Was Pierre Bourdieu für die Frauen- und Geschlechterforschung gebracht hat, ist durchaus widersprüchlich einzuschätzen. Steffani Engler stellte 2004 fest, dass Bourdieu im mainstream der Frauen- und Geschlechterforschung eine eher marginale Rolle spiele, obwohl seine Denkwerkzeuge sich für eine Analyse von Dominanz- und Herrschaftsverhältnissen geradezu anbieten (vgl. Engler 2004a: 222). Bourdieu wurde häufiger von der Männerforschung (vgl. Wedgwood/ Connell 2004) rezipiert als von der Frauenforschung. Das mag daran liegen, dass in der erziehungswissenschaftlichen Frauenforschung einerseits generell eher subjektbezogene theoretische Ansätze der philosophischen Tradition präferiert werden, zum anderen aber auch die Polarisierung der Geschlechterstereotype häufiger als Ausgangspunkt von Untersuchungen zur Anwendung kamen als gesellschaftsbezogene Theorien (vgl. Lemmermöhle 2004). Gleichwohl hat der Aufsatz von Bourdieu von 1983 „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“ viele Diplomarbeiten, Dissertationen und Forschungsprojekte von Frauen inspiriert. Plötzlich konnte man sich vorstellen, warum Schulleistungen allein nicht zählten, um auf dem Bildungs- und Karriereweg weiterzukommen. Bildung als Kapital bzw. als Ressource für den Lebenslauf begriffen, war zur Potenzierung auf ökonomisches und soziales Kapital angewiesen. Die Verfügbarkeit über alle Kapitalsorten ermöglicht Gestaltungsspielräume und Positionierungen am Arbeitsmarkt, ihre partielle Nichtverfügbarkeit grenzt sie ein.
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Literatur
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Schlüter, A., Faulstich-Wieland, H. (2009). Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft – Inspirationen und Modifikationen durch Pierre Bourdieu.. In: Friebertshäuser, B., Rieger-Ladich, M., Wigger, L. (eds) Reflexive Erziehungswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91645-3_12
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