Zusammenfassung
Der kurze Krieg um Südossetien und Abchasien zwischen Georgien und Rußland Anfang August 2008 hat erneut die Kriegsträchtigkeit und die internationale Brisanz lokaler „eingefrorener Konflikte“ demonstriert. Er hat die politische Lage im Kaukasus drastisch verändert, erneut ethnische Vertreibungen ausgelöst und zeitweilig die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen erheblich getrübt, so daß von einem neuen „kalten Krieg“ geredet wurde. Nachdem Rußland im Verlaufe des Krieges die territoriale Einheit der beiden De-facto- Staaten in den Grenzen, die von der frühen Sowjetmacht in den 1920er Jahren festgelegt worden waren, wieder hergestellt und die Unabhängigkeit der beiden Staaten anerkannt hatte, drohte eine neue Frontlinie zwischen dem Westen und Rußland zu entstehen. Allerdings wurden dann doch die Pläne, Georgien in die NATO aufzunehmen, vertagt. Sonst wären Truppen des Westens und Rußlands auch in dieser Region in unmittelbarer Nachbarschaft stationiert gewesen. Die neue Grenzlinie ist besonders prekär, da der Westen auf der territorialen Integrität Georgiens beharrt, die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens nicht anerkennt und somit von einer rechtswidrigen Präsenz rußländischer Truppen auf NATO-Gebiet hätte sprechen müssen, hätte er Georgien in die NATO aufgenommen.
Rußland hatte schon lange vor der absehbaren Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch die meisten westlichen Staaten, die sogleich nach der förmlichen Unabhängigkeitserklärung des kosovarischen Parlaments am 17. Februar 2008 erfolgte, gewarnt, daß es seinerseits mit einer Anerkennung Südossetiens und Abchasiens reagieren könne. Während die westliche Anerkennung der Separation Kosovos völkerrechtswidrig sei, sei hingegen eine Anerkennung Südossetiens und Abchasiens mit dem Völkerrecht vereinbar. Dennoch zögerte Rußland in den folgenden Monaten, diesen Schritt zu gehen.
Erst nach dem Angriff Georgiens auf Südossetien am 7. August ging Rußland zum militärischen Gegenangriff über, erkannte die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an und ließ sich von beiden zu einer stärkeren Truppenpräsenz in beiden Gebieten einladen, nachdem die EU einen Waffenstillstand zwischen Rußland und Georgien vermittelt hatte. Nunmehr stellen sich folgende Fragen. Werden der Westen und Rußland längerfristig bereit sein, wechselseitig die Unabhängigkeit „ihrer“ De-facto-Staaten Kosovo, Südossetien und Abchasien anzuerkennen? Werden beide Seiten willens sein zu verhindern, daß diese drei Anerkennungsakte zu Präzedenzfällen für die anderen De-facto- Staaten in Europa und in der Welt werden? Sind beide Seiten fähig, Kompromisse für diese anderen Fälle zu entwickeln? Und welche Folgen hat die neue Lage für das nunmehr endgültig geopolitisch isolierte Armenien?
Vorlesung vom 3. Mai 2010 in Frankfurt und vom 3. November 2008 in Mannheim.
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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
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Jahn, E. (2012). Die neue Frontenbildung Rußlands und des Westens im Südkaukasus. In: Politische Streitfragen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94313-8_9
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