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Empowerment: Das Subjekt entspricht seinen Bedingungen in praxi?

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Emanzipatorische Subjektivität in der Psychologie
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Zusammenfassung

Im dritten Teil dieser Arbeit bildet das Empowermentkonzept den Gegenstand der Untersuchung. Einleitend wird die Verortung von Empowerment als Teil und Resultat moderner gesellschaftlicher Diskurse im Spannungsfeld zwischen Ermächtigung und Unterwerfung des Subjekts nachgezeichnet. Daran schließt sich die eigentliche Analyse, eine kritische Rekonstruktion der emanzipatorischen Bestimmungen von Subjektivität im Empowerment als praxisrelevantem Ansatz, an.

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Notes

  1. 1.

    Dieser Befund bedeutet jedoch nicht, dass das kritisch-psychologisch formulierte Theorie-Praxis-Problem bzw. die Frage nach der praktischen Relevanz in dem Sinn erledigt wäre, dass sich die traditionelle Psychologie der Kritik angenommen und in ihrer Theoriebildung grundlegend berücksichtigt hätte. So kommt etwa Maiers (2013) am Beispiel psychologischer Lerntheorien und pädagogischer Professionen zu dem Ergebnis, dass auf der Seite der „mannigfachen pädagogischen- oder klinisch-psychologischen etc. Anwendungen des Lernkonzeptes im Grundsätzlichen eine weitgehende Orientierungslosigkeit oder ein naiver Eklektizismus … mit charakteristischen Wechseln zwischen einer Ad-hoc-Adaptation kognitivistischer Anschauungen, auch wenn diese nicht direkt Lernen betreffen, und Rückgriffen auf die überkommenen S-R-theoretischen Begriffe“ vorherrsche, während auf der Seite der psychologischen Theoriebildung ein „Desiderat einer tragfähigen Konzeption des (menschlichen Lernens)“ (S. 131) bestehe. So zeichne sich z. B. in elementarpädagogischen Bildungsprogrammen ein „Paradigmenwechsel“ ab, insofern „sie in Absage an die klassische Instruktionspädagogik und ihren Lehr-Lern-Kurzschluss … kindliche Entwicklung – qua Bildung – als ‚ko-konstruktiven‘ Prozess der ‚Selbstbildung‘ beschreiben und damit auf eine kindliche ‚Akteursperspektive‘ fokussieren“, während das „begriffliche Gegenstück der Psychologie – ‚Lernen‘ – nirgends konkretisiert, geschweige eine vom wissenschaftlichen Subjektstandpunkt ausgehende Theorie kindlichen Lernens auch nur ansatzweise skizziert wird“ (ebd., S.134).

  2. 2.

    Die aktuelle Selbstreflexion der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gibt Zeugnis vom Expansionserfolg: „Obwohl die Zahl der Berufstätigen (104000) deutlich höher ist, als bisher angenommen, ist die Erwerbssituation insgesamt sehr positiv. Die Arbeitslosigkeit ist außerordentlich gering (1,7 %) und mit 82 % arbeiten unsere Absolventen weitaus häufiger als die der Nachbardisziplinen im studierten Fach“ (Margraf, 2015, S. 2). Sowohl „die Bedeutung des Gegenstandes“ – d. h. nichts Geringeres als „der innere Kosmos und seine Auseinandersetzung mit der äußeren Welt“ – als auch „die erreichten konzeptuellen, methodischen und praktischen Erfolge lassen es folgerichtig erscheinen, dass die Psychologie heute den Status einer ‚Hub Science‘, einer Drehscheibe der Wissenschaften, erlangt“ (ebd., S. 4). habe. In geradezu „paradoxem Kontrast“ zu einem „immensen Bedarf an gut ausgebildeten PsychologInnen“ stehe „ein echter Studienplatzmangel“ (ebd., S. 6). Vor dem Hintergrund, dass „die Psychologie erfolgreiche Lösungen“ (ebd.) nicht nur im Gesundheitssektor, sondern in nahezu allen gesellschaftlichen Sphären biete, müsse das „Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage von Studienplätzen“ (ebd., S. 5) angemessen überwunden werden.

  3. 3.

