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Die Natur des Geistes

Gerhard Roths Das Gehirn und seine Wirklichkeit

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Schlüsselwerke des Konstruktivismus
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Zusammenfassung

Im Vorwort des Buches zeichnet Gerhard Roth (*1942) eine Art Urszene nach, die man als prägenden Rahmen für seine inzwischen bald fünfzigjährige Tätigkeit als philosophisch inspirierter und motivierter Naturwissenschaftler verstehen könnte.

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Notes

  1. 1.

    Die Zitate stammen aus der 5. überarbeiteten Auflage von Gerhard Roths Das Gehirn und seine Wirklichkeit (1996) und wurden der neuen Rechtschreibung angepasst. Alle Hervorhebungen in den Zitaten stammen vom Autor.

  2. 2.

    Die „Tierseelenkunde“ des 19. Jahrhunderts hatte sich ja zunächst zur „Tierpsychologie“, dann „Verhaltensphysiologie/-biologie“ gewandelt und schließlich zur „Ethologie“ internationalisiert. Ihre technische Aufrüstung für diffizilste Nervenzellableitungen durch immer feinere Mikroelektroden und immer leistungsstärkere Rechner ergab die Spezialdisziplin der neurobiologisch orientierten Verhaltensforschung, der so genannten „Neuro-Ethologie“, die also die Verhaltensweisen von Lebewesen aus ihren neuralen Grundlagen bzw. „Funktionsgesetzmäßigkeiten“ zu erklären sucht. Das bevorzugte Versuchstier in Kassel war übrigens die Erdkröte, Bufo bufo, für deren Beutefangverhalten die neuronalen Mechanismen gesucht wurden. Vgl. zu dieser Entwicklungsphase der Neurobiologie Ewert (1976).

  3. 3.

    Es wurde etwa gestritten über die erkenntnistheoretische Widersprüchlichkeit der „informationellen Geschlossenheit“ lebender (= kognitiver) Systeme, oder auch über die ethisch-juristische Problematik der moralischen Verantwortlichkeit „strukturdeterminierter Systeme“. Letzteres ist inzwischen zu einer heftigen Kontroverse über Determinismus und Willensfreiheit eskaliert.

  4. 4.

    Auf die von Gerhard Roth zitierten historisch-kritischen Beiträge in Florey und Breidbach (1993) sei auch hier ausdrücklich hingewiesen. Florey erläutert die „Neuronendoktrin“ (Florey und Breidbach 1993, S. 182 f.). Eine weitere aufschlussreiche Darstellung aus der gleichen Zeit bietet Breidbach (1993). Olaf Breidbach ist wie Gerhard Roth Neurowissenschaftler und Philosoph.

  5. 5.

    Diese im gegenwärtigen Zusammenhang besonders problematische „Abbild“-Konzeption wird in Ziemke und Breidbach (1996) eingehend analysiert und diskutiert (u. a. auch von Gerhard Roth).

  6. 6.

    Bei Humberto R. Maturana heißt das „(ab)geschlossen“: einmal gegenüber der Umwelt, zum anderen dadurch, dass das Nervensystem nur eine einzige Operationsweise kennt, eben den neuronalen Einheitscode.

  7. 7.

    Bekannte Versuche im 20. Jahrhundert waren etwa der Physikalismus des Wiener Kreises, die „experimentelle Epistemologie“ Warren S. McCullochs oder die proklamierte Verschmelzung der Erkenntnistheorie mit den empirischen Disziplinen der Psychologie und der Linguistik durch Willard Van Orman Quine. Zur Geschichte der Naturalisierung des Geistes im Zeichen von Kraft und Stoff, also Energie und Materie, seit dem 19. Jahrhundert vgl. das aufschlussreiche Buch über Die Materialisierung des Ichs von Olaf Breidbach (1997).

  8. 8.

