Zusammenfassung
Die Grundlagen der theoretischen Identitätsforschung bilden den Einstieg in die Befassung mit Identität als Arbeit und Prozess der Findung und Wandlung, aber auch der Typisierung. Vor diesem Hintergrund wird Identität ebenfalls als (aktive) Subjektpositionierung verständlich – als solche wird sie in neueren Literaturen zunehmend beschrieben. (Neuere) gesellschaftliche Bedingungen markieren sozialstrukturelle Voraussetzungen für das Besprechen und Verhandeln von Identität – nicht zuletzt auch zeitdiagnostisch inspiriert. Spezifischer auf Sozialstrukturen aufruhend sind die Besprechungen von Identität als Phänomen in der Mittelschicht, bei Überschuldung, und im Paar oder in der Familie. In diesen Teilbereichen und im Mix der Konstellationen wird Identität hergestellt. Sie ist und bleibt krisenhaft eben aufgrund ihrer grundlegenden Aushandelbarkeit.
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Notes
- 1.
Ähnlich kann Identität unter der Überschrift ‚sich in den Augen der anderen betrachten‘ mit Klassikern wie z. B. Mead theoretisch unterfüttert werden. Mead kann der Theorierichtung des Symbolischen Interaktionismus zugerechnet werden. Er stellt mit seinem Werk ‚Geist, Identität, Gesellschaft‘ soziologischer und sozialpsychologischer Identitätstheorie eine Grundlage zur Verfügung. Identitätsentwicklung und aktive Veränderung geschieht in der Interaktion und Kommunikation mit dem sozialen Gegenüber. Signifikante Symbole als Träger sprachlicher Kommunikation im Sinne geteilten Wissens einer sozialen Umgebung, erlauben es Menschen sich einerseits als Objekte der Kommunikation mit anderen zu betrachten und Erwartbares in der Kommunikation mit anderen zu antizipieren um es in strategisches Tun einfließen zu lassen. Ausgehandelt wird darüber nicht nur ein nächster Handlungsschritt, sondern kontinuierliche und wandelbare Identität.
- 2.
Strauss verwendet den Begriff des Status (Statusarten, Statustypen), wenn er Dimensionen der Identitätsherstellung und Aufrechterhaltung (bis hin zum Statuszwang) anspricht (vgl. Abels 2006, S. 347 f).
- 3.
Siehe Abschn. 3.4.
- 4.
Diese fragt danach „wie Subjekte, hineingeboren in eine historisch und sozial vorgedeutete Welt, diese Welt permanent neu deuten und somit auch verändern“ (Reichertz und Schröer 1994, S. 59). Analysegrenzen von subjektiv gemeintem Sinn, sozialem Handeln oder handlungsgenerierende Tiefenstrukturen werden damit aufgebrochen (Hirseland 1995, S. 126).
- 5.
Das Konzept der Erlebnisgesellschaft kann hier gesellschaftsbeschreibend z. B. um das Konzept der Erwerbsarbeitsgesellschaft oder Wissensgesellschaft erweitert werden.
- 6.
- 7.
Beck und Sopp (1997) haben hier insbesondere die 90er Jahre in Deutschland vor Augen.
- 8.
Dieser Begriff ist Schelsky entliehen. Beck grenzt sich von dieser Gesellschaftsbeschreibung ab, indem er den sog. ‚Fahrstuhleffekt‘ im Zuge von Individualisierungsprotzessen mitdenkt (vgl. Beck 1986, S. 142).
- 9.
- 10.
Fremd sind sich die Menschen in einer Paarbeziehung/Ehe deswegen, weil sie „aus unterschiedlichen Gesprächsbereichen kommen. Sie haben keine gemeinsame Vergangenheit“ (Berger und Kellner 1965, S. 223).
- 11.
In diesem Zusammenhang ist auf die methodologische Perspektive Honers auf so genannte ‚kleine Lebenswelten‘ zu verweisen: Honer (2011).
- 12.
Die Identitätsbildung ist nach Erikson grundsätzlich nach der Phase der Adoleszenz abgeschlossen (Krappmann 1997, S. 66 ff.).
- 13.
Reflexive Modernisierung grenzt sich ab von der linearen „Weiter-So-Modernisierung“ (Beck 1996, S. 23) der ersten Moderne, jedoch propagiert sie keine neue Moderne, d. h. Postmoderne. Nicht notwendigerweise selbstreflexiv jedoch in einem Prozess der Selbsttransformation werden Strukturen nationalstaatlicher Industriegesellschaften verschoben und umgearbeitet (Beck 1996, S. 19 ff.).
- 14.
Erwerbsarbeit, z. B. stellt trotz offensichtlicher Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung von Vollbeschäftigung immer noch eine der wichtigsten Identifikationsvariablen dar. Identität über Netzwerke herzustellen wird ebenso zunehmend essentiell. Kulturelle Identität, als weitere Identität insgesamt wesentlich mitbestimmende Variable, scheint auch in einer pluralisierten Welt einen Orientierungspunkt anzubieten (Keupp und Höfer 1997, S. 169 ff.).
