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Die konservative Schule. Die soziale Chancenungleichheit gegenüber Schule und Kultur

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Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie

Part of the book series: Bildung und Gesellschaft ((BILDUNGUG))

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Zusammenfassung

Pierre Bourdieus erstmals im Jahr 1966 im französischen Original publizierter Text ist Ausweis seiner frühen Beschäftigung mit der Rolle des Schul- und Bildungssystems für die Reproduktion sozialer Ungleichheit. Bourdieu entwickelt hier einen empirisch geleiteten Blick auf die Chancenverteilung im Bildungsbereich und wendet sein Konzept des kulturellen Kapitals für die Erklärung von sozialen Ungleichheiten des Bildungserwerbs an. Bourdieu argumentiert, dass Bildungs- und Kulturangebote zwar formal für alle Gruppen der Bevölkerung zugänglich, faktisch aber durch Sprachcodes und kulturelle Formen sozial höchst selektiv sind. Bourdieus späteres Verständnis der Funktion des Habitus kündigt sich hier an, ist aber noch nicht vollständig entwickelt. Es handelt es sich damit um einen Grundlagentext, an den spätere ungleichheitssoziologische Studien anschließen.

„Die konservative Schule. Die soziale Chancenungleichheit gegenüber Schule und Kultur“, aus: Pierre Bourdieu, Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik. Schriften zu Politik & Kultur 4. Hrsg. von Margareta Steinrücke. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder, Franz Hector und Joachim Wilke. VSA: Verlag Hamburg 2001 (unveränderter Nachdruck 2021).

Pierre Bourdieu (1930–2002) – bei den Kontaktdaten handelt es sich um eine Korrespondenzadresse der Herausgeber dieses Handbuchs.

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Notes

  1. 1.

    Siehe P. Bourdieu/J.C. Passeron, Les héritiers. Editions de Minuit, 1964, S. 14–21; deutsch in: dies., Die Illusion der Chancengleichheit, Stuttgart, 1971, Teil I, S. 19 ff.

  2. 2.

    Clerc, P., La famille et l’orientation scolaire au niveau de la sixième. Enquête de juin 1963 dans l’agglomération parisienne, Population (4), août-sept. 1964, S. 637–644.

  3. 3.

    S. P. Bourdieu et J.C. Passeron, Les étudiants et leur études, deuxième partie, pp. 96–97.

  4. 4.

    P. Clerc, Nouvelles données sur l’orientation scolaire au moment de l’entrée en sixième (II). Les élèves de nationalité étrangère. Population, oct.-déc., 1964, S. 871.

  5. 5.

    P. Clerc stellt fest, dass die Überwachung der Schularbeiten durch die Eltern um so häufiger ist, je höher der Rang in der sozialen Hierarchie ist, ohne dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der elterlichen Intervention und dem Schulerfolg bestünde (a. a. O., Anm. 2, S. 635–636).

  6. 6.

    S. P. Bourdieu, J. C. Passeron und M. de Saint-Martin, Les étudiants et la langue d’enseignement, in: Rapport pédagogique et communication, Paris, La Haye, Mouton, 1965 (Cahiers du Centre de Sociologie Européenne, 2).

  7. 7.

    Sehr oft gibt es eine Übereinstimmung zwischen den von den Eltern vor Abschluss des fünften Schuljahres zum Ausdruck gebrachten Wünschen, den rückblickend zur Wahl dieses oder jenes Schultyps geäußerten Meinungen und der tat sächlich getroffenen Entscheidung. „Der Ehrgeiz, das Kind aufs Gymnasium gehen zu lassen, wird bei weitem nicht von allen Familien geteilt“, schreibt P. Clerc. „Nur drei von zehn Familien, deren Kind die Grundschule beendet hat oder die Realschule besucht, äußern sich positiv“, und zwar unangesehen des bisherigen Erfolgs ihres Kindes, (a. a. o., S. 655–659).

  8. 8.

    A. Girard/H. Bastide, La stratification sociale et la démocratisation de l’enseignement. Population, juillet-septembre 1963, S. 443.

  9. 9.

    Clerc, P. a. a. O., S. 666.

  10. 10.

    S. P. Bourdieu und A. Darbel, La fin d’un malthusianisme, in: DARRAS, Le partage des bénéfices, Edition de Minuit, 1966.

  11. 11.

    Den nach Milieus unterschiedlichen Einfluss der Familiengröße auf den Besuch des Sekundarunterrichts analysierend, schreiben A. Girard und H. Bastide: „Zwei Drittel der Kinder von Angestellten oder Handwerkern und Kaufleuten gehen in die Sexta, und bei den Kindern aus kleinen Familien mit einem oder zwei Kindern liegt der Anteil noch höher“. Von den Kindern kinderreicher Familien dieser Gruppen (vier und mehr Kinder) aber besuchen nicht mehr Kinder die Sexta als Kinder aus Arbeiterfamilien mit zwei oder drei Kindern (a. a. O., S. 458, Hervorhebung von P. Bourdieu).

  12. 12.

