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Tod und Affekt

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Norbert Elias und der Tod
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Zusammenfassung

Das Kapitel beleuchtet den Zusammenhang von Tötung und Affekt vor dem Hintergrund der Elias‘schen Zivilisationstheorie.

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Notes

  1. 1.

    Jitschin (2021: 100) hat darüber hinaus biografische Spuren gefunden, die darauf hinweisen, dass Elias Artillerist und somit „Bestandteil der deutschen Tötungsmaschine“ war.

  2. 2.

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachform verzichtet. Alle Personenbezeichnungen gelten – wenn nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet – gleichwohl für sämtliche Geschlechter.

  3. 3.

    Der Konnex von Gewalt und Lebensende drückte sich nicht nur darin aus, dass Menschen durch Gewalt getötet wurden, statt auf ‚natürlichen‘ Wegen zu sterben. Ebenso kam es „wohl nicht selten vor, daß die zur Herrschaft gekommene jüngere Generation die schwächer werdende ältere Generation schlecht, vielleicht auch höchst grausam behandelte. Es war nicht Sache des Staates, sich um solche Dinge zu kümmern“ (Elias 2002: 74).

  4. 4.

    Die (tödliche) Gewalt von Menschen gegenüber Tieren weist eine lange Kulturgeschichte auf und ist seit jeher ein wesentlicher Bestandteil des Mensch-Tier-Verhältnisses. Tiere wurden zu unterschiedlichen Zeiten, zu unterschiedlichen Zwecken und mit unterschiedlicher Legitimation getötet (etwa zur rituellen Opferung, zur Gefahrenabwehr, zur Rohstoffgenerierung, aus wissenschaftlichen Beweggründen – oder schlichtweg aus reinem Vergnügen). Während das Deutsche Tierschutzgesetz generell vorsieht, dass niemand „einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“ darf (§ 1), ist das Töten unter bestimmten Voraussetzungen legal, etwa im Rahmen behördlich genehmigter und ordnungsgemäß durchgeführter Schlachtungen (§ 4). War die Tötung von (Wirbel-)Tieren in vorindustriellen Zeiten ein omnipräsentes sichtbares Ereignis, so ist sie heutzutage aus dem öffentlichen Blickfeld geraten und vollzieht sich weitgehend hinter den Mauern von Einrichtungen wie Schlachthäusern oder Laboratorien. Zu den zeit- und kulturspezifischen Dimensionen der Tiertötung siehe Joachimides et al. 2016.

  5. 5.

    Mit Figuration bezeichnet Elias zunächst Interdependenzgeflechte im Sinne eines (oftmals ungeplanten) wechselseitigen Aufeinander-angewiesen-Seins von Menschen, was sich jedoch auch auf höher aggregierte soziale Einheiten (wie z. B. Nationen) anwenden lässt. Er schließt damit an den in der Simmel’schen Soziologie zentralen Terminus der Wechselwirkungen an. Im Unterschied zu Georg Simmel kann Elias mit seiner Konzeption den (vermeintlichen) Gegensatz von Individuum und Gesellschaft überwinden (vgl. Zima 2020: 446 f.), da er zwischen beiden Instanzen ebenfalls einen figurativen Zusammenhang postuliert.

  6. 6.

    Zahlreiche gegenwärtige Beispiele lassen Zweifel an der These von der zivilisierten Schaulust gegenüber Gewaltexzessen aufkommen bzw. machen deren Konkretisierung notwendig. Im Zuge des Zivilisationsprozesses hat die generelle Gewalt-Schaulust nicht einfach abgenommen, vielmehr wurde sie in ‚kulturell verdauliche‘ Bahnen gelenkt. Hier ist in erster Linie an massenmedial vermittelte Gewaltdarstellungen zu denken, wie sie beispielsweise in bestimmten Filmgenres (Horror bzw. Splatter) zum Ausdruck gebracht werden. Blutströme, die bei den antiken Gladiatorenkämpfen womöglich nur aus der Ferne zu sehen waren, werden hier meist in großer Deutlichkeit aufgeboten. Ein zivilisatorisches Moment lässt sich wiederum darin erkennen, dass es sich um fingierte Brutalität handelt. Das Messer durchdringt keine echte Haut, es ist kein echtes Blut, das den Körpern literweise entrinnt, es platzen keine echten Schädel, und es sind keine realen Leichen zu sehen. All dies geht auf das Können von Schauspielern, Maskenbildern und Programmierern zurück. Demgegenüber gibt es in den Tiefen des Internets Darbietungen, die damit beworben werden, dass sie authentisch sind (z. B. Aufnahmen von Hinrichtungen; siehe auch das sogenannte Snuff-Genre bei Jackson et al. 2016; ferner Benkel/Meitzler 2016: 126 ff.). Seit geraumer Zeit erfreuen sich Formate, die ‚wahre Verbrechen‘ thematisieren (und dabei allerdings in der Regel ohne explizites Bildmaterial auskommen), großer Beliebtheit (Reichertz/Meitzler/Plewnia 2017). Bei diesen Beispielen, die hinsichtlich ihrer Drastik variieren, ist der ‚Schaulustige‘ nicht am Geschehen beteiligt, sondern kann es aus sicherer Entfernung betrachten (Sontag 2005). Dies gilt im Grunde auch für die als ‚Gaffer‘ bezeichneten Menschen, die zu unbeteiligten Zeugen von Unfällen oder gewaltvollen Auseinandersetzungen werden und sich in dieser Situation als Voyeure gerieren. (Zur Lust des Schauens im Angesicht des Schreckens siehe ausführlich Schläder/Wohlfarth 2007.)

