Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln auf sozialtheoretischer Ebene argumentiert, Diskurse als multimodale Topoi diskutiert und das Dispositiv als geeignetes Konzept für die Analyse ebendieser Multimodalität erörtert wurde, soll nun die Frage behandelt werden, wie sich diese Gedanken in eine theorie-empirische Dispositivanalyse des Drogentestens überführen lassen. Wie, mit anderen Worten, kann eine multimodale Dispositivanalyse methodologisch und methodisch umgesetzt werden?

Im Zuge dessen gilt es zunächst zu skizzieren, was es bedeutet, Diskurse und Praktiken des Drogentestens als dispositive Zusammenhänge zu verstehen. Daran anschließend wird eine geeignete Methodologie für das entsprechende Vorgehen vorgestellt, was mit grundsätzlichen Anmerkungen zum notwendigen Method(olog)isierungsgrad von Diskurs- und Dispositivanalyse(n), einschließlich einer Explikation der hier vertretenen theorie-empirischen Grundhaltung, beginnt. Dem folgend werden methodologische Anknüpfungspunkte der Wissenssoziologischen Diskursanalyse vorstellt und daran anschließend entsprechendes Ergänzungspotenzial aus dispositivanalytischer Perspektive präsentiert. Daraufhin werden die bereits existierenden methodischen dispositivanalytischen Vorschläge sowie entsprechende Erweiterungen vorgestellt, woraufhin dann zuletzt das konkrete empirische Vorgehen in der folgenden Drogentest-Studie präsentiert wird.

1 Drogentesten als dispositive Konstruktion von Wirklichkeit

Wie bis hierhin in den stellenweise eingestreuten Illustrationen bereits angedeutet wurde, werden Diskurse und Praktiken des Drogentestens als dispositive Kontexte gelesen. Für den vorliegenden empirischen Untersuchungsgegenstand ergeben sich aus den bisherigen, speziell den techniksoziologisch informierten Ausführungen zur Multimodalität von Diskursen und zur entsprechend ausgerichteten Dispositivkonzeptualisierung also zum einen, dass die von den Testbefürworter*innen angenommene Notwendigkeit von Drogenkonsumkontrollen und die entsprechende Legitimierung der Nutzung von Drogenschnelltests diskursiv strukturierte Wissens- und Praktikenkomplexe darstellen, die auf Basis gesellschaftlich bedingter Umstände spezifisch konfiguriert sind. Dazu gehört auch die Frage, wie Drogen und ihr Konsum zu Wissensobjekten werden, welche Assoziationen und Attributionen mit ihnen verbunden sind und wie sich diese in (soziotechnische) Praktiken und institutionalisierte Testprogramme übersetzen. Drogentestpraktiken in Deutschland, zumal am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr, werden – wie zu zeigen sein wird – vornehmlich als Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit (i. S. v. safety) implementiert. Der damit zusammenhängende Eingriff in die Privatsphäre der Testsubjekte wird also mit dem Hinweise legitimiert, dass Drogenkonsument*innen für sich und andere eine Gefahr am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr darstellen und die Anwendung von Drogentests diese Gefahr zu reduzieren vermögen.Footnote 1 Diese Argumentationskette ist das Ergebnis diskursiv strukturierter Wissensbestände. Als tatsächliche Umsetzung der Resultate diskursiver Konstruktionsarbeit, sind auch Drogenkonsumkontrollen per Drogentest von Grund auf multimodale Dispositive. Zudem anderen lässt sich aus den vorausgehenden sozialtheoretischen Ausführungen deduzieren, dass die jeweils genutzten Drogentestinstrumente – allen voran Drogenschnelltests – als diskursive Artefakte aufzufassen sind, die im Rahmen eines gesellschaftlich kontextualisierten Geneseprozesses entwickelt und erprobt werden, der von Grund auf soziotechnisch konstituiert und folglich diskursiv durchdrungen ist. Insgesamt folgt daraus, dass eine dispositivanalytische Untersuchung von Diskursen und Praktiken des Drogentestens gleichermaßen die einschlägigen diskursiven Wissensbestände und Nutzungserwartungen sowie die materialen Eigenschaften der genutzten Apparaturen und deren Effekte auf ihre(n) jeweiligen Kontextdiskurs(e) zu untersuchen hat. Was weiter unten also herauszustellen versucht wird, ist die Reziprozität von (Sicherheits-)Diskurs und Drogentestanwendung und -Materialität. So werden in der einschlägigen Debatte – beispielsweise von Betriebsmediziner*innen und Polizist*innen – Drogentestanwendungen als Sicherheitsmaßnahmen gerahmt und Drogenschnelltests als legitime und effektive Mittel im Bemühen um verbesserte Arbeits- und Verkehrssicherheit gelesen. Umgekehrt wirkt der Drogentest aber auch, durch die ihm eigenen charakteristischen Eigenschaften, die z. T. unmittelbar aus seiner materialen Gestalt ableitbar sind, in diesen Diskurs hinein bzw. in ihn zurück. Dies geschieht z. B. über die mit der visuellen Darstellung der Test-Ergebnisse verbundenen Evidenzeffekte, die als gesichertes Wissen wahrgenommen (respektive so genutzt) und in handlungspraktisches Wissen übersetzt werden.

Ähnlich wie Manderscheid (2014: 7 f.) das Auto als das technische Zentrum eines Automobilitätsdispositivs – im Sinne einer „soziotechnische(n) Formatio(n)“ – konzeptualisiert, dessen Bedeutung sich erst im Wechselverhältnis mit den anderen dispositiven Elementen determiniert, werden Drogenschnelltests hier als zentrale Aktanten von Dispositiven des Drogentestens verstanden. Diese sind erstens ein Weg, wie die ihnen zugrunde liegenden Diskurse konkret in der Welt intervenieren und zweitens Grundlage der Reproduktion ebendieser Diskurse, da sie – als genuin diskursive Artefakte – deren Wissensordnungen inkorporiert haben und bei Anwendung aktualisieren, diese Wissensordnungen somit fortschreiben und mithin stabilisieren. Da Drogenschnelltests für spezifische Zielerwartungen implementiert werden, die sich auf die Weitergabe von ganz bestimmten Informationen beziehen, die ihrerseits genutzt werden sollen, um Arbeitnehmer*innen und Straßenverkehrsteilnehmer*innen hinsichtlich ihres Risikos zu separieren, ist das von ihnen generierte Wissen gleichsam prädestiniert dafür, handlungswirksam zu werden. Dies hängt auch damit zusammen, dass Schnelltests – wie wir sehen werden – hochselektive Instrumente sind, die ganz bestimmte Denkbewegungen und Folgehandlungen provozieren. Handlungsrelevant wird das von ihnen generierte Wissen dann, sobald auf Basis eines vom Drogentest angezeigten Resultats Aktionen in Gang gesetzt werden, die konkrete Konsequenzen für die Testsubjekte folgen lassen. Drogentests haben wirklichkeitskonstituierende Effekte, da sie handfeste Tatsachen schaffen (wie z. B. eine Nicht-Berücksichtigung bei einer Arbeitsplatzbesetzung oder den Führerscheinentzug), womit die mit ihnen einhergehende dispositive Konstruktion von Wirklichkeit adressiert ist: Drogentests konstituieren Faktizität, da sie ganz reale Folgen haben, die sich den Wünschen des Einzelnen entziehen und in diesem Sinne ‚wirklich‘ sind. Dieses Potenzial, handfeste Effekte folgen zu lassen, adressiert ferner das spezifische Macht-Wissen-Verhältnis, was für Dispositive charakteristisch ist. Auch Drogentests sind in diesem Sinne als Macht-Wissens-Komplexe zu fassen, als technische Artefakte, die in dem Sinne mächtiges Wissen generieren, als dass dieses als legitimatorische Grundlage für konkrete Entscheidungs- und Selektionsprozesse fungiert.