    In der Tat ist Empowerment keiner Profession zugeordnet, sondern findet als Anwendungskonzept, auf das sich vielfach bezogen wird, Anklang in psychologischer bzw. psychosozialer Praxis ebenso wie in der sozialen Arbeit, ferner aber auch in vielfältigen anderen, augenscheinlich seinem emanzipatorischen Ansinnen entgegengesetzten Bereichen, etwa als betriebswirtschaftliche Ratgeberliteratur zur Mitarbeiterführung (Koppermann, 1996; Lasko, 1996). Diese Vielfalt stößt auf Kritik, da sie Begriff und Anliegen des Konzepts verwasche (Perkins & Zimmermann, 1995). Zudem zeige sie, dass es missbräuchlich angewandt werden könne (Quindel & Pankofer, 2000), und zwar umso mehr, „je weniger [darin] die spezifischen Veränderungen reflektiert werden, die der Neoliberalismus unter den Stichworten Selbstregulationsanforderung, Flexibilisierung, Individualisierung von Lebensverantwortung, Auflösung traditioneller Bindungen und Ende des sozialstaatlichen Paternalismus mit sich bringt“ (Vossebrecher & Jeschke, 2007, S. 65).

  4. 4.

    Dass es Macht ist, die theoretisch stärker reflektiert werden müsse, scheint vielfach auf den Wortstamm dieser Bezeichnung zurückgeführt zu werden: „Dessen Grundwortstamm ist das Wort ‚power‘, das Verb und Substantiv sein kann; damit ist das Thema der Macht der zentrale Aspekt von Empowerment“ (Pankofer, 2000, S. 8). Häufig wird diesbezüglich die theoretische Perspektive nur unzureichend expliziert, sodass zuweilen unklar bleibt, ob es sich bei der Macht etwa um politische oder ökonomische Instanzen handelt oder Diskurse, die ihre Wirksamkeit immerhin auf gänzlich anderer Ebene entfalten. So fordert auch Romero (2013) eine stärkere Reflexion auf das Machtthema im Empowerment und verhandelt dabei Zwänge, die „der Markt“ dem Individuum eintrage, auf derselben Ebene wie „Formulierungen [Kursivierung M.L.] der Politik“ (S. 81), an denen deutlich würde, dass Empowerment Bestandteil der „neuen Dominanzstrukturen“ (ebd., S. 80) sei: „Viele Konzepte des Empowerments führen kaum Diskussionen über das Thema der Macht. Das Empowerment-Konzept funktioniert auch um den Status Quo aufrechtzuerhalten. Die Subjekte, die auf dem Markt als Konsument_innen agieren, sind gezwungen Kapazitäten zu entwickeln, um ihre Lebensqualität zu maximieren, zu verbessern durch eigene Entscheidungen. Wir werden Expert_innen und Selbstverantwortliche, um unser eigenes menschliches Kapital effektiv zu maximieren. Das Konzept Empowerment ist intrinsisch in die neuen Dominanzstrukturen (global, neoliberal, neokolonial), in die neue Unterordnung der Individuen eingebunden. Das können wir feststellen, wenn wir die öffentliche Formulierung der Politik überprüfen“ (ebd., S. 80 f.).

  5. 5.

    „Das Subjekt nimmt die Kräfte auf, denen es ausgesetzt ist, und modifiziert ihre Ansatzpunkte, Richtungen und Intensitäten. Dabei biegt es diese Kräfte nicht zuletzt um und richtet sie auf die eigene Person“ (Bröckling, 2007, S. 20).

  6. 6.

    Solomon (1977) leitete aus der Bürgerrechtsbewegung der afro-amerikanischen Bevölkerung der USA unter dem Begriff Empowerment Prinzipien für soziale Professionen ab, die auf der Feststellung fußen, dass Menschen daran gehindert sind, ihre Ressourcen zu nutzen, weil sie materiellen Unsicherheiten ausgeliefert sind, aber auch keine Erfahrungen darin haben, politisch zu wirken oder Hilflosigkeit erlernt haben.

  7. 7.

    Zur Vermeidung von Missverständnissen sei bemerkt, dass Barth zu einem kritischen Urteil kommt, und zwar zu dem, dass esoterische Strategien der Alltagsbewältigung kein Empowerment seien, sondern vielmehr Selbstbestimmung (selbsttechnologisch) preisgeben würden: „Der Preis, den die esoterischen Wege der Stärkung des authentischen Selbst kosten, ist hoch. Er besteht in der Umdeutung eigener Wertvorstellungen, der Suggestion von permanenter Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit, die letztlich eine Unterwerfung unter das Bestehende meint und nur durch Selbsttäuschung gelingt“ (2010, S, 114). Und im Resultat: „Gesellschaftliche Mitbestimmung ist aus dem esoterischen Blickwinkel nicht einmal mehr denkbar“ (ebd., S. 115).