    Wie klein hier der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen sein kann, zeigt etwa das erst vor Kurzem erschienene Buch des Londoner Neurophysiologen Semir Zeki – inzwischen Professor für „Neuroästhetik“ – mit dem sprechenden Titel Splendours and Miseries of the Brain (2009). Darin werden exemplarisch Liebe, Schönheit, Kreativität und Glück aufgrund von funktionellen Magnetresonanztomographie-Messungen mit Hirnteilen und Hirnprozessen „korreliert“. Kritiker sprechen hier von „Voodoo-Korrelationen“ (vgl. Jäncke 2009). Analog entstehen dann Konzepte wie „Hirnjogging“, gezieltes „Training“ bestimmter Hirnlappen, die Gleichsetzung von Gefühlen oder gar sozialen Verhaltensweisen mit Neuromodulatoren, die Manipulation von Bewertungs- und Belohnungszentren des Hirns, Neuro-Lügendetektoren usw. Das Hirn-Coaching wird ergänzt durch die Drogen der Pharmaindustrie („neuro-enhancers“ im weitesten Sinne). – Da es hier nicht um eine fachwissenschaftliche Kritik, sondern nur um Hinweise auf beobachtete und begründete Tendenzen gehen kann, genüge der Verweis auf einige allgemein verständliche Distanzierungen von Fachleuten: vgl. Fuchs (2008; bes. Kapitel über „Neuromythologien“); Tallis (2008); Jäncke (2009); Warnecke (2009).

  9. 9.

    Seltsam unterbelichtet in dieser Debatte bleibt allerdings – dies sei hier nur angemerkt – die Beziehung zwischen unserer „Wirklichkeit“, also der von uns Menschen geschaffenen (zutiefst semiotischen) Kultur im umfassendsten Sinn, und unseren Konzeptionen der Leistungen und Grenzen des „wirklichen Gehirns“ und damit auch unserer „wirklichen Natur“ (im Sinne der Begrifflichkeit Gerhard Roths). In der inzwischen erfreulich zunehmenden Zahl von Arbeiten zu den Zusammenhängen zwischen „Kultur“ und „Natur“ wird die Erklärungsrichtung in aufregender Weise umgekehrt: Kultur schafft und verändert Natur bis in die Tiefen der genetischen Selektion, Kulturevolution beeinflusst dramatisch Naturevolution. Also entsteht bzw. organisiert und strukturiert sich das „wirkliche“ Gehirn in seiner Spezifität durch Prozesse der kulturellen Evolution. Beispielhaft für relevante Ansätze seien hier nur die Namen von Michael Tomasello, Joachim Bauer, Regine Kather und Ute Frevert genannt. Der öffentlichen Diskussion Kulturalismus-Naturalismus widmet sich z. B. die „Edition Unseld“ des Suhrkamp-Verlages.

  10. 10.

    Vgl. hierzu beispielhaft die dezidierten Äußerungen Gerhard Roths: „Es gibt keine zwei Kulturen, es gibt keine dritte Kultur, sondern nur die eine Wissenschaft, nur die eine Kultur des wissenschaftlich miteinander Denkens und Handelns.“ Und er beklagt alles unseriöse „Geschwätz von Scharlatanen […] auf der Schaubühne der Wissenschaft“, wo sich „Schaumschläger“ bloß mit „verbalen Tricks wichtig machen“ (Roth in Pörksen 2001, S. 163 et passim).

  11. 11.

    Humberto R. Maturanas Unterscheidung zwischen dem Biosystem (mit oder ohne Nervensystem) und den von ihm erzeugten Phänomenen trennt hier disjunkte, einander nicht überschneidende Phänomenbereiche voneinander. Ein und dasselbe Hirn, ein und dasselbe Genom, – diese vagen Formulierungen seien hier erlaubt – hat die ganze uns bekannte historische Vielfalt an Überlebenskulturleistungen der Menschheit erzeugt. Ähnliches zeigt auch die Geschichte der Verhaltensbiologie, die inzwischen differenzierte Erfahrung der Molekulargenetik, oder die Entwicklungsneurobiologie im Zeichen der Selbstorganisation (z. B. Singer 1986, 2000). – Auch die traditionelle Unterscheidung zwischen „primären“ und „sekundären“ Hirnfunktionen entspricht dieser Unterscheidung (vgl. Leischner 1987, S. 1 ff.).

  12. 12.

    Es sei nicht versäumt, auch auf das wichtige einschlägige Vorgängerwerk des Neurowissenschaftlers Max R. Bennet und des Philosophen Peter M. S. Hacker (2003) empfehlend hinzuweisen.

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Köck, W. (2015). Die Natur des Geistes. In: Pörksen, B. (eds) Schlüsselwerke des Konstruktivismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19975-7_20

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