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Eine kritische Betrachtung der Gesetzwerdung des Kopftuchverbots in Volksschulen: Das muslimische Kopftuch holt Österreichs altbewährte Kooperationstradition auf den Prüfstand

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Kopftuch(verbot): Rechtliche, theologische, politische und pädagogische Perspektiven

Part of the book series: Wiener Beiträge zur Islamforschung ((WSI))

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag beginnt mit dem üblichen Problemaufriss bezüglich des Tragens eines Kopftuchs in Schulen und einem kurzen Abriss über die altbewährte Tradition der Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen und Religionsgemeinschaften, weshalb der rechtliche und theoretische Rahmen kursorisch dargelegt wird. Daran anschließend wird das mittlerweile vom VfGH aufgehobene Kopftuchverbot an Volksschulen anhand online zugänglicher Erläuterungen, Stellungnahmen und Berichterstattungen in Bezug auf die Frage analysiert, welche Positionen die handelnden Akteure vertraten und inwiefern die Beziehung zwischen Staat und IGGÖ im gegenständlichen Fall auf Kooperation basierte. Auf die Analyse folgt ein Versuch, einen alternativen realistischen und machbaren Lösungsansatz vorzuschlagen, der einem idealtypischen Kooperationsmodell in einem multikulturellen liberal-demokratischen Staat folgt.

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Notes

  1. 1.

    Die Gesetzesinitiatoren ersuchten in formeller Hinsicht, den Initiativantrag unter Verzicht auf eine 1. Lesung dem Unterrichtsausschuss zuzuweisen (Parlament 2018).

  2. 2.

    Für die IGGÖ als größte – sunnitisch dominierte – islamische Glaubensgemeinschaft und Vertreterin muslimischer Interessen statuiert Artikel 3 (1) ihrer Verfassung, dass „[b]ei allen Muslimen in Österreich, welche im Melderegister bei den Angaben zum Religionsbekenntnis ‚Islam‘ angegeben haben und nicht bereits einer anderen in der Republik Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft oder einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft angehören, […] die Mitgliedschaft bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft vermutet [wird]“. Nach Artikel 2 (1) ihrer Verfassung ist die Aufgabe der IGGÖ, „für die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu sorgen und die für diesen Zweck notwendigen Einrichtungen zu errichten, zu erhalten und zu fördern. Sie vertritt sämtliche Interessen ihrer Organe und ihrer Mitglieder in allen religiösen Belangen“ (IGGÖ 2020).

  3. 3.

    Unbestritten ist der besondere rechtshistorische Status der Katholischen Kirche samt ihren verschiedenen (konkordatären) völkerrechtlichen Absicherungen in diversen Angelegenheiten, so dass sie unter anderem in manchen Bereichen die Wirkung der Gesamtrepräsentanz für andere KuR entfaltet, wie etwa für die Wochenstundenanzahl des Religionsunterrichts.

  4. 4.

    KuR ordnen und verwalten ihre internen religiösen Angelegenheiten, wie insbesondere die Verkündung, Wahrung, Pflege und Verbreitung der Religion entsprechend der Glaubenslehre, die religiöse Betreuung, Erziehung und Ausbildung sowie die Schaffung notwendiger Einrichtungen, wie Erziehungsanstalten aller Art, die Ausbildung von ReligionslehrerInnen, Theologen, SeelsorgerInnen und ReligionsdienerInnen, oder die Erteilung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes etc. […] (IGGÖ 2020).

  5. 5.

    Prinzipiell genießen Bekenntnis, Lehre, Einrichtungen und Gebräuche von KuR prinzipiell gleichen staatlichen Schutz, sofern sie nicht mit gesetzlichen Regelungen in Widerspruch stehen; vgl. Artikel 15 Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 (StGG), RGBl. 142/1867 idF BGBl. 684/1988.

  6. 6.

    Z. B. die Anerkennung der IGGÖ im Jahr 1979, der Armenisch-Apostolischen Kirche im Jahr 1972, der Neuapostolischen Kirche im Jahr 1975, der Buddhistischen Religionsgesellschaft im Jahr 1983, der Syrisch-Orthodoxen Kirche 1988 etc.

  7. 7.

