Schlüsselwörter

1 Einleitung

Zu den unterschätzten, wenig bearbeiteten, sogar unbeliebten Themen der Politischen Wissenschaften zählen Bürokratie und staatliche Verwaltung, – besonders deutlich nachzuweisen am Beispiel der Außenpolitik. Sie wird in der Regel inhaltlich, selten institutionell, kaum aber nach Strukturen, Prozessen und anderen Organisationselementen betrachtet und erforscht. Und dennoch, das ist allen (Nicht-)Politolog*innen natürlich bewusst, wäre kein politischer Bereich ohne sie handlungsfähig. Darin liegt also die Begründung für einen verwaltungswissenschaftlichen Beitrag in einem, aus meiner Sicht in jedem Handbuch der Außenpolitik. Wegen des umfangreichen Spektrums der Thematik bedarf es freilich einer Auswahl der Fragestellungen und eines spezifischen Fokus auf Außenpolitik.

Das wissenschaftliche Interesse in diesem Beitrag gilt der Verwaltung der österreichischen Außenpolitik, und zwar auf der Ebene des Bundes/des Gesamtstaates der Republik. Dort ist Außenpolitik im Wesentlichen rechtlich und politisch verortet, wie es für föderal gegliederte Staaten typisch ist. Die Forschungsfrage lautet: Haben oder wie haben die großen Entwicklungslinien in der Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg die Organisation, insbesondere die Ziele, die Strukturen, die Prozesse/“governance“ der österreichischen Außenpolitik beeinflusst, modernisiert und geformt? Solche Einflüsse und Auswirkungen sind nachweisbar, gewichtige Änderungen traten ein,– so lautet meine These.

Was sind „große“ Entwicklungslinien? Seit dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeitspanne von rund 80 Jahren also, verändern vier grundlegende Anpassungs- und Umstellungsprozesse den Umfang, die Inhalte, die Strukturen und die Akteure der Außenpolitik. Sie sind näher zu charakterisieren. Sie sind die Ausgangspunkte und zugleich die zentralen Befunde der folgenden Ausführungen:

Ungewohnte Themen und bisher ungewohnte Bereiche der Politik werden für außenpolitisches Handeln aufgegriffen. Sie verschieben und erweitern die Grenzen der traditionellen, „klassischen“ Außenpolitik. Insbesondere schaffen Internationalisierung, Globalisierung, die europäische Einigung, in einem Geflecht von zahlreichen internationalen Organisationen, neue Herausforderungen und neue Inhalte der Außenpolitik. „Fachaußenpolitiken“ – d.i. staatliche Außenpolitik von anderen als den Außenämtern betrieben – treten ganz besonders in den Vordergrund. Dazu gehören auch die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Sie sind zugleich ein Teil der zweiten Entwicklungslinie „Verschränkungen von Innen- und Außenpolitik“.Footnote 1 Für die „neue“ Außenpolitik genügt daher der institutionelle und normative Ansatz für die Analyse der Außenpolitik nicht mehr; für sie sind auch andere, in erster Linie funktionelle Betrachtungsweisen zu nützen.Footnote 2

Außenpolitik wird schrittweise Innenpolitik, Innenpolitik wird teilweise Außenpolitik. Eine verstärkte parlamentarische Behandlung außenpolitischer Themen sichert die Legalität des außenpolitischen Handelns. Neue Formen der Partizipation an Außenpolitik verändern die Verwaltungsprozesse der Außenpolitik. Der zivilgesellschaftliche Druck auf politische Parteien beschleunigt diese Entwicklung.

Neben den öffentlichen Diensten, die auf den jeweiligen staatlichen Verwaltungsebenen für AußenpolitikFootnote 3 tätig werden, gestalten Repräsentant*innen der Zivilgesellschaft Außenpolitik mit, insbesondere die Akteure aus der Wirtschaft und Industrie, aus Forschung und technologischer Entwicklung, aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, den Kultur- und Bildungseinrichtungen.

Nicht nur in föderal gegliederten Staaten, wie in Deutschland, der Schweiz und in Österreich, treten zahlreiche, oft intensive nachbarschaftliche und/oder regionale politische, wirtschaftliche, kulturelle Formen der Zusammenarbeit zu den traditionellen außenpolitischen Beziehungen hinzu. Auch in zentralistisch ausgerichteten Staaten sind sie feststellbar: wie z. B. in Frankreich die Rheinfurche betreffend, in Italien mit Bezug auf das Piemont, in den Niederlanden auf die gemeinsame Region mit Deutschland, in den skandinavischen Ländern auf die Kooperationen untereinander. Österreich z. B. ist Teil der Alpenregion, des Bodenseeraumes, des Donauraumes, der vernetzten adriatischen, der pannonischen, der friulanischen und slowenischen Gebiete; und in allen diesen Regionen bestehen, oft mehr, oft weniger häufig, oft mehr oder weniger formal geregelt, verschiedene Projekte einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.Footnote 4

Diese Wandelprozesse der (österreichischen) Außenpolitik entsprechen im Grunde den allgemeinen Veränderungsprozessen der europäischen öffentlichen Verwaltungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie wurden an anderer Stelle analysiert (Kneucker 2020, 36–61). Verzichtet wird daher in diesem Beitrag, das Personal, d.i. der öffentliche Dienst und die Bürokratie für Außenpolitik auf allen Verwaltungsebenen, zu diskutieren. Die Inhalte und die spezifischen Prozesse in den einzelnen außenpolitischen BereichenFootnote 5, die Länderaußenpolitik sowie das vollständige Spektrum der Akteure der Außenpolitik sind ebenfalls Themen anderer Beiträge. Sie können hier ausgespart bleiben, soweit sie nicht die Organisation der Außenpolitik berühren.

Den mir gestellten Aufgaben (Einleitung, Abschn. 1) folgend behandelt der Beitrag zunächst die außenpolitischen Verantwortungen und Kompetenzen, also den vor allem für die Bundesebene bestehenden, rechtlichen Rahmen (Abschn. 2), dann die vier „großen“ Entwicklungslinien der europäischen/österreichischen Außenpolitik, nämlich das Hervortreten einer „Fachaußenpolitik“, die neue Koordinationserfordernisse mit sich brachte, die teilweise Verschmelzung von Außen- und Innenpolitik, die dafür bestimmenden Aktivitäten der Zivilgesellschaft, und schließlich die versuchte Regionalisierung der Außenpolitik (Abschn. 3). Ein Resümee (Abschn. 4) und ein Quellen- und Literaturverzeichnis schließen den Beitrag ab.

2 Außenpolitische Kompetenzen und Verantwortungen

Zum Verständnis der Außenpolitik (in Österreich) trägt es bei zu beachten, wie die normative Ordnung der staatlichen Außenpolitik und ihre Zuordnung auf die Verwaltungsebenen des österreichischen politischen Systems erfolgt(e):

Außenpolitik, oder wie man früher zu sagen pflegte, die „auswärtige Gewalt“, stellt keinen Sonderbereich der öffentlichen Verwaltung in Österreich dar. Alle Prinzipien und Regeln für die österreichische Verwaltung gelten uneingeschränkt auch für den Politikbereich Außenpolitik. Seine Strukturen weichen von den anderen der Verwaltung kaum ab, jedenfalls nie grundlegend.

Wie es für föderal gegliederte Staaten typisch ist, so sind auch nach der österreichischen Bundesverfassung (B-VG) die „äußeren Angelegenheiten“ – unbeschadet der [eingeschränkten] Zuständigkeit der Länder-Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung (Art. 10 Abs. 1 Z.2 B-VG). Sie sind der obersten Verwaltungsebene, dem Bund, sozusagen als dem „Gesamtstaat“ zugewiesen (zur Unterscheidung Bund – Gesamtstaat: Kelsen 1925/1966, 207–212, 218). Der Bund hat, das folgt daraus, die Organisation für diese „äußeren Angelegenheiten“ zu schaffen, einzurichten, das erforderliche Personal bereitzustellen und den Politikbereich insgesamt zu regeln, zu finanzieren und zu verantworten (Hartmann 2013, 143; Öhlinger und Eberhard 2019, 80).

Die außenpolitische Verantwortung auf der Ebene des Bundes, „soweit sie nicht in die Zuständigkeit eines anderen Bundesministeriums fällt“, trägt allein das z.Z. so bezeichnete „Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten“. Im Rahmen der politisch-administrativen Arbeitsteilung für die Ebene der Bundesverwaltung legt nämlich das Bundesministeriengesetz (BMG) dieses genannte Ministerium als die beauftragte und zuständige Behörde fest (Art. 16 Abs. 1 B-VG; Anlage 2 C. Z.1 BMG 1986 idF. BGBl. I 2021/30). Es regelt auch die Beziehungen zu den anderen mit Außenpolitik befassten Behörden. Zu den äußeren Angelegenheiten zählen die „wirtschaftliche Vertretung gegenüber dem Ausland“, die „Grenzvermarkung“, der „Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland“ und das „Zollwesen“ (Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B.-G). Eine ausführliche Beschreibung aller Aufgaben des Bundesministeriums enthält Teil 2 C der Anlage zum BMG 1986, jeweils in der Letztfassung; die tatsächlich und aktuell wahrgenommenen Aufgaben enthält die offiziöse Darstellung in der elektronischen Vorstellung des Bundesministeriums („gv.at“).