  7. 7.

    In modernen Rechtssystemen werden Tötungen unterschiedlich deklariert und sanktioniert, je nachdem, in welcher Weise die lebensbeendende Handlung und deren Umstände (etwa im Hinblick auf die Tötungsabsicht) gedeutet werden (Bormann 2017). Möglich sind Deklarationen als Mord, Totschlag oder Tötung auf Verlangen. Darüber hinaus kennt das (deutsche) Strafgesetzbuch Tatbestände wie fahrlässige Tötung (§ 222) oder andere Delikte mit Todesfolge wie Körperverletzung (§ 227) oder Raub (§ 251). Allerdings unterliegen, wie gesagt, nicht sämtliche Tötungshandlungen der juristischen Sanktionierung. Das Töten im Krieg – dem sich Elias übrigens wenige Monate vor seinem eigenen Tod, nämlich im Januar 1990 in einer Hörfunkdiskussion des WDR ausdrücklich widmete – wird durchaus als legitim betrachtet (Stietencron/Rüpke 1995). Dies trifft auch auf den Suizid zu, welcher gerade mit Blick auf Elias’ Zivilisationstheorie einen interessanten Fall darstellt. Während es an Auseinandersetzungen mit dem Einfluss der Gewaltmonopolisierung auf die (Fremd-)Tötung in Elias’ Werk nicht mangelt, sucht man dort nach Verweisen auf die Selbsttötung vergeblich.

  8. 8.

    Dies deckt sich mit Zygmunt Baumans Befund, dass die Vernichtungslager das Resultat einer Überrationalisierung seien (Bauman 1992).

  9. 9.

    In seinen Studien über die Deutschen thematisiert Elias ausführlich den von den Nationalsozialisten verübten Genozid an den Juden als „einen der schwersten Zusammenbrüche der Zivilisation in der jüngeren europäischen Geschichte“ (Elias 1989: 401). Dabei sieht er das „Hauptproblem […] nicht in der Tat an sich, sondern in ihrer Unvereinbarkeit mit Standards, die man als Kennzeichen höher entwickelter Gesellschaften der Gegenwart aufzufassen gewohnt ist“ (ebd.: 394).

  10. 10.

    In diesem Kontext schreibt Elias (1981a: 102) weiter: „Die frühen Schritte in der Richtung auf eine solche Entwicklung, die Bemühungen der Vereinten Nationen oder des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag um eine gewaltlose Beilegung von Konflikten auf der zwischenstaatlichen Ebene zeigen diese Schwäche nur zu deutlich. Es bedürfte einer Wehrmacht, die stärker ist als die der jeweils auf gewalttätige Auseinandersetzung vorbereitenden oder in Gewalttätigkeiten verstrickten Staaten, um diese effektiv an dem kriegerischen Austragen ihrer Konflikte zu hindern. Gäbe es sie, dann würden die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen ein globales Monopol der physischen Gewalt besitzen.“

  11. 11.

    Gleichwohl bemerkt Elias, dass dem Sterben immerzu eine gewaltvolle Komponente innewohnt. „Ob Menschen die Urheber des Sterbens sind oder der blinde Naturablauf, der den, sei es allmählichen, sei es plötzlichen, Zerfall eines menschlichen Organismus herbeiführt, ist schließlich für den betreffenden Menschen nicht von großer Bedeutung.“ (Elias 2002: 88)

  12. 12.

    Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich somit um die stark erweiterte Fassung meiner ersten Auseinandersetzung mit Elias’ Blick auf das Lebensende (Meitzler 2021a), die im Sammelband Wissenssoziologie des Todes (Benkel/Meitzler 2021a) erschienen ist.

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Meitzler, M. (2021). Tod und Affekt. In: Norbert Elias und der Tod. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-34654-6_1

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-34653-9

  • Online ISBN: 978-3-658-34654-6

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