Die Qualität von Drogentests, handlungswirksame Resultat zu generieren, betrifft die (Rück-)Wirkungen, die ein Dispositiv auf den es umgebenden Diskurs haben kann.Footnote 2 Angesprochen ist damit die wechselseitige Beeinflussung von Diskurs und Artefakt, eben jenes Verhältnis, was unter Rückgriff auf den multimodal akzentuierten Dispositivbegriff fokussiert analysiert werden kann. Drogentests sind schließlich als Diskursaktanten zu begreifen, die mit ihnen zusammenhängenden Praktiken als soziomaterielle Konstellationen, in denen sich (1) diskursive Wissensbestände, (2) artefakttypische, materiale Qualitäten und (3) deren emergenten Effekte vereinen:

  1. (1)

    Diskurs – Artefakt: Grundsätzlich gilt, dass das technische Artefakt des Drogenschnelltests nicht entwickelt und produziert worden wäre, wenn es keine Diskurs-Akteur*innen gäbe, die Drogenkonsum als Risiko ausmachen und solche Tests als geeignetes Mittel ansehen, dieses Risiko kontrollierbar zu machen. Erkennbar wird dadurch die enge Verbindung, die zwischen gesellschaftlichem Umfeld und dem Artefakt selbst besteht; letzteres ist in diesem Sinne stets ein Kind seiner Zeit und durch die dort zirkulierenden, diskursiven Wissensbestände beeinflusst, die in sie eingeschrieben sind.

  2. (2)

    Artefakt – Diskurs: Das in das Artefakt einfließende diskursive Wissen – wozu auch jenes biochemische Spezialwissen zählt, das sich in der Drogenanalytik herausgebildet hat – wird durch den Test vergegenständlicht, in materiale Form gegossen und gewinnt dadurch eine neue Qualität, die Einfluss auf die Verwendungskontexte hat, in denen Akteur*innen mit den Tests interagieren, indem Drogenkonsum als existentes Phänomen in spezifischer Weise sichtbar, denkbar und mithin praktisch verwertbar wird. Anders gesagt: Das diskursive Wissen verändert seine Form, es übersetzt sich, ganz im transformativ gedachten Sinne Latours, und diese Modifizierung hat Einfluss auf die Art und Weise, wie dieses Wissen diskursiv Geltung erlangt. Zu beachten gilt es dabei auch die material-technische Eigensinnigkeit, die jenen Möglichkeitsraum absteckt, der bestimmt, welche artefaktbezogenen Verwendungsoptionen überhaupt realisierbar sind und die sich prinzipiell widerständig gegenüber artefaktfremden Nutzungsmotiven zeigt. Was freilich auch zählt, sind die Bedeutungen, die die Akteur*innen dem Artefakt zuschreiben. Diese Attributionen finden aber eben nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern orientieren sich eng an den materialen Eigenschaften der Tests, die somit unmittelbar epistemische Auswirkungen zeitigen.

  3. (3)

    Emergente Effekte aus dem soziotechnischem Zusammenspiel: Als jener emergente Effekt, den das Konzept des multimodalen Dispositivs mit erfasst und der sich aus der Interaktion der beiden zuvor genannten Verhältnissen konstituiert, kann schließlich das oben genannte Potenzial von Schnelltests gedeutet werden, Faktizität zu konstituieren. Ihre Resultate und das auf diese Weise von ihnen generierte Wissen bilden die Informationsbasis für jene Klassifizierungsprozesse, die die Testsubjekte in Drogenkonsumierende und Nicht-Drogenkonsumierende unterscheiden und dienen damit als zentrale Handlungsgrundlage für die konkrete Selektion von Personen. Der Selektionsprozess ist also nur im Zusammenspiel beider Faktoren zu denken, da es sowohl die diskursiv strukturierten Annahmen geben muss, dass Drogenkonsum eine Gefahr für die Sicherheit am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr ist und dass ein Drogenschnelltest ein adäquates Mittel für deren Bearbeitung darstellt, als auch die (natur-)wissenschaftlichen Kenntnisse und technischen Möglichkeiten, die Basis für das Funktionieren eines Drogenschnelltests sind und wiederum die Grundlage dafür bilden, dass Drogentests überhaupt als kompetente Klassifizierungsinstrumente wahrgenommen werden.

Entsprechend den oben vorgestellten und hier zugrunde gelegten Ideen vom multimodalen Dispositiv, besteht nun die analytische Aufgabe darin, die im Rahmen von Drogentestpraktiken auftretende dispositive Konstruktion von Wirklichkeit empirisch zu rekonstruieren und im Zuge dessen insbesondere die Stellung des Drogenschnelltests in diesem dispositiven Zusammenhang herauszuarbeiten. Konkret gilt es demnach im weiteren Verlauf der Arbeit folgende Forschungsfragen zu beantworten: Wie wird im Rahmen von Dispositiven des Drogentestens Wirklichkeit auf multimodalem Wege konstruiert? Warum werden Drogenschnelltests benutzt, wie werden sie diskursiv gerahmt und deren Ergebnisse verarbeitet? Welche Funktionen übernimmt dabei der Drogenschnelltest und welche wirklichkeitskonstituierenden Effekte resultieren daraus?

2 Methodologische Grundlagen: Dispositivanalyse als interpretative Rekonstruktion dispositiver Konstruktionen von Wirklichkeit

Welche methodologischen Implikationen sind mit den bis dato vorgestellten Annahmen und Fragen verbunden? Was ist, anders gesagt, methodologisch zu beachten, um die diskursive Multimodalität im Rahmen des Drogentestens (theorie-)empirisch zu untersuchen?

Wie bereits in den bisherigen Ausführungen betont, werden Dispositive als analytische Entitäten innerhalb von Diskursen verstanden. Diskurse bestehen u. a. aus soziotechnischen Dynamiken und deren emergenten Effekten, die wiederum im Sinne einer diskurs(re)produzierenden Kraft auf ihre Diskurse zurückwirken. Diese Argumentationslinie setzt sich insofern auch auf methodologischer Ebene fort, als auch die empirische Dispositivanalyse im Rahmen der Diskursanalytik situiert wird, mithin eine zusätzliche analytische Ebene derselben bezeichnet, die eine spezifische Forschungsfrage und einen spezifischen Forschungsgegenstand impliziert. Ich lehne mich in meinem methodologischen und methodischen Vorgehen an den Ausführungen von Keller zur Wissenssoziologischen Diskursanalyse an und ergänze diese durch materialitäts- und praxissensible Erweiterungen. Vorab soll aber die theorie-empirische Forschungshaltung und deren Rolle für die Ausgestaltung der Studie skizziert werden.

2.1 Theorie-empirische Methodologie

Wie bereits mehrfach angemerkt, verfolge ich vorliegend eine theorie-empirische Forschungshaltung, die sich u. a. methodologisch niederschlägt, indem Theorie und Empirie nicht als strikt zu trennende, sich übergangslos gegenüberstehende Teilbereiche sozialwissenschaftlicher Forschungsbemühungen verstanden werden. Vielmehr sind theoretische Erkenntnisse immer durch mehr oder minder systematische empirische Erkenntnisse aufgeladen und umgekehrt sind empirische Bemühungen stets auch durch theoretische Ausführungen vorgeprägt (Joas/Knöbl 2004: 15 f., 24; Hirschauer/Kalthoff/Lindemann 2008: 7; Kalthoff 2008: 9 f.).Footnote 3 Ich verfolge hier also eine dynamische Relationierung von Theorie und Empirie, was zum einen bedeutet, dass im Folgenden keine empirische Überprüfung der oben (allen voran) theoretisch deduzierten Multimodalität von Diskursen durchgeführt werden soll. Vielmehr fungiert der sozialtheoretische Rahmen als Heuristik, empirisch beobachtbare Praktiken und Diskurse des Drogentestens zu analysieren. Zum anderen ist damit eine analytische Strategie verbunden, die die erhobenen empirischen Daten nicht allein in empirisch-methodischen Kategorie diskutiert, sondern sogleich mit theoretischen Ansätzen konfrontiert und auf diese Weise theorie-empirische Relationen zu produzieren imstande ist (vgl. a. Strübing et al. 2018: 90 f.).

Für die folgende Analyse heißt das konkret, dass weder den erhobenen Daten noch den hinzugezogenen Theorien per se epistemologischer Vorrang eingeräumt wird, sondern jeweils gegenstandsnah eine theorie-empirische Verzahnung realisiert wird. Damit ist auch eine Haltung verbunden, die weniger Raum aufwendet, um die methodische Herangehensweise zu besprechen und zu begründen. Angesprochen ist damit die Debatte um den adäquaten Method(olog)isierungsgrad von diskursanalytischen Studien. Während an dem einen Pol Autor*innen wie Feustel (2010; Feustel et al. 2014) und Bröckling/Krasmann (2010) konstatieren, dass eine umfangreiche Method(olog)isierung von Diskursanalyse per se den kritischen Impetus entsprechender Studien unterminieren und letztlich den „Tod der Idee“ zu Folge hätte (Feustel in Feustel et al. 2014: 501), stehen Ihnen auf der anderen Seite des Kontinuums Forscher*innen wie beispielsweise Keller (2011a, 2011b) oder auch Bührmann/Schneider (2008) gegenüber, die ihre Diskurstheorie forschungsprogrammatisch fundieren und einen ganzheitlichen Analyseprozess entwerfen.

