Auszug
„Risikogesellschaft“, „Erlebnisgesellschaft“, „Industriegesellschaft“, „Wissensgesellschaft“, „Dienstleistungsgesellschaft“, „postindustrielle Gesellschaft“, „Postmoderne“ ..., ständig werden von Sozialwissenschaftlern neue Typenbegriffe in die Welt gesetzt, welche „ganz neue“ Formationsprinzipien „der“ Gesellschaft anzeigen sollen. Das hat natürlich sehr viel mit Fanfarenstößen und Marketingstrategien auf dem Jahrmarkt akademischer Eitelkeiten sowie mit dem unvermeidlichen Innovationspathos an den Universitäten zu tun. Ernster genommen: Welcher neue Lebenszusammenhang soll da vor unseren Augen entstehen? Ein wirklich ganz neuer Typus der Vergesellschaftung? Dann müsste man allerdings mit irgendeiner Erscheinungsform von „Post-Kapitalismus“ rechnen, wenn man weiter davon ausgehen darf, dass „der Kapitalismus“ nicht einfach eine phantasievolle Erfindung von Karl Marx, Max Weber, Werner Sombart und anderen Klassikern darstellt. Den Problemen mit der Kapitalismusanalyse wird oftmals dadurch ausgewichen, dass man „Moderne“ sagt und eine „reflexive Moderne“, eine „Postmoderne“ oder sonst einen Vergesellschaftungstypus entdeckt, der sich nach dem ersten Modernisierungsschub durchsetzt, den all diese Klassiker auf ihre Weise zutreffend registriert haben. Oder handelt es sich doch um wirkliche und einschneidende Veränderungen, die immer noch unter den Rahmenbedingungen eines dynamischen und anpassungsfähigen Kapitalismus stattfinden? Mir stehen — so muss ich bekennen — keine Mittel zur Verfügung, in dieser Streitzone eine eindeutige Grenzlinie zwischen bloßem Innovationspathos und Einsichten in irgendein Potential zur gravierenden Neuformierung der Gesamtgesellschaft zu ziehen. Den Geburtshelfern für neue Typenbegriffe auch nicht. Was allerdings mit einiger Sicherheit zu registrieren ist, dass die „Postmoderne“ schon seit einiger Zeit dabei ist, das gleiche Schicksal zu erleiden wie z.B. die „Erlebnisgesellschaft“ von G. Schulze. In beiden Kategorien laufen Inhalte des entschwebenden Geistes einer Zeit zusammen, die noch von Erfahrungen mit dem prosperierenden Wohlfahrtsstaat geprägt ist. Das scheint der Effekt eines Vorganges zu sein, den Max Weber so beschrieben hat:
Das Licht der groβen Kulturprobleme ist weiter gezogen. Dann rüstet sich auch die Wissenschaft, ihren Standort und ihren Begriffsapparat zu wechseln und aus der Höhe des Gedankens auf den Strom Geschehens zu blicken.“265
Miteinander verwandte Kategorien wie „Postmoderne“ oder „Erlebnisgesellschaft“ oder gar „Spaßgesellschaft“ treten im Zuge der Wandlungen des Zeitgeistes mehr und mehr von der Bühne ab. Damit ist jedoch die Frage noch lange nicht vom Tisch, ob wir es derzeit mit einschneidenden Veränderungen des Gesellschaftstyp „Kapitalismus“ oder tatsächlich mit dem Entwicklungspotential zu etwas ganz Anderem zu tun haben ..., ob dieses nun als „besser“ zu bewerten ist oder nicht. Eines kann man in jedem Fall mit Entschiedenheit feststellen: In der Gegenwart des ersten Jahrzehnts des 21. Jhs. ist es zu einer Resurrektion des Kapitalismusbegriffs und der Kapitalismuskritik in der sog.
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Wichtige Bezugstexte
R. Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Darmstadt 1998, S. 9–38. FM.
E. Luttwak: Turbokapitalismus. Gewinner und Verlierer der Globalisierung, Hamburg/Wien 1998, S. 21–59. TK.
R. Sennett: Das neue „eherne Gehäuse“. Die Globalisierung, die neue Marktwirtschaft und der fatale Versuch, ihre Werte und Organisationsformen auf Sozialsysteme zu übertragen, in: Frankfurter Rundschau v. 2.9.2003, Seite 7. EG.
M. J. Radin: Contested Comodities. The Trouble with Trade in Sex, Children, Body Parts and other Things, London 1996, S. 1–45. TK.
Kommentar
J. Ritsert: Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie, Münster 2004, S. 231 ff.
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(2009). Die Resurrektion des Kapitalismus in der gegenwärtigen Gesellschaftskritik.. In: Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91436-7_17
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-91436-7_17
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