counter the Post-Factual“ (Newiak 2021b) und „Pandemiefilme und -fernsehserien als Ideenreservoir zur Krisenbewältigung“ (Newiak 2022c) mündeten. In dem vorliegenden Beitrag sollen neue Fernsehproduktionen aufgegriffen werden, die weniger aus einer narrativen Perspektive, sondern mithilfe einer Figurenanalyse untersucht werden sollen. Methodische Überlegungen zur Betrachtung von Fernsehfiguren als Inkarnationen moderner Vereinsamungsprozesse siehe Newiak 2022b, Kap. 3.
- 2.
Im zweiten Teil meiner Dissertation unterbreite ich einen Vorschlag für einen theoretischen Rahmen, wie Einsamkeiten in Fernsehserien anhand der televisuellen Schichten beschrieben werden können. Figurenzeichnungen und die sozialen Konstellationen dieser Charaktere zueinander bilden eine wichtige Dimension solcher Inszenierungsstrategien, denen das Kap. 3 (Newiak 2022b, S. 225–262) gewidmet ist.
- 3.
Während es in der ersten Staffel der Fernsehserie keine erkennbaren Gründe für das Überleben von Yorick und Affe Ampersand gibt, werden im Comic fehlgeleitete gentechnische Experimente mit fatalen ungewünschten Konsequenzen geschildert, die für das Massensterben und die Immunität der beiden ursächlich sind. Der Fokus der Ausführungen soll hier jedoch auf der Erzählwelt, die von der Fernsehserie entwickelt wird, gelegt werden, um die verschiedenen Erzählstrategien von Graphic Novel und Fernsehserie nicht miteinander zu vermengen.
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Newiak, D. (2022). Die Einsamkeit der Verschwörungsgläubigen in Pandemie-Serien am Beispiel von Sløborn und Y – The Last Man. In: Newiak, D., Schnitzer, A. (eds) Verschwörungsideologien in Filmen und Serien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37436-5_5
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