Ähnlich wie Denninger et al. (2014: 49) nehme ich in dieser Debatte eine Mittelposition ein, die wesentliche Grundsätze (qualitativ-)empirischer Sozialforschung – wie z. B. die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, methodische Kontrolle und Systematisierung – anerkennt, sich allerdings nicht gleichsam sklavisch an method(olog)ischen Standardisierungen abarbeitet und nicht zwangsläufig jeden Schritt im Analyseprozess dezidiert (dokumentiert) reflektiert. Wichtig erscheint vielmehr, für die verfolgte Forschungsfrage und den analysierten Forschungsgegenstand passgenaue Einblicke zu generieren, die freilich quellenmäßig belegt und somit für Dritte nachvollziehbar sein sollen, allerdings einen gewissen kreativ-gegenstandsadäquaten Charakter beibehalten.Footnote 4 Kurzum: es bedarf einer „reflexiven ‚Methodisierung‘“ (Wrana in Feustel et al. 2014: 485). Insofern folge ich nicht nur der breit zitieren Werkzeugkisten-Metapher für das Foucault’sche Analyseinstrumentarium (Foucault 2002 [1975]: 887), sondern auch der Lesart von Clarke (2012: 184), die im Rahmen der von ihr entworfenen „qualitative(n) Analyse nach dem postmodern turn“ von „projektspezifischen Werkzeugsätzen“ spricht, die es – einer „Bastelarbeit für ‚Bricoleure‘“Footnote 5 gleichend – strikt gegenstandsadäquat umzusetzen gilt, wobei eine Balance zwischen Systematik und Nachvollziehbarkeit auf der einen und kreativer Offenheit auf der anderen Seite bestmöglich zu realisieren ist (Berg/Milmeister 2011: 305; vgl. a. Denninger et al. 2014: 47 f.). Mit Verweis auf die von Strübing et al. (2018: 87) formulierten Gütekriterien qualitativer Forschung gilt es also eine Herangehensweise zu verfolgen, die das empirische Feld maximal ernst nimmt, auf diese Weise den Fokus auf einen starken Empirie- denn Methodenbegriff legt.

2.2 Methodologischer Aufhänger: Wissenssoziologische Diskursanalyse

Die Wissenssoziologische Diskursanalyse zielt im Sinne ihres empirischen Kernauftrags auf die Rekonstruktion der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit, also auf das Nachzeichnen „von Sinn-, d. h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren“ und zwar „nicht als singuläre (Aussage-)Ereignisse, sondern als strukturierte Zusammenhänge“ (Keller 2011a: 233). Diskurse werden dabei als „analytisch abgrenzbare Ensembles von Praktiken und Verläufen der Bedeutungszuschreibung, denen ein gemeinsames Strukturierungsprinzip zugrunde liegt“ (Keller 2011a: 192) verstanden, die es unter Nutzung qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung erheben und auszuwerten gilt. Zwar sind Diskurse keine realen Phänomene, sondern Konstrukte der Forschenden, trotz allem wird angenommen, dass Äußerungen unterschiedlicher Art (sprachlich, schriftlich, materiell etc.) aufgrund ihres typischen Aussagegehalts als Diskursereignisse erkennbar, also einem spezifischen Diskurs zurechenbar sind (Keller 2011a: 205). Entsprechende Interviewaussagen oder beobachtete Praktiken können somit, ein adäquates Sampling vorausgesetzt, als „Atom(e) des Diskurses“ (Foucault 1981 [1973]: 117) verstanden und als Bestandteile desselben analysiert werden.

Ich folge diesem methodologischen Vorschlag der WDA, ergänze diesen aber mit einer Forschungshaltung im Sinne der Grounded Theory-Methodologie,Footnote 6 die von nicht-sequenziellen, iterativen Untersuchungsprozessen ausgeht und die gegenstandsnahe Arbeit an und mit den reflexiv erhobenen empirischen Daten hervorhebt (z. B. Mey/Mruck 2011; Strübing 2014).

2.3 Methodologische Ergänzungen aus materialitätssensibler bzw. techniksoziologischer Perspektive

Die allgemeine Zielsetzung wissenssoziologisch-diskursanalytischer Forschung bleibt demnach auch bei dispositivanalytischem Vorgehen erhalten, wird allerdings auf spezifische Teilbereiche eines Diskurses respektive auf spezielle Untersuchungsbereiche desselben fokussiert. Analog zur oben explizierten Maßgabe der WDA setzt sich die daran angelehnte Dispositivanalyse also das Ziel der Rekonstruktion dispositiver Konstruktionen: Neben der bekannten Rekonstruktion diskursiver Wissensbestände ist ihr Anliegen, den Zusammenhang dieses Wissens mit daran anschließenden oder ihnen vorgängigen Praktiken und Artefakten zu beleuchten und insbesondere die Rolle letzterer bei der sozialen Konstruktion der Realität zu untersuchen.

Welche methodologischen Prinzipien aus der neueren Techniksoziologie lassen sich vor diesem Hintergrund sinnvollerweise nutzen?

Symmetriepostulat als methodologisches Leitprinzip

Wie bereits oben in Abschnitt 2.2.3 beschrieben, lese ich das generalisierte Symmetriepostulat von Latour nicht als ontologisch fundierten Imperativ, sondern als methodologisches Prinzip (vgl. a. Rammert 2008a: 349). Das bedeutet konkret, dass mit dem Begriff Symmetrie – wie auch dem des Aktanten – heuristische Kategorien benannt werden, die im Wesentlichen eine analytische „Aufmerksamkeitssymmetrie“ (Krüger/Steinbrecher/Wischermann 2014: 14) anmahnen, die vorliegend allein das schlichte Postulat enthält, im Rahmen der Analyse von Dispositiven nicht-menschliche Entitäten und im Besonderen technische Artefakte nicht schon vorab vom Tableau der diskursiv wirksamen Partizipanten zu streichen respektive ihnen nicht bereits im Voraus eine per se untergeordnete Rolle zuzuschreiben. Demnach sollte keine Vorauswahl der zu untersuchenden Akteur*innen bzw. Aktanten hinsichtlich ihrer Kategorisierung in menschlich und nicht-menschlich erfolgen, sondern eine empirisch zu konkretisierende Differenzierung und Fokussierung durchgeführt werden (Berger/Getzinger 2009: 9). Multimodale Diskurse sollten, mit anderen Worten, nicht unter Rückgriff auf einen sich anthropozentrisch auswirkenden „methodologischen Humanismus“ (Laux 2011: 278) analysiert werden. Vielmehr sollte bei der Selektion der relevanten Analysephänomene maßgebend sein, inwieweit die betreffende Entität an der studierten Praktik beteiligt ist und diesbezüglich einen Unterschied macht und andere beteiligte Entitäten zu beeinflussen vermag. Das Ziel ist also, dass alle beteiligten Diskurspartizipanten – ihre kategorialen Unterschiede, z. B. bezüglich ihrer intentionalen Kompetenzen, werden dabei keineswegs negiert – im selben analytischen Referenzsystem erscheinen und mit dem gleichen Instrumentarium bearbeitet werden können (Dölemeyer/Rodatz 2010: 211). Dies ist in der vorliegenden Studie von besonderer Wichtigkeit, da Drogentesten – in seiner Eigenart als soziotechnische Interaktion – nur dann adäquat studiert werden kann, wenn gleichermaßen die betreffenden menschlichen wie nicht-menschlichen Partizipanten analytisch vollumfänglich integriert werden.

Das Öffnen von black boxes

Technische Artefakte als Diskursaktanten zu begreifen, umfasst auch, ihren genuin diskursiven Charakter in Rechnung zu stellen, also ihre gänzliche Durchdringung mit diskursivem Wissen sowie davon abgeleiteten Normen und Interpretationsfolien. Technik ist – angelehnt an Akrich (1992) – also immer scripted technology und somit stets mit gesellschaftlichem Wissen aufgeladen, was es im Rahmen einer Dispositivanalyse herauszuarbeiten gilt. Gleichermaßen ist zu analysieren, welche Effekte das in die Artefakte eingeschriebene Wissen in ihrer Anwendung hat, ob und wie es durch Gebrauch aktualisiert wird, in handlungsleitendes Wissen übergeht und dadurch wiederum auf die Diskursreproduktion zurückwirkt. Dies ist gerade deshalb relevant, da es ansonsten opak bleibt und in der so verstandenen Blackbox des Artefakts verschwindet.