Mit Blick auf die Vollziehung der äußeren Angelegenheiten ist noch der typische, in der Regel völkerrechtlich dem Staatsoberhaupt reservierte Vollzugsbereich des Bundespräsidenten in Art. 65 Abs. 1 B-VG anzuführen: die „Vertretung der Republik nach außen“, nämlich im Wesentlichen der Empfang und die Beglaubigung der Gesandten, die Genehmigung der Bestellung der fremden Konsuln, die Bestellung der konsularischen Vertreter*innen der Republik im Ausland und der völkerrechtliche Abschluss der Staatsverträge, u. U. die Anordnung, bestimmte Typen von Verträgen durch die Erlassung von Verordnungen zu erfüllen (Fischer 2018, 247–258).

Die (Verfassungs)begriffe wie „äußere Angelegenheiten“, „Äußeres“, Vertretung „nach außen“ etc. sind in ihrem historisch gewachsenen Verständnis zu lesen. Ihr inhaltlicher Umfang ist insoweit klar umrissen. Die Begriffe bedienen sich einer Formulierung in der Art von Generalklauseln. Die besonders erwähnten wirtschaftlichen Angelegenheiten sind offenbar als eine Teilmenge der umfassenden und allgemeinen politischen Außenbeziehungen zu verstehen.

In organisatorischer Hinsicht ergeben die Begriffe jedoch kein konsistentes Bild. Besondere Probleme folgen jedoch nicht daraus. Die gesonderte Zuständigkeit des Bundespräsidenten, der sich organisatorisch auf seine Präsidentschaftskanzlei stützt und handlungsfähig nach Vorbereitung und in Verbindung mit dem Bundesministerium ist, wurde bereits genannt. Die „äußeren“ Aufgaben besorgen neben dem, überwiegend unter dem Bundesministerium die so genannten „Vertretungsbehörden“ – im und zum Ausland sowie zu den internationalen Organisationen. Gegenwärtig sind es 82 Botschaften und 7 „Vertretungen“ im Botschaftsrang, 10 Generalkonsulate, mehrere Honorarkonsulate, aber auch 30 Kulturforen (davon 2 selbständige), 64 Österreich-Bibliotheken, 11 Österreich-Institute und 4 andere staatliche Büros im Ausland, die für bestimmte Angelegenheiten, wie z. B. für wissenschaftliche Kooperationen, eingerichtet wurden. Alle Stellen sind entweder losgelöst von oder einbezogen in die Botschaften vor Ort (Austria Kultur International 2018, 233–249; Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten 2019). Die Außenhandelsorganisation der Wirtschaftskammer Österreich, der offiziellen Interessenvertretung der österreichischen Wirtschaft, erfüllt auf diesem ihrem Gebiet ganz ähnliche, quasi-staatliche Aufgaben (Isak 1983, 259–289), ja substituiert oder ergänzt bis zu einem gewissen Grad die Tätigkeit einer Botschaft in wirtschaftlichen Angelegenheiten.

Da ein „Verwaltungsorganisationsgesetz für die Auslandsbeziehungen“ lange Zeit fehlte, ließ sich der rechtliche Status der Vertretungsbehörden im Ausland letztlich nicht eindeutig qualifizieren. Sie waren zwar durchaus Teil des Bundesministeriums, ihm weisungsgebunden und gehorsamspflichtig, jedoch nicht wirklich eine „nachgeordnete Dienststelle“ im üblichen Verständnis des Organisationsrechtes des Bundes; denn sie durften und dürfen (sollten und sollen) vor Ort auch de facto weitgehend autonom agieren, u. U. Initiativen aufgreifen oder vorbereiten.Footnote 6 Erst ab 1999 (§ 1 Bundesgesetz über Aufgaben und Organisation des Auswärtigen Dienstes, BGBl. I 1999/129 idF. 2018/30) ist die Lage der Vertretungsbehörden im Ausland formal geklärt, sie sind „nachgeordnete Dienststellen“.

Die Länder haben für „äußere Angelegenheiten, die in ihren selbständigen Wirkungsbereich fallen“ (Art. 16 Abs. 1 B-VG), z. T. neue Verwaltungseinheiten für die Durchführung ihrer Aktionen geschaffen. Sie sind innerhalb der und für die eigene Organisation des Landes eingerichtet und geregelt worden. Sie dienen zwar auch der Bearbeitung von möglichen grenzüberschreitenden Länderkooperationen, insbesondere durch Verträge der Länder, – Landesaußenpolitik ist das Thema eines anderen Beitrages in diesem Band.Footnote 7 Sie dienen aber auch der Abstimmung der Positionen der Länder in EU-Fragen untereinander und zwischen den Ländern und dem Bund. Die Länder werden damit zugleich in außenpolitischen Angelegenheiten des Bundes tätig. „Länderbüros“ im Ausland, z. B. in Brüssel, errichtet im Zuge der europäischen Einigung und nach dem Muster anderer EU-Staaten, sind Informationsbüros, „Aushängeschilder“, Kontaktstellen, aber keine Verwaltungsstellen mit behördlichem Charakter. Auf sie ist hier nicht einzugehen.

3 Die vier Anpassungs- und Umstellungsprozesse seit 1945

Organisationen ändern sich; ihre Strukturen und die Mechanismen ihrer Tätigkeit werden stets angepasst. Auch die öffentlichen Verwaltungen verändern sich (Kneucker 2020, 23–24; Gratz 2011, 183–189). Die laufenden betrieblichen oder administrativen Anpassungen sind allerdings nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen; Thema sind vielmehr die großen Linien der Entwicklung der Außenpolitik (in Österreich) mit Bezug auf ihre Strukturen, Verhaltensmuster und Organisationsformen. Diese längerfristigen Anpassungen und Umstellungen, die nicht immer, jedoch oft durch innerpolitische oder durch internationale Umstellungen, Ereignisse und „Wenden“ (wie z. B. um 1990) hervorgerufen werden, finden eben ihren strukturellen Niederschlag, werden u. U. gesetzlich geregelt und beeinflussen die Ausbildung und Weiterbildung der Bürokratie im Dienst der Außenverwaltung, vor allem die Rekrutierung von neuem Personal und dessen Sozialisation. Die Arbeit der Vereinten Nationen (UN), einiger ihrer Teilorganisationen etwa, ferner der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), vor allem aber der europäische Einigungsprozess insgesamt bieten für alle diese Punkte zahlreiche anschauliche Beispiele, ganz besonders in Österreich (Kneucker und Biegelbauer 2015, 219–234).

3.1 „Fachaußenpolitik“; Koordination, Governance

Es ist daran zu erinnern, dass jedes Thema des politisch wirksamen nationalen Handelns von, mit oder zwischen einzelnen oder mehreren Staaten, zwischen Regionen, ferner in selektiven sachlichen Interessensbereichen und in internationalen staatlichen/nichtstaatlichen Organisationen funktional „Außenpolitik“ darstellen kann; und historisch gesehen auch war und ist. Aus dieser Sicht gibt es gar keine „ungewöhnlichen“ außenpolitischen Themen und Aktivitäten. „Ungewohnt“ können sie freilich sein, weil sie selten oder bisher gar nicht Gegenstand von außenpolitischen Aktivitäten waren; oder weil sie „von den Tagesordnungen verschwinden“ und erst viel später wieder aktuell werden, wie es z. B. der Vergleich von außenpolitischen Themen der Habsburger Monarchie mit der Republik Österreich zeigt: etwa die Teilnahme an dem/an einem „europäischen Konzert“ im 19. Jahrhundert und heute in der Europäischen Union (EU), die Mobilität und die Migrationen in der Monarchie und heute in Europa, der Ausbau der Infrastruktur und die Sicherung der Verkehrswege zu den Nachbarländern, heute „die europäischen Netze“, die wiederum ein Thema der EU Ziele und Programme bilden. Schließlich begreift staatliche Politik bestimmte internationale und insbesondere europäische Angelegenheiten als eine „neue Innenpolitik“ und vice versa innerstaatliche als Außenpolitik. Beide sind miteinander verwoben. In diesem institutionellen Verständnis ist von „Fachaußenpolitik“ zu sprechen. Bundesministerien werden im (ungenauen) Fachjargon der Bürokratie als „Fachministerien“ bezeichnet, weil sie für spezifische Fachagenden zuständig sind. Im Rahmen des „generell agierenden“ Außenministeriums vertreten sie ihre Agenden als „Fachaußenpolitik“ oder bringen ihre Expertise in die Außenpolitik, vertreten durch das Außenministerium, ein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind schrittweise zweiseitige (bilaterale), und mehrseitige, (multilaterale), Verträge sowie Beitritte zu internationalen Organisationen in allen Verwaltungsbereichen strukturell wirksam geworden; d. h. die Mitarbeit in diesen internationalen Organisationen hat Veränderungen der Organisation, der Strukturen und Verwaltungsprozesse hervorgebracht. Es ist nicht nur an die Verzahnungen und Überlappungen von nationalen staatlichen Aufgaben und Verantwortungen mit gleichzeitig typischen außenpolitischen Verantwortungen zu denken; denn diese waren immer schon abstimmungsbedürftige Mehrfachverantwortungen, wie z. B. die Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft, des Passwesens, der Ein- und Ausreise, des Aufenthaltes und der Verbrechensverfolgung. Es handelt sich heute vielmehr bei „Fachaußenpolitik“ um „neue“ Fälle politischen Handelns, nämlich um Ausstülpungen der Innenpolitik in die Außenpolitik oder der Außenpolitik in die Innenpolitik.

