Zusammenfassung
Der Beitrag geht der Bedeutung der Eltern-Kind-Interaktionen für die Beschreibung familialer Entwicklungsmilieus nach. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Bedeutung der Eltern-Kind-Interaktionen für die Entwicklungschancen der nachwachsenden Generation gelegt. Dabei werden unterschiedliche Ansätze der Erziehungs-, Sozialisations- und Familienforschung systematisiert, Methodologien und Forschungstrends verglichen und aus einer kritischen Perspektive bewertet. Dabei wird auch herausgearbeitet, dass bindungstheoretische Ansätze in der aktuellen Diskussion überbewertet, die vielfältigen (wechselseitigen) sozialen, individuellen oder neurobiologischen Einflussfaktoren auf Eltern-Kind-Interaktionen dagegen unterbewertet werden. Das Gleiche gilt für die Überbewertung der Bedeutung der frühen Lebensphasen im Gegensatz zu einer die gesamte Spanne der Entwicklung in Kindheit und Jugend fokussierenden Perspektive, die immer noch unterbewertet erscheint. Individuelle und soziale Einflussfaktoren auf die Eltern-Kind-Interaktion werden verglichen, womit abschließend für ein dynamisches Modell in der Betrachtung von elterlichem Verhalten und kindlichen Entwicklungsverläufen plädiert wird.
Peter-Ernst Schnabel ist im Jahr 2017 verstorben. Ohne eine Überarbeitung vorzunehmen, wird der Text des Autors hier wieder abgedruckt. Lediglich eine „Zusammenfassung“ und die Beschreibung der „Schlüsselwörter“ ist von den Herausgebern hinzugefügt worden.
Peter-Ernst Schnabel: deceased.
Peter-Ernst Schnabel (1943–2017) – bei den Kontaktdaten handelt es sich um Korrespondenzadressen der Herausgeber dieses Handbuchs.
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Notes
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Im Unterschied zu anderen, so genannten „Sozialisationsagenturen“ begleitet sie die Menschen als Herkunftsfamilie, eigene Familie und Familie der Kinder ein Leben lang, wobei die Herkunftsfamilie in Form der dort gesammelten Erfahrungen und in Person der immer länger lebenden Eltern einen z. T. erheblichen, nicht immer positiven Einfluss auf das Leben in der eigenen Familie und das eigene Wirken als Großeltern in der Familie der Kinder auszuüben vermag (Liegle und Lüscher 2008).
- 2.
Im Blick auf den sozialen Wandel und entsprechenden Entwicklungen innerhalb des familiären Sektors (s. hierzu auch den Beitrag von Hoffmeister in diesem Handbuch) soll im Folgenden mit der neueren Soziologie unter „Familie“ jeder soziale Ort verstanden werden, an dem Kinder unter der gleich- oder verschiedengeschlechtlichen biologischen und/oder sozialen Elternschaft einzelner oder mehrerer Personen aufgezogen und sozialisiert werden (Lüscher 2003).
- 3.
Hierzu haben Talcott Parsons mit seinem Konzept der struktur-funktionalen Rollenübernahme (s. Parsons in diesem Handbuch), Pierre Bourdieu mit seinem Habitus-Konzept (s. Bourdieu und den Beitrag von Hillebrandt in diesem Handbuch), George H. Mead (1934) mit seiner Identitätslehre, Jürgen Habermas (1981) mit seiner Theorie kommunikativen Handelns (s. auch den Beitrag von Geulen in diesem Handbuch), Peter Berger und Thomas Luckmann mit ihrer vom symbolischen Interaktionismus George H. Mead inspirierten Theorie der sozialen Konstruktion der Berger and Luckmann (1980) und Urie Bronfenbrenner mit seiner ökologischen Sozialisationsforschung (s. Bronfenbrenner in diesem Handbuch) wichtige und weiterführende Hintergrundtheorien erarbeitet, die in diesem Beitrag gelegentlich erwähnt, nicht aber inhaltlich ausgeführt, geschweige denn diskutiert werden können.
- 4.
Allerdings warnen Kritiker der Bindungstheorie u. a. wegen der relativ geringen Höhe der dabei gemessenen Zusammenhänge davor, den Einfluss früher Bindungserfahrungen auf das Sozialisationsgeschehen zu über- und den Einflusse späterer Erfahrungen zu unterschätzen (u. a. Meyer und Pilkonis 2008).