Follow the actors/actants

Eine weitere analytische Aufgabe, die aus den Grundsätzen der neueren Techniksoziologie hervorgeht, ist die Fokussierung auf die materialen Effekte, die von technischen Artefakten ausgehen; sie machen einen praktischen Unterschied, indem sie bestimmte Verhaltensweisen ermöglichen oder unterbinden, provozieren oder inhibieren. Dabei sollte den beteiligten Aktanten empirisch gefolgt und deren Assoziationen und Effektleistungen rekonstruiert werden. Eine solche Herangehensweise ist gleichermaßen auf menschliche wie nicht-menschliche Partizipanten gemünzt, schließt demnach sowohl die gesellschaftlich bedingten Interessen menschlicher Akteur*innen wie die materialen Wirkungen der nicht-menschlichen Aktanten mit ein.

3 Methodik

Nachdem aufgezeigt wurde, welche methodologischen Implikationen sich aus dem sozialtheoretischen Referenzrahmen ergeben, wird nun vorgestellt, welche konkreten methodischen Schritte zur empirischen Umsetzung unternommen wurden, um die dispositive Konstruktion der Wirklichkeit im Rahmen von multimodalen Diskursen und soziotechnischen Praktiken des Drogentestens zu rekonstruieren. Im Zuge dessen ist nochmals anzumerken, dass es natürlich stimmt, dass das letztliche Produkt wissenschaftlicher Analyse stets ein Text ist bzw. zumeist allein textliche Daten analysiert werden (z. B. Passoth 2008: 1991). Das heißt aber mitnichten, dass alle erhobenen Daten in ihrem Ursprung bereits sprachlich verfasst sein müssen. Vielmehr existieren zahlreiche methodische Herangehensweisen, die Interaktionen mit Artefakten und die dabei effektvolle materielle Präsenz derselben selbst zum Gegenstand machen können, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Zuvor jedoch wenden wir uns den methodischen Grundlagen der WDA zu.

3.1 Methodisch-programmatische Grundlagen aus der WDA

Diskursanalyse ist aus Sicht der WDA unumgänglich Interpretationsarbeit, beinhaltet u. a. die Auslegung von Texten bzw. der dort präsentierten Bedeutungsinhalte (Keller 2011a: 273; 2011b: 76). Daraus folgt die Hauptaufgabe für die jeweils angewandten Methoden, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass diese Interpretationsprozesse hinreichend methodisch kontrolliert und intersubjektiv überprüfbar dokumentiert werden können (z. B. Keller in Feustel et al. 2014: 484, 490). Oberste Priorität sollte dabei haben, dass es sich um dem Forschungsgegenstand und der Untersuchungsfrage angemessene methodische Vorgehensweisen handelt, womit im vorliegende Fall zunächst ganz basal verbunden ist, qualitative Analysemethoden zu nutzen. Ferner impliziert es die Anwendung eines Methodenmixes, der sowohl die Anwender*innen und Entwickler*innen von Drogentests, als auch die praktische Anwendung der Tests sowie auch die Testartefakte selbst in ihrer Dinglichkeit und materialen Präsenz in den Fokus zu rücken vermag. Auf diese Weise soll ein (möglichst) heterogener empirischer Blick auf Dispositive des Drogentestens ermöglicht werden.

Hinsichtlich des Status’ der konkret erhobenen Daten ist zu betonen, dass die textlichen Daten – in Form von Interviewtranskripten, Dokumententexten und Beobachtungsprotokollen – jeweils als diskursive „Manifestationen gesellschaftlicher Wissensordnungen und -politiken“ (Keller 2011a: 275) begriffen und vor diesem Hintergrund analysiert werden. Die einzelnen, (am Ende) als textförmige Daten vorliegenden Fragmente werden dabei nicht als singuläre Fälle untersucht, sondern vor dem Hintergrund der Annahme einer gemeinsamen diskursiven Strukturbeziehung analysiert; es wird mithin ein „textübergreifender Verweisungszusammenhang“ (2011a: 275) angenommen, der die dahinter liegende diskursive Regelhaftigkeit ausdrückt (vgl. a. Keller 2005: 63; 2011b: 78).

3.2 Bisherige Vorschläge für die methodische Umsetzung einer empirischen Dispositivanalyse

Wie gezeigt wurde, ergibt sich aus den theoretischen Überlegungen zum Dispositiv-Konzept die forschungsprogrammatische Aufgabe, die dispositiven Konstruktionen von Wirklichkeit zu rekonstruieren, im Zuge dessen den Zusammenhang zwischen diskursiven Wissen, damit zusammenhängenden Tätigkeiten und Vergegenständlichungen und deren diskursive Effekte zu analysieren. Die Frage, die es nun zu beantworten gilt, bezieht sich auf das Wie der empirischen Vorgehensweise und damit zunächst auf die Darstellung jener methodischen Vorschläge, die bislang dazu formuliert wurden.

Da Gegenstände ohne Stimme sind (Schneider/Hirseland 2005: 272; Jäger/Maier 2009: 59), gestaltet sich insbesondere die Rekonstruktion des in Objekten eingeschriebenen diskursiven Wissen als methodisches Problem, dass indes laut Bührmann/Schneider (2008: 103) dadurch umgangen werden kann, indem sich die Rekonstruktionsabsicht der Forschenden nicht auf die in den Handlungen zum Ausdruck kommenden subjektiven Sinnsetzungen bezieht, sondern auf der Ebene des Wissens verbleibt. Handlungen sollen somit nach den in ihnen identifizierenden Wissenselementen und der wiederum dahinter stehenden Wissensordnungen analysiert werden. Daraus folgt die methodische Aufgabe, „das Bedeutungsfeld der jeweiligen Vergegenständlichungen zu erfassen“, sowie „das in ihnen verborgene Wissen zu rekonstruieren“ (2008: 103). Angesprochen ist damit eine „Phänomenologie der Dinge“ (2008: 103), die sich als „Konstitutionsanalyse von Objektivationen“ (2008: 59; Schneider/Hirseland 2005: 272) versteht und die in Objekten eingelassenen Wissensformen, die Herstellungs- und Verwendungspraxis, sowie die damit implizierten symbolischen Gehalte fokussiert (Bührmann/Schneider 2008: 59; Jäger 2006: 111). Die methodischen Vorgehensweisen, die sowohl Bührmann/Schneider (2008: 104, 116 f.) als auch Jäger (Jäger/Maier 2009: 59) dabei als zielführend erachten, rekurrieren auf die Artefaktanalyse von Froschauer/Lueger (v. a. 2018) und auf Interviewtechniken (Jäger/Maier 2009: 59). Während sich erstere primär darauf beziehen soll, wie das Artefakt selbst in seinem diskursiven Kontext als Bedeutungsträger fungiert und die von ihm ausgehenden Wirkungen rekonstruiert werden können (Bührmann/Schneider 2008: 104, 116 f.; Jäger/Maier 2009: 59), sollen die Interviews darauf abzielen, durch das Gespräch mit Anwender*innen und Hersteller*innen Hinweise auf die Verwendungs- und Produktionskontexte und das dort zirkulierende diskursive Wissen zu bekommen. Keller (2011a: 260–262; 2011b: 94 f.; 2017a; 2019b) schlägt im Zuge seiner Dispositivdiskussion überdies die Datenerhebung per (Diskurs-)Ethnografie vor (s. u.). Auch Jäger betont die Notwendigkeit von teilnehmende Beobachtungen und ethnografischen Interviews im Kontext der Analyse „nicht-diskursiver Praktiken“ mit Gegenständen (Jäger/Maier 2009: 58 f.).

Allen dispositivanalytischen Methodikempfehlungen – wie bereits in den jeweiligen Einzeldiskussionen hervorgehoben – ist indes gemein, dass sie bezüglich ihrer materialitäts- und praxissensiblen methodischen Vorschläge nicht über das Vorschlagstadium hinauskommen und diese nicht empirisch anwenden. Da dies aber vorliegend getan werden soll, werden die genutzten und zum Teil bereits empfohlenen Ansätze im Folgenden nochmals gesondert und in Hinblick auf ihren methodischen Wert vorgestellt.