„Die organisatorische Durchdringung durch Internationalisierung hat überall die mittlere, manchmal schon die unteren Ebenen der ministeriellen Organisationen erreicht. Keine Abteilung blieb [ohne Beeinflussung durch internationale Vorgänge oder] Anbindung an internationale Organisationen ... Zurzeit bestehen … so viele ‚internationale‘ Stellen in Fachministerien, dass sie [bereits] als übliche Verwaltungsstrukturen anzusehen sind“.

So entstanden und so werden überall

„fachspezifische Außenkontakte … gepflegt, so finden regelmäßig gegenseitige Besuche von Fachdelegationen [anderer Länder] … statt. Es werden von Fachministerien bilaterale und multilaterale Verhandlungen geführt, auch wenn später die Außenministerien den Abschluss der Verhandlungen übernehmen (sollten). Auswärtige Experten werden zu Evaluationen gebeten; relevante internationale Konferenzen werden besucht oder ins Land eingeladen, d.h. politisch-strategisch bewusst eingesetzt; … Berichte, Dokumente, Schlussfolgerungen [von internationalen Organisationen oder Fachministerien anderer Staaten] werden schnell verwertet. Sie beeinflussen die tägliche Arbeit. Ländervergleiche und internationale Erfahrungen werden national berücksichtigt. Sie bestimmen die internen Tagesordnungen. … Fachministerien koordinieren sich für ihre Arbeiten mit den Außenämtern. … Haben früher Außenministerien oft Fachagenden übernommen, weil die Fachministerien über kein geeignetes Personal verfügten, so ist es heute auch umgekehrt; da das Außenministerium nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, übernehmen die Fachministerien außenpolitische Agenden in Abstimmung mit den oder unter der Aufsicht der Außenministerien. Beispiele sind Arbeitsübereinkommen oder– noch formalere – Vereinbarungen über Forschungskooperationen oder z. B. in Österreich die Betreuung der Donaukommission durch das fachzuständige Bundesministerium für Verkehr, Infrastruktur und Technologie“ (Kneucker 2020, 40–41).

Die Grade der organisatorischen Durchdringung, der Vernetzung und der gegenseitigen internationalen Beeinflussung sind messbar geworden (empirische Belege aus Kneucker 2020, 39–58). Die „Fachaußenpolitik“ ist normativ abgesichert und (m. E. ausreichend) geregelt (BMG 1986, § 15 und Teil 2 der Anlage zu § 2, Abschnitt C, Z.1).

Der Koordinationsbedarf und die Intensität der Koordinationen haben im Zuge der Entwicklungen insgesamt zugenommen, haben vor allem für die überlappenden innenpolitischen und außenpolitischen Prozesse und Verantwortungen zu neuen Formen geführt: es war der Bedarf nach neuen, praktikablen Strukturen des Vorgehens bei innenpolitischen/außenpolitischen Agenden, d. h. nach verbindlichen Prozessen der Koordination, u. U. nach festen (gesetzlichen) Regelungen („executive governance“, dazu König 2015, 16–24; Hartmann 2013, 147–153).

Bürokratische Systeme sind keine Champions der Koordination, eher im Gegenteil. Sie scheuen, „eifersüchtig“ auf ihre Zuständigkeitsbereiche bedacht, vor intra- und interministeriellen Abstimmungen oft zurück. Sie wünschen sich stattdessen immer klare Kompetenzregeln in Gesetzen, die ihr Revier sicher umzäunen und Koordinationen überflüssig machen sollen,– ein wenig hoffnungsträchtiger Wunsch in einer international vernetzten Welt. Die horizontalen und vertikalen Koordinationserfordernisse, d. h. die Koordination sowohl auf gleichrangigen als auch zwischen hierarchisch über- oder untergeordneten Verwaltungsebenen, betreffen die Weitergabe von Informationen („Wissen“), notwendige laufende Kontakte, Absprachen bis hin zu gemeinsamen Entscheidungen der befassten öffentlichen Verwaltungen. Sie verdeutlichen, dass Kompetenzentflechtungen letztlich nur wenig hilfreich sind, dass eher Prozesse für Koordinationen gefunden, akzeptiert und praktiziert werden müssen.

Es herrscht heute, nicht nur unter Verwaltungsforscher*innen, Übereinstimmung darüber, dass „Koordination“ eine der größten und weitgehend noch nicht gelungenen organisatorischen Herausforderungen der öffentlichen Verwaltungen in Europa darstellt. Natürlich lässt sich oft und lange Zeit auch in Koordinationsbelangen improvisieren, und da sind Bürokratien tatsächlich immer Meister. Koordinationen werden nämlich oft ad hoc oder für den Einzelfall angestrebt, eben nur wenn und weil sie gerade politisch unabdingbar und/oder dringend geworden sind. Generelle Vorgangsweisen festzulegen, wird mit dem Hinweis, dass konkrete Fälle immer anders liegen können, gerne vermieden. Doch die europäischen Einigungsprozesse, insbesondere das Mehrebenensystem der europäischen Politik, stärker als der allgemeine Internationalisierungsprozess, haben bei allen Akteuren mehr oder weniger zur Einsicht geführt, dass – zumindest in Teilbereichen, wie eben in der Außenpolitik, – Improvisationen und die oft damit verbundenen bürokratischen Machtspiele unzweckmäßig sind. Sie sind für die Erfordernisse der diplomatischen Beziehungen von heute zu langsam, zu unsicher, zur Dokumentation der Prozesse auch kaum brauchbar.

Abb. 1 versucht, die Koordinationsherausforderungen zu ordnen und systemisch sichtbar zu machen: Ein nationales Verwaltungssystem hat bei Entscheidungen im Rahmen der EU vertikal, freilich nicht immer und in allen Fragen der Politik, sechs Ebenen innerstaatlich abzustimmen. Global meint weltumspannend, international bedeutet bi- und multinational. Europäisch verweist auf die Beziehungen innerhalb der EU, intraeuropäische auf gleichzeitig europäische und nationale Aktivitäten. Zugleich sind je nach den betroffenen Zuständigkeiten horizontal u. U. mehrere Politikbereiche/Ministerien zu koordinieren. Einige EU relevante Beispiele dieser Art sind in der Grafik angeführt. Drittens ist noch zu entscheiden, welches Instrument für die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen passen bzw. im Interesse der innerstaatlichen Politik angemessen sein könnte, um die getroffene politische Entscheidung nach den EU internen Prozessen umzusetzen. Im Grund geht es dabei um zwei unterschiedliche Typen der Instrumente für die Umsetzung von politischen Entscheidungen, nämlich um normative oder um fördernde Maßnahmen oder um eine Kombination beider Typen. Scherzbolde unter den Verwaltungsforscher*innen nennen sie „sticks or carrots“– Vorschriften oder Anreize. Die Typen können innerstaatlich aber jeweils unterschiedliche politische oder rechtliche Voraussetzungen oder Folgen haben – und damit Koordinationen erforderlich machen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Grafik © R. Kneucker)

„Mehrebenensystem“ für einen EU-Mitgliedstaat.

Anders als in der Koordination der formellen und informellen Regierungspolitik durch den österreichischen Ministerrat– und in dessen Vorbereitung durch das Bundeskanzleramt– erfordert die Zusammenarbeit der Fachministerien in außenpolitischen Agenden, manchmal unter oder zeitlich vor dem EU-Ministerrat, dass für alle einzelnen Schritte des politischen und administrativen Alltags passable governance Strukturen geschaffen wurden und befolgt werden. Fehlen sie, oder werden sie nicht praktiziert oder nicht beachtet, entstehen Kommunikations-, ja sogar veritable Koalitionskrisen in der Regierung.

