Zusammenfassung
Emotionen erfüllen innerhalb politischer Sprechakte eine ganze Fülle von bedeutenden Funktionen. So dienen sie etwa als Motivatoren und Initiatoren aber auch als Bewertungs-, Strukturierungs- und Überzeugungsmittel. Dennoch führen sie neben der Rationalität meist ein Schattendasein innerhalb politischer Diskurse, wenn es um die Analyse und Beurteilung politischer Sprache geht. Ein Grund hierfür könnte das Fehlen einer soliden Untersuchungsmethode sein, mit deren Hilfe sich Formen der Emotionalität zielgerichtet analysieren ließen. Der vorliegende Beitrag hofft dem entgegenzuwirken, indem er einen empirisch erprobten Verfahrensansatz zur Rekonstruktion und Interpretation textlich gebundener Emotionalität zur Diskussion stellt.
Bei dem nachfolgend beschriebenen Verfahren handelt es sich um eine überarbeitete Version. Der original Ansatz wurde im Rahmen meines Promotionsvorhabens entwickelt und dargestellt (vgl. Schröder 2020, 349–388.)
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Notes
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So ist dem Phänomen der Emotionen in Kreisen der Politikdidaktik vor allem von den Nestoren des Faches „[a]ngesichts offenkundiger Gefahren des Mißbrauchs“ (Sutor 1999, 109) nicht selten recht skeptisch begegnet worden.
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Der Term emotionale Korrelate soll zum Ausdruck bringen, dass innerhalb von Phänomenen eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Facetten von Emotionalität vorliegen kann. Hierzu zählen z. B. neben Emotionen auch Affekte oder Stimmungen. In Textdokumenten finden sich zudem unterschiedliche Ebenen auf denen verschiedene Facetten von Emotionalität eine Rolle spielen können. So kann grundsätzlich zwischen einer Produzent*innen und einer Rezipient*innen Ebene unterschieden werden, auf denen Emotionalität ganz unterschiedlich zum Ausdruck kommen kann. Der Term emotionale Korrelate beschreibt diese Mannigfaltigkeit in Gänze, ohne sie im einzelnen auszudifferenzieren.
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Dennoch soll hier bereits kritisch angemerkt werden, dass der nachfolgend beschriebene Ansatz in der Forschungspraxis bislang lediglich in einem Untersuchungsfall erprobt werden konnte. Seine generelle Tauglichkeit muss sich daher erst noch beweisen.
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Unter Codes oder auch Kodierkategorien, wird hier die Festlegung von Sammelgriffen verstanden, denen inhaltsgleiche oder- verwandte Aussagen einer Thematik zugeordnet werden können. Im Sinne von Kuckartz (2007, 62) sind sie dabei als „Werkzeuge zur Phänomenklassifizierung“ zu verstehen.
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Emotionale Implikationen betreffen den sozial, emotional wahrnehmbaren Aussagesinn etwa eines Textes.
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Vergleiche für den in der objektiven Hermeneutik zentralen Begriff der Struktur die diesbezüglichen Ausführungen von Jo Reichertz (1995, 223 ff.).
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Ohnehin ist die Dechiffrierung von spezifischen Emotionen bis heute mit enormen methodischen Schwierigkeiten verbunden, so steht in der Fachwelt bislang kein Instrumentarium für eine gesicherte Diagnose von Emotionen zur Verfügung.
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Es ist allgemein anzumerken, dass innerhalb der sog. Objektiven Hermeneutik nicht ein in sich konsistentes und konsensuelles Analyseverfahren existiert. So unterscheidet alleine Reichertz fünf verschiedene, objektiv hermeneutische Verfahren der Textinterpretation: „Die summarische Interpretation eines Textes unter Heranziehung eines breiten Kontextwissens“, „Die Feinanalyse eines Textes auf acht unterschiedlichen Ebenen“, „Die Sequenzanalyse jedes einzelnen Interpretationsbeitrages“, „Die ausführliche Interpretation der objektiven Sozialdaten“ und „Die Adaption der Begrifflichkeit der objektiven Hermeneutik, ohne allerdings das Verfahren anzuwenden.“ (Reichertz 1995, 225).
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Bei den nachfolgenden Lesarten handelt es sich lediglich um eine Auswahl, wobei explizit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.
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Als affektive Überschüsse werden hier Phänomene bezeichnet, welche besonders deutlich Emotionalität zum Ausdruck bringen und dabei im Verdacht stehen Affekte darzustellen. Ihr typisches Merkmal ist im Allgemeinen die Übertreibung, wobei ein weniger gewichtiger Termin durch einen extremeren ersetzt wird.
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Als Toposverstoß wird hier in Anlehnung an Hanke (2016, 135) „die Verletzung gesellschaftlicher Normen, deren Gegenstücke in der Sprache die Topoi darstellen“ betrachtet. Manfred Kienpointner (2008, 703) fasst dies pointiert wie folgt zusammen: „Wenn durch bestimmte Handlungen negative Folgen verhindert werden, müssen diese Handlungen vollzogen werden.“ – tut man dies nicht, begeht man einen Toposverstoß, indem man hegemoniale gesellschaftliche Werte- und Normen verletzt.
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Eine Orientierung an den lexikalischen Wortbedeutungen des deutschen Online-Dudens erscheint dabei vor dem Hintergrund zu rechtfertigen, dass dem Duden nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1955, zeitweise die Deutungshoheit über die finalen Rechtschreibregeln in der Bundesrepublik zugesprochen wurde und die orthographische und inhaltliche Wortdeutung des Dudens bis heute allgemeine Anerkennung erfährt (vgl. Gür-Şeker 2012, 491 f.).
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Schröder, H. (2020). Ansatz zur Rekonstruktion textlich gebundener Emotionalität (ARtE). In: Juchler, I. (eds) Politik und Sprache. Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30305-1_6
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