Zusammenfassung
Für den deutschsprachigen Raum ist bisher unbeantwortet, inwiefern wohnungs- und obdachlose Menschen Zugang zu digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien erhalten und wie ihnen diese nutzen. Anders als der Diskurs um die digitale Spaltung nahelegt, zeigt sich in der Verfügbarkeit sowie im Nutzungsverhalten zwischen Menschen mit und ohne Wohnung keine digitale Kluft: wohnungslose Menschen besitzen häufig ein Smartphone und nutzen es in ihrem Alltag. Dennoch ist die tatsächliche, kontinuierliche Verfügbarkeit digitaler Technologien sozial ungleich verteilt (1). Dabei können digitale Technologien die Teilhabe von Menschen ohne eigene Wohnung verbessern (2).
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Notes
- 1.
Eine quantitative Bezifferung der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen erfolgte bisher in Schätzmodellen. Wie schwierig diese Schätzung ist, zeigt sich beispielsweise darin, dass die Einführung eines neuen Schätzmodells der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe andere Hochrechnungszahlen für Wohnungslose in Deutschland (ohne Einbezug wohnungsloser Flüchtlinge) generierte: Wurde die Zahl im Jahr 2016 auf 422.000 geschätzt, so ergab das neue Schätzmodell für das Folgejahr 2017 etwas mehr als 234.000 Wohnungslose (im Hilfesystem) (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. 2017, 2019a, b).
- 2.
Auch wenn diese Unterscheidung sozialökonomisch relevant ist (vgl. FEANTSA 2006), ist sie wissenschaftlich häufig weniger nützlich, da sich die Situation von Menschen ohne eigene Wohnung mitunter häufiger ändert, oder weil verdeckte Formen der Wohnungslosigkeit keine Berücksichtigung finden. Für Fragen digitaler Ungleichheit, insbesondere nach Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Technologien, ist die Unterbringung in einer Einrichtung jedoch eine relevante Unterscheidung.
- 3.
Das Lehrforschungsprojekt wurde im Wintersemester 2017/2018 (n = 156) und im Sommersemester 2018 (n = 169) an der Technischen Hochschule Nürnberg durchgeführt. Vor digitalen Technologien, hatten der Zugang zu Wohnraum und die Möglichkeit, Privatsphäre herzustellen, oberste Priorität. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich gehen mit dem Zugang zu Wohnraum auch Zugang zu Strom und Internet einher.
- 4.
Entgegen anderen Diskursen, hatte in der Befragung der Zugang zur Infrastruktur (Strom und Internet) deutlich höheren Stellenwert als Kurse für das Erlernen von Kompetenzen. So hielten auch 82 % der Befragten Beratung bei der Bedienung für unwichtig.
- 5.
Das vom 01.08.2019 bis 31.07.2022 durchgeführte Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms Forschung an Fachhochschulen gefördert (Förderkennzeichen: 13FH519SX7).
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Rösch, B., Heinzelmann, F., Sowa, F. (2021). Homeless in Cyberspace? Über die digitale Ungleichheit wohnungsloser Menschen. In: Freier, C., König, J., Manzeschke, A., Städtler-Mach, B. (eds) Gegenwart und Zukunft sozialer Dienstleistungsarbeit. Perspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagement. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32556-5_24
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