  8. 8.

    Wo auch immer für Bröckling (2003) die „Wurzeln der Ohnmacht“ (S. 334) liegen mögen (dazu siehe die entsprechenden Ausführungen in der Einleitung), er bemerkt an der „Philosophie der Menschenstärken“ (Herriger, 2002, S. 2) des Empowermemt jedenfalls auch, dass der Fokus auf das Subjekt den Blick von objektiven Gründen seiner Probleme abwendet: „Die kompensatorische Entlastung beruht jedoch nicht darauf, dass die Verantwortung auf andere Instanzen – ‚die Gesellschaft‘, ‚den Kapitalismus‘, ‚die Eltern‘, ‚die Gene‘ – abgewälzt wird. Die Frage nach den Problemursachen tritt vielmehr in den Hintergrund, damit alle Kräfte sich auf ihre Lösung richten können. Erfolgversprechender, als die Wurzeln der Ohnmacht zu erforschen, ist es, so die Ratio des Empowerment, die verbliebenen Machtquellen freizulegen“ (Bröckling, 2003, S. 334).

  9. 9.

    Trotz diverser Definitionsunterschiede herrsche Einigkeit darüber: „empowerment is more than the traditional psychological constructs with which it is sometimes compared or confused (e.g., self-esteem, self-efficacy, competence, locus of control)” (Perkins & Zimmerman, 1995, S. 568). Im Unterschied zu traditionellen psychologischen Hilfsangeboten suche der Ansatz nämlich nicht die Problemursachen in der individuellen Psyche, sondern stelle eine Verbindung zwischen individuellem Befinden und dem weiteren sozialen wie politischen Lebenszusammenhang der Individuen her (ebd.). Inwieweit dieser Anspruch tatsächlich in der Empowermentliteratur realisiert ist, darüber hingegen herrsche keine Einigkeit, doch dazu mehr im Anschlusskapitel.

  10. 10.

    Das „altbekannte Doppelmandat der Sozialen Arbeit“ (Quindel & Pankofer, 2000, S. 33), das den „Grundwiderspruch“ (ebd., S. 34) allen professionellen Handelns in diesem Feld bilden soll, meint, es gebe auf der einen Seite den sozialstaatlichen Auftrag und auf der anderen den des Hilfesuchenden gegenüber dem Professionellen und beide Mandate seien nicht deckungsgleich, sondern im Gegenteil, mitunter sogar weitgehend inkommensurabel (kritisch und ausführlich dazu, auch zum „Tripelmandat“ als Korrektiv wie Zusatzanspruch des Doppelmandats bei Staub-Bernasconi, 2018). Für die hier nachzuvollziehenden Überlegungen sind die aus dieser Inkommensurabilität entstehenden (v. a. ethischen) Konflikte, in die der Professionelle vor diesem Hintergrund geraten könne, nicht weiter relevant. Es wäre ein Themenwechsel, da es dann nicht mehr um die Rekonstruktion der inneren Prinzipien des Empowermentansatzes ginge, sondern zu untersuchen wäre, zu welcher gesetzlichen Regelung soziale Arbeit bzw. zu welchem entsprechenden staatlichen Auftrag der Empowermentpraktiker mit seinen professionellen Zielsetzungen in einen Gegensatz geraten kann. Der Empowermentansatz selbst stößt mit seinen Zielen und Methoden, wie sich bereits gezeigt hat und im Weiteren zeigen wird, nicht (notwendig) an gesetzliche Schranken. Was im Haupttext ein wenig weiterverfolgt wird, sind die kritischen Forderungen, die Quindel und Pankofer (2000) für die Empowermenttheorie aus diesem ihrer Meinung nach „Grundwiderspruch“ der Sozialen Arbeit ableiten.

  11. 11.

    Dazu, was dies positiv bedeutet, wird gesondert in Kapitel vier zu den psychologischen Bedingungen gelingenden Empowerments entlang der Rotterschen Theorie des Kontrollbewusstseins und seiner Verwendung für Empowerment durch Stark (1996) eingegangen.

  12. 12.

    Mittels der Herstellung von „Transparenz über Zusammenhänge von gesellschaftlichen und individuellen Strukturen“ (Pankofer, 2000, S. 16) solle eine Lebensweltanalyse dazu dienen, „individualisierende Selbstattributionen wahrzunehmen und zu entschlüsseln und damit kognitive und emotionale Auswege aus erlernten Hilflosigkeitsprozessen möglich zu machen“ (ebd.).

  13. 13.