- 15.
Die Forschungen der Psychologie zum individuellen Umgang mit Krisen sind als Ideengeber wertvoll insbesondere um Bedingungen zu erkennen, die situativ kurzfristig oder auch längerfristig zu einem spezifischen Umgang mit dem speziellen Phänomen der Überschuldung beitragen. Dazu kann in einer biografischen Betrachtung das Erfragen von (guten oder schlechten) Beziehungen, Erziehung in der Herkunftsfamilie oder Ähnliches zählen.
- 16.
Siehe auch Ausführungen zu den Coping-Modellen in Abschn. 2.2, Unterpunkt ‚Überwindung von Überschuldung‘.
- 17.
Vgl. Reichertz 2003.
- 18.
Nimmt man Bezug auf die im Beitrag von Balz besonders hervorgehobene Resilienzforschung, ist in Abgrenzung zu der Psychologie noch eine andere Klärung der Untersuchungslogik des vorliegenden Projekts nötig: die Einordnung von Resilienz als z. B. „psychische Widerstandsfähigkeit“ (Balz 2008, S. 430) kann in einer wissenssoziologisch-hermeneutisch angeleiteten Forschung (hier zum Umgang mit Insolvenz) lediglich ein mögliches Ergebnis darstellen, aber nicht der Ausgangspunkt für die Untersuchung sein. Dass Untersuchungspersonen sich im Sinne der Resilienztheorie dadurch auszeichnen, dass sie „trotz prekärer Lebensumstände eine normale/gesunde Entwicklung nehmen“ (Balz 2008, S. 419), ist des Weiteren mit soziologischer Skepsis zu begegnen: Bezogen auf die Frage des Umgangs von Untersuchungspersonen mit der Insolvenz stellt sich die Frage was denn normal sein kann bzw. wir müssen uns von einer irgendwie (möglicherweise diskursiv) vorhandenen Norm des Umgangs mit Insolvenz distanzieren.
- 19.
Zu den institutionalisierten Ordnungen gehören hier Markt, Beruf und Erwerbsarbeit, Staat als Sozialstaat oder Rechtsstaat, Familie, Paarbeziehung etc.
- 20.
- 21.
Z. B. Böhnisch et al. (2001).
- 22.
Basisprämissen von Institutionen sind in der sogenannten Zweiten Moderne Wandlungen unterworfen, siehe z. B. Beck et al. (1996).
- 23.
Der Ausdruck ‚prekäre Institutionen‘ ist von Turner (2006) entliehen. Er bezeichnet dort in anderem Kontext Institutionen von Natur aus als prekär, weil konstruiert: „The vulnerability of our everyday world is connected to a sociological understanding of the precarious nature if institutions“ (Turner 2006, S. 27).
- 24.
- 25.
Zum Überblick bzgl. Pragmatismus und Symbolischem Interaktionismus als Philosophien, die in soziologische Forschungstraditionen eingehen siehe Joas (1988).
- 26.
„Sobald der Mensch über das Nacheinander seiner Erlebnisse nachdenkt, versucht er, ihren Sinn einem biographischen Zusammenhang einzufügen (…) der Hang Bedeutung zu integrieren, kann auf einem psychologischen Bedürfnis beruhen, das seinerseits vielleicht physiologisch begründet ist“ (Berger und Luckmann 1969, S. 68).
- 27.
Zuweilen auch mit Konkurrenzwissen bzw. Konkurrenzwirklichkeiten (vgl. Berger und Luckmann 1969, S. 158).
- 28.
‚Wohlverhalten‘ ist ein Begriff, der im Rahmen der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) eine zentrale Rolle spielt, die an die Insolvenzphase anschließen kann. Um die Restschuldbefreiung zu erlangen, muss der Schuldner/die Schuldnerin in der Wohlverhaltensphase (sechs Jahre) bestimmte Pflichten erfüllen, z. B. einer geregelten Arbeit nachgehen sowie keine neuen Schulden verursachen (z. B. Winter und Müller 2008, S. 128). Das deutsche sogenannte ‚Haftungsmodell‘ mit ‚Wohlverhaltensphase‘ steht anderen Modellen wie dem ‚Marktmodell‘, dem ‚restriction model‘ oder dem ‚mercy-model‘ anderer Länder gegenüber (vgl. Heuer 2014).
- 29.
In dieser Arbeit wird der Diskursbegriff nicht systematisch eingeführt, da er für die Untersuchung nicht von konzeptioneller Bedeutung ist.
- 30.
In einer Gesellschaft in der ‚Sozialisation in Widersprüchen‘ (vgl. Berger und Luckmann 1969, S. 180) abläuft.
- 31.
Identität ist mit Berger und Luckmann gerade „ein Phänomen, das durch die Dialektik von Individuum und Gesellschaft entsteht“ (Berger und Luckmann 1969, S. 186).
- 32.
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Müller, M., Pfeil, P., Dengel, U., Donath, L. (2018). Identität/Identitätsarbeit. In: Identität unter Druck. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-18939-6_3
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