Zusammenfassung
Międzyrzec Podlaski im Jahr 1942: Tausende Menschen werden unter anderem von Mitgliedern des Reserve-Polizeibataillons 101 brutal aus ihren Häusern zur Deportation getrieben. Es handelt sich um die größte Deportation in der Einsatzgeschichte des Bataillons. Irritierend erscheint vor diesem Hintergrund ein Ereignis, das auch noch zwanzig Jahre später kolportiert wird: Die Bataillonsmitglieder berichteten von der kollektiven Empörung über die Anwesenheit der Ehefrau des Kompaniechefs Wohlauf bei ebenjener Deportation. Angesichts der Taten der Mitglieder in Międzyrzec Podlaski erscheint diese Empörung zunächst verstörend und unverständlich. Dieser Beitrag entwickelt unter anderem auf Basis von Gerichtsprozessakten vier interaktionsbasierte Erklärungsstränge, wie das scheinbar nebensächliche Ereignis der Anwesenheit einer Ehefrau bei einer Deportation eine derartige Bedeutung für die Mitglieder des Reserve-Polizeibataillons erlangen konnte. Die entscheidende Erklärungskraft für das Phänomen der kollektiven Empörung und ihrer Erinnerung ist eher in der Verletzung von basalen Interaktionsregeln und weit weniger in der Verletzung inhaltlich-moralischer Wert- und Moralüberzeugungen zu sehen.
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Archiv- und Literaturverzeichnis
Archive
Staatsarchiv Hamburg (StA HH)
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Büchner, S. (2015). Mythos Vera Wohlauf. In: Gruber, A., Kühl, S. (eds) Soziologische Analysen des Holocaust. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06895-0_3
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