    Ein(e) „kritische/r LebensinterpretIn“ habe die Aufgabe, im Dialog mit dem Klienten „stellvertretende Lebensdeutungen zu entwickeln“ (Pankofer, 2000, S. 16). Ohne die mögliche psychologische Wirksamkeit einer korrigierten, etwa optimistischeren Lebensinterpretation in Abrede zu stellen, wäre es doch naheliegender, nicht das daraus potentiell entstehende Bedürfnis nach psychologischer Hilfe zu kritisieren, sondern die Analysen selbst in den Blick zu nehmen, denn, wenn sie korrekt sind, vermitteln sie dem Klienten eine gehaltvolle neue Handlungsgrundlage, wenn nicht, dann verschlimmern sie womöglich die Lage. Die Autoren bewegen sich auf dieser Kritikebene nicht, sondern gehen, wie beschrieben, davon aus, dass sie als Professionelle Bedürfnisse erzeugten, weil sie durch ihren Status die Macht darüber verkörperten, diese dann zu bedienen oder zu verwehren (zu dieser (Macht-)Theorie der Knappheit im Anschlusskapitel).

  14. 14.

    Hier sind Besitzmacht und Diagnosemacht gemeint; die Risikoverteilungsmacht hat, wie gezeigt, die davon abgeleitete Aufgabe, die Folgeschäden im Sinne der Macht zu verarbeiten.

  15. 15.

    „Knappheit ist jene Form des Ungenügens, die mitten in der Überfülle von Gütern und Versorgungsleistungen fortbesteht, eben weil sie nicht ein Quantitätsmerkmal der Lebensumstände ist, sondern eine Verhältnis-, besser: Missverhältnisbestimmung, zwischen Zielen und Mitteln, deren Vorbedingung der Entzug von Daseinsmächtigkeit ist. Der Knappheit wohnt eine Dynamik fortdauernder Selbsterzeugung inne sowie eine Tendenz zu immer weiterer Ausbreitung“ (Gronemeyer, 2002, S. 76).

  16. 16.

    „Totalitär wird diese Macht, wenn es ihr gelingt, vier elementare Bedürfnisse, aus denen alle übrigen abgeleitet werden können, in Dienst zu stellen:

    - das Sicherheitsbedürfnis,

    - das Zeitbedürfnis,

    - das Bequemlichkeitsbedürfnis,

    - das Anerkennungsbedürfnis.

    Sofern sie den Glauben an diese vier Bedürfnisse allgemein und zweifelsfrei machen kann, ist die Herrschaft der Knappheit unumschränkt“ (Gronemeyer, 2002, S. 45 f.). Ein Sicherheitsbedürfnis ist in dieser Theorie nicht etwa ein Ausdruck unsicherer Verhältnisse, vor denen die Menschen – womöglich berechtigtermaßen – Angst bekommen, sondern firmiert als Unsinn und Irrglaube, der den Unterworfenen verabreicht werde, um sie zu manipulieren. Ein Zeitbedürfnis erklärt sich hier auch nicht daraus, dass letztere rund um die Uhr eingespannt sind usw.

  17. 17.

    „Den vier ‚Grundbedürfnissen‘ ist ein Wesensmerkmal eigen […]: Sie sind unersättlich. Das heißt: Sie sind in ihrem Verlangen nach immer mehr Waren und Dienstleistungen unbegrenzt. So halten sie die Produktionsmaschinerie in Gang und legitimieren die Macht, die sich auf sie beruft, unbefristet. Deshalb sind sie die Grundbedürfnisse der Macht, was etwas ganz anderes ist als ‚menschliche Grundbedürfnisse‘, die ihrerseits ein machtdienliches Konstrukt sind“ (Gronemeyer, 2002, S. 46).

  18. 18.

    „In ihrem Zusammenhang mit der Knappheit haben nun die Bedürfnisse ihren guten Ruf eingebüßt. Statt vermögend zu machen, machen sie bedürftig. Statt einzigartig zu machen, sind sie gleichmacherisch. Statt gemeinschaftsfähig zu machen, machen sie wölfisch. Statt Heimat zu schaffen, machen sie die Erde unbewohnbar wie den Mond“ (Gronemeyer, 2002, S. 70). „Nur was knapp ist, was nicht jedem zukommt, ist etwas wert, denn nur weil es knapp ist, zeichnet es den, der es sich leisten kann, aus und macht ihn beneidenswert. Und beneidenswert will jeder sein, um nicht in Bedeutungslosigkeit zu versinken“ (ebd., 2010, S. 10).

