Auszug
Die großen Leistungsstudien, insbesondere die IGLU-Studien und die PISA-Studien, haben das Thema ‚Chancenungleichheit’ zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder in den Mittelpunkt des gesellschafts- sowie des schulpolitischen Interesses gerückt, ein Thema, das die deutsche Schulgeschichte seit dem beginnenden 19. Jahrhundert begleitet. Schon 1809 wandte sich Wilhelm von Humboldt dagegen, Kindern und Jugendlichen je nach Herkunft und Lebensperspektive unterschiedliche Bildung zuzuteilen. Im ‚Litauischen Schulplan’ schrieb er: „Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnutz seyn, als Tische zu machen dem Gelehrten“ (Michael/Schepp 1993, 104ff.). Einige Jahre später, Napoleon war besiegt und die preußischen Reformen waren zum Erliegen gekommen, formuliert der preußische Kultusbeamte von Beckedorff seine Gegenposition: „Um aller dieser Gründe willen bedürfen wir in der menschlichen Gesellschaft nicht gleichartiger Stufen-, sondern verschiedenartiger Berufs- und Standesschulen (...) nach bisheriger alter Weise guter Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen“ (Michael/Schepp 1993, 117). Die beiden damit zu Beginn des 19. Jahrhunderts grundsätzlich umrissenen Positionen begleiten — jeweils in modernisierter Gestalt — die deutsche Schulentwicklung. Etwa hundert Jahre nach der Humboldt/Beckedorff-Kontroverse heißt es in Artikel 146 der Weimarer Verfassung: „Für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und seine Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern entscheidend.“
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Literatur
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Klemm, K. (2008). Vierzig Jahre Chancenungleichheit in der Grundschule — keine Hoffnung auf Abhilfe in Sicht?. In: Ramseger, J., Wagener, M. (eds) Chancenungleichheit in der Grundschule. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91108-3_1
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