3.3 Methodische Ergänzungen zur materialitäts- und praxissensiblen Analyse von Dispositiven

Vor dem Hintergrund der qualitativ-interpretativen Methodik der WDA, wie sie von Keller (2011b) vorgeschlagen wurde, eignen sich zahlreiche Erhebungsverfahren für eine materialitätssensible Analyse von Dispositiven. Neben den herkömmlichen qualitativen Interviewverfahren (z. B. Hopf 2010; Lamnek 2010: 301–371), die die Nutzung von Artefakten und die mit ihnen aufgerufenen Attributionen zu rekonstruieren imstande sind oder auch der Analyse von Dokumenten, wobei letztere als „institutionalisierte Spuren“ (Wolff 2010: 503) und bisweilen „programmatische Texte“ (Clarke 2012: 219) und als oft natürliche Daten einen (mehr oder minder) unverstellten Blick auf die Einbettung von Artefakten, hauptsächlich in organisationalen respektive institutionalisierten Settings, erlauben (Salheiser 2014), eignen sich insbesondere ethnografische Verfahren für die qualitative Analyse von Dispositiven, insbesondere die diskursanalytisch fokussierten Ethnografien (z. B. Ott/Langer/Macgilchrist 2014; Elliker/Wundrak/Maeder 2017). Eine materialitätssensible Zuspitzung einer solchen Methodik findet sich wiederum im Forschungsprogramm der „Technografie“ (Rammert/Schubert 2006). Weitere Verfahren, die noch stärker auf das einzelne technische Instrument fokussieren, und deshalb treffend in den multimethodischen Mix zu integrieren sind, sind die Skriptanalyse nach Schäufele (2017) (die dabei wesentlich auf Akrich [1992] zurückgreift) sowie die Artefaktanalyse nach Froschauer/Lueger (2018).

Eine multimethodische Strategie, die wesentliche Kernelemente dieser Erhebungs- und Analyseverfahren passgenau übernimmt, so meine These, ermöglicht eine symmetrische und forschungsgegenständlich angepasste Untersuchung von Dispositiven.

Diskursethnografie

Die Diskursethnografie zielt zwar in ihrer Grundkonzeption nicht spezifisch auf Materialitäten respektive die Nutzung von Technologien ab, bietet aber aufgrund ihrer praxeologischen Analyseperspektive, also ihrem grundsätzlichen Interesse an beobachtbaren Interaktionen einen treffenden Erhebungsrahmen. Im Gegensatz zur klassischen Ethnografie (z. B. Amann/Hirschauer 1997) fokussiert sie aber nicht so stark auf implizites, kulturabhängiges Wissen, sondern auf die „Produktion und die Produktivität von Diskursen“ (Ott/Langer/Macgilchrist 2014: 90; Macgilchrist 2011: 250). Keller (2011a: 260) fokussiert mit seinem Vorschlag einer Diskursethnografie insbesondere die diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken sowie die „material(e) Gestalt von Dispositiven“ und sieht insbesondere die fokussierte Ethnografie (Knoblauch 2001), mit ihren Methoden der teilnehmenden Beobachtung und des ethnografischen Interviews, als geeigneten Erhebungsansatz. Denn diese richtet ihr Augenmerk auf spezifische Handlungszusammenhänge und nicht auf ganze Kulturen. Sie ist somit hilfreich, die „Praxisort(e) der Diskursproduktion und -reproduktion“ (Keller 2011a: 261)Footnote 7 bzw. der „Diskursproduktion und (…) Diskursrezeption“ (2011b: 94) sowie die diskursive Weltintervention (Keller 2017a: 29 f.), eben: Dispositive, zu untersuchen (vgl. a. 2019b). Dabei soll es vor allem um die Verbindung zwischen Ereignissen, Praktiken und Diskursen gehen, die im Rahmen einer Analyse vollzogen wird, die über die „gängige Ethnographie der Kommunikation hinausgeht.“ (Keller 2011a: 260) Wundrak (2016) nimmt die Vorschläge Kellers auf, fokussiert dabei – indes hauptsächlich auf Basis narrativer Interviews – vor allem, wie sich Diskurse in Praktiken zeigen, wie Diskurse im Alltag der Menschen wirkmächtig werden (vgl. a. Wundrak 2017).Footnote 8 Keller differenziert im Zuge seines diskursethnografischen Vorschlags zwischen vier möglichen Zurichtungen einer wissenssoziologischen Diskursethnografie, von denen speziell die „Detailanalyse der Einrichtung und Nutzung von Dispositiven“ (Keller 2011a: 260) für die folgende theorie-empirische Analyse fruchtbar ist. Denn auf diese Weise kann „die soziale und raumzeitliche Verflechtung von Dingen, nicht-diskursiven Praktiken und diskursiven Praktiken in den Blick genommen werden“ (Keller 2017a: 28).Footnote 9 Er verweist in diesem Zusammenhang gesondert auf das ANT-Konzept der Übersetzung, was sich nutzen lasse, „um die Transformation von diskursspezifischen Aussagen in Praktiken (…) und Technologien/Artefakten (…) zu rekonstruieren.“ (Keller 2011b: 94 f.) Ebenfalls auf den Dispositivbegriff bezogen, allerdings vor dem Hintergrund des weiten Diskursverständnisses von Laclau/Mouffe (2012 [1991]),Footnote 10 wird auch von van Dyk et al. (2014: 360) hervorgehoben, dass Dispositive treffend mit ethnografischen Methoden, vor allem der teilnehmenden Beobachtung, studierbar sind, da man auf diese Weise beobachten kann, „was die Dinge und Menschen tun: Was ‚tut‘ (…) dieser Text, dieses Gebäude, diese Software, diese Person?“Footnote 11

Ansätze der Diskursethnografie sind für das hier verfolgte Forschungsziel mithin hilfreich, da sie methodisch auf die hier als Multimodalität gefasst Heterogenität von Diskursen reagieren und nicht-sprachliches körperliches Tun sowie Materialitäten zum expliziten Gegenstand machen und damit, insbesondere in Kombination mit der Technografie (s. u.), ein unverzichtbares methodisches Hilfsmittel darstellen, multimodal akzentuierte Dispositive empirisch zu analysieren.

Technografie

Die Technografie, die von Rammert/Schubert (2006; Schubert 2006; 2011; Rammert 2008a; 2016: 179–196) formuliert wurde und sich als offenes Forschungsprogramm einer „Mikrosoziologie der Technik“ (Rammert/Schubert 2006: 13) versteht, blickt im Gegensatz zur klassischen ethnografischen Herangehensweise nicht auf die kulturellen Gegebenheiten eines Feldes, sondern fokussiert gezielt die Konfigurationen von soziotechnischen Beziehungsgeflechten (Rammert/Schubert 2006: 14). Da sie deutlich kürzer als die klassischen Ethnografien aus der ethnologischen Forschung vorgeht, folgt sie tendenziell, ebenfalls wie die Diskursethnografie, dem Ansinnen einer fokussierten Ethnografie (Knoblauch 2001). Die Technografie sieht vor, per ethnografischen Methoden – allen voran teilnehmende Beobachtungen und Interviews – dichte Beschreibungen (Geertz 1983) technologisch-sozialer Konstellationen zu erstellen und dabei auch die konkreten, interaktiv generierten Effekte von Technologien in den Blick zu nehmen (Rammert 2008a: 346). Sie folgt grundsätzlich einer induktiven Grundausrichtung, indem ausgehend von den konkreten Erwartungen und Attribuierungen der involvierten Personen die „Herstellung und Installation technosozialer Ordnung“ (Rammert/Schubert 2006: 13) rekonstruiert werden soll. In ähnlicher Stoßrichtung wie die Science and Technology Studies werden, statt der einseitigen Fokussierung auf entweder die technologische oder die soziale Determinierung menschlichen Handelns, die Prozesse der wechselseitigen Konstitution von technisch-sozialen Konstellationen in den Fokus gerückt. Das grundsätzliche Ziel der Technografie liegt schließlich darin, „(d)as Mithandeln der Technik in den Konstellationen sichtbar und begreifbar zu machen“ (Rammert 2008a: 360; vgl. a. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002: 13).

Im Rahmen der Dispositivanalyse kommt der Technografie folglich die Aufgabe zu, im Kontext von ethnografischen Feldaufenthalten die Genese- und Implementierungsprozesse von Technologien, sowie deren situative Anwendung und die wechselseitigen Adaptierungsleistungen von Mensch und Artefakt empirisch zu rekonstruieren und entsprechende dispositive Effekte herauszuarbeiten.