    Damit sich alle Gesellschaftsmitglieder an die Regeln des Zusammenlebens halten und sich in die Gesellschaft einbringen und Gläubige der verschiedenen Religionen als vollwertige Mitglieder des Gemeinwesens anerkannt werden, braucht es geeignete Rahmenbedingungen, die Partizipation sicherstellen (Halm, & Sauer 2017, S. 58).

  8. 8.

    Als Beispiele können die mit dem Außenministerium organisierten Imame-Konferenzen in den Jahren 2003, 2006 und 2010 in Wien und Graz, die Vereinbarung des ‚Fünf-Punkte-Pakets‘ zwischen der damaligen Unterrichtsministerin Claudia Schmied und dem damaligen Präsidenten Anas Schakfeh im Jahr 2009 oder die gemeinsame Initiative zum ‚Dialogforum Islam‘ im Jahr 2012 zwischen dem einstigen Staatssekretär für Integration (und späteren Bundeskanzler) Sebastian Kurz und dem einstigen Präsidenten der IGGÖ Fuat Sanac genannt werden.

  9. 9.

    „Das Tragen von Kopftüchern durch muslimische Mädchen (bzw. Frauen) fällt als religiös begründete Bekleidungsvorschrift unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 des Staatsgrundgesetzes 1867 bzw. Art. 9 der MRK. Das Schulunterrichtsgesetz hingegen kennt keine, diese im Verfassungsrang stehende Norm einschränkende Bekleidungsvorschrift. Eine Einschränkung religiöser Gebote steht außerkirchlichen Stellen nicht zu. Daher wäre auch ein allfälliger Beschluss des Schulgemeinschaftsausschusses bzw. des Schulforums, welcher das Tragen von Kopftüchern durch muslimische Mädchen im Unterricht per Hausordnung bzw. durch eine Verhaltensvereinbarung verbietet, rechtswidrig. Auf § 63a Abs. 17 bzw. § 64 Abs. 16 SchUG wird hingewiesen.“

  10. 10.

    Rund 300 Imame der IGGÖ unterzeichneten eine Deklaration gegen Extremismus und Terror (ORF 2017).

  11. 11.

    In der Studie ‚Soziale Survey Österreichs‘ über die Einstellung von 1.200 ÖsterreicherInnen zu MuslimInnen aus dem Jahr 2019 meinen zudem 70 %, dass der Islam nicht in die westliche Welt passe und 66 % sprechen sich dafür aus, dass MuslimInnen in der Schule kein Kopftuch tragen sollten. Und 45 % meinen, dass MuslimInnen nicht dieselben Rechte haben sollten wie die anderen MitbürgerInnen (Halm, & Sauer 2017).

  12. 12.

    In diesem Sinne ist auch die Gefahr des politischen Islam, insbesondere der Muslimbruderschaft, zu nennen, die „sich in viel weitergehenden Angelegenheiten der Bildung, der sozialen Fürsorge und der Ausgestaltung des kulturellen Lebens für Muslime in Österreich [engagiert]. Dies hat zum Ziel, ein umfassendes Gegenmodell zur bestehenden nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft in Österreich zu schaffen und ein ‚Aufgehen‘ (Assimilation) von Muslimen in dieser Gesellschaft zu verhindern“ (BMI 2018, S. 15).

  13. 13.

    ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Jahr 2015: „Der Islam gehört zu Österreich, der Islam ist Teil Europas“ (Kurier, 25.03.2018). Drei Jahre später ließ er die Frage offen und antwortete pragmatisch: „Rechtlich ist der Islam seit 1912 eine anerkannte Religion. Es herrscht Religionsfreiheit, jeder soll seiner Religion nachgehen“ (ebd.).

  14. 14.

    FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer im Jahr 2017: „Der Islam ist kein Teil unserer Kultur und kein Teil unserer Geschichte und wird es auch niemals sein!“ (FPÖ 2019b).

  15. 15.

    Bzgl. des Rechts auf Bildung auf Basis der Chancengleichheit (Art. 28) und der staatlichen Verpflichtung, dem Kind die „(c) Achtung vor seinen Eltern, seiner kulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten, den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, und gegebenenfalls des Landes, aus dem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als der eigenen zu vermitteln; (d) das Kind auf ein verantwortungsbewußtes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorzubereiten; (e) dem Kind Achtung vor der natürlichen Umwelt zu vermitteln“ (Art. 29); Übereinkommen über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993 idF BGBl. Nr. 437/1993.

