Zusammenfassung
Die ca. 78.000 hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bildeten als „Schild und Schwert der Partei“ das Rückgrat des staatssozialistischen Herrschaftssystems in der DDR. Von dieser Personengruppe weiß man bislang recht wenig. Letztlich ist klärungsbedürftig, wie Menschen dazu kamen, in den Dienst des MfS einzutreten, hier mitzuarbeiten und was aus den ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern nach der „Wende“ geworden ist.
In dem vorliegenden Beitrag werden Einblicke in Motivationsgrundlagen, Wertvorstellungen und den „tschekistischen“ Habitus der hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter, ihre Herkunft und ihren Lebensalltag gegeben. Anhand narrativer biografischer Interviews, die mit interpretativen Verfahren der Sozialforschung analysiert wurden, wird das Zusammenspiel zwischen den individuellen Persönlichkeitsdispositionen der MfS-Mitarbeiter, den institutionellen Strukturen des Geheimdienstes und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der DDR rekonstruiert. Abschließend wird auf biografische Verläufe dieser Personengruppe nach dem Zusammenbruch des MfS und der DDR 1989/1990 eingegangen.
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Notes
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Genaugenommen hatte der erste Minister der Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, von 1950 bis 1953 einen Sitz im Politbüro. Dieser Sitz ging verloren, weil von 1953 bis 1955 das MfS vorübergehend zum „Staatssekretariat für Staatssicherheit“ zurückgestuft wurde. Erst mit der Machtübernahme durch Erich Honecker 1971 war das MfS durch Erich Mielke wieder im inneren Zirkel der Macht vertreten. Im Zentralkomitee, als dem zweithöchsten Parteigremium, war die Staatssicherheit zuletzt mit drei Sitzen präsent, unter anderem durch die stellvertretenden Minister Wolfgang Schwanitz und Rudi Mittig.
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Wir beziehen uns auf die Berechnung von Jens Gieseke (2000b). Gieseke differenziert in 71.233 Berufsoffiziere und -unteroffiziere, 2232 Offiziere im besonderen Einsatz (OibE), 2118 Hauptamtliche IM, 143 verdeckt arbeitende Mitarbeiter (U-Mitarbeiter) sowie 2031 Freigestellte (insbesondere Auszubildende und Frauen im Babyjahr). Die über 13.000 Wehrdienstleistenden im Wachregiment und den Wacheinheiten des MfS (Unteroffiziere auf Zeit) können nicht zu den hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern gerechnet werden (S. 394).
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Es handelt sich um das DFG-Projekt „Hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit. Passungsverhältnisse zwischen individuellen Lebensarrangements und institutionellen Strukturen beim Dienst im MfS“ mit der Laufzeit vom 1.6.2012 bis 31.5.2015 (GZ: KR 3503/1-1).
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Offenbar gab es Ausnahmen bei hochrangigen Funktionären der Staatsführung. So erwähnt Ilko-Sascha Kowalczuk (2013, S. 197), dass das SED-Politbüromitglied Werner Krolikowski die Beschäftigung seines Sohnes beim MfS einfädelte.
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Diese Abteilung war gewissermaßen die Personalabteilung des MfS – allerdings mit weitreichenden Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten in Bezug auf die Disziplinierung und Kontrolle der Mitarbeiter.
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So zeigt eine exemplarische Studie zu 64 ranghohen Führungsoffizieren aus dem ehemaligen DDR-Bezirk Karl-Marx-Stadt, dass nur acht von ihnen keine Verwandten im MfS hatten (Finster 2015).
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Wie oben beschrieben wurde, betrieb das MfS seit Mitte der 1985er Jahre eine systematische Vorauswahl unter den Sechstklässlern. Nach den – im Sinne des MfS – positiven Überprüfungsmaßnahmen wurde Kontakt zum betreffenden Schüler aufgenommen. Erklärte dieser seine Bereitschaft für eine zukünftige Berufssoldat-Laufbahn im MfS, wurde er mittels einer individuellen Betreuung durch einen Offizier für Kaderwerbung langfristig an das MfS gebunden (BStU, Archiv der Außenstelle Chemnitz HE-98, Bl. 19).
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Ähnliche Äußerungen findet man in Gieseke 1995, S. 65 ff.
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Zu Generationenkonzepten weiter unten ausführlicher.
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Ausführlich ist die sozial-emotionale Komponente des MfS-Eintritts von Frauen der Kriegsgeneration an einem Fallbeispiel in Krähnke und Finster (2006) rekonstruiert worden.
