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Von Fremden und Überflüssigen. Baumans Theorie der Ausgrenzung

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Zygmunt Bauman

Zusammenfassung

Exklusion gehört nicht nur zu den key words des aktuellen soziologischen Diskurses, sondern stößt auch in der Öffentlichkeit auf breite Resonanz. Ob angesichts der Migration afrikanischer Flüchtlinge in das „gelobte Land“ Europa, ob angesichts der gewalttätigen Ausschreitungen in den Banlieus Frankreichs oder der hiesigen Diskussion um Hartz-IV: Immer wieder, in fast schon inflationärer Weise, ist von der Exklusion und den Exkludierten, von den Überzähligen, Überflüssigen oder Entbehrlichen die Rede. Ob bei Ulrich Beck, Pierre Bourdieu oder Ralf Dahrendorf, ob bei Anthony Giddens, Niklas Luhmann oder Richard Sennett: Exklusion steht für einen Ausschluss aus einer Gesellschaft, die eine wachsende Anzahl von Menschen als überflüssig ansieht. Ein zunehmender Anteil der Bevölkerung macht demnach die Erfahrung, dass es auf sie nicht mehr ankommt, dass auf ihre Beiträge für die Gesellschaft verzichtet werden kann – und dies nicht nur vorübergehend, sondern mehr und mehr dauerhaft.

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Notes

  1. 1.

    Bauman kann eine Vielzahl von Quellen aufweisen, die diese Parallele verwenden. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass es sich hier nicht einfach um Nazi-Ideologie, sondern um einen weit verbreiteten Topos in Wissenschaft, Politik und Kultur handelt. Den Traum von der sauberen, harmonischen, ordentlichen und uniformen Gesellschaft träumten – über alle ideologischen Gräben hinweg – Nazis ebenso wie Sozialisten, liberale ebenso wie konservative Schriftsteller, progressive ebenso wie rückwärtsgewandte Politiker (vgl. Bauman 1995a, S. 43 ff.). Dies gilt Bauman vor allem als Beleg für seine These, dass es sich bei den Ideen von Reinheit und Aussonderung nicht um eine Spezialität der Nazis handelt, sondern um eine Logik, die der Moderne insgesamt inhärent ist.

  2. 2.

    Zum Ambivalenz-Begriff bei Bauman vgl. Bonacker (2002) und Junge (2002).

  3. 3.

    Weiter oben heißt es: „Die Nachrichten vom Ableben der Moderne, der Schwanengesang ihres Endes, sind maßlos übertrieben“ (Bauman 2003, S. 38). Und an anderer Stelle können wir lesen: „Vielleicht leben wir in einem postmodernen Zeitalter, vielleicht auch nicht. […] Das Ende der Moderne? Nicht zwangsläufig“ (Bauman 1999, S. 143).

  4. 4.

    Um in einer solchen Gesellschaft bestehen zu können, reicht es nach Bauman nicht mehr länger aus, über einen nur gesunden Körper zu verfügen. In einer Konsumgesellschaft kommt es vielmehr darauf an, „fit“ zu sein. Diese beiden Orientierungen, die oft unzulässigerweise vermischt würden, stellen seines Erachtens eine weitere entscheidende Differenz dar, die eine postmoderne Konsumgesellschaft von eine modernen Produzentengesellschaft unterscheidet (vgl. Bauman 1996, S. 54 f., 2004, 2005b, S. 200 f.).

  5. 5.

    Eine Annahme, mit der sich Bauman in bester soziologischer Gesellschaft befindet (vgl. Schroer 2001). Zum Thema Individualisierung bei Bauman vgl. Kron (2000).

  6. 6.

    Entscheidender Hintergrund für Baumans Analyse der ganz und gar Überflüssigen sind die Schriften Giorgio Agambens (vgl. vor allem Agamben 2002), auf die er sich in seinen letzten Veröffentlichungen immer wieder bezieht (vgl. Bauman 2005a, b). Mit Agamben betont Bauman die Reduzierung des Exkludierten auf seinen Körper: „Der Begriff des homo sacer steht für den Menschen, der auf seinen Körper reduziert ist: er ist gesellschaftlich wertlos, bedeutungslos und vollkommen überflüssig. Eine solche Reduktion bringt den Körper in eine Lage äußerster Verletzlichkeit – er ist nicht mehr (oder noch nicht) Träger von ‚Menschenrechten‘ und daher völlig ungeschützt. Da er subhuman oder bestenfalls nur protohuman ist, gilt für ihn auch nicht das Gebot der ‚Unantastbarkeit menschlichen Lebens‘. Der Tod des homo sacer ist ebenso bedeutungslos wie sein Leben: sein gesellschaftlich nackter Körper darf ohne Furcht vor Strafe getötet werden“ (Bauman 2005b, S. 192). Auch Luhmann hat diesen Aspekt von Exklusion betont (vgl. Luhmann 1995, S. 262 f.).

  7. 7.

    Richard Sennett, der auch Baumans Interesse am Fremden teilt (vgl. Schroer 1997), kommt im Hinblick auf die unmittelbare Gegenwart zu erstaunlich ähnlichen Diagnosen (vgl. Sennett 2005); vor allem im Hinblick auf die gegenwärtige Gestalt des Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Auch das Thema Überflüssigkeit wird bei beiden verhandelt. Während bei Sennett vom „Gespenst der Nutzlosigkeit“ (Sennett 2005, S. 67 ff.) die Rede ist, spricht Bauman vom „Gespenst des Überflüssigseins“ (Bauman 2005a, S. 136).

  8. 8.

    Korrespondierend zur Ausschließung der Armen durch ihre Einschließung gibt es das Phänomen der freiwilligen Einschließung, der „räumlichen Absonderung“ der Reichen in überwachte Wohnviertel, den gated communities, zu beobachten (vgl. Bauman 2000, S. 93; dazu auch Schroer 2001). Auch diese Perspektive teilt Bauman mit einer Reihe anderer soziologischer Beobachter. Bei Giddens (1999, S. 121) etwa heißt es: „Zwei Formen der Exklusion zeichnen sich in modernen Gesellschaften ab. Eine ist der Ausschluss derer am unteren Ende, die vom Gros der von der Gesellschaft angebotenen Chancen abgeschnitten sind. Am oberen Ende findet sich die zweite Form, ein freiwilliger Ausschluss: Die ‚Revolte der Eliten‘ besteht im Rückzug reicherer Gruppen aus den öffentlichen Institutionen und einem vom Rest der Gesellschaft abgeschirmten Leben. Privilegierte Teile der Bevölkerung verschanzen sich in ihren Lebensbereichen und ziehen sich aus dem öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem zurück“.

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Schroer, M. (2014). Von Fremden und Überflüssigen. Baumans Theorie der Ausgrenzung. In: Junge, M., Kron, T. (eds) Zygmunt Bauman. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19903-0_18

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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