Es gab vor Jahren noch gesetzlich fixierte Koordinationsbefugnisse, das Bundeskanzleramt in Wirtschaftsfragen, das Finanzministerium in Budgetfragen, das Wissenschaftsministerium in Forschungsfragen. Sie wurden zu Anfang des Jahres 2000 ohne viel Aufsehen beseitigt, wirkten freilich längere Zeit de facto weiter. Sie wurden nie neu geregelt, ausgenommen die seit 2013 sehr genaue Festlegung der Koordination der „gesamten Verwaltung des Bundes“ (einschließlich der grundsätzlichen EU-Angelegenheiten) durch den Bundeskanzler. Eine m. E. dringende Koordination in der Außenpolitik darüber hinaus wurde nie ernstlich erwogen. Das Außenministerium ist lediglich für die Koordination im Bereich der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zuständig.

Da die Fachministerien in die Arbeit der EU-Gremien politisch, fachlich, personell voll eingebunden sind, agieren sie funktional auch als „österreichische Vertreter“. Das Außenministerium und das Bundeskanzleramt, die für EU-Angelegenheiten eine (geteilte) Gesamtverantwortung tragen, müssen daher wenigstens laufend von wichtigen Vorgängen der EU-Fachaußenpolitik Kenntnis erhalten, insbesondere der/die „Regierungschef*in“ (d. i. in dieser EU-Funktion der/die Bundeskanzler*in), um aus der Sicht einer konsistenten Außenpolitik oder einer allgemeinen Regierungspolitik an politischen Entwicklungen (rechtzeitig) mitwirken zu können. Es verwundert nicht, dass der Bundeskanzler um 2017 eine neue Form der Regierungskoordination anstrebte, vielleicht (nach deutschem Muster) sogar eine „Richtlinienkompetenz“ für sich durchzusetzen versuchte; – was politisch nicht zu erreichen war, zumal eine verfassungsrechtliche Grundlage für eine Richtlinienkompetenz fehlt und politisch wohl nicht erfolgreich zu verhandeln gewesen wäre.

Die Zweckmäßigkeit einer neuen Art der Koordination – vor allem in europäischen Angelegenheiten – hatte sich bereits im Zuge der Beitrittsverhandlungen Österreichs mit den/der EG/EU ergeben (Scheich 2005, 35, 180–202). Für sie wurde (zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte der öffentlichen Verwaltung) eine besondere „Sektionsleiterrunde“ zur gegenseitigen Information und Koordination untereinander und zur inhaltlichen Abstimmung aller betroffenen Bereiche gegenüber dem/der Verhandlungspartner*in in Brüssel eingesetzt (zur Ablaufgeschichte Gehler und Steiniger 2014, 590–596). Das andere Beispiel waren die Schlussverhandlungen zum österreichischen Staatsvertrag 1954/1955.Footnote 8 1994 galt es in den Beitrittsverhandlungen auch noch zu verhindern, dass u. U. fraktionell getrennte, also parteipolitische Auseinandersetzungen in der damaligen Koalitionsregierung die in einem engen Zeitkorsett zu erledigenden Arbeiten für den Beitritt erschweren oder blockieren. Auch die Zuständigkeitsfrage, ist das Bundeskanzleramt oder das Außenministerium für EU-Angelegenheiten verantwortlich, wurde deshalb erst später, und zwar zugunsten des Außenministeriums entschieden (Kneucker 2020, 46–53); sie wurde ab 2017 jedoch teilweise wieder dem Bundeskanzleramt rückübertragen.

Nach der governance Regelung für die Vertretung der österreichischen EU-Positionen, die bis heute praktiziert wird, ohne gesetzlich festgeschrieben zu sein, werden die politischen Positionen und Stellungnahmen etc. im Fachministerium (oder vom Attache des/der Ministeriums/en an der Brüsseler Vertretung zur EU) ausgearbeitet, im Ministerium genehmigt, gehen über das Außenamt an die österreichische Vertretung in Brüssel zurück, insbesondere für die Arbeit des Botschafterausschusses (COREPER), werden damit „offiziell“ und bilden die Grundlage der Arbeit und Weiterarbeit in allen Gremien der EU (Kneucker 2020, 52–53, 281–282). Die für bestimmte Fragen rechtlich vorgesehene Befassung des Hauptausschusses des Nationalrates, z. B. vor Ministerräten der EU, ist Thema an anderer Stelle. Die elektronischen Technologien haben diese „Kommunikation binnen Stunden“ erst ermöglicht, und gewährleisten sie.

Abgesehen von den als „geheim“ klassifizierten Dokumenten erwies sich die bisher im außenpolitischen Verkehr übliche Chiffrierung und Dechiffrierung als unpraktisch, insbesondere als zeitlich unzulänglich und hinderlich. Der „elektronische Akt“ (ELAK) hatte zuvor schon nützliche Hilfe geleistet. Es sei angemerkt, dass der elektronische Akt im Außenministerium schon sehr früh, früher als in anderen Bundesministerien eingeführt worden war. Als Grund ist m. E. nicht nur die gewonnene administrative Geschwindigkeit, sondern auch die Erleichterung bei der Suche nach Vorakten anzugeben, weil das kollektive Gedächtnis in der Außenpolitik ein besonderes und ständiges Erfordernis darstellt, ein verbessertes retrieval system aber erst gefunden werden musste, um die wenig effizienten und zeitraubenden archivalischen Bemühungen möglichst zu ersetzen. Es waren in allen Ministerien übrigens die „Sekretär*innen“, die den Vorteil des elektronischen Aktes erkannten und durchsetzen halfen. Die Umstellung auf elektronische Kommunikationen zeitigt freilich auch Nachteile; und da wird es in Zukunft wohl neuer regulativer Maßnahmen bedürfen. Relevante Prozesse über Telefon und e-mails die nicht in Akten dokumentiert werden, sind „verloren“ für die Rekonstruktion der Entscheidungsvorgänge (und für die spätere wissenschaftliche Bearbeitung). Eine ähnliche „Gefahrenquelle“ für die Verminderung oder den Verlust des administrativen Gedächtnisses (Zwerger et al. 2017, 13–15) stellen die fehlenden Instruktionen für das Skartieren dar, also das Ausscheiden der schon erledigten Akten, die von der gesetzlichen Intention her dem staatlichen Verwaltungsarchiv übergeben werden müssten, durch Skartieren aber entsorgt werden.

Governance Strukturen dieser Art zu finden, wurde erfolgreich fortgesetzt – erfolgreich auch im Sinne einer Vorbildwirkung für andere ähnliche außenpolitische Vorgänge außerhalb der EU-Angelegenheiten (Kneucker 2020, 46–53, 277–282). Diese Aussage gilt jedoch nicht für die Koordination in der öffentlichen Verwaltung generell. Die bestehenden Herausforderungen der Koordination bleiben weiterhin in vielen Fällen ungelöst. Da ringt in heiklen politischen Konflikten, sehr oft auch in EU-Angelegenheiten, sogar die Regierung um eine koordinierte, gemeinsame Stimme und Vorgangsweise dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber. Wie die Bemühungen der Kabinette der (österreichischen) Ministerien zeigen, wird durch informelle Kontakte der Ministerbüros bis hin zu Versuchen einer „message control“ der Regierungs- und Parteispitzen alles unternommen, um die Stellungnahmen und Äußerungen, die Ankündigungen und Entscheidungen einzelner Ministerien und Minister*innen auf politische Einheitlichkeit und den passenden Zeitpunkt zu koordinieren und zu kontrollieren. Die Einrichtung der Position und die Berufung von „Generalsekretären und Generalsekretärinnen“ in (allen) Ministerien mit weitreichenden Vollmachten eines Weisungsrechtes und des Durchgriffs in die Linienorganisation zur intra- und interministeriellen Koordination, unterstreicht u. a., wie politisch bedeutsam die Herausforderungen der Koordination tatsächlich geworden sind (§ 7 Abs. 11 BMG 1986; Hartmann 2013, 149–153; Kneucker 2020, 258–275).

3.2 Außenpolitik und Innenpolitik

Außenpolitik wird schrittweise Innenpolitik, Innenpolitik teilweise Außenpolitik. Inwiefern? Und warum? Dieser Wandelprozess ist empirisch nachzuweisen, zugleich systemisch und normativ zu begründen.