  19. 19.

    „Immer gilt, dass die Inhaber der Macht selbst betroffen sind von ihrer Machtausübung. Sie unterscheiden sich von den Beherrschten nicht dadurch, dass sie sich die Abhängigkeit, die das Schicksal des Konsumenten ist, ersparen könnten, sondern nur durch das ungleich höhere Konsumniveau, auf dem sie sich tummeln […]. [So] wird die Macht auf eine heimliche und unentrinnbare Weise selbst zum Ausgestoßenen ihrer eigenen Aussperrung und zum Gefangenen ihrer Einsperrung. […] Die Mächtigen sind der Knappheit nicht mächtig. Sie haben mit der Vernichtung von Daseinsmächtigkeit ihre eigene Daseinsmächtigkeit eingebüßt und mit der Verordnung der Bedürfnisse sich des Wünschens begeben“ (Gronemeyer, 2002, S. 68 f.).

  20. 20.

    Dass im vorliegenden Kapitel zu den psychologischen Grundlagen des Empowerments bloß Aspekte einer kognitionspsychologischen Theorie untersucht werden, nicht aber auch noch solche der Humanistischen Psychologie, wenngleich diese dem Anschein nach auch nahegelegen hätten, resultiert aus folgender Überlegung: Ähnlich wie sich Empowerment verschiedener gesellschaftstheoretischer Aspekte teils unterschiedlicher wissenschaftlicher Provenienz bedient, nutzt es auch psychologische Begrifflichkeiten unterschiedlicher Theorieschulen. Aber auch diesbezüglich ist es so, dass dem Konzept, gemessen an seiner eigenen Logik, die einen nur als Titel dienen, während andere Bestandteil seiner Logik sind. Dass etwa Schlüsselkonzepte der Humanistischen Psychologie wie Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Kreativität usw. in Dienst genommen werden, ist naheliegend. Doch wofür? Nicht dafür, dass deren Erklärungen der eigenen Konzeption mehr wissenschaftliche Tragfähigkeit verleihen würden, sondern vielmehr wird das damit verbundene Alltagsverständnis und darüber Plausibilität abgerufen. So arbeitet sich die Humanistische Psychologie an Bestimmungen der Natur des Menschen ab, um schließlich zu einem „Plädoyer für die ‚Sinnhaftigkeit‘ des menschlichen Lebens sowie die ‚Aufrechterhaltung von Wert und Würde des Menschen‘“ (Straub, 2012, S. 19) zu gelangen, während Empowerment schlicht auf Sinn, Würde, Selbstverwirklichung usw. verweist. Hinzukommt ohnedies, dass humanistisch-psychologische „Schlüsselkonzepte wie Klientenzentrierung, Selbstbestimmung und Authentizität … nachhaltigen Eingang in die gegenwärtige Beratungspraxis [gefunden haben; sie] prägen ‚inzwischen jedes Moment von Beratung‘“ (Tändler, 2011, S. 85) und sind insofern kein Empowermentspezifikum. Kognitivistische Lerntheorien hingegen sind mit ihrer Logik Bestandteil dessen geworden, auf welcher Grundlage Empowermentkonstrukteure Menschen in psychologischer Hinsicht empowern, also zu einem emanzipatorischen Bewusstsein in ihrem speziellen Sinn bringen wollen.

  21. 21.

    Dem Verhaltensbegriff, auch in der Fassung wie er als Bestandteil des Analysematerials im Folgenden vorkommen wird (nämlich folgendermaßen: „Der Begriff Verhalten wird hier im weitesten Sinne verwendet. Darunter fällt jegliche Handlung eines Individuums, die eine Reaktion auf einen Reiz darstellt“ (Rotter & Hochreich, 1979, S. 107)) inhäriert eine Eigentümlichkeit, die im Laufe der weiteren Analyse sukzessive zum Vorschein gebracht wird, hier aber schon einmal kurz benannt sein soll: Handeln ist im Verhaltensbegriff als Reagieren bestimmt, sodass es selbst kein eigener Gegenstand, sondern über den auslösenden Reiz erklärt ist und sich somit als Kategorie willentlichen Bewusstseins selbst herauskürzt. Weshalb sich ausgerechnet Empowermenttheoretiker, die das Bewusstsein und den Willen des Subjekts, sich selbst zu ermächtigen, in den Blick nehmen, an diesem Begriff nicht zu stören scheinen, soll sich im Fortgang klären.

  22. 22.