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In den folgenden Ausführungen beziehen wir uns auf das Generationenkonzept für die DDR-Gesellschaft von 1949 bis 1990 von Ahbe und Gries (2006a, S. 90 ff., b, S. 492 ff.). Die Autoren arbeiten insgesamt sechs Generationszusammenhänge heraus: Generation der misstrauischen Patriarchen (Jahrgang. 1893 bis 1916); Aufbaugeneration (Jahrgang von ca. 1925 bis 1935); funktionierende Generation (Jahrgang ca. 1935 bis 1948); integrierte Generation (Jahrgang von ca. 1950 bis 1959); entgrenzte Generation (Jahrgang ca. 1960 bis 1972); Wendekinder (Jahrgang von 1973 bis 1984). Ähnlich auch die Einteilung Fulbrooks (2006, S. 113 ff.). Für das MfS identifiziert Jens Gieseke (2006, S. 229 ff.) vier Generationeneinheiten: Gründerväter (Jahrgang 1905–1915), HJ-FDJ-Generation (Jahrgang um 1930), Dritte Generation (Jahrgang ab 1945 bis Anfang der 1960er Jahre) und die jüngste Generation (Jahrgang 1964–1969). Allerdings wird von Gieseke die grundlagentheoretische Herleitung aus Mannheims Generationenkontext insofern verlassen, als der Historiker die Generationeneinheit allein aus dem institutionellen Kontext des MfS herleitet und nicht aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Zudem ist der Fokus von Gieseke nicht auf konkrete Biografien und kollektive Erfahrungsmuster gerichtet, wie sie durch eine lebensweltorientierte Perspektive unseres Forschungsprojekts rekonstruiert werden sollen. Daher orientieren sich die folgenden Ausführungen auf die Generationenfolge nach Ahbe und Gries.
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Im Gegensatz zum MfS war in der NVA, den Grenztruppen und der Polizei für die Offizierslaufbahn das Abitur und für die Unteroffizierslaufbahn der Abschluss der zehnten Klasse an der POS die Voraussetzung (Fingerle 2001, S. 414).
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Dieses tschekistische Selbstbild wird dem Begründer der bolschewistischen Geheimpolizei TSCHEKA, Feliks E. Dzierzynski, zugeschrieben.
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In den Akten der Staatssicherheit finden sich Sammelkategorien für verschiedene Delikte. Die Kategorie „Verletzung der Grundprinzipien der politisch-operativen Arbeit“ fasst 1975 beispielsweise jegliche Verstöße gegen Weisungen, Befehle und Dienstvorschriften (Gieseke 2000b, S. 357). Darüber hinaus änderten sich die Deliktkategorien über die Jahre mehrmals (Gieseke 2000a, S. 549).
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In der Dienstordnung des MfS („Grundsätze für den Dienst im Ministerium für Staatssicherheit“) vom 13. Juli 1972 wurden die Grenzen der Disziplinarbefugnisse von Vorgesetzten unter 6.3 wie folgt festgelegt: „Arrest in der Arrestanstalt bis 10 Tage; Herabsetzung im Dienstgrad und in der Dienststellung; vorzeitige Entlassung aus dem Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit“. Bei besonders eklatanten Regelverstößen war es dem Vorgesetzten jedoch möglich, diese Grenzen zu überschreiten und die Bestrafung nach seinem eigenen Ermessen zu wählen: „Bei offenem Ungehorsam oder Widerstand eines Unterstellten ist der Vorgesetzte verpflichtet und berechtigt, alle zur Wiederherstellung der militärischen Disziplin und Ordnung erforderlichen Maßnahmen, bis zur Anwendung des äußersten Zwanges, zu treffen“ (Abschn. 6.4 der Dienstordnung).
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So sind im Jahre 2009 ca. 100 ehemalige MfS-Mitarbeiter in Diensten des brandenburgischen Landeskriminalamtes, 13 davon sogar in gehobener Stellung als Dezernatsleiter. Im Jahre 2007 erschien zudem ein wissenschaftliches Gutachten, welches feststellte, dass von 1991 bis 2007 mindestens 79 ehemalige MfS-Mitarbeiter in Diensten der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) standen. Eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahre 2011 ermöglichte die Versetzung dieser Mitarbeiter in andere Dienststellen des Bundes. Im April 2014 waren noch 34 ehemalige MfS-Mitarbeiter bei der BStU-Behörde angestellt (Kellerhoff 2014).
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Das MfS wurde Mitte November 1989 in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt. Der offizielle Auflösungsbeschluss ist auf den 14. Dezember 1989 datiert. Nur ein sehr kleiner Teil der Hauptamtlichen wurde bis zum 30. Juni 1990 weiterbeschäftigt, um die Institution endgültig abzuwickeln.
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So sorgte das provokante Auftreten von 200 ehemaligen MfS-Funktionsträgern auf einer Podiumsveranstaltung am 14. März 2006 in Berlin-Hohenschönhausen für Schlagzeilen in ganz Deutschland. Die Wortführer bestritten unter dem Beifall der anderen Tschekisten und ohne ernsthaftes Intervenieren der Podiumsgäste (darunter der damalige Berliner Kultursenator Thomas Flierl) die Misshandlungen an Häftlingen und die von Betroffenen geschilderten Zustände in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt. Auch weitere Aktionen richteten sich gegen die öffentliche Diskreditierung der Stasi-Mitarbeit. Das MfS wird von den Altkadern als eine ganz normale Institution dargestellt, die auf der Grundlage des geltenden DDR-Rechts operiert und sogar einen maßgeblichen Beitrag zur Friedenssicherung in Europa geleistet habe.
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Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR.
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Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung.
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Krähnke, U., Zschirpe, A., Finster, M., Reimann, P. (2016). Habitus und Lebensverläufe von hauptamtlichen Mitarbeitern der DDR-Staatssicherheit. In: Matthäus, S., Kubiak, D. (eds) Der Osten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06401-3_4
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