Für Österreich bedeutete die Internationalisierung der Politik vielfache Anregungen und neue Herausforderungen, insbesondere durch die Tätigkeit oder durch die Mitarbeit in internationalen Organisationen (wie z. B. der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Paris (OECD), in wirtschafts- und bildungsökonomischen Fragen, oder z. B. der Europäischen Weltraumagentur Paris (ESA), und der Europäischen Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten Darmstadt (EUMETSAT), in Umwelt- und Industrieangelegenheiten); sie bedeutete vor allem Anstöße zur industriellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit in internationalen Projekten. Doch lösten diese Einflüsse noch keine oder höchstens indirekte Wirkungen auf die Innenpolitik aus. Es greift dagegen die europäische Zusammenarbeit im Rahmen der EU in der Regel direkt in die nationale (österreichische) Politik ein (Eppler und Staudigl 2015, 86–106); denn in allen „ausschließlich“ der EU übertragenen oder in den zwischen der EU und den Mitgliedstaaten „geteilten“ Zuständigkeiten, selbst bei „koordinierenden“ oder „unterstützenden Kompetenzen“ der EU (Art. 2–6 AEUV), „bricht“ (nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)) „EU-Recht nationales Recht“; EU-Recht ist unmittelbar anzuwenden und (mit Ausnahmen) unmittelbar verbindlich (Öhlinger und Eberhard 2019, 90–104). Es entstehen in vielen Fällen grenzüberschreitende Aktionen oder Kooperationen auf der Ebene der Bürger*innen oder es erfolgen Durchgriffe von der EU-Ebene direkt in regionale oder nationale Vorgänge und Maßnahmen, und zwar ohne Zwischenschaltung der einzelstaatlichen Regierungen. Beispiele sind in den Binnenmarktregelungen der EU oder in Telecom-Neuerungen (Slominski 2002, V, 1–32) zu finden. Neue Umweltstandards, etwa für Kfz, dann die Förderung der Landwirtschaft, die Projekte der Regional- und der Strukturpolitik der Mitgliedstaaten sowie die Teilnahme in den wissenschaftlichen und technologischen Forschungsprogrammen der EU sind weitere Beispiele für direkte Auswirkungen; denn ohne Zwischenschaltung der Bundesregierung agieren Regionen, Gemeinden, in Österreich gerade auch die Bundesländer direkt mit EU-Behörden in den Förderverfahren, oder die frei gebildeten Forschungsgruppen agieren – nach Erhalt der EU- Förderungen direkt in grenzüberschreitender Zusammenarbeit untereinander. Darin liegen Alleinstellungselemente der EU– im Vergleich zu anderen internationalen Organisationen (Kneucker 2010, Rz. 3, 6, 21).

Zum Teil unabhängig von EU-Entwicklungen, sogar zeitlich vor ihnen, zum Teil in Verbindung mit EU-Politiken zeigen zivilgesellschaftliche Aktivitäten, dass, wie und in welcher Form Außenpolitik Innenpolitik (in Österreich) und umgekehrt bestimmen kann. Die “Atomgegner*innen“ im Fall Zwentendorf, die später dann die Diskussionen über die Programmatik und Finanzierung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), beeinflussten und weiterhin beeinflussen, sind zuerst zu nennen. Sie bekämpfen die österreichische Position in der Finanzierung von EURATOM, überhaupt die Teilnahme Österreichs an diesem Gemeinschaftsvertrag der EU, und lehnen selbst EURATOM Maßnahmen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie ab, wie z. B. die Forschungen zur Beseitigung von Schäden oder zur Entsorgung von Atommüll. Vor allem ist aber an die politisch erfolgreichen Gegner*innen der Freihandelsabkommen der EU mit den USA „Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)“, der EU mit Canada „Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA)“ und der EU mit Lateinamerika „Mercado Común del Sur (Mercosur)“ zu erinnern. Es bestanden (auch in Österreich) gegen diese Verträge in den betroffenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen gewichtige agrar- und umweltpolitische Befürchtungen und Einwände, z. T. verbunden mit „Souveränismus“-Vorwürfen an die EU (auch wenn sie gerade bei Freihandelsabkommen am geringsten zuträfen). Die zivilgesellschaftliche Politik veränderte die staatlichen politischen Entscheidungen im Rahmen der EU-Abstimmungen. Innenpolitik wurde Außenpolitik, und umgekehrt.

Aus einer systemischen Betrachtung erhellt, dass mit der Zunahme außenpolitischer Themen in der innenpolitischen Debatte die übliche Dynamik und die Mechanismen des politischen Systems auch für Außenpolitik zu greifen beginnen – vor allem im Zusammenspiel der Regierung und des Parlaments. Zu nennen sind zunächst, wenngleich schon aus prinzipiellen, verfassungsrechtlichen Erfordernissen unternommen, die Volksabstimmungen mit außenpolitischer Relevanz (Kärnten 1920, Ödenburg 1921, EU-Beitritt 1994; siehe hierzu Cede 2012, 15–21). Die Ereignisse um die Migrationen nach und in Europa und die Art der Bewältigung der Flüchtlingsströme und Asylverfahren nach 2015 sind dafür jüngste Belege (Gratz 2016) – so wie eben auch die bereits erwähnten internationalen Freihandelsabkommen.

Die europäischen Parlamente, auch das Parlament in Österreich, die lange Zeit an außenpolitischen Debatten, Resolutionen und Gesetzen uninteressiert waren, zeigen in jüngerer Zeit ein wachsendes Interesse an Außenpolitik und diskutieren über Außenpolitik genauso wie über Innenpolitik. Zivilgesellschaftliche Organisationen übten dafür erfolgreich Druck aus, insbesondere auf die politischen Parteien und die großen, etablierten Interessenvertretungen.

Der Ausbau des Europäischen Parlaments in Richtung einer immer effektiveren parlamentarischen Demokratie und zu einer immer intensiveren Mitgestaltung an der Politik des Rates und der Kommission, zielt m. E. nicht nur auf eine Stärkung der Demokratieelemente in der EU in einem allgemeinen, abstrakten Sinne ab, sondern erscheint als eine Rückkoppelung mit den nationalen Parlamenten, die, an der Außenpolitik der EU mitzuwirken, eine aktuelle und wichtige politische Aufgabe sehen. Die parlamentarische Arbeit verstärkt die Legitimität der Politik; sie festigt das demokratische Prinzip in der Politik.

Der parlamentarische Prozess ist ein innenpolitischer Prozess, weil er von den Positionen der im Parlament vertretenen politischen Parteien gesteuert wird, die auf (von außen) einwirkenden innenpolitischen Kräften antworten (Kneucker 1983, 58–73). Den Wandel des Interesses an Außenpolitik beeinflussten offensichtlich auch die national gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament – sie stehen in einem Austauschverhältnis mit ihren nationalen Parlamenten und wirken in diese hinein. Löste noch in den Jahren 1982/1983 die Bemerkung, der außenpolitische Bereich sei durch eine „verdünnte Legalität“ charakterisiert und die Tagesordnungen des Parlaments platzierten Außenpolitik aus geringem Interesse eben nur „in den Nachtstunden“, Unmut aus (Kneucker 1983, 36–37), ohne durch Fakten freilich widerlegt werden zu können, so ist die Lage heute deutlich verändert. Nicht nur das Interesse des Parlaments ist grundsätzlich anders einzuschätzen, sondern es kann die wachsende und ständige parlamentarische Behandlung außenpolitischer Materien zugleich als Verstärkung, ja Sicherung der Legalität in der österreichischen Außenpolitik angesehen werden. Sie ist strukturelle Routine geworden.

Legalität in einem weiteren Sinne folgt weiters und insbesondere aus der Befassung des Hauptausschusses (bzw. seines Ständigen Unterausschusses) des Nationalrates (Öhlinger und Konrath 2013, zu Art. 23e B-VG Rz.1–63). Das Außenministerium, so wie die anderen Ministerien auch, hat „über alle Vorhaben im Rahmen der EU“ und über Ereignisse und bestimmte Positionen und Beschlussfassungen in den EU-Räten zu berichten, sich der Beratung im Hauptausschuss zu stellen und seine Strategien darzulegen und zu begründen. Es wäre durchaus denkbar, jedenfalls rechtlich nicht verboten, alle außenpolitischen Strategien und Vorhaben dem Hauptausschuss vorzulegen; dies ist allerdings nicht die gegenwärtige Praxis. Der/die Minister*in kann, wenn der Hauptausschuss eine Stellungnahme zur Sache oder zur geplanten österreichischen Position in EU-Angelegenheiten abgibt, davon nur in begründeten Ausnahmefällen abweichen. Dieser besondere governance Vorgang ist sogar verfassungsrechtlich vorgezeichnet (Art. 23 e, siehe auch Art. 23 f. – k B-VG).