Skriptanalyse

Die von Schäufele (2017) vorgestellte und eng an die Technografie anschließende qualitativ-empirische Vorgehensweise der Skriptanalyse geht auf die Arbeiten von Akrich (1992; Akrich/Latour 1992: 259 f.) und deren Konzept des technologischen Skripts zurück. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass technische Artefakte im Rahmen ihres Entwicklungsprozesses mit spezifischen Vorgaben und Annahmen ausgestattet werden, die von den Entwickler*innen in sie eingeschrieben werden, indem sie die zukünftige Stellung des Artefakts in der Welt, ihre möglichen Nutzer*innen und die an das Artefakt übertragenen Funktionen imaginieren und im Herstellungsprozess berücksichtigen (Präskriptionen) und daher die spätere Nutzung eines technischen Instruments wesentlich präformieren (Akrich 1992: 208). Schäufele (2017: 59 f.) ergänzt die Ausführungen Akrichs durch eine methodische Operationalisierung und eine Erweiterung der Analysedimensionen, verbunden mit dem Ziel, per Skriptanalyse „die (handlungs-)beeinflussende Wirkung von Technik über rein materielle Aspekte hinaus zu vergleichen.“ Im Zuge dessen schlägt sie Expert*inneninterviews mit Nutzer*innen und Entwickler*innen der jeweiligen Technologien vor, damit gleichsam beide Seiten des Artefakts, bezogen auf sein Skript, empirisch rekonstruiert werden können (2017: 102; vgl. a. Akrich 1992: 208 f.). Ergänzt werden sollten die Interviews mit Beobachtungsverfahren, die sich sowohl auf die situationale Nutzung der fokussierten Technologie als auch auf deren Entwicklungsprozess beziehen können. Gerade wenn es sich um längst eingeführte Technologien handelt, kann der methodische Zugriff auf die Entwickler*innen schwierig sein. Gerade dann – aber nicht nur dann! – ist es sinnvoll, mit Dokumentenanalysen von Benutzer*innenhandbüchern o. Ä. zu arbeiten (Akrich 1992: 211; Schäufele 2017: 103).

Im Zuge der Dispositivanalyse kommt der skriptanalytischen Vorgehensweise die Aufgabe zu, den methodischen Fokus konsequent auf das jeweils mit untersuchte Artefakt zu richten und neben der praktischen Anwendung von technischen Instrumenten und den im Zuge dessen freigesetzten oder unterdrückten Denkbewegungen auch das Portfolio der ins Artefakt eingeschriebenen Anwendungsarten zu analysieren, ebenso wie den inskribierten und herstellerseitig vorgegebenen anwendungsbezogenen Möglichkeitsraum zu rekonstruieren. Zudem kann per Skriptanalyse ein empirischer Blick auf die bereits in der Entwicklung eines Artefakts thematisierten Ziele und Imaginationen für die jeweilige Techniknutzung geworfen und damit die prägenden Vorbedingungen für spätere dispositive Zusammenhänge nachgezeichnet werden.

Artefaktanalyse

Die Artefaktanalyse, die wesentlich von Froschauer/Lueger (2016a; 2018; Lueger/Froschauer 2007; Froschauer 2009, 2012; Lueger 2010: 92–152) vertreten wird, hat einen ähnlich spezifischen Fokus auf Artefakte wie die Skriptanalyse. Artefakte werden dabei zunächst verstanden als „‚künstlich‘ geschaffene Zeichen (…), die in ihrem Bestehen eine soziale Produktion voraussetzen“ (Froschauer 2009: 329) bzw. als „materialisierte Produkte menschlichen Handelns“, die „Objektivationen sozialer Beziehungen und gesellschaftlich(e) Verhältnisse (verkörpern)“ (Lueger 2010: 92). Sie sind folglich als „fixierte Ausdrucksformen historisch-genetischer Prozessstrukturen“ (2010: 97) zu begreifen (vgl. a. Froschauer/Lueger 2018: 2, 11).

Obgleich die Artefaktanalyse also sehr einschlägig für die empirische Analyse multimodaler Diskursivität ist, ist vor dem Hintergrund der oben explizierten symmetrischen Analysehaltung jedoch die in der Artefaktanalyse vertretene passive Rolle von Artefakten – die stets nur als inaktive Projektionsflächen von menschlichem Gebrauch angesehen werden – problematisch (vgl. a. Schubert 2014: 899 f.). Dies gilt ebenso für die Negation der potenziellen Relevanz der stofflichen Eigenart von Artefakten, die in dem Satz gipfelt:

„Die reine Materialität von Artefakten ist unerheblich – was zählt ist der sinngebundene Verweis auf etwas anderes, das zwar im Artefakt enthalten ist, aber erst konstruktiv herausgehoben werden muss. Artefakte sind stumm; sie sagen nicht aus sich heraus, sondern bedürfen der menschlichen Vorstellungskraft, die angibt, was ein relevantes Artefakt ist und wofür es steht“ (Lueger 2010: 97).

Das Artefakt wird somit per se zum passiven Objekt und die Eigenleistung von technischen Artefakten kann auf diese Weise nicht berücksichtigt werden respektive wird so von vornherein aus der Analyse ausgeschlossen.

Ähnlich wie im Konzept des technologischen Skripts wird aber betont, dass Artefakte spezifische Rahmenbedingungen für ihre Verwendung setzen (Lueger 2010: 98) und dass ihnen qua Produktion stets eine „soziale Logik“ eingeschrieben ist (2010: 99). Artefakte, als „Produkte kommunizierter Entscheidungen“ und „in die Zukunft gerichtet(e) Kommunikationsmittel“ (Froschauer 2009: 329), werden also auch in der Artefaktanalyse als durch und durch gesellschaftlich geprägt angesehen. Gleichermaßen wird in Rechnung gestellt, dass das inskribierte Wissen im Umgang mit den Artefakten reproduziert und weitergetragen wird. Denn diese setzen einen „dingliche(n) Rahmen für soziales Handeln“ und stellen genuines „Datenmaterial für das Verständnis von Handlungspraktiken“ (Froschauer/Lueger 2016b: 11) dar. Das zentrale methodische Anliegen der Artefaktanalyse ist, die Artefakten „immanenten Sinn- und Bedeutungsstrukturen zu erschließen“, also die konkrete „Sinnhaftigkeit eines Artefakts“ zu rekonstruieren (Lueger 2010: 102). Ausgangspunkt ist dabei die Annäherung anhand von vier Grundfragen, mit deren Hilfe die soziale Verankerung des Gegenstands eruiert werden soll (Froschauer/Lueger 2016a: 363 f.; 2018: 52–58): Warum gibt es das Artefakt? Wie machen Menschen das Artefakt? Was machen Menschen mit dem Artefakt? Was macht das Artefakt mit Mensch und Gesellschaft?

Bei den daran anschließenden Analysedimensionen, die von Lueger (2010: 105 ff.) und Froschauer (2009: 332 ff.) bzw. Froschauer/Lueger (2018: 59–92) vorgestellt werden, ist für die vorliegende Studie primär diejenige der dekonstruktiven Bedeutungsrekonstruktion relevant, die „die Zerstörung der vorgängigen Sinngehalte durch Zerlegung des Artefakts in seine Bestandteile und die anschließende Analyse ihrer Bedeutungsmöglichkeiten“ (Froschauer 2009: 334; 2012: 263–265) zum Ziel hat und „den ersten sensorischen Anhaltspunkt“ für die Analyse eröffnen soll (Lueger/Froschauer 2007: 436). Der dabei vorliegend vor allem interessante Schritt nennt sich „interne Differenzierung“ und zielt auf die Beschreibung der beim Artefakt identifizierten Bestandteile (Froschauer/Lueger 2016a: 364 f.). Diese Beschreibung orientiert sich an den Gestaltungselementen Materialität, Struktur der Artefaktgestaltung und Text. Dabei wird in Bezug auf die Materialität beispielsweise gefragt, aus welcher Stofflichkeit das Artefakt besteht, welche Eigenschaften es hat, wie sich die Oberfläche anfühlt und welche Konsistenz es aufweist. Bei der Frage der Artefaktstruktur geht es um die räumliche Anordnung und um die sinnliche Aufmachung des Artefakts: Aus welchen Komponenten besteht es und wie sind diese zueinander angeordnet? Wird mit Bildern operiert? Sind Text- oder Symbolelemente vorhanden? Kann eine Hierarchie zwischen den Elementen erkannt werden? Wenn Textelemente vorhanden sind, sind diese ferner nach Gestaltung und nach den genutzten Formatierungen zu untersuchen (vgl. a. Froschauer/Lueger 2018: 71–73).

