Zusammenfassung
Die besondere Stellung der Emigranten in der politischen Ideengeschichte lässt sich nach Franz L. Neumann mit dem Typus des political scholars beschreiben. Dieser Typus war geprägt von der erzwungenen Internationalisierung im fremden Land, von der Anpassung an eine fremde Wissenschaftskultur (Akkulturation), vor allem aber vom Bewusstsein, dass der Kampf zwischen dem europäischen Faschismus und den westlichen Demokratien ein existentieller Kampf war, der auch auf dem amerikanischen Kontinent gekämpft werden müsse. Aus diesem Bewusstsein heraus entwickelte sich ein politisches Wissenschaftsverständnis, nicht im Sinne einer Politisierung der Methoden und Ergebnisse, wie dies im Verständnis der politischen Wissenschaften im Nationalsozialismus der Fall gewesen war, sondern indem sich eine an Max Webers Objektivitätskriterium orientierende, strenge Sozialwissenschaft in den Dienst demokratischer Politik stellte. Die Verbindung von strenger Wissenschaft mit politischer Nützlichkeit ist das wesentliche Charakteristikum der political scholars. Sie versuchten in der Emigration mit ihrer Wissenschaft zur Stärkung der Demokratie auf der Welt beizutragen. Alfons Söllner charakterisiert diesen politischen Anspruch der Wissenschaft als Beitrag zur normativen Verwestlichung der politischen Kultur.
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Notes
- 1.
- 2.
Vgl. Bleek (2001, S. 229 ff.).
- 3.
Vgl. Söllner (1999).
- 4.
- 5.
- 6.
Zur direkt für und über die Nachkriegsplanung für Deutschland verfassten Emigrantenliteratur und deren starken Gemeinsamkeiten vgl. Stoffregen (2002).
- 7.
Vgl. Claussen (1999).
- 8.
Vgl. Söllner (2004).
- 9.
- 10.
Vgl. die Darstellung bei Brinkley (1983).
- 11.
- 12.
Vgl. Loewenstein (1946b).
- 13.
Überlegungen etwa zum Transformationsprozess ehemaliger oder derzeitiger Kolonialgebiete oder auch zum Wiederaufbau Japans sucht man in dem Buch vergebens.
- 14.
Vgl. Loewenstein (1935).
- 15.
Das Recht auf nationale Selbstbestimmung wurde international fast gleichzeitig mit Loewensteins Buch in Art. 1 Abs. 2 UN Charta festgeschrieben.
- 16.
- 17.
Vgl. Loewenstein (1946b, S. 349): „Political tutelage (¼) is chiefly an instrument of gradualism in the restoration of internal self-determination.“
- 18.
Vgl. ebd., S. 307: „For a long time to come, public life in countries formerly totalitarian can have little in common with that in a liberal democracy.“
- 19.
Ebd., S. 351. Die Formulierung „the political scientists of the United Nations“ zeigt besonders deutlich, dass Loewenstein wie gesagt mit diesem Begriff eine zivilgesellschaftliche Vereinigung der demokratischen Nationen meint. Hier kommt Internationalisierung als unmittelbare Forderung Loewensteins zum Tragen.
- 20.
Vgl. ebd., S. 357 f.: „Democratization by compulsion – be it ever so benevolent – is futile unless made effective by the people’s genuine cooperation. At best political tutelage is the crutch on which the people have to learn to walk.“ Ein vergleichsweise bescheidener Anspruch, den sich die amerikanische Regierung im Winter 2003 vor dem Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein im Irak hätte zu Herzen nehmen sollen.
- 21.
Vgl. Loewenstein (1945a).
- 22.
Vgl. ebd.,S. 275.
- 23.
Vgl. ebd.,S. 276.
- 24.