    Mit der folgenden Analyse der Rotterschen Lerntheorie wird nicht der Zweck verfolgt, deren innere Logik vollständig zu rekonstruieren, sondern lediglich jene Elemente, die für die Erklärung des Empowermentgedanken relevant sind, explizit zu machen. Eine umfassende wissenschaftliche Analyse der Theorie wie auch ihre schulenspezifische Verortung findet sich bei Holzkamp (1995a).

  23. 23.

    „Wer ein hohes Ausmaß an Handhabbarkeit erlebt, wird sich nicht durch Ereignisse in die Opferrolle gedrängt oder vom Leben ungerecht behandelt fühlen. Bedauerliche Dinge geschehen nun einmal im Leben, aber wenn sie dann auftreten, wird man mit ihnen umgehen können und nicht endlos trauern“ (Antonovsky, 1997, S. 35).

  24. 24.

    Für die resilienten Kinder sei die Armut letztlich sogar ein Vorteil gewesen; neben Qualitäten wie „angenehm, fröhlich, freundlich“, seien sie „in ihrer sprachlichen und motorischen Entwicklung weiter“ und „hatten überdies die besondere Gabe, stolz auf sich sein zu können“ (Werner, 2008, S. 31). Langfristige Ergebnisse gestalteten sich unter einem ebenso optimistischen Vorzeichen; sie absolvierten eine Ausbildung, heirateten, wurden gläubig, wurden Soldaten usw. Gemessen also an diesen gesellschaftlich gültigen Erfolgskriterien sei ein großer Teil der verarmten Kinder als resilient zu beurteilen. Weisen Kinder also jene besondere Widerstandsfähigkeit auf, komme für sie eine ‚normale‘ Existenz infrage: „kontinuierliche Ausbildung“; „Ehe mit einem stabilen Partner“, „Hinwendung zu einer Glaubensgemeinschaft“; „Dienst in der Armee“ (ebd., S. 33) usw.

  25. 25.

    Der Text von Rotter und Hochreich (1979) bildet die Grundlage der folgenden Analyse von Rotters Theorie der Kontrollüberzeugung des Verhaltens, auf die sich Empowerment beruft. Dieses Konstrukt entwickelte Rotter als Persönlichkeitsvariable auf Basis seiner sozialen Lerntheorie, die im Wesentlichen behavioristische Verstärkertheorien mit kognitionspsychologischen Elementen verbinden wollte (Holzkamp, 1995a).

  26. 26.

    Holzkamp (1995a) zufolge „[wird] im ‚Locus-of-Cotrol‘-Ansatz … faktisch das ‚Selbst‘ als ‚Ursprung‘ von Handlungen in die theoretischen Bestimmungen des Erwartungslernens aufgenommen, indem die Situation des Lernens potentieller Kontrolle der Verstärkungsbedingungen durch das Subjekt einer Lernsituation, in der ein solcher Einfluß auf die Verstärkungsbedingungen nicht möglich ist, gegenüberstellt wird. Dabei ist allerdings einmal präzisierend festzustellen, daß im ‚locus of control‘ nur die verallgemeinerte Erwartung (‚generalized expectancy‘) der subjektiven Kontrolle/Nichtkontrollierbarkeit, nicht aber die reale Möglichkeit des Subjekts, Kontrolle über die Lebensbedingungen auszuüben, angesprochen ist“ (S. 97). Die kritisch-psychologische Hinsicht der Kontrollierbarkeit von Lebensbedingungen als Wesenspotenz des Subjekts ist an anderer Stelle (siehe Kapitel 2) diskutiert worden. Davon abgesehen ist hier anzumerken, dass die Feststellung, Rotter hätte mit der Annahme erfahrungserzeugter Erwartungen das Selbst zum Ausgangspunkt individuellen Handelns erklärt, dahingehend zu präzisieren wäre, dass, insofern das Handeln Resultat von Erfahrungen ist, es eben nicht bewussten Entscheidungen folgt, sondern aus Vergangenem resultiert und insoweit dadurch determiniert ist.

  27. 27.