Die Artefaktanalyse ist für die vorliegende Studie, ebenfalls wie die Skriptanalyse, gerade deshalb instruktiv, da sie eine methodische Herangehensweise offeriert, die konsequent vom Artefakt aus denkt und dieses mithin in den methodischen Mittelpunkt zu rücken vermag. Somit ermöglicht sie im vorliegenden Forschungszusammenhang – trotz der problematischen Passivität, die für Artefakte angenommen wird – das Erscheinungsbild und den materialen Aufbau von Drogenschnelltests einer systematischen Analyse zugänglich zu machen, deren deskriptiven Erkenntnisse wiederum treffend mit den anderen empirischen Daten und den theoretischen Ergänzungen analytisch verknüpft werden können.

4 Konkretes empirisches Vorgehen

An dieser Stelle wird nun beschrieben, wie beim empirischen Teil der Studie – aufgeteilt in Datenerhebung und Datenanalyse – konkret vorgegangen wurde. Gemäß der Grounded Theory-Methodologie ist dabei jedoch von einer idealtypischen Trennung auszugehen, da Erhebungs- und Analysephasen nicht separat voneinander umgesetzt wurden.

Das zur Anwendung gekommene Fallauswahlverfahren kombiniert Elemente des theoretischen Samplings (Glaser/Strauss 1998: 53–83; Strauss 1998: 70 f.), allen voran die gegenstandsangemessene Fallauswahl sowie die Strategien minimalen und maximalen Vergleichs (Glaser/Strauss 1998: 63; Strübing 2014: 29–32; Mey/Mruck 2011: 28).Footnote 12 Damit war die Hoffnung verbunden, relative Verallgemeinerungen für die untersuchten Diskurse zu ermöglichen und für die dortige Anwendung von Drogentests valide Aussagen treffen zu können (Kruse 2015: 241). Ein Kennzeichen des Samplingverfahrens war dabei seine Kontinuität, indem gleichsam jeder neue Fall das Potenzial für neue interessante Fälle bereithielt. Zudem konnten die meisten Interviewkontakte und auch Dokumente erst im weiteren Verlauf der Feldphase generiert werden. Zu Beginn des Samplings wurde aber auf Basis von kleineren, zum Teil journalistischen Bestandsaufnahmen (Wichert 2001; Schröder 2008; Haustein-Teßmer 2009) ein erster Korpus an möglichen Interviewpartner*innen zur Kontaktaufnahme respektive Recherche erarbeitet. Zudem wurden einschlägige Fachpublikationen ausgewertet, die aus dem diskursiven Feld selbst stammen und – neben ihrem eigenen Status als Dokumente – wertvolle Hinweise auf relevante Gesprächspartner*innen geben konnten. Ferner wurden im Sinne der Strategie des maximalen Vergleichs möglichst Personen aus unterschiedlichen Anwendungskontexten (z. B. unterschiedlichen Branchen) bzw. mit unterschiedlichen Positionen innerhalb eines Anwendungskontexts (z. B. bei der Polizei die Beschaffer*innen von Drogentests ebenso wie die Anwender*innen derselben) angeschrieben. Bei Anwendungskontexten, die besonders interessante Erkenntnisse beheimateten, wurde ferner eine Strategie des minimalen Vergleichs angewendet, um möglichst detaillierte Einblicke in die jeweilige Testpraxis und deren Legitimierung zu erhalten (wie z. B. in Bezug auf die präemptive Sicherheitsrationalität im Rahmen als gefahrengeneigt definierter Arbeitsumgebungen).

4.1 Datenerhebung

Die hauptsächliche Erhebungsform war die des leitfadengestützten Interviews (z. B. Flick 2009: 194–226; Kruse 2015: 203–208), wobei diese sowohl im Sinne von Expert*inneninterviews als auch in Form von Interviews mit Tester*innen oder Repräsentant*innen von testenden Institutionen und Drogentestherstellern durchgeführt wurden. Die Expert*inneninterviews (Meuser/Nagel 1991; 2009; Gläser/Laudel 2010) wurden – vorwiegend zu Beginn des Forschungsprozesses – mit Repräsentant*innen von Unternehmen durchgeführt, für die es in der Literatur und in Berichten aus der Praxis Hinweise gab, dass dort Drogentests angewendet werden. Ebenfalls wurden gezielt Multiplikator*innen angesprochen, die bisweilen sowohl mit einem Überblick über den Diskurs und die dort wichtigen Akteur*innen als auch mit Kontaktinformationen für weitere einschlägige Expert*innen aufwarten konnten. Die Expert*innen wurden als solche angesprochen, wobei es primär um die konkrete Informationsgewinnung über die Art und Verbreitung von Testpraktiken ging. Gleichwohl sollten in Bezug auf die hinter den Testanwendungen stehenden Rationalitäten und praktischen Rahmenbedingungen der Durchführung von Drogentests auch die Expert*innen selbst ‚Objekte‘ der Forschung sein. Je nach Expert*in war in den Interviews somit gleichfalls von Interesse, welche Vorstellungen über Drogen und deren Konsum bei ihnen vorherrschen und welche Ansichten über Drogentests bei ihnen zum Ausdruck kommen. Den Expert*innen wurde dabei qua ihrer institutionellen und diskursiven Position Autorität zugeschrieben und mithin die Fähigkeit, gültige Aussagen über die jeweiligen Anwendungskontexte zu formulieren. Die Interviews mit Tester*innen und Repräsentant*innen von Drogentestherstellern waren ebenfalls leitfadengestützt und haben jeweils die Rationalitäten und Rahmenbedingungen der Drogentestentwicklung und -vermarktung, insbesondere aber auch die Funktionsweise der Tests, zum Gegenstand gehabt.

Die Leitfäden wurden unter Rückgriff auf die Handreichung von Helfferich (2011) konzipiert und für jedes Interview neu erstellt respektive dessen Inhalte auf den*die konkrete*n Gesprächspartner*in hin modifiziert. Ziel war es, die Fragen möglichst offen zu stellen, um die Antwortinhalte so wenig wie möglich vorzugeben. Diese gewünschte Offenheit musste sich allerdings der Notwendigkeit des Erstellens eines konkretisierenden Leitfadens unterordnen, da die Fragestellung als zu speziell angesehen wurde, um in einem gänzlich unstrukturierten Interview alle relevanten Daten erheben zu können.

Insgesamt finden 38 leitfadengestützte InterviewsFootnote 13 Eingang in die Untersuchung. Verweise auf Interviewinhalte werden im Folgenden unter Angabe des Interviewkürzels und ggf. Nennung der betreffenden Zeile oder des Absatzes kenntlich gemacht (z. B. ‚B24: 12‘ bzw. B12: Abs. 3).Footnote 14

Überdies wurde bei der Datenerhebung extensiv auf die Dokumentenanalyse (Prior 2009; Wolff 2010; Salheiser 2014) zurückgegriffen. Was dabei jeweils als Dokument bezeichnet wurde, hing weniger von der Textsorte als vom Entstehungskontext, den diskursiven Positionen und institutionellen Anbindungen der Autor*innen sowie dem Zielpublikum ab. So kann ein wissenschaftlicher Text, der normalerweise als klassische Literaturquelle gelesen und ins entsprechende Literaturverzeichnis hinterlegt wird, vorliegend als Dokument verstanden, entsprechend analysiert und im Quellenverzeichnis referenziert sein. Dies ist beispielsweise bei den einschlägigen Publikationen von Betriebsmediziner*innen der Fall, in denen über die Intentionen und Kontextbedingungen von Drogentestungen im betreffenden Anwendungsfeld Auskunft gegeben wird (z. B. Kittel/Kegel 2001; Breitstadt/Meyer 1998). Die gilt ebenso für interne Papiere jeglicher Art, die Informationen zu den Intentionen und Rahmenbedingungen der Testanwendungen beinhalten und damit „exegetischen Charakter“ haben, da sie – zum Teil implizit – auf Hintergrundinformationen verweisen (Wolff 2010: 504). Jene Dokumente, die öffentlich einsehbar sind, werden im Rahmen der Analyse im Sinne des wissenschaftlichen Standardvorgehens offen zitiert, während all jene Dokumente, die nicht öffentlich einsehbar sind, respektive mir im Vertrauen überlassen wurden, mit einer anonymisierenden D-Kennzeichnung und dem entsprechenden Seitenverweis aus der Datei, wie sie in MAXQDA eingespeist wurde, markiert werden (z. B. ‚D11: Abs. 13‘). Insgesamt werden in der vorliegenden Studie 112 – davon 10 anonymisierte – Dokumente verarbeitet.Footnote 15