- 5.
Hier verstanden als analytisches Konstrukt, mit dem sich das immer noch in den Familien, aber auch von den anderen Sozialisationsagenturen (Kindergärten, Schulen, Ausbildungseinrichtungen) betriebene, früh beginnende Einschleusen der Kinder in geschlechtstypische Lebensentwürfe, insbes. Bildungsund Berufsbiografien, relativ gut beschreiben und kritisch bearbeiten lässt. Geändert hat sich an diesem Zurichtungsgeschehen allerdings, dass die dort vorgezeichneten Bahnen unter dem vor allem schichtspezifisch variierenden Einfluss von Familien und anderen Sozialisationsagenturen heute leichter verlassen werden können als früher.
- 6.
Von den insgesamt nicht mehr als einhundert vorliegenden internationalen Untersuchungen/Abhandlungen stammen zwei Drittel aus den USA und Großbritannien, kümmern sich – wie eine kürzlich (Carpacchio 2009) veröffentlichte Dissertation an der Universität München belegt – zu rd. 50 % um lesbische, zu etwa 15 % um schwule und 35 % um einen Vergleich beider Familienarten und fußen zu einem Drittel auf empirisch selbst erhobenen Daten.
- 7.
„Geborenere“ Wissenschaften, die sich mit dem Kommunikationsphänomen beschäftigen, sind immer noch die Linguistik (hauptsächlich die Sprechakt- und Diskursanalyse) die Kommunikationsund neuerdings die Medienwissenschaft. Seit den 1970er-Jahren interessieren sich aber auch die Sozialwissenschaften, die Entwicklungspsychologie, die Soziologie (vor allem Handlungs- und Systemtheorie) und neuerdings die Gesundheitswissenschaften (Gesundheitskommunikation) verstärkt für die Ergebnisse der Kommunikationsforschung.
- 8.
Unter „Urvertrauen“ versteht sein Entdecker, der US-amerikanische Tiefenpsychologe und Therapeut deutscher Herkunft, Erik H. Erikson (1968), ein Grundgefühl („basic trust“), das Kinder von Geburt an dafür entwickeln, welchen Menschen (Mutter, Vater u. a.) sie in bestimmten Situationen (An- und Abwesenheit) vertrauen können. Es ist für die Entwicklung von angstfreier Explorations- und Lernfähigkeit außerhalb des familiären Kontextes und eine damit einhergehende Affektkontrolle sowie die anschließenden Phasen der Ausbildung von Ich- und soziale Identität von grundlegender Bedeutung.
- 9.
Bemerkenswert, wenn auch für die in diesem Beitrag behandelte Thematik nur von nebensächlicher Bedeutung ist der Umstand, dass in Ländervergleichen (Gloger-Tippelt et al. 2000) das quantitative Vorkommen der einzelnen Typen (> „sicher gebunden = 65 % der US-amerikanischen“, aber nur 45 % der deutschen Mittelschichtkinder, „desorganisiert-desorientiert gebunden“ = 5 % in den USA, 20 % in Deutschland) stark variiert und Anlass dazu geben könnte, sich Fragen nach den individuellen und gesellschaftlichen Gründen und Folgen der Existenz familieninterner Interaktionskulturen zu stellen.
- 10.
In der von Paul Watzlawick und Mitarbeitern vorgegebenen Reihenfolge lauten sie: 1. Man kann nicht nicht kommunizieren, 2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, 3. Kommunikationsabläufe werden unterschiedlich strukturiert, 4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten, 5. Kommunikation verläuft entweder symmetrisch oder komplementär.
- 11.
Kritik, die an dieser optimistischen Position unter Hinweis auf die tatsächlichen Verhältnisse in diesen Einrichtungen geübt wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Praxis, an vorderster Front die der Sozialarbeit oder die der neuerdings um die Realisierung eines geradezu gigantischen Umlernprojekts bemühte Präventions- und Gesundheitsförderungspolitik (Bals et al. 2008) zeigt aber auch, dass es neben den Familien, Kindergärten, Schulen, Universitäten usw. aufgrund der ihnen eigenen Abschottungsund Selbsterhaltungsambitionen auch noch andere soziale Räume/Nischen (> Settings) gibt, in denen alternative Orientierungen und Verhaltensweisen entwickelt und vermittelt werden können.
