Auszug
Es liegt immer nahe, Niklas Luhmann als Gegenpol zu Jürgen Habermas heranzuziehen. Beide gelten zwar als Exponenten einer eher handlungs- und einer eher systemtheoretischen Position, doch wäre dies allein kein Grund, in einer Arbeit über die Soziologie der Gemeinschaft ein eigenes Kapitel der Luhmannschen Soziologie zu widmen. Zumal von Luhmann keine einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema „Gemeinschaft“ vorliegen, allenfalls von seinen Schülern. Dennoch gibt es gute Gründe für eine kritische Analyse von Luhmanns Gemeinschafts-Verständnis.
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Literatur
Wogegen Volker Gerhardt für die Ethik als „Grundlagendisziplin der Philosophie“ argumentiert: „Es ist also, mit Verlaub, der pure Unsinn, der Ethik nur eine Aufmerksamkeit zuzubilligen, die sich nach Art hysterischer Schübe einstellt (...) Dass dies einem Soziologen nicht behagt, der von der Soziologie nur noch eine dem menschlichen Handeln denkbar fern stehende Systemphilosophie übriglässt, ist verständlich. Denn die beste Art, den gegen ihn erhobenen Philosophievorwurf abzuwehren, ist, die Philosophie für obsolet zu erklären und ihren wichtigsten Gegenstand an die Astrologie zu verweisen“ (Gerhardt 1999, S. 25).
Die Horizont-Metapher wurde im Übrigen schon von Kant in diesem Sinn verwendet (Kant 1988, S. 575).
Heinrichs behauptet in Anschluss an die transzendentalphilosophische Tradition, besonders an Fichte und an Hegel, was Gotthard Günther teils voraussetzt, teils in seiner „Metaphysik der Kybernetik“ problematisiert (Günther 1963), wenn er die kybernetischen Regelkreise bloß als Reflexions-Analogien betrachtet: dass streng gedachte Selbstbezüglichkeit (Reflexivität) und Selbstbewusstsein ein und dasselbe sind (Heinrichs 1981, S. 431; ders. 1986, S. 56ff.). Das heißt mit anderen Worten: dass Reflexivität nicht streng gedacht wird, nicht als Selbstbezug oder Selbsterfassung des Selbigen, wenn sie nicht als Subjektivität gedacht wird, d.h. als Selbigkeit von Erkennendem und Erkanntem, Wollendem und Gewolltem und so weiter. Dass diese Selbstbezüglichkeitsstruktur menschlicher Subjektivität als „Selbstbezug-im-Fremdbezug“ selbst nichts Einfaches, keinen einfachen, nicht weiter strukturierten Kreis darstellt, das zeigt die Reflexionsstufentheorie des Selbstbewusstseins (Heinrichs 1976, S. 38ff.) ebenso wie die Tatsache, dass es keine in sich abgeschlossene Subjektivität gibt, sondern von Anfang an nur eine dialektische Einheit von subjektiven und sozialen Systemen.
Für den Bereich der systemischen Familientherapie wären vor allem die Arbeiten aus dem Umfeld von Helm Stierlin zu nennen (Simon/ Stierlin 1984), in der Familiensoziologie die Schriften des Luhmann-Mitarbeiters Hartmann Tyrell (Tyrell 1989). Klaus Gilgenmann stützt sich ausdrücklich auf Luhmann, wenn er von der „Familie als Erziehungsgemeinschaft“ spricht (Gilgenmann 1994).
„The general thesis (...) is that (...) the modern isolated family, incorporates an intricate set of interactive mechanisms whereby these two essential functions for personality are interlocked and interwoven“ (Parsons/ Bales 1956, S. 21).
Gegen diese Funktionsreduktion wird von Klaus Gilgenmann — ansonsten völlig auf Luhmann-Linie — kritisch unter anderem angeführt: „Neben der in der Paarbeziehung entwickelten Hochform des kommunikativen Personbezugs lassen sich andere Bereiche der Gesellschaft benennen, in denen — wie in der Familie — in funktionsspezifisch eingeschränkter Weise Strukturen der Kommunikation vorkommen, die die Identitätsbildung der Person (i.S. von Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit) stützen“ (Gilgenmann 1994, S. 216).
Trotz der Nennungen: „Ehegemeinschaft“, „Personengemeinschaft“ (Luhmann 1990a, S, 213). Letztere ist auch nur eine „Idee“ (ebd.).
Kaufmanns Analyse der Familie als „gesellschaftliches Teilsystem“ baut zwar vorgeblich auf Luhmanns Systemtheorie auf (Kaufmann 1994), überwindet aber durch schlichte Materialtreue und realgesellschaftliche Phänomenologie die Luhmannsche Abstraktion.
Der Herausgeber André Kieserling weist darauf hin, dass Luhmann das Werk krankheitsbedingt vor seinem Tod (1998) nicht mehr abschließen konnte (in Luhmann 2000a, S. 357).
Freundliche Luhmann-Lesung, wie in einem Einführungswerk in die Religionssoziologie, kann dieses Problem nicht reparieren: „Die soziale Leistung der Religion gegenüber anderen gesellschaftlichen Subsystemen nennt Luhmann Diakonie, die Leistungen gegenüber dem personalen System bezeichnet er als Seelsorge“ (Knoblauch 1999, S. 134). Sobald die Lebenswirklichkeit auftaucht, beobachtet Luhmann treffsicher.
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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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(2006). Sinn ohne Gemeinschaft: Zu Luhmanns Systemethik. In: Gemeinschaft in Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90663-8_7
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-34225-2
Online ISBN: 978-3-531-90663-8
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