Ferner werden im Folgenden Daten von elf teilnehmenden Beobachtungen (davon fünf ethnografische Feldaufenthalte)Footnote 16 berücksichtigt, zum Teil ergänzt mit Angaben aus flankierenden Feldgesprächen (bzw. ethnografischen Interviews).Footnote 17 Die Inhalte wurden in Beobachtungsprotokolle übertragen, wobei die Gespräche in der Regel nicht aufgezeichnet, sondern aus dem Gedächtnis während oder nach dem Feldaufenthalt schriftlich dokumentiert wurden. Die relevantesten Beobachtungen sind dabei die viertägige BetrachtungFootnote 18 von polizeilichen Drogen(konsum)kontrollen, die auf einer Autobahn im Zuge eines überregionalen Musikfestivals durchgeführt wurden, weswegen mit einem erhöhten Aufkommen drogengebrauchender Verkehrsteilnehmer*innen gerechnet wurde, sowie die zweitägige Teilnahme an einer groß angelegten drogenbezogenen Schwerpunktkontrolle seitens der Polizei in einer deutschen Großstadt. Ferner konnte ich an einer (zweitägigen) Unterrichtseinheit für angehende Polizist*innen zu Drogenkonsum und dessen Kontrolle teilnehmen. Ebenfalls ist hier die Partizipation an einem zweitägigen Weiterbildungsseminar zum Umgang mit illegalen Drogen am Arbeitsplatz zu nennen, das von einer gewerblichen Berufsgenossenschaft ausgerichtet wurde. Die Quellenverweise, die sich auf die teilnehmenden Beobachtungen und ethnografischen Feldaufenthalte beziehen, rekurrieren auf das jeweilige Beobachtungsprotokoll und den betreffenden Textabsatz (z. B. ‚BP5: 28‘).

Zusätzlich du den genannten Erhebungsverfahren wurden an die Artefakt- respektive Skriptanalyse orientierte Untersuchungen von Drogenschnelltests durchgeführt, deren Ergebnisse sich vor allem in den Kapiteln 6 und 8 finden lassen. Die Umsetzung erfolgte nicht im Sinne einer einzelnen Methodenanwendung, sondern gleichsam en passant bzw. mündeten beide methodischen Ansätze eher in der Perspektivierung eines grundsätzlichen Analyseblicks auf die Tests.

4.2 Datenanalyse

Die erhobenen, am Ende jeweils in Textform vorliegenden Daten, werden für sich genommen als ‚Diskursfragmente‘ verstanden (Keller 2011a: 234), als einzelne „Atom(e) des Diskurses“ (Foucault 1981 [1973]: 117). Ich gehe mithin davon aus, dass die Texte nicht allein singuläre Äußerungsgehalte transportieren, sondern diskursspezifische Aussageinhalte enthalten und dass deren Analyse Aussagen über den Diskurs als Ganzen zulässt. Als Resultat des theoretical samplings werden die verschriftlichten Interviews als Schlüsseltexte des Diskurses angesehen, also konstatiert, dass die dort vorzufindenden Aussagen in gewisser Weise das Gesamt des Diskurses – im Sinne der dort vorzufindenden Aussageinhalte – repräsentieren. Damit ist mitnichten gemeint, dass alle im Diskurs existierenden Inhalte auch in den vorliegenden Daten zu finden sind. Es soll damit lediglich ausgedrückt werden, dass die Auswahl der Gesprächspartner*innen unter Rückgriff auf die Kenntnisse der empirischen Ausgestaltung der jeweiligen Diskurse vollzogen wurde und deshalb angenommen werden kann, dass sich in den Interviews Aussagen finden lassen, die auch andere diskursive Akteur*innen so ähnlich formulieren würden.

Für die Analyse der erhobenen Daten wurde die qualitative Datenanalysesoftware MAXQDA verwendet. Die Wahl des Programms hat sich als sinnvoll ergeben, da die methodologischen Annahmen, die diesem Programm zugrunde liegen, mit denen in der Studie verfolgten weitgehend übereinstimmen: MAXQDA wurde gezielt für die Anwendung von Kodierverfahren entwickelt und lässt sich damit in den beabsichtigten Analyseprozess treffend einfügen. Durch diese Komplementarität ist die Gefahr gering, dass die Wahl des Analyseprogramms methodologische Annahmen impliziert, die denen der Studie entgegenstehen (vgl. Kelle 2010: 500; Diaz-Bone/Schneider 2008: 491 ff.; Kuckartz 2010). Der Rückgriff auf ein qualitatives Datenanalyseprogramm erschien auch deshalb instruktiv, weil es ein effizientes Instrument zur Organisation und Strukturierung der Daten darstellt und den bedeutsamen Vorteil hat, dass es den Analyseprozess detailliert dokumentiert und damit die Möglichkeit gibt, ebendiesen für Dritte transparent(er) und schließlich nachvollziehbar(er) zu machen (Diaz-Bone/Schneider 2008). Zentral ist in diesem Zusammenhang ferner die Erkenntnis, dass qualitative Datenanalyseprogramme weniger Instrumente der Analyse, denn der Organisation und Dokumentation sind, die unmittelbare Auseinandersetzung der Forschenden mit den Daten also stets die zentrale Grundlage des Untersuchungsprozesses bleibt.

Die vorliegenden Daten wurden allesamt inhaltsanalytisch-kodierend ausgewertet, wobei eine Kombination aus thematischem Kodieren in Tradition der Grounded Theory (Strauss 1998; Flick 2009: 402–409) und der bei Kuckartz (2014: 77–98; Schreier 2014: Abs. 7–16) explizierten inhaltlich-strukturierenden Form der qualitativen Inhaltsanalyse angewendet wurde. Die Kombination beider qualitativ-methodischen Ansätze liegt darin begründet, dass die Grounded Theory-Methodologie als Forschungsstil den gesamten empirischen Forschungsprozess, einschließlich der Analyse, nachhaltig geprägt hat und die inhaltsanalytischen Vorschläge wiederum die Auswertung der Daten instruiert haben. Konkret wurden die Interviewtranskripte, Dokumente, Beobachtungsprotokolle und artefakt- respektive skriptanalytischen Protokolle in einer ersten intensiven Durchsicht gemäß der Fragestellung bzw. theoretisch hergeleiteten Oberkategorien (z. B. Rationalität, soziotechnische Interaktion, Wahrnehmung der Tests, Testfunktionen) gesichtet. Die dabei identifizierten einschlägigen Textstellen wurden sodann mit aussagekräftigen Kodes versehen und das Kategorien- und Kodesystem fortlaufend modifiziert. Beide wurden somit deduktiv-induktiv erstellt, wobei sich die (theoretisch hergeleiteten) (Ober-)Kategorien bereits durch die Forschungsfragen ergaben (Anwendungsbereich, Rahmenbedingungen der Praktiken, Rationalitäten und Folgen) sowie die Unterkategorien (Kodes) induktiv durch einen iterativen Prozess mit Inhalt gefüllt, erweitert oder fallen gelassen wurden (Kuckartz 2014: 62, 69).

Mit Blick auf die folgende Analyse darf nicht unterschlagen werden, dass es sich dabei nur um eine selektive Untersuchung handelt, die ausgewählte Komponenten des Dispositivs des Drogentestens inkorporiert. Die Selektion der analysierten Elemente dieses Dispositivs erfolgte im Rahmen des Forschungsprozesses und auf Basis der theorie-empirischen Forschungshaltung, indem entweder aus passenden Theorien Analysedesiderate respektive Fragestellungen destilliert worden oder bemerkenswerte Fakten aus der Empirie entsprechende Nachforschungen provozierten. Der entscheidende Grund für die Auswahl der dargestellten Aspekte der dispositiven Konstruktion von Wirklichkeit im Rahmen von Diskursen und Praktiken des Drogentestens war indes, sowohl deren empirische Komplexität als auch deren mannigfaltigen theoretischen Anknüpfungspunkte zu illustrieren. Letztlich ist die erhoffte Pointe der vorliegenden Studie, aufzeigen zu können, welch komplexe Vielschichtigkeit sich auftun kann, auch wenn man solche, auf den ersten Blick durchaus profan wirkenden Forschungsgegenstände wie Drogentests untersucht. Und diese Komplexität ist so vielschichtig, dass eine Dispositivanalyse als per se unabschließbar anzusehen ist, weshalb sie nicht anders als selektiv vorgehen kann.