Zusammenfassung
Klassischerweise hebt die dokumentarische Interpretation von Einzelinterviews auf Analysen der Zugzwänge des Erzählens, des Textsortengebrauchs sowie der sequenziellen Hervorbringung propositionaler Gehalte ab. Anders als in der Rekonstruktion von Gruppendiskussionen erweisen sich interaktive Diskursbewegungen in der Analyse tendenziell als nachgeordnet. In diesem Beitrag möchte ich eine diskurs- und adressierungsanalytische Akzentuierung in der dokumentarischen Interpretation von Einzelinterviews diskutieren und auf diese Weise die Bedeutungshervorbringung im Interview und damit die Erzählpraxis selbst entlang von Adressierungen und Positionierungen fokussieren. Die methodologischen Überlegungen werden schließlich methodisch an zwei Sequenzen aus einer Interviewstudie angewandt, in der studienleitende Orientierungen von Sportlehramtsstudierenden rekonstruiert werden. Abschließend werden Impulse für die methodische Bearbeitung von Einzelinterviews zur Diskussion gestellt.
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Notes
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Der Beitrag geht nicht davon aus, dass die dokumentarische Interpretation von Einzelinterviews die Diskurspraxis unberücksichtigt lässt. Vielmehr scheint sie in der Forschungspraxis tendenziell beiläufigen Charakter zu haben.
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Der Begriff der Anwendung ist insofern irreführend, dass ihm Konnotationen von Technologie und Standardisierung innewohnen, die rekonstruktiver Forschung abgehen. Er wird hier dennoch gebraucht, da im zweiten Teil des Beitrags durchaus die Durchführungspraxis methodischer Theorie im Fokus steht.
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Es ist ein Forschungsprojekt am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften der Universität Osnabrück. Ausgewähltes Datenmaterial wurde in der Arbeitsgruppe Dokumentarische Methode diskutiert.
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Da in diesem Beitrag nicht die ideengeschichtliche Entwicklung der Dokumentarischen Methode respektive der Praxeologischen Wissenssoziologie im Fokus steht, wird an dieser Stelle nicht nur auf Detaillierung verzichtet, sondern sogar auf Quellenverweise zu den Arbeiten Mannheims. Für interessierte Leser*innen sei auf Bohnsack (2017) verwiesen.
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(Rekonstruktiv-)Qualitative Studien erforschen in der Regel unbekannte Felder, sodass gerade Unkenntnis die interviewpraktische Ausgangslage darstellt. Eine andere Perspektive auf die Interviewer*in-Interviewten-Konstellation nehmen Jäde et al. (i. d. B.) ein.
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An dieser Stelle sei auf Rauschenberg (2019) verwiesen, die poststrukturalistische Interviewfoschung und dokumentarische Rekonstruktion entlang adressierungstheoretischer Überlegungen relationiert.
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Die Gesprächsanalyse in der Dokumentarischen Methode greift auf soziolinguistische Verfahren zurück (Bohnsack 2014, S. 123ff.). Interessanterweise klammert Bohnsack hier das Einzelinterview mehr oder weniger implizit aus, wenn er dessen Stärken neben der Anwendung bei Gruppendiskussionen für Gespräche sieht, bei denen kein*e Forscher*in anwesend war (vgl. ebd.).
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Aufgrund des illustrativen Charakters der Interpretation der Sequenzen wurde das Transkript sprachlich geglättet.
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Der Begriff ist in Anlehnung an Breidensteins Schülerjob gewählt. Breidenstein (2006) beschreibt mit der Figur des Jobs die Anforderung für Schüler*innen, den an sie gestellten Erwartungen nachzukommen.
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Adäquanz ist bei Bucholtz und Hall (2004) eine diskurspraktische Taktik, die Spitzmüller (2013) in sein Modell integriert (s. o., Abb. 1). Sie übernimmt hier für die Erschließung der Sequenz eine heuristische Funktion und eröffnet Zugang zu einer gleichermaßen konformen wie pragmatischen Orientierungsfigur im Hinblick auf Studieren.
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Schiller, D. (2021). Positionierungen im Einzelinterview – Impulse für die dokumentarische Interpretation. In: Graalmann, K., Jäde, S., Katenbrink, N., Schiller, D. (eds) Dokumentarisches Interpretieren als reflexive Forschungspraxis. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33515-1_10
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