    Dieses System einer Erklärung durch die allgemeine Wahrnehmung der objektiven und kollektiven Chancen beruht auf der Voraussetzung, dass die wahrgenommenen Vor- und Nachteile das funktionale Äquivalent der effektiv erfahrenen oder objektiv verifizierten Vor- und Nachteile sind, insofern sie auf das Verhalten den gleichen Einfluss ausüben. Was nicht heißt, dass die objektiven Chancen in ihrer Bedeutung unterschätzt würden. In der Tat zeigen alle wissenschaftlichen Beobachtungen in ganz verschiedenen sozialen und kulturellen Situationen eine starke Korrelation zwischen den subjektiven Erwartungen und den objektiven Chancen und eine Tendenz der letzteren, die Einstellungen und die Verhaltensweisen, vermittelt durch die ersteren, effektiv zu verändern, (s. P. Bourdieu, Travail et travalleurs en Algérie, Monton), 1962, 2. Teil, S. 36–38; Cloward, Richard A., und Lloyd E. Ohlin, Delinquency and Opportunity: A theory of delinquant gangs, New York, Free Press of Glencoe, 1960; Schrag, Clarence, Delinquency and opportunity: Analysis of a Theory, Sociology and Social Research (46), January 1962, S. 167–175.

  13. 13.

    Kurt Lewin, Zeitperspektive und Moral, in: Die Lösung sozialer Konflikte, Christian Verlag Bad Nauheim, 1953, S. 166.

  14. 14.

    S. a. a. O., S. 172.

  15. 15.

    S. a. a. O., S. 167.

  16. 16.

    S. P. Clerc, a. a. O., S. 646.

  17. 17.

    Die individuellen Karriereperspektiven und damit die Einstellungen gegenüber der Schule werden anscheinend von einer sozialen Definition des vernünftigerweise zu erreichenden Abschlusses bestimmt. Offensichtlich variiert diese soziale Definition der Klassenzugehörigkeit entsprechend. Für die Angehörigen der unteren Schichten der Mittelklassen scheint das Abitur auch heute noch der normale Schulabschluss zu sein – infolge eines kulturellen Trägheitseffektes und eines Informationsmangels, aber wohl auch, weil die unteren und mittleren Angestellten mehr als alle anderen Gelegenheit zu der Erfahrung haben, welch eine wirksame Aufstiegsbarriere ein fehlendes Abitur ist. Für die oberen Schichten der Mittelklassen und die Oberklassen hingegen wird es anscheinend immer mehr zu einer Art Zulassungsprüfung fürs Studium. Diese Vorstellung von der schulischen Laufbahn mag eine Erklärung dafür sein, warum die Kinder von unteren und mittleren Angestellten in besonders hohem Maße auf eine Fortsetzung der Ausbildung über das Abitur hinaus verzichten.

  18. 18.

    Siehe P. Bourdieu, J. C. Passeron und M. de Saint-Martin, a. a. O. Um den Einfluss des sprachlichen Kapitals vollständig zu erfassen, müsste man durch experimentelle Untersuchungen, analog den Bernsteinschen, feststellen, ob signifikante Zusammenhänge bestehen zwischen der Syntax der gesprochenen Sprache (z. B. ihrer Komplexität) und dem Erfolg auf anderen Gebieten als dem des Philologiestudiums (wo der Zusammenhang belegt ist), wie etwa der Mathematik.

  19. 19.

    S. V. Isambert-Jamati, La rigidité d’une institution: structure scolaire et systèmes de valeurs, in: Cahiers du Centre de Sociologie Européenne, 2 (1965), S. 306.

  20. 20.

    Desgleichen berücksichtigen die Beurteilungen der Schüler durch die Lehrer, die durchdrungen sind von den Werten der Mittelklassen, denen sie angehören und denen sie immer häufiger entstammen, stets die ethische Färbung der Einstellung und des Verhaltens der Schüler ihnen und den Fächern gegenüber.

  21. 21.

    Im Zentrum der allertraditionellsten Definition von Kultur steht gewiss die Unterscheidung zwischen dem Inhalt der Kultur (im Sinne von verinnerlichter objektiver Kultur) oder, wenn man so will, das Wissen und die charakteristische Form des Besitzes dieses Wissens, die ihm erst seine volle Bedeutung und seinen ganzen Wert verleiht. Was das Kind eines kultivierten Milieus erbt, ist nicht nur Kultur (im objektiven Sinne), sondern ein bestimmter Stil der Beziehung zur Kultur, der gera de aus dem Erwerbsmodus dieser Kultur resultiert. Die Beziehung eines Individuums zu den kulturellen Werken (und die Modalität all seiner kulturellen Erfahrungen) ist deshalb mehr oder weniger „ungezwungen“, „brillant“, „natürlich“ bzw. „schwerfällig“, „angestrengt“, „angespannt“, je nachdem unter welchen Bedingungen es eine Kultur erworben hat. Das osmotische Lernen in der Familie begünstigt eine Erfahrung der „Vertrautheit“ (die Quellen der charismatischen Illusion), die das schulische Lernen niemals in gleichem Maße vermitteln kann. Man sieht, dass die Schule, indem sie den Akzent auf die Beziehung zur Kultur setzt und den aristokratischen Stil dieser Beziehung (die Ungezwungenheit und die Brillanz) besonders hoch bewertet, die am meisten Begünstigten begünstigt.

