Zusammenfassung
Von der für die gegenwärtigen Integrationsdebatten typischen Leitdifferenz ‚guter‘ versus ‚schlechter‘ Migrant, die im öffentlich-medialen Diskurs um aktuelle Mobilitätsformate moralisiert und nutzenorientiert als anekdotische Projektionsflächen konstruiert werden, geht Jonathan Everts in seinem Beitrag aus. Dazu greift Everts aktuelle Grenzverschiebungen im EU-Innen- und Außenraum auf, die innereuropäische und globale Mobilitätsbewegungen verstärken. Am Beispiel der Debatten und Praktiken um die sogenannte ‚Armutseinwanderung‘ aus Südosteuropa, der Inszenierung der ‚Flüchtlingsströme‘ auf Lampedusa, an der EU-Außengrenze sowie in Mitten deutscher Großstädte (NSU-Morde) macht Everts neue Grenzregime und ihre diskursiven Fundamentalisierungen der gemeinschaftlich-orientierten Debatten deutlich. Im Ergebnis plädiert Everts für eine neue, differenziert-humanistische Sicht (der Forschung) auf Einwanderung innerhalb heutiger multikultureller Gesellschaften, die ökonomistische und menschenverachtende Argumentationsmuster deutlich zurückweist.
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Notes
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(https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Wanderungen/Aktuell.html. Zugegriffen: 04.11.2013). Auch wenn die Statistik zirkuläre und saisonale Wanderung nicht erfasst, die Zahl der Fortzüge lag in allen genannten Fällen deutlich unter den Zuzügen, so dass ein positiver Wanderungssaldo verzeichnet wurde. Ausführlich dazu Statistisches Bundesamt 2014: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Wanderungen 2012. Fachserie 1 Reihe 1.2. Wiesbaden (verfügbar unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Wanderungen/Wanderungen2010120127004.pdf?_blob=publicationFile. Zugegriffen: 27.03.2014)
- 3.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2013-9.html. Zugegriffen: 27.03.2014.
- 4.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article13687575/In-Deutschland-ist-alles-besser-als-zu-Hause.html;http://www.dw.de/deutschlands-neue-gastarbeiter/a-16740457; siehe auch: http://www.arte.tv/de/deutschland-die-neuen-gastarbeiter/7105294,CmC=7105300.html; thttp://www.sueddeutsche.de/karriere/parlamentswahlen-in-spanien-wir-sind-die-neuen-gastarbeiter-1.1194231; für alle Links: Zugegriffen: 27.03.2014.
- 5.
Für eine Kritik des Integrationsbegriffs siehe z. B. Mecheril 2011.
- 6.
http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/wunsiedel-spanier-gescheitert-100.html. Zugegriffen: 23. Januar 2014.
- 7.
Zur „Angemessenheit“ von Handlungen und sozialen Praktiken siehe Taylor (1984).
- 8.
http://www.faz.net/aktuell/politik/reaktionen-die-bundesregierung-traegt-mitschuld-1230785.html. Zugegriffen: 9.12.2013.
- 9.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40325352.html. Zugegriffen: 9.12.2013.
- 10.
http://www.deutscherstädtetag.info/fachinformationen/arbeit/066929/index.html. Zugegriffen: 09.12.2013.
- 11.
- 12.
http://www.migazin.de/2013/02/22/keine-belege-fur-armutszuwanderung-aus-bulgarien-und-rumanien/. Zugegriffen: 09.12.2013.
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http://www.migazin.de/2013/02/22/keine-belege-fur-armutszuwanderung-aus-bulgarien-und-rumanien/. Zugegriffen: 9.12.2013.
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Lampedusa ist kein Einzelfall. Im gesamten Mittelmeerraum wie auch an der europäischen Atlantikküste werden hochriskante Einwanderungsversuche über den Seeweg unternommen. Dabei lässt sich nicht leicht feststellen, inwiefern Grenzpatrouillen riskantes Verhalten zusätzlich fördern bzw. selbst eine große Gefahr für die Migranten darstellen. Auch wenn durch Grenzpatrouillen jährlich viele tausend Menschen aus Seenot gerettet werden, so sind sie doch auch die Ursache für längere Seerouten. Unter Anleitung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex werden auch Abschiebungen auf dem Meer organisiert (Heck 2011; Klepp 2011; siehe auch Belina 2010 zur Konstruktion der EU-Außengrenzen als „Risikogrenze“ durch die Agentur Frontex).
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Ein Video im Internet hatte einen Skandal ausgelöst. Inzwischen (Stand Januar 2014) ist das Lager geschlossen worden. Ob es den Menschen in den vielen tausend Lagern innerhalb und außerhalb der EU-Grenzen deshalb besser geht, bleibt aber fragwürdig. Auch zu anderen Zeitpunkten wurde das lampedusanische Lager geöffnet und wieder geschlossen, erweitert oder verkleinert. Dabei folgten diese Veränderungen weniger den realen Notwendigkeiten auf der Insel als vielmehr politischen Rationalitäten auf nationaler und internationaler Ebene (siehe dazu Reckinger 2013).
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Everts, J. (2016). Das Gerede um Migration und Integration. In: Behrens, M., Bukow, WD., Cudak, K., Strünck, C. (eds) Inclusive City. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09539-0_7
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