Mit der Reform des Bundeshaushaltsrechtes in den Jahren 2008–2013 (Art. 50 a–d, 51, 51a–51d B-VG; Lödl et al. 2012, 26–79) wurde in systemischer Sicht ein weiterer, vertiefender Schritt zur Sicherung von Legalität verankert, und zwar für alle politischen Bereiche, also auch für die Außenpolitik. In der wiederkehrenden parlamentarischen Befassung mit Budgetangelegenheiten ist damit eine innenpolitische, in Ziele und Maßnahmen gegliederte Diskussion über Außenpolitik verfügt worden. (Die Reform zählt m. E. zu den bedeutendsten Verwaltungsreformen der vergangenen Dekaden, entworfen und betrieben durch die Bürokratie selbst. Inspiriert durch systematische internationale Vergleiche seit 1986 wurden Erfahrungen insbesondere aus der Budgetpraxis der EU verwertet; Steger 2010, 484; Steger und Pichler 2008, 5, 7–11).

Worin liegt die Reform? Die mittelfristigen und in einem Budgetjahr geplanten Vorhaben der Verwaltungsstellen werden inhaltlich beschrieben und damit rechtlich eingegrenzt. Sie werden nach den aus Wirkungszielen abgeleiteten Maßnahmen zur Zielerfüllung sowie nach den verfügbaren Instrumenten für die Umsetzung der Maßnahmen geprüft. Sie sind damit rational aufeinander bezogen. Ihre Beziehung zueinander wird nachvollziehbar, überprüfbar und in ihren Auswirkungen bewertbar. Das Gebot der „Wirkungsorientierung“, eine Art output-Orientierung, tritt zu den anderen bekannten Budgetprinzipien hinzu. Bisher waren solche betriebswirtschaftlichen Denkweisen und Gestaltungen nicht gesetzlich festgelegt, insbesondere waren die mittelfristigen Planungen rechtlich nicht verbindlich. Zu argumentieren ist innerhalb eines mehrjährigen Finanzrahmens, ob und welche politischen Anliegen, welche strategischen Absichten mit den jährlichen Budgetanträgen verbunden sind, welche Evaluationen der vergangenen, noch offenen oder abgeschlossenen politischen Aktivitäten beauftragt und in den Budgetargumentationen verwertet wurden, welche Begründungen welcher Maßnahmen für eine Wirkungsorientierung steuerungsrelevant sein sollten oder erfolgreich waren. Zu fragen ist insbesondere auch, welche Maßnahmen, und warum gerade diese und nicht andere zur Erfüllung der Zielsetzungen gewählt wurden, und weshalb in welcher zeitlichen Abfolge etc.

Das Budgetkapitel „Äußeres“Footnote 9 nennt, nun schon über einige Jahre gleichbleibend, fünf Ziele als die „Wirkungsziele“ der Außenpolitik: 1) die Hilfestellung für in Not geratene Österreicher*innen im Ausland und die Betreuung der ständig im Ausland lebenden Österreicher*innen, 2) die Wahrnehmung außenpolitischer, sicherheitspolitischer, europapolitischer und wirtschaftspolitischer Interessen Österreichs in Europa und in der Welt, der Ausbau des Standortes Österreich als Amtssitz und Konferenzort, 3) Fortschritte in der Integration der regelmäßig und legal sich in Österreich aufhaltenden Migrant*innen]Footnote 10, 4) die nachhaltige Verringerung von Armut, die Festigung des Friedens, die Gleichstellung von Frau und Mann, die Sicherung und der Erhalt der Umwelt in den Partnerländern im Rahmen der EZA, und 5) die Prägung eines innovativen-kreativen Österreichbildes, interkulturelle und interreligiöse Dialoge. Das europäische Prinzip „Einheit durch Vielfalt“Footnote 11 gilt ausdrücklich für die österreichische Außenpolitik (Regierungsvorlage 380 dB XXVII. GP, Anlage I).

Europapolitik ist inhaltlich nicht ausdrücklich genannt und ausgeführt. Durch die teilweise Verlagerung von EU-Agenden in das Bundeskanzleramt 2017 findet sich aber auch dort z. Z. keine umfassende oder besonders fokussierte inhaltliche Zielsetzung für die Tätigkeit des Außenministeriums und des Bundeskanzleramtes für eine inhaltliche EU-Politik. Beim Bundeskanzleramt (BKA) findet sich nur das prozedurale „Wirkungsziel 2“, nämlich die „Erarbeitung und ressortübergreifende Abstimmung von Strategien und Positionen“ zur zeitgerechten Vorlage der Unterlagen an den EU-Rat. Wegen der allgemeinen Koordinierungsverantwortung des BKA ist dieses Wirkungsziel angebracht, aber wohl redundant.

Es besteht – wie schon bisher – die Gefahr, dass auf europapolitische Initiativen saumselig reagiert oder vergessen wird. Zu entwickeln und zu vertreten sind aber Positionen, also insbesondere eine österreichische Personalpolitik für die Besetzung von EU-Stellen durch Österreicher*innen und sachpolitische Initiativen für den europäischen Einigungsprozess. Österreich, wie jeder EU- Mitgliedstaat, kann und soll zur Vertiefung der europäischen Einigung politische Aktivitäten zur Diskussion stellen und beitragen. Es ist nicht nur legitim für den Mitgliedstaat, seine eigenen Interessen im Rahmen der EU-Politik zu vertreten; der Mitgliedstaat darf und soll, dazu ebenfalls durch den EUV verpflichtet, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten das Projekt „Europa“ weiterentwickeln (Präambel und Art. 3, 20 EUV, Präambel AEUV). (Auch wenn Präambeln als solche nicht rechtsverbindlich sind, sind ihre Motive dennoch als Zusagen für die Zukunft von den Mitgliedstaaten akzeptiert und bestätigt worden, als Ziele und Maßnahmen zur Verwirklichung vereinbart und willkommen geheißen worden). Welche Initiativen? In welchen Allianzen will also Österreich? So kann man zurecht den Mitgliedstaat Österreich fragen. Zielsetzungen oder Maßnahmen in diesem Sinne scheinen aber bisher kaum auf. Es ist in den Vorlagen eher Reaktion als Aktion gemeint. Der Text für die Debatte im Nationalrat spricht nämlich liebevoll von „Pflege“ der europäischen und internationalen Beziehungen, was nach administrativ ordentlichen, konstruktiven und verlässlichen Verhalten und Wirken (auch in der Europapolitik) klingt. Wenngleich Politik von Zeit zu Zeit durch geheime Elemente charakterisiert sein muss, weil nicht alle Pläne und Initiativen sofort bekanntgegeben werden sollten, so muss doch für die europäische Entwicklung zeitgerecht einbekannt werden, welche europapolitischen Positionen, nicht zuletzt zur Beseitigung der europakritischen Punkte und Vorbehalte an vielen Orten, von Österreich aus in welchen Sachbereichen und nach welchen Prioritäten in Aussicht genommen werden wollen. Gerade von „kleineren“ Ländern, weil deren Kreativität für die Arbeit in den politischen Prozessen der EU oft schon überzeugt hat, sind Vorschläge bei den „Großen“ stets willkommen – nicht nur rechtlich zulässig (Kneucker 2020, 48).

Die hier verankerte betriebswirtschaftlich professionelle Betrachtung der Ziele und Maßnahmen für Außenpolitik führt zu kritischen Anmerkungen über die Art der bis jetzt üblichen „wirkungsorientierten“ Antragstellungen im Budgetprozess:

Die angeführten Ziele sind manchmal – technisch gesehen – selbst wieder Maßnahmen, in manchen Maßnahmen stecken Ziele. Die Zielformulierungen sind professionell unbeholfen. Maßnahmen, die (bewusst?) nur Teile von Zielen erfüllen können, bleiben ohne Begründung dieser Maßnahmenauswahl. Es finden sich eben Maßnahmen ohne Ziele und Ziele ohne Maßnahmen; die Vertretung welcher Interessen Österreichs; etwa in europapolitischer, nachbarschaftspolitischer und wirtschaftspolitischer Hinsicht?

Eine breite wissenschaftsbasierte Diskussion über Interessen Österreichs z. B. in Europa hat übrigens seit Jahren nicht mehr stattgefunden (Cede und Prosl 2015, 11–15, 157–160); und selbst in der Frage der jüngst unternommenen Annäherung an die oder die versuchte Allianzbildung der österreichischen Regierungspolitik mit den Visegrad Staaten Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei wurden die Interessenslagen nicht erkennbar systematisch untersucht. In einzelnen Sachbereichen, wie Forstwirtschaft, Verkehrsplanungen, transeuropäische Netze, fehlen Erhebungen über österreichische Interessen. Österreich hat nämlich keineswegs immer gleichartige Interessen mit Deutschland oder den unmittelbaren Nachbarn. Zahlreiche gemeinsame Interessen hat Österreich auch mit den skandinavischen Ländern, Frankreich und Irland (vielfach auch mit dem Vereinigten Königreich, das nun ausgeschieden ist).

