Zusammenfassung
Die Theorie sozialer Demokratie in der Tradition von Hermann Heller, Otto Kirchheimer und Franz Neumann bis zu Wolfgang Abendroth und Helmut Ridder stellt die wichtigste radikale Demokratietheorie in der Bundesrepublik dar. Sie ist eine normativ anspruchsvolle Lehre zugleich der fortschrittlichen Änderung der Gesellschaft und der fortschrittlichen Funktion der Theorie im Prozess dieser Änderung. Sie besagt, dass ohne ein Hinausgehen von Demokratie über den politischen Bereich hinaus in Richtung einer gesellschaftlichen Demokratie eine Rückbildung des demokratischen Staates sogar noch hinter den (unter der Weimarer Reichverfassung wie unterm Grundgesetz erreichten) Minimalstandard formaldemokratischer Rechtsstaatlichkeit droht. Für die folgenden Überlegungen ist es von sekundärer Bedeutung, ob die Rückbildung von Demokratie dann wie insbesondere von Heller, Kirchheimer und Neumann angenommen die Form einer offenen Diktatur der herrschenden, insbesondere wirtschaftlich mächtigen Kräfte annimmt – oder eher eine Art postdemokratischen Zwischenzustand zwischen formaler Demokratie und offener Diktatur.
Ich sage, daß ohne das Verlangen oder die Hoffnung auf […] faktische Gleichheit die rechtliche Gleichheit nur eine grausame Illusion wäre, die statt der Genüsse, die sie versprochen hat, den vielköpfigsten und nützlichsten Teil der Bürger nur Tantalusqualen erleiden läßt Rede eines Abgeordneten in der Debatte der Französischen Nationalversammlung vom 1. August 1789 (zit. n. Gauchet 1991, S. 212).
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Literatur
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Hirsch, M. (2017). Soziale Demokratie als gegenhegemoniales Projekt. In: Eberl, O., Salomon, D. (eds) Perspektiven sozialer Demokratie in der Postdemokratie. Staat - Souveränität - Nation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02724-7_11
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