  22. 22.

    certitudo sui, lat. Selbstgewissheit, Selbstsicherheit (Anm. d. Hrsg.).

  23. 23.

    dissertatio de omni re scibili, Abhandlung über alle erdenklichen Wissensinhalte (Anm. d. Hrsg.).

  24. 24.

    Der Widerstand der Professoren gegen jeden Versuch einer rationaleren Prüfungsgestaltung und die zu diesem Zweck vorgeschlagenen Untersuchungen (man denke an den indignierten Protest, hervorgerufen von der Befragung mittels geschlossener Fragebögen) speist sich unbewusst aus demselben aristokratischen Ethos wie die Ablehnung der Pädagogik, wiewohl er in der rituellen Anprangerung einer drohenden Technokratisierung sein „demokratisches“ Alibi findet.

  25. 25.

    Kann der Druck der wirtschaftlichen Nachfrage entscheidende Veränderungen erzwingen? Vorstellbar wäre, dass es den Industriegesellschaften gelänge, ihren Bedarf an Führungskräften zu decken, ohne die Rekrutierungsbasis des höheren Schul- und vor allem des Hochschulwesens beträchtlich zu erweitern. In der Tat mag es, wenn man nur in terms von Kosten oder, wenn man so will, der formalen Rationalität argumentiert, vorzuziehen sein, sich bei der Rekrutierung, den Imperativen schulischer Gerechtigkeit zuwider, auf die Klassen zu beschränken, deren soziale Kultur der Schulkultur am nächsten steht, und sich auf diese Weise das Unterfangen einer allgemeinen Akkulturation zu ersparen.

  26. 26.

    Das Theaterpublikum weist eine ganz ähnliche Struktur auf, und auch das Kino wird, wiewohl der Film als eher populäre Kunst gilt, je nach Klassenzugehörigkeit unterschiedlich häufig besucht. So sind 82 % der leitenden Angestellten und Freiberufler, 74 % der Angestellten, 67 % der Arbeiter und 64 % der Kleinunternehmer regelmäßige Kinobesucher (s. Pierre Guetta), Le cinéma, moribond ou malade, L’Expansion de la Recherche scientifique (21), déc. 1964, S. 3.

  27. 27.

    Das Spiel der verbalen Analogien lässt einige von „Neigungen“, dieses oder jenes Kulturgut zu „konsumieren“, sprechen, wie sie von „Kulturkonsum“ sprechen. Die Aspirationen (wie die Erhebung sie erfasst) von den sie prägenden wirtschaftlichen und sozialen Konditionierungen trennen, heißt, den Stand der Dinge zu sanktionieren und, indem man sich das Angeben und das Anprangern der Ursachen versagt, sich das Erforschen der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen eines anderen Typs von Aspirationen zu versagen.

  28. 28.

    Bourdieu, P. und A. Darbel, L’amour de l’art, les musées et leur public, Paris, Editions de Minuit, 1966.

  29. 29.

    Platon, Sämtliche Werke, Band II, S. 402, Heidelberg, Lambert Schneider.

  30. 30.

    S. Skodak, Marie, Children in foster homes. A study of mental development, in: Studies in childwelfare, University of Iowa Studies, vol. XVI, nr. I, Januar 1939, S. 1–156; Wellmar, B., „The Fickle IQ“, Sigma Xi Quarterly, 28 (2), 1940, pp. 52–60.

  31. 31.

    Ohne von den Schwierigkeiten einer präzisen Messung der Mobilität zu reden und ohne an die Diskussionen um die Wahl des Ausgangspunktes der Laufbahn des Vaters und des Sohnes zu erinnern, den es zu berücksichtigen gilt, wenn der Vergleich zutreffend sein soll, muss man zumindest darauf hinweisen, dass, wie Bendix und Lipset bemerken, „vollkommene Mobilität“ (im Sinne einer vollkommenen Angleichung der Mobilitätschancen) und „maximale Mobilität“ nicht notwendig miteinander zusammenhängen, und dass man zwischen erzwungener „Rigidität“ oder „Mobilität“ und gewollter „Rigidität“ oder „Mobilität“ unterschieden muss.

  32. 32.

    Man müsste auch die unterschiedlichen Chancen zu sozialem Aufstieg bei identischer Nutzung der institutionellen Mittel in Rechnung stellen. Man weiß nämlich, dass bei gleichem Ausbildungsniveau Individuen mit Herkunft aus unterschiedlichen sozialen Klassen mehr oder weniger hohe Niveaus der sozialen Hierarchie erreichen.

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Bourdieu, P. (2022). Die konservative Schule. Die soziale Chancenungleichheit gegenüber Schule und Kultur. In: Bauer, U., Bittlingmayer, U.H., Scherr, A. (eds) Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie. Bildung und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30903-9_17

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