    Dass es sich dabei um einen verfehlten Anspruch, nämlich menschliches Handeln zu erklären, handelt, lässt sich mit Holzkamp durch „das versuchsweise Einschieben der Formel ‚vernünftigerweise‘ zwischen die Wenn- und die Dann-Komponente der (vermeintlichen) empirischen Hypothese“ (1995a, S. 34) veranschaulichen. Wenn ein Schüler die Erfahrung gemacht hat, dass ‚Pauken‘ kein Mittel für seinen Zweck ist, würde er ‚vernünftigerweise‘ dieses Mittel verwerfen. „Sofern dieses Einschiebsel im Satzzusammenhang logisch stringent ist, tritt damit zutage, daß zwischen der Wenn- und der Dann-Komponente tatsächlich kein kontingenter empirischer Zusammenhang, sondern ein ‚rationaler‘, ‚inferentieller‘ (‚erschlossener‘), ‚implikativer‘, i.w.S. ‚definitorischer‘ Zusammenhang vorliegt, indem hier nicht ausgesagt ist, welches Verhalten faktisch durch die Ausgangsbedingungen bewirkt wird, sondern, welches Verhalten unter eben diesen Ausgangsbedingungen – soweit sie zu Handlungsprämissen gemacht werden – ‚vernünftig‘, d. h.,gut begründet‘ ist“ (ebd.).

  28. 28.

    Wie Wahrscheinlichkeitsaussagen als wissenschaftliches Verfahren zum Beweisen von Notwendigkeiten herangezogen werden und was dazu zu sagen wäre, ist für den vorliegenden Sachverhalt nicht weiter wichtig, da die hier relevanten Aspekte von Rotters Lerntheorie nicht Konsequenz der Anwendung statistischer Methoden zum Beweis der Richtigkeit (= Wahrscheinlichkeit = Möglichkeit = kann auch ganz anders sein) seiner Theorie sind, sondern sich, wie bis hierher schon gezeigt, seiner Vorstellung von menschlichem Handeln/Verhalten verdanken. Daher sei hier nur nebenbei bemerkt, dass der Widerspruch, mit einer Wahrscheinlichkeitsaussage beim Tatsachenbeweis angekommen zu sein, kaum zu stören scheint: „Bei diesem Beispiel könnte man sicher [(!)] voraussagen [Kursivsetzung M.L.], daß sich der zweite Schüler wahrscheinlich [Kursivsetzung M.L.] bemühen wird, seine Ziele zu erreichen“ (Rotter & Hochreich, 1979, S. 108 bzw. siehe Gesamtzitat im Haupttext).

  29. 29.

    Nach Holzkamp (1995b), der in seinem Aufsatz Kolonisierung der Kindheit die Annahme einer determinierenden Erfahrung umfassender kritisiert, führten gängige psychologische/psychoanalytische Entwicklungskonstruktionen zu einer regelrechten Entfremdung des Subjekts gegenüber seiner eigenen Erfahrung, denn es werde mit solchen Deutungsinstrumentarien darauf gelenkt, sich in einer „immer schon vorgewußten Struktur, in deren Kontext der Erwachsene seine biographische Vergangenheit lediglich solange hin und her zu bewegen braucht, bis sie sich darin wiederfinden läßt“ (S. 89), zu betrachten.

  30. 30.

    Die Versubjektivierung schulischer Normen mit dem Ergebnis der Akzeptanz der daraus erwachsenden Verpflichtungen schildert Dreeben (1980) eindrucksvoll. Dazu lohnen sich auch Wernets objektiv-hermeneutische Analyseergebnisse zur Identifikation des Schülers mit den Selektionserzeugnissen der Schule (2019).

  31. 31.

    Vergleiche auch Holzkamps (1995a) Kritik, die darauf zielt, dass diese Lerntheorie eigentlich nicht ohne ein Subjekt mit Handlungsprämissen und -begründungen auskommt, das Handeln, hier Verhalten, stattdessen aber durch Erfahrungen und Belohnungen erklärt wird. Das herausgestrichene Subjekt, dessen theoretische Eliminierung die vermerkten eigentümlichen Zirkelerklärungen erzeugt, sich daraus aber auch rekonstruieren lässt, erinnert an dieser Stelle an Foucaults humankapitalistischen „Homo oeconomicus“ (1979, S. 193) neuer Art – „der Homo oeconomicus ist ein Unternehmer, und zwar ein Unternehmer sein selbst“ (ebd.). Denn das unerwähnte Subjekt tritt mit dem Anspruch auf, im Vergleich zu Artgenossen einen Wert zugewiesen zu kriegen, was dem Verfahren nach dem ‚Verhalten‘ einer Ware, die auf dem Markt ihren Wert realisieren ‚will‘, gleichkommt.

  32. 32.