- 12.
Neben klaren Befunden, die bei funktionierender Sozialisation in Familie und Schule Anlass zu einer gute Prognose bei Kindern und Schülern geben und bei gestörter Sozialisation Anlass zu eine schlechte Prognose hoch wahrscheinlich werden lassen, gibt es immer wieder eine hohe, entstehungs- und verlaufsanalytisch viel zu wenig erforschte Anzahl von Kindern/Schülern aus funktionierenden Kontexten mit schlechter und aus schlecht funktionierenden Kontexten mit guter Prognose.
- 13.
Vom französischen Philosophen und Aufklärer J. J. Rousseau (1976/1998) stammt einer der ersten und einfachsten Versuche, zwischen einer positiven, der eigentlichen Natur des Menschen förderlichen und einer negativen, Zivilisationseffekte überbetonenden Erziehung zu unterscheiden. Die US-Amerikaner Lewin, Lipitt und White (1939) experimentierten mit einer Dreierskala von ihnen als „autokratisch“, „demokratisch“ und „laissez faire“ benannten Stilen, um bestimmte soziale Klimata zu erzeugen. Diana Baumrind (1971) entwickelte eine Vierermatrix (autoritär, autoritativ, permissiv, vernachlässigend), während Glen H. Elder (1962) mit einer Achterskala (autokratisch, autoritär, demokratisch, egalitär, permissiv, laissez-faire, negierend) an die Grenzen dessen stieß, was ein auf analytische Trennungsschärfe zielendes Instrumentarium zu leisten vermag. Neuere Klassifizierungsversuche nehmen regelmäßig Bezug auf diesen, hauptsächlich in den 1960er- und 1970er-Jahren ausgearbeiteten Kategorienmix (Ecarius 2007).
- 14.
Dies hat es in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon einmal gegeben, als es unter dem Eindruck des „Sputnick-Schocks“ und einer von dem deutschen Pädagogen G. Picht (1965) erstmalig ausgerufenen „Bildungskatastrophe“ gefiel, die Bildungsreserven der Unterschichten durch den Ausbau von Schulen, Universitäten und die Reform der Lehrerausbildung relativ erfolgreich zu mobilisieren. Unter dem Eindruck des aktuellen Fachkräftemangels in der deutschen Wirtschaft und vergleichbaren regierungspolitischen Konstellationen könnte sich ähnliches wieder ereignen.
- 15.
Zu den bekanntesten unter Sozialwissenschaftlern diskutierten gehören das fünfstufige Modell der kognitiven Entwicklung des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget, das dreistufige Modell der moralischen Entwicklung des US-Amerikaners Lawrence Kohlberg und das achtstufige Modell der psychosozialen (Persönlichkeits-)Entwicklung des US-amerikanischen Psychotherapeuten deutscher Herkunft, Erik H. Erikson.
- 16.
Das hat vor allem mit eingeschliffenen Traditionen im Umgang mit sozialen Problemen, u. a. mit Krankheit, ebenso zu tun, wie mit der professionellen Dominanz kontrollambitionierter und kriseninterventionistisch-kurativ orientierter Sozialpolitiker und Mediziner, dem geltenden Sozial- und Versorgungsrecht und den über Jahrhunderte hinweg gewachsenen Politik- und Versorgungsstrukturen sowie mit einer Forschungspolitik zu tun, die vor allem Projekte zur Untersuchung von Problemen (Fehlentwicklungen, Krankheiten), kaum aber zur Untersuchung von Normalität und Gesundheit finanziert.
- 17.
Über „Indikatoren“, die sich von Determinanten dadurch unterscheiden, dass ihre Wirkungen in kontrollgruppenorientierten Untersuchungen, die der komplexen Materie wegen möglichst Längsschnittstudien sein sollten, empirisch nachgewiesen worden ist, verfügen wir noch nicht (Schnabel 2011).
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Schnabel, PE. (2022). Eltern-Kind-Interaktionen. In: Bauer, U., Bittlingmayer, U.H., Scherr, A. (eds) Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie. Bildung und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30903-9_71
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