Zusammenfassung
Franz Marc, Vertreter eines ›geistigen‹ Expressionismus in der bildenden Kunst, Literat und Soldat im Ersten Weltkrieg, hat sowohl in seinen Bildern und Aufzeichnungen aus der Zeit vor 1914 als auch in seinen Briefen und Skizzen aus dem Feld ein ästhetisches Programm zu formulieren und zu etablieren versucht, mit dem er seiner Epoche ein progressives kunsttheoretisches Profil verleihen und zugleich eine kulturpolitische Botschaft übermitteln wollte. Dank der medialen Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit seines Werkes läßt sich an Franz Marc in exemplarischer Weise die diskursive Verschränkung konkurrierender Konzepte einer Theorie der Moderne ablesen. Der vorliegende Beitrag wird versuchen, Schnittstellen einer solchen intermedialen und gewissermaßen auch interdisziplinären Verflechtung zu markieren: Im Spannungsfeld von Text (Literatur) und Bild (Malerei) werden die wichtigsten Argumentationsmuster, die Marc zu einer Neuformulierung der Aufgabe und Funktion von Kunst dienen, nachgezeichnet und ihre — da sie heterogenen historischen wie zeitgenössischen Kulturkontexten entliehen sind — paradoxale Struktur herausgestellt. Im Zentrum des Kunstprogramms Marcs steht das Tier, in dem Agonalität und Innerlichkeit, Schöpfung und Tod, Aufbruch und Krise zusammenlaufen. Im Tierbild und in theoretischen Reflexionen über das Tier trägt Marc seinen ›Kampf‹ um eine ästhetische Neubegründung der Moderne aus, den ich im folgenden unter vier Gesichtspunkten näher beleuchten will: In einem ersten Schritt wird es um die Mythenbildung gehen, die sich schon zu Lebzeiten an der Person Franz Marcs gerade im Hinblick auf das von ihm bevorzugte Sujet ›Tier‹ entzündet hat.
Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt.
Daher geht er mich innerlich nichts an.
Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten musste ich fliegen. Und ich flog.
In jener zertrümmerten Welt weile ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt.
Somit bin ich »abstract mit Erinnerungen«.
(Paul Klee, Tagebucheintrag München 1915)1
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Notizen
Paul Klee, Tagebücher 1898–1918, Textkritische Neuedition, hrsg. Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988, 366.
Vgl. Andreas Hüneke, Tierschicksale. Kunst als Heilsgeschichte, Frankfurt a.M. 1994, 6.
Zitiert nach Klaus Lankheit, Franz Marc im Urteil seiner Zeit, München 1989, 83.
Peter-Klaus Schuster, »Vom Tier zum Tod. Zur Ideologie des Geistigen bei Franz Marc«, in: Franz Marc, Kräfte der Natur. Werke 1912–1915, Staatsgalerie moderner Kunst, München 2.12.–13.2.1994, 168–189, hier: 169.
Johannes Langner, »›Symbole auf die Altäre der kommenden geistigen Religion‹ Zur Sakralisierung des Tierbildes bei Franz Marc«, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 18 (1981), 79–98.
Carla Schulz-Hoffmann, »Franz Marc und die Romantik. Zur Bedeutung romantischer Denkvorstellungen in seinen Schriften«, in: Franz Marc 1880–1916, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, 27.8.–26.10.1980, 95–111.
Wassily Kandinsky, Franz Marc (Hrsg.), Der Blaue Reiter, Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit, 9. Aufl., München, Zürich 1994, 23.
vgl. den Sammelband Karl Heinz Bohrer (Hrsg.), Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, Frankfurt a.M. 1983, 15 ff.
Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, 85.–90. Aufl., Stuttgart 1936, 288.
G.W. F. Hegel, Jenaer Realphilosophie. Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805–1806, hrsg. Johannes Hoffmeister, Hamburg 1931 (Neudruck 1969), 183;
Arthur Schopenhauer, Die Welt ab Wille und Vorstellung, Gesamtausgabe in zwei Bänden nach der Edition von Arthur Hübscher und mit einem Nachwort von Heinz Gerd Ingenkamp, Stuttgart 1993.
Vgl. auch Peter Ulrich Hein, Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus, Reinbek bei Hamburg 1992.
Vgl. hierzu Martina Wagner-Egelhaaf, Mystik der Moderne. Die visionäre Ästhetik der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1989, 2f.:
Veit Loers verweist in seinem Beitrag zu Marcs okkultistischem Weltbild auf eine ganze Reihe populärwissenschaftlicher Bücher zur Tier- und Pflanzenpsychologie, die sich im Kontext einer sich um 1900 etablierenden spiritistischen Weltsicht (Okkultismus, Monismus, Theosophie etc.) großer Beliebtheit erfreuten. Vgl. etwa Gustav Theodor Fechner, Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen, 4. Aufl., Hamburg, Leipzig 1908, oder Wilhelm Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 6., neubearb. Aufl., Leipzig 1919. Zit. n. Veit Loers, »Zwischen den Spalten der Welt — Franz Marcs okkultes Weltbild«, in: Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900–1915, Schirn-Kunsthalle Frankfurt a.M., 3.6.-20.8.1995, 266–273, hier: 268f.
oder Wilhelm Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 6., neubearb. Aufl., Leipzig 1919.
Zit. n. Veit Loers, »Zwischen den Spalten der Welt — Franz Marcs okkultes Weltbild«, in: Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900–1915, Schirn-Kunsthalle Frankfurt a.M., 3.6.-20.8.1995, 266–273, hier: 268f.
Jakob von Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere. 2., vermehrte und verbesserte Aufl., Berlin 1921, 3f.
Vgl. Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte. Der neuen Gedichte anderer Teil, Frankfurt a.M. 1974, 160.
Vgl. Monika Fick, Sinnenwelt und Weltseele: der psychophysische Monismus in der Literatur der Jahrhundertwende, Tübingen 1993, insbes. 130ff.;
Walter Gebhard: »Der Zusammenhang der Dinge.« Weltgleichnis und Naturverklärung im Totalitätsbewußtsein des 19. Jahrhunderts, Tübingen 1984.
Cathrin Klingsöhr-Leroy, »Das ›Skizzenbuch aus dem Felde‹ von Franz Marc und die Kriegszeichnungen Fritz Winters. Ein Vergleich«, in: Franz Marc und Fritz Winter. Bilder zum Krieg, Ausstellung Staatsgalerie Moderner Kunst München 28.3.-19.5.1996, 16–31, hier: 17.
vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, 7. Aufl., Frankfurt a.M. 1988, insbes. 269ff.
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Öhlschläger, C. (1999). Tierschicksale. Franz Marcs »Animalisierung der Kunst« oder der Kampf um eine Ästhetik der Moderne. In: von Graevenitz, G. (eds) Konzepte der Moderne. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05565-1_20
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-05565-1
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