    Auch wenn Persönlichkeitstests, die auf Basis etwa der hier verhandelten Lerntheorie entwickelt werden, für den hier betrachteten Zusammenhang keine Rolle spielen, so sei doch ein kleiner Hinweis gegeben: Dass jemand z. B. ankreuzt, „andere Menschen verhindern oft die Verwirklichung meiner Pläne“ (Krampen, 1991, S. 44), soll, in Kombination mit ähnlichen Antworten, dafür stehen, dass der Proband einer mit einem geringen Kontrollbewusstsein ist, und zwar egal um was für Pläne es sich handelt (im Falle eines Bankräubers hätte es sicher einen anderen Gehalt als bei einem Kind, dass lange wach bleiben will), wer die anderen Menschen sind und welche Gründe es für die Verhinderung gibt. Es spielt ebenfalls keine Rolle, ob es vielleicht ja auch stimmt oder nicht, dass ständig einer die eigenen Pläne verhindert, sondern gefolgert wird im Sinne einer Eigenschaftszuschreibung, dass man „so einer“ ist, der so oder so denkt, eine bestimmte Haltung hat.

  33. 33.

    Dass dieses und ähnliche Konzepte immer ein subjektiv vernünftig urteilendes Subjekt unterstellen, führt auch Holzkamp (1995a) aus.

  34. 34.

    „Learned hopefulness suggests that empowering experiences – ones that provide opportunities to learn skills and develop a sense of control – can help individuals limit the debilitating effects of problems in living“ (Zimmerman, 1990, S. 72). Und umgekehrt: „The theory predicts that involvement in community organisations and activities is one way to both improve problem solving skills and enhance one’s psychological empowerment (i.e., mastery and control over the environment)“ (S. 73).

  35. 35.

    Herriger spricht sogar von einem „Kontrakt zwischen Berater und Klient“ (2002, S. 4), bedient sich also der rechtlichen Kategorie des Vertrags, die wenigstens nahelegt, dass beide Parteien nicht einfach sowieso die gleichen Ziele verfolgen, sondern sich in einem gewissen Gegensatz zueinander befinden, in welchem sie sich erst wechselseitig auf Leistung und Gegenleistung verbindlich festlegen müssen.

  36. 36.

    Dies sei insbesondere auch ein wichtiger Aspekt in der professionellen Arbeit mit Psychiatriebetroffenen (Chamberlin, 2007).

  37. 37.

    Auch Empowerment in politischen Kontexten bringt die Narration, das Erzeugen eigener identitätsstiftender Erzählungen als Methode zur Anwendung: „Geprägt und durchdrungen vom westlich-eurozentristisch-kolonialen Blick wird uns die Menschheitsgeschichte aus der dominanten Perspektive eines Weiß-christlich-männlich konstruierten Wissensarchivs ‚weiß‘ gemacht. Es ist eine machtvolle Narration, die mit Mitteln der Ausblendung, Fragmentierung, Selektion, Verfälschung, Auslöschung arbeitend, manipulativ ihre eigene Realität konstruiert und somit andere existierende Narrationen entmündigt, unterdrückt und beherrscht. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Gedächtnis- und Erinnerungskultur über den westlich-europäischen Rassismus und Kolonialismus sowohl über die Erfahrungen, Geschichten, Erzählungen und Widerstandskämpfe der Kolonisierten und Rassifizierten mit ihren Kontinuitäten bis in die Gegenwart in den dominanten Narrationen, Diskursen und Wissensarchiven eine Art Amnesie vorherrscht als auch ein weitgehend selbstkritisches und selbstreflexives Bewusstsein darüber fehlt. Genau an dieser Stelle möchten wir in unserem Beitrag die Bedeutung und damit den Fokus darauf richten, den Ansatz des politischen Empowerments, Widerstands und der Befreiung aus der People of Color-Perspektive mit der Decoloniality-Perspektive zu verknüpfen bzw. diese zusammenzudenken. Konkret heißt dies vor allem, entgegen dem dominanten westlich-eurozentrischen Mainstreamkanon, plurale und kreative Narrationsräume für eigene Geschichten, Erfahrungen, Wissensressourcen und Epistemologien zu schaffen“ (Torres & Can, 2013, S. 30).

  38. 38.

    Ausführliches zu der Vorstellung durch Erfahrungen des Gelingens eine positive Haltung zu erzeugen, die dann entsprechendes Verhalten zeitigt, ist im voranstehenden Kapitel zu Rotters Lerntheorie nachzulesen.

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Lathan, M. (2021). Empowerment: Das Subjekt entspricht seinen Bedingungen in praxi?. In: Emanzipatorische Subjektivität in der Psychologie . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33120-7_3

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