Vgl. dazu Loewenstein (1959, S. 334 FN 2). Die Verbindung zwischen dem Projekt des American Law Institute und der Delegation von Panama kam über Ricardo J. Alfaro zustande, der seit 1905 zahllose öffentliche Ämter inne hatte, darunter Botschafter in den USA (1922–1930 und 1933–1936), Präsident (1931–1932) und Richter am Internationalen Gerichtshof (1959–1964). In seiner Funktion als Abgesandter Panamas in San Francisco legte er das Statement als offiziellen Vorschlag vor. Darüber hinaus war Alfaro Mitglied in Loewensteins Unterausschuss für politische Rechte gewesen.
- 25.
Vgl. Loewenstein: Why should a modern bill of rights contain political rights?, Loewenstein Papers Box 20 Folder 2.
- 26.
Ähnliches geht auch aus den Akten des Law Institute und aus Loewensteins Nachlass hervor. Die Dokumentationen der Treffen des Unterausschusses lassen erkennen, dass Loewenstein sich bei weitem am intensivsten engagiert hat. Vgl. dazu die relevanten Materialien im Archiv des American Law Institute, Biddle Law Library, University of Pennsylvania Law School, Box 6055 Item 10, Special Projects – International Bill of Rights, Drafts-Political Rights (1943): Report of subcommittee on political rights. Karl Loewenstein, reporter et al. Feb. 16, 1943; Box 6055 Item 11, Special Projects – International Bill of Rights, Drafts-Political Rights (1943): Notes, drafts, comments; Box 6055 Item 12, Special Projects – International Bill of Rights, Drafts-Political Rights (1943): Art. 16. Political Rights. Karl Loewenstein. Nov. 22, 1943.
- 27.
Loewenstein: Why should a modern bill of rights contain political rights?, S. 1. Das Law Institute wurde 1923 explizit mit dem Anspruch gegründet, die Unklarheiten im amerikanischen Recht durch „a restatement of basic legal subjects“ (Selbstdarstellung des ALI, http://www.ali.org) zu beseitigen.
- 28.
Loewenstein: Why should a modern bill of rights contain political rights?, S. 5.
- 29.
- 30.
Vgl. Loewenstein (1945b, S. 313): „Since the United Nations is prima facie not based on the principle of universality (¼) is it the tacit assumption that there are to be two classes of states, namely those which are peace-loving and, therefore, enjoy sovereign equality, and those not so classifiable and, therefore, not entitled to sovereign equality? This writer at least would greatly welcome the distinction because it would strip a non-peace-loving state of its protective cloak of sovereign equality and permit collective intervention, by the United Nations, in its internal affairs in case such a state would become a threat to international peace and security.“
- 31.
Vgl. Loewenstein(1945a).
- 32.
- 33.
Vgl. Loewenstein, Karl: American Scholars and German Universities, Papers Box 2 Folder 9.
- 34.
Loewenstein hat die erste Gründungskonferenz quasi im Alleingang organisiert. Zur Bedeutung der Phase der Gründungskonferenzen in der Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland und zu Loewensteins Rolle darin vgl. Bleek (2001, S. 266 ff.).
- 35.
Auch Eschenburg (1987, S. 159) beklagt, dass „[a]n den Schulen und Universitäten (¼) zwischen 1919 und 1932 ein offenkundiges Demokratiedefizit“ bestanden habe und es nach dem Krieg unbedingt erforderlich gewesen sei, dieses Defizit zu beheben.
- 36.
- 37.
Lang (2007a).
- 38.
Vgl. Lang (2007b, S. 299 ff., 318 ff.).
- 39.
- 40.
Der jüngste Versuch einer Gesamtdarstellung ist bereits auch wieder zehn Jahre alt und blendet die antiken Wurzeln weitgehend aus. Vgl. Carter (2001).
- 41.
Vgl. Dower (2003).
- 42.
Vgl. Schattle (2008).
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Lang, M. (2012). Vom Political Scholar zum Global Citizen? Perspektiven der Emigrationsforschung. In: Schale, F., Thümmler, E., Vollmer, M. (eds) Intellektuelle Emigration. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19658-9_10
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