Zusammenfassung
In diesem Kapitel fassen wir die Befunde aus den vier Länderanalysen zusammen und vergleichen sie miteinander. Für all diejenigen, die davon ausgehen, dass sich im Kontext einer zunehmenden Globalisierung und Europäisierung auch die kollektiven Erinnerungen der Bürger transnationalisiert haben, fallen die Ergebnisse unserer Studie sehr ernüchternd aus. Abgesehen vom Zweiten Weltkrieg, der in allen vier Ländern als bedeutsam erachtet wird, fehlt es an einem gemeinsamen historischen Bezugspunkt, auf den sich die Menschen in den vier von uns analysierten Ländern beziehen. Die Fixierung der Befragten auf den eigenen Nationalstaat wird noch deutlicher, wenn man die Deutungsmuster der von den Bürgern als wichtig erachteten historischen Ereignisse in den Blick nimmt. In den meisten der von uns unterschiedenen Dimensionen einer kollektiven Erinnerung bleiben die Bürger auf ihren jeweiligen Nationalstaat fixiert. Die Aufrechterhaltung einer positiven nationalen Identität bildet in der Regel die Motivation für die Auswahl und Interpretation historischer Ereignisse. Transnationale Bezugnahmen und universelle Werte und Normen spielen insgesamt nur eine periphere Rolle, sind in Polen, dann in Spanien am schwächsten und in Großbritannien und Deutschland am stärksten ausgeprägt.
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Notes
- 1.
Wir hatten vermutet, dass diese beiden Kriterien einen Einfluss darauf haben, in welchem Maße eine Person offen ist für transnationale Erinnerungen. Allerdings hat die Auswertung gezeigt, dass die entsprechenden Unterschiede eher nachrangig sind und deswegen in dieser Studie nicht gesondert betrachtet werden.
- 2.
Die vorherigen Kapitel haben gezeigt, dass man beispielsweise nicht generell von der deutschen oder der spanischen Erinnerung der Bürger sprechen kann, da in jedem der von uns untersuchten Länder unterschiedliche Erinnerungen und Perspektiven von Teilnehmern nebeneinander existieren. Vielfach sind aber bestimmte Deutungen dominant, während andere nur vereinzelt Zuspruch finden. Wir konzentrieren uns in diesem Kapitel auf die jeweils dominanten Deutungen.
- 3.
Bezüglich der ausführlicher diskutierten Ereignisse zeigen sich folgende Länderunterschiede: In Deutschland haben zwei der drei Ereignisse (Zweiter Weltkrieg, Terroranschläge von 2001) einen genuin transnationalen Raumbezug und ein Ereignis (Mauerfall) einen nationalen. In Polen halten sich nationale und transnationale Raumbezüge mit jeweils einem Ereignis (Volksrepublik und Zweiter Weltkrieg) die Waage. Gleiches gilt für Spanien, wo jeweils zwei Ereignisse einen nationalen (Bürgerkrieg und Franquismus, Transición) und einen transnationalen (spanisches Kolonialreich, Zweiter Weltkrieg) Bezug haben. Großbritannien ist das einzige Land, in dem alle vier ausführlicher diskutierten Ereignisse (Zweiter Weltkrieg, britisches Kolonialreich, Olympische Spiele und Terroranschläge) einen genuin transnationalen Rahmen haben.
- 4.
Die Zeitspanne von 80 Jahren oder drei Generationen umfasst nach Aleida und Jan Assmann (1988) das „kommunikative Gedächtnis“, das vor allem durch die informelle, nicht institutionalisierte Weitergabe von Erinnerungen geprägt ist.
- 5.
Die spanischen Teilnehmer nennen die Anschläge in Madrid und den USA zwar zu Beginn der Gespräche recht häufig, diese werden aber im weiteren Verlauf der Interviews nicht ausführlicher diskutiert.
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Gerhards, J., Breuer, L., Delius, A. (2017). Bilanz: Die Beharrlichkeit nationaler kollektiver Erinnerungen. In: Kollektive Erinnerungen der europäischen Bürger im Kontext von Transnationalisierungsprozessen. Europa – Politik – Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13402-0_7
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