Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die Bedeutung ethnischer Differenzierungen bei der Bewertung von Kandidaten im Kontext organisationaler Personalrekrutierung. Fokussiert werden öffentliche Verwaltungen, an die sich seit einigen Jahren die Forderung richtet, den Anteil der Beschäftigten mit ‚Migrationshintergrund‘ zu erhöhen. Auf Basis organisationssoziologischer Ansätze und anhand einer qualitativen Studie zur Rekrutierung von Nachwuchskräften in Berliner Verwaltungen geht der Beitrag dem Zusammenhang zwischen Personalentscheidungen, Bewertungen und ethnischen bzw. migrationsbezogenen Differenzierungen nach. Es wird gezeigt, dass migrationsbezogene Merkmale bei der Bewertung von Kandidatinnen zwar weiterhin formal nicht berücksichtigt werden, aber dennoch in verschiedener, auch ambivalenter Weise relevant werden. Ethnische Differenzierungen erfüllen dabei insbesondere eine Funktion für die Stabilisierung etablierter Verfahren und Routinen, indem sie Sicherheit und Legitimität stiften, was im Kontext neuer politischer Erwartungen an Bedeutung gewinnt.
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Im Folgenden werden abwechselnd männliche und weibliche Form oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet.
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Einen „Migrationshintergrund“ hat nach dem Statistischen Bundesamt eine Person, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“ (Statistisches Bundesamt 2018: 4).
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Während das ursprüngliche ökonomische Konzept davon ausgeht, dass sich Personalentscheidungen an objektivem Wissen über Produktivitätsdifferenzen orientierten (Phelps 1972), betonen soziologische und sozialpsychologische Ansätze, dass es sich um Stereotype handelt (Pager und Karafin 2009: 71; Midtbøen 2014: 1660 f.).
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Das Dissertationsprojekt untersuchte, inwiefern und wodurch sich – vor dem Hintergrund zunehmend durch Migration geprägter städtischer Bevölkerungen – der Zugang von Eingewanderten und ihren Nachkommen zur Beschäftigung in städtischen Verwaltungen verändert. Die Studie zeigt, wie im Zusammenspiel verschiedener Praktiken, Strukturen und Kontexte organisationaler Wandel hervorgebracht wird oder Ausschlüsse von Personen migrantischen Hintergrunds reproduziert werden.
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Die Einstellungszahlen variieren zwischen Verwaltungen. Ende der 2010er Jahre stiegen sie an, um den wachsenden Einstellungsbedarf zu decken. Neben Verwaltungsberufen, die das Gros der Auszubildenden ausmachten, wurden auch andere Berufe ausgebildet (z. B. Gärtner und Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste).
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Die Auswahl wurde vom Ausbildungsbereich durchgeführt, der als Teilbereich der „Serviceeinheit Personal“ einer Abteilung angehört, die in der Regel vom Bezirksbürgermeister geleitet wird.
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In Berlin gab es mehrfach politische Vorstöße für Zielvorgaben für Beschäftigte mit Migrationshintergrund u. a. für die Polizei. Sie wurden jedoch als unrechtmäßige Bevorzugung kritisiert und nicht umgesetzt (Lang 2019: 115–145). Das Kriterium der ‚interkulturellen Kompetenz‘ soll laut dem ‚Partizipations- und Integrationsgesetz‘ bei Einstellung und Aufstieg im Öffentlichen Dienst berücksichtigt werden, aber dies ist rechtlich nicht bindend.
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Bei fast allen Befragten mit Migrationshintergrund handelte es sich um Arbeiterkinder: Die Eltern hatten niedrige formale Bildung und berufliche Qualifikationen.
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Von ähnlicher Wertschätzung ihres ‚unerwartet‘ positiven Auftretens berichteten auch weitere Beschäftigte aus Einwandererfamilien.
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Lang, C. (2021). Der Wert des Migrationshintergrunds: Zur Bedeutung ethnischer Differenzierungen in der Personalrekrutierung öffentlicher Verwaltungen. In: Meier, F., Peetz, T. (eds) Organisation und Bewertung. Organisationssoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31549-8_9
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