  16. 16.

    Verfassungsgesetzlich Artikel 14 Abs. 5a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) und einfachgesetzlich § 2 Schulorganisationsgesetz (SchOG).

  17. 17.

    Initiativantrag 495/A, XXVI.GP, 22.11.2018 Begründung des Antrages, der in selbiger Form in § 43a Abs. 1 SchuG beschlossen wurde; vgl. BGBl. I Nr. 54/2019.

  18. 18.

    aura (Arabisch) bedeutet auf Deutsch Blöße bzw. nackte Haut.

  19. 19.

    Das Problem mit der Anpassung im Sinne von Assimilation und der Ablehnung von Multikulturalismus und Pluralismus ist, dass sie zu Ende gedacht zu diversen Formen der Diskriminierung, ethnischer Segregation, erzwungenen Bevölkerungsumsiedlungen, ethnischer Säuberung, territorialer und/oder institutioneller Trennung anderer durch Völkermord und physischer Vernichtung führt (Marko 2019, S. 4).

  20. 20.

    Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) meint diesbezüglich, „das Herausgreifen einer bestimmten Gruppe […] könnte sich nachteilig auf die Inklusion der betreffenden Gemeinschaft auswirken und zu einer intersektionellen Diskriminierung führen, die das erhebliche Risiko birgt, muslimischen Mädchen den Zugang zu Bildung zu erschweren und sie auszugrenzen“ (ECRI 2020, S. 14).

  21. 21.

    „Österreicher und Muslim zu sein, ist kein Widerspruch“ oder „Österreichisch-islamische Identität bedeutet gesellschaftliche, politische, ökonomische und kulturelle Partizipation“ (Mattes, & Rosenberger 2015, S. 146 f.).

  22. 22.

    Besondere Relevanz hat in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Tragen eines Kopftuchs von Lehrerinnen literarischer Fächer eingeschränkt werden kann und ob eine derartige Entscheidung Parallelgesellschaften vielmehr begünstigt als verhindert. Dazu dient der Fall Fereshta Ludin in Baden-Württemberg (vgl. BVerfG, 2 BvR 1436/02, 24.09.2003), einer Lehrerin, die jetzt in einer islamischen Grundschule in Berlin arbeitet. Der Staat muss sich bewusst sein, dass die Verbotspolitik Konsequenzen hat. Eine Konsequenz könnte die Etablierung einer Vielzahl islamischer Privatschulen sein. Kopftuchverbote sehen in Deutschland in jedem Bundesland anders aus (Spiegel 2018).

  23. 23.

    Die Frage, ab wann Religionsmündigkeit eintritt, wird unterschiedlich beantwortet. Im Islam tritt sie mit der Pubertät, nach staatlichem Gesetz mit der Vollendung des 14. Lebensjahres ein; vgl. § 5 Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung 1985, BGBl. Nr. 155/1985.

  24. 24.

    Die Oppositionsparteien verwiesen immer wieder auf die fehlenden Zahlen und sie blieben bei ihrer Ansicht, dass der Vorschlag unzureichende Symbolpolitik darstelle und es für eine erfolgreiche Integrationspolitik weitergehende Maßnahmen brauche, nämlich eine echte Politik für die Rechte der Frauen und für die Integration, also ein ganzes Paket von Maßnahmen, wie etwa Ganztagsschulen, denn man müsse „auf die Bildungschancen von Kindern an sich achten und die Frage der Integration nicht an einzelnen Symbolen festmachen“ (Parlament 2019a).

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Kramer, M. (2021). Eine kritische Betrachtung der Gesetzwerdung des Kopftuchverbots in Volksschulen: Das muslimische Kopftuch holt Österreichs altbewährte Kooperationstradition auf den Prüfstand. In: Ebrahim, R., Karagedik, U. (eds) Kopftuch(verbot): Rechtliche, theologische, politische und pädagogische Perspektiven. Wiener Beiträge zur Islamforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32897-9_2

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-32896-2

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