Evaluationen der bisher erzielten Ergebnisse und Interessenslagen fehlen, oder werden nicht angeführt; in bedauerlicher Weise gerade auch nicht die Beteiligungen und das Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen (ausgenommen teilweise für UN, für den Europarat und indirekt für die EU). Das Außenministerium qualifiziert, wie viele strategische Konferenzen in der Vergangenheit zeigten, als ein besonders strategisch-kreatives Haus. Es scheint aber ständig unterfordert oder politisch nicht ausreichend für die eigenen Strategiebildungen gefordert zu sein.Footnote 12

Seit kurzem werden ressortübergreifende, strategische Anliegen der Politik in einer Art „Landkarte“ im Rahmen der Angaben zu Wirkungsorientierungen sichtbar gemacht. Es fehlen aber konkrete Ziele für einzelne ressortübergreifende Abstimmungen des BKA und/oder des Außenministeriums mit anderen Ressorts: insbesondere bei der Umsetzung der/deren angeführten „Wirkungsziele“ und Maßnahmen, etwa in der ressortübergreifenden Abstimmung der allgemeinen strategischen Positionen durch das BKA, ferner für die Wissenschaftskooperation außerhalb Europas oder mit Bezug auf die „Außenwirtschaftsstrategie 2018“ des Bundesministeriums Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, die von den Vertretungsbehörden im Ausland mit den Außenwirtschaftsstellen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) umzusetzen ist. Österreich muss in internationalen Gremien heute regelmäßig zu weltpolitischen Themen und heiklen Politiken Stellung nehmen, die nicht „österreichrelevant“ erscheinen (z. B. die Politik der EU zu Afrika oder zu Fragen des Kolonialismus in den UN). Sie sind in Österreich, wenn es eine konsistente österreichische Position vertreten soll, höchst umstritten – und fänden kaum einen Konsens; politisch stringente Diskussionen werden aber bisher nicht angeregt oder gewagt.

Die Instrumente für die Durchführung der außenpolitischen Maßnahmen werden in der Regel nicht argumentiert; die beantragten Budgetmittel sind jedoch nicht allein die Instrumente der Zielerfüllungen. Personal und passende Organisationsformen sind gewichtige zusätzliche Elemente, wenn in den angeführten Zielsetzungen diplomatische Kontakte und Kooperationen gelingen sollen. Sind z. B. die gegenwärtigen oder die fehlenden Besetzungen mit Fachattaches an Botschaften zweckmäßig? Sollten sie nicht im Lichte der Schwerpunktsetzungen der Außenpolitik entsprechend geändert werden? Bedarf es wirklich – wie zu Zeiten der Großmacht Habsburger Monarchie – an (beinahe) jeder Botschaft eines oder gar mehrerer Militärattachés?

3.3 Außenpolitik und Zivilgesellschaft

Es wird nicht erstaunen, dass neue Akteure die außenpolitische Arena betreten haben, wenn das gesteigerte öffentliche Interesse an außenpolitischen Fragen und die regelmäßigen parlamentarischen Beratungen über außenpolitische Fragen zu wirken beginnen. Es sind auch tatsächlich „Akteure“ in einem politischen Verständnis, weil sie in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind und nicht nur für bestimmte politische Ergebnisse wie die Interessenvertretungen oder Lobbies agieren.

Innerhalb und außerhalb der politischen Parteien und Interessenvertretungen bildeten sich, z. T. lose und unabhängig organisiert, z. T. organisatorisch eingebunden, neue Aktivist*innengruppen, die außenpolitische Themen diskutieren und vorantreiben wollen. Beispiele bietet das weite Feld der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen des Klimaschutzes, der Sicherung der Artenvielfalt, die Schonung der natürlichen Ressourcen und die Verhaltensumstellung auf Sparsamkeit und alternative Energien. Die Gruppen sind Parteigrenzen überschreitend vernetzt. Die sozialen Medien ermöglichen schnelle und effiziente Wege der Kommunikation zwischen ihnen. Es ist ja eher die jüngere Generation, die sich da zu Wort meldet, die demonstriert, Petitionen an Regierung und Parlament anregt, verfasst, organisiert und abliefert. Die Gruppen scheinen sich zunehmend als ein soziales Gegengewicht zu den wirtschaftlichen Interessen in politischen Parteien und Interessenvertretungen zu verstehen. Sie sind, auch wenn sie innerhalb des Systems operieren, z. T. gegen das System orientiert. Sie ist auch durchaus Teil der spontanen „Wutgeneration“ in den oft stagnierenden politischen Verhältnissen. Es kann ihre Neigung ausgemacht werden, „von unten“, wenn die politischen Parteien nicht reagieren, als „Volk“ sozusagen, durch partizipatorische, direktdemokratische Aktionen aufzutreten und Politik zu machen. Ihre Politik ist generell immer an die politische Öffentlichkeit „gepostet“. Demonstrationen sind das bevorzugte Instrument. Demonstrationen werden hauptsächlich in Wien oder in einigen Landeshauptstädten abgehalten. Und bewusst wird der Überdruss vieler Wiener Bewohner*innen, deren „bürgerliche“ Störung im Verkehrsalltag rund um die Innenstadt, lustvoll in Kauf genommen. Die partizipatorische und humanitäre Attitude verbündet sie regelmäßig mit ähnlich gesinnten Gruppen in humanitären Einrichtungen, z. B. in Kirchen und Religionsgemeinschaften. Kirchen nehmen seit einiger Zeit ganz offen, und durchaus zum Missvergnügen der Regierung, gegen Regierungsmaßnahmen Stellung, wenn sie ihnen als nach ihren religiösen Werten grenzwertig oder gar gegen religiöse Werte zu verstoßen scheinen. Das humanitäre Engagement für Flüchtlinge, gegen deren Diskriminierung, gegen manch abwertende politische Maßnahmen wie z. B. in der Islam- und Muslimenpolitik der gegenwärtigen Regierung, im Besonderen aber für eine Verteidigung der Menschen- und Grundrechte, sind deutliche Signale.

Bei der universitären, studentischen Population zeigt die europäische Sozialisierung durch internationale Austauschprogramme m. E. erstmals eine politische Wirkung. Zwei bereits international orientierte Generationen seit 1980 rücken in die politischen Ränge ein. Deren Reisen, deren Auslandsstudien und -aufenthalte haben einen weltoffenen Blick, haben Ländervergleiche und neue gesellschaftliche Erfahrungen für tausende, in ganz Europa sogar schon für Millionen Studierende, Lehrende und Schüler*innen vermittelt, wie vor allem durch das ERASMUS Programm der EU. Diese „Investitionen“ in Bildung waren und sind unschätzbar für den Wandel der politischen Atmosphäre. Die zahlreichen bilateralen und multilateralen Austausch- und Wissenschaftsübereinkommen, insbesondere die Forschungsprogramme der EU, haben tausende Forscher*innen in internationales wissenschaftliches und industrielles Geschehen direkt eingebunden.

Zu diesen neueren Phänomenen fehlen z.Z. empirische Studien. Nicht fehlen sie zu der traditionellen Mitwirkung von Sozialpartnern und anderen Interessenvertretungen an außenpolitischen Themen in der politischen Arena; denn sie sind über die politischen Parteien in die Entscheidungsprozesse involviert, obwohl sie zu allererst Klientelinteressen in Stellungnahmen (z. B. in den parlamentarischen Begutachtungsverfahren) vertreten. So wie sie in jeder anderen wichtigen wirtschaftlichen oder politischen Fragestellung Politik offen oder im Hintergrund mitgestalten, so auch in außenpolitischen Fragen, die ihr Arbeitsfeld betreffen. Studien fehlen zu politischer Kommunikation, gerade in EU – Angelegenheiten und zu Medienverhalten. Die Medien haben bisher, ganz gegen ihr sonstiges Verhalten, zur Außenpolitik keine eigene „Campagnesierung“ unternommen (Kneucker 2020, 235–239).

Offen bleibt bisher auch die Frage, wie viele Entscheidungsträger*innen in Österreich an außenpolitischen Entscheidungen in der Regel beteiligt sind. Die Frage wurde erstmals, soweit ich sehe, in einer Dissertation über österreichisches politisches Entscheidungsverhalten an der Yale University gestellt (Houska 1979, 1–4). Joseph Houska selbst verfolgte die Frage aber nicht weiter, und keiner nach ihm; Elite Studien waren lange Zeit nicht in Mode, wenn nicht gar verpönt. Es handelte sich hier aber um eine demokratiepolitisch interessante Frage, nämlich wie sich ein Wechsel zu repräsentativ-demokratischen Eliten in (außen)politischen Entscheidungsprozessen ausdrückt; das ließe sich an diesem Beispiel gut darstellen. Houska rechnete damals mit rund 40 Personen, Bürokratie, Regierung, Parlament zusammengenommen; heute werden es (meiner Schätzung nach) wohl eher 140 Personen sein. Eine zweite – „demokratiepolitische“-Testfrage lautet: Werden oder wie werden die (österreichischen) Bürger*innen die Einladung der EU-Kommission annehmen, die Zukunft der EU nicht nur zu kritisieren, sondern in der EU – Zukunftskonferenz, ab Mai 2021, ernsthaft zu diskutieren und mitzugestalten? Welche organisatorische Rolle will die Bundesregierung oder wollen die großen Interessenvertretungen übernehmen? Sind nur kleine Gruppen von Aktivist*innen und junge Menschen für die europäische Einigung zu gewinnen?

3.4 Außenpolitik– Regionen und Bundesländer

Diesem Thema ist ein ausführlicher Beitrag in diesem Band gewidmet.Footnote 13 Für eine Betrachtung der Strukturen und der Organisation für Außenpolitik mit Blick auf Länder und Regionen ist dennoch auf drei ergänzende Aspekte aufmerksam zu machen; sie folgen aus (meinen persönlichen) nachprüfbaren Erfahrungen:

Von der neuen Möglichkeit, Staatsverträge für ein Bundesland zu beschließen, hat kein Land bisher entsprechend Gebrauch gemacht, „die praktische Bedeutung ist gering geblieben“ (Grabenwarter und Holoubek 2019, Rz.138; Hammer 2021, Rz.2–85.). Es bestanden und bestehen aber viele informelle und formelle Vereinbarungen und Arbeitsübereinkommen der Länder oder Landeseinrichtungen mit Nachbarregionen, wie z. B. Kärnten und Steiermark mit Slowenien, Kroatien, Friaul, oder Vorarlberg im Bodenseeraum, Tirol und Salzburg in jüngster Zeit mit Bayern, womit übrigens auch Selbstverwaltungen in den Ländern erstmals betroffen sind, wie Kirchen oder Forschungseinrichtungen, die über den Inn hinweg kooperieren, um Ressourcen wirtschaftlich nützen (z. B. Pfarrer*innen und Lehrer*innen austauschen oder miteinander teilen).Footnote 14

Die an Österreich angrenzenden Teile der Slowakei, die Lombardei und Venetien zeigten nach der Wende 1990/1991 ein starkes Interesse an multilateralen Kooperationen in Mitteleuropa, insbesondere im Forschungsbereich. In der Lombardei und in Venetien, angeregt durch die Universitäten, war das Interesse auf die angewandte, technologische Forschung und Entwicklung, einschließlich der Industrie gerichtet. Es entstand 1989 die multilaterale Central European Initiative (CEI), die mit zahlreichen Projekten ambitioniert begann, der in kurzer Zeit sogar weitere osteuropäische Länder beitraten und die unter österreichischem Vorsitz 1996 auch ein Generalsekretariat erhielt– immer wieder zum Höhenflug ansetzte, und auch flog, und doch nicht auf Dauer erfolgreich blieb. Im Rahmen der EU ergaben sich die günstigeren Alternativen.

Multilaterale Initiativen in Mitteleuropa leiden zudem an einer historisch-politischen Problematik. Einige Regionen waren souverän geworden und knüpften an ihre frühere eigenständige Geschichte an, bis zurück in die Habsburger Monarchie; und einige Regionen waren autonom geworden und strebten ihre (völkerrechtliche) Anerkennung an. Politisch waren sie daher an Verträgen mit der Republik Österreich interessiert, empfanden Landesverträge zwar durchaus als nützlich, sahen sich aber als politisch zurückgestuft an. Die vielen unilateralen und bilateralen Unterstützungsmaßnahmen Österreichs für die osteuropäischen Nachbarn nach der Wende, vornehmlich im universitären und wissenschaftlichen Bereich, waren gerade deshalb willkommene Maßnahmen, eben der Bundesverwaltung gewesen, unternommen und (finanziell) gefördert durch einen europaweit angesehenen Bundesminister, Erhard Busek, der mit dem Institut für den Donauraum und Mitteleuropa seit vielen Jahren signifikante Aktionen anregte und z. T. organisierte.

Die internationalen Tendenzen der Regionalisierung, die sich auf völkerrechtlicher Ebene manifestierten, blieben im Wesentlichen Planungen. So schon im Völkerbund, dann auch in den Vereinten Nationen. Sie hätten, ihren Intentionen gemäß, den zentralistischen Gestaltungen entgegenwirken, u. U. subsidiär praktikable dezentrale Lösungen schaffen sollen und können (Lang 1982, 180–194). Auch die europäischen Einigungsprozesse sahen immer regional bestimmte Institutionen und Programme vor. Sie wurden ausführlich geregelt, sie blieben auch nicht ohne Erfolg, waren aber keineswegs so erfolgreich, wie es die Gründungsväter erhofft hatten. Ähnliche Erfahrungen bieten die föderalen Staaten auch für sich selbst, nicht nur in Österreich. Rational-ökonomische und administrativ-technische Motive reichen offenbar nicht aus, dieses verfassungsrechtliche Instrument effektiv zu nützen.

4 Resümee

Der Bereich „Außenpolitik“ zählt zu den ältesten staatlichen Aktivitäten. Er blieb bis in die jüngste Zeit von Traditionen und historischen Symbolen dominiert. Er blieb daher nach historisch bewährten Formen strukturiert– und war institutionell recht stabil. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderten sich weniger die Formen als die Lage und die Organisation für die Wahrnehmung der Außenpolitik. Legalität, Demokratisierung, Menschenrechte führten zu inneren Veränderungen, Internationalisierung, Globalisierung, neue Bündnisse bewirkten von außen Veränderungsschübe für Organisation, Gestaltungen und Prozessstrukturen der Außenpolitik. Die stärksten Änderungen für die europäische und österreichische Außenpolitik bewirkte freilich die europäische Einigung, weil das Mehrebensystem der EU sowohl die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen dem einzelnen Mitgliedstaat und den EU-Gremien als auch die innerstaatliche Abstimmung der staatlichen Politik für EU-Prozesse und die dafür erforderlichen Strukturen neu zu fassen veranlasste. Traditionen reichten nicht mehr aus; die Herausforderungen waren neu, ihnen musste mit neuen Strukturen begegnet werden.

Der Beitrag versucht, die Folgen der vier „großen“ Entwicklungslinien der Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg in der Organisation der Außenpolitik zuordnen und zu bewerten, vor allem die Strukturen und Prozesse im Rahmen der veränderten europäischen Rahmenbedingungen zu platzieren und zu analysieren. Unternommen wird es an Hand der in den Vordergrund gerückten „Fachaußenpolitik“, verbunden mit neuen Formen der Koordination zwischen den obersten Verwaltungsstellen, ferner an Hand der zunehmenden Durchdringung von Außen- und Innenpolitik und der damit verstärkten parlamentarischen Befassung mit Außenpolitik und deren Kontrolle, ferner mit Blick auf die neuen Rollen der zivilgesellschaftlichen Institutionen in außenpolitischen Angelegenheiten und der entstandenen Vermehrung der außenpolitischen Akteure aus der Zivilgesellschaft in der politischen Arena und schließlich mit Hinweisen auf im Grunde unerfüllte Erwartungen einer Intensivierung regionaler Kooperationen. Die langfristigen Entwicklungen sind in der Organisation der (österreichischen) Außenpolitik bereits mittelfristig erkennbar geworden.

Verwendete und Weiterführende Quellen und Literatur

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Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres. Austria Kultur International. Jahrbuch der Österreichischen Auslandskultur 2018. Wien: 2018.

Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres. Außen- und Europapolitischer Bericht 2016/2017, 2018. Wien: 2018.

Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten. 2019. Außen- und Europapolitischer Bericht 2019. Wien. https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Publikationen/AEPB/Aussen-_und_Europapolitischer_Bericht_2019.pdf.

Bundes-Verfassungsgesetz. Text Materialien Judikatur. 9.Aufl., Reichenau: proLibris Verlagsgesellschaft, 2021.

Carnegie Commission on Science, Technology, and Government. Science, Technology and the States in America’s Third Century. New York, NY: 1992.

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Regierungsvorlage 380 der Beilagen XXVII. Gesetzgebungsperiode – BFG 2021 samt Anlagen (Anlage I Bundesvoranschlag).

US Advisory Commission on Public Diplomacy. 1996. A New Diplomacy for the Information Age. United States Advisory Commission on Public Diplomacy: Washington, DC https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/1996-Report.pdf.