Zusammenfassung
Die Faszination an paradoxen Denkfiguren ist so alt wie das Denken selbst. Von den Griechen über Pascal und die Frühromantik bis hin zu Hegel und Schleiermacher wurden die pathologischen und kreativen Aspekte dieser Figuren analysiert und durchgespielt. Paradoxien interessierten nicht allein als logische oder dialogische Probleme, sondern empfahlen sich auch als diagnostische Instrumente, um die Struktur des Verstehens oder latente Schichten der Realität pointenreich bloßzulegen. Schon früh wurden neben den klassischen Paradoxien selbstbezüglicher Sätze diejenigen der Liebe, des Glaubens, der Moral, der Schauspielkunst, der Vernunft etc. proklamiert, um dann abwechselnd verleugnet und wiederbelebt zu werden. Dennoch kann man den Eindruck gewinnen, daß sich mit Nietzsche, Heidegger, Derrida und den Forschungen zur Selbststeuerung von Systemen »ein ganz anderer Umgang mit Paradoxien eingebürgert«2 hat, der es erlaubt, Paradoxien nicht mehr zu vermeiden oder zu umgehen3, sondern vorzuführen und zu entfalten. Die Möglichkeit, endlich ein zuvor als Gefahrenzone für den Intellekt ausgeschildertes Terrain offiziell betreten zu können, hat einen regen Austausch von Forschungsergebnissen zwischen den Disziplinen bewirkt. Ich möchte mir diese stimulierende Situation zunutze machen und zwei Ansätze miteinander vergleichen, die auf unterschiedliche Weise paradoxe Strukturen postulieren: Paul de Mans Literaturtheorie und Niklas Luhmanns Konzept sozialer Semantik.
Für anregende Diskussionen danke ich Christiane Funken, Felix van Hove, Detlef Kremer und — last not least — Nikolaus Wegmann, der entscheidende Gedanken zur Klassikerproblematik beisteuerte.
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Notizen
Vgl. Niklas Luhmann, »Sthenographie«, in: ders. u. a. (Hrsg.), Beobachter, München 1990, 119–137, hier: 122.
Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1989, 7; vgl. ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bde. 1 und 2., Frankfurt a.M. 1980/81 (im Text künftig als: GS I, II, III); sowie: Liebe als Passion, Frankfurt a. M. 1982 (im Text: LP); ferner: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1988, 151ff. (im Text: WrG), und schließlich: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990, 107f. (im Text: WG).
Niklas Luhmann, Soziale Systeme, Frankfurt a.M. 1984, 9 (im Text künftig: SS).
Vgl. Lutz Ellrich, »Rhetorik und Metaphysik«, in: Nietzsche-Studien 23, Berlin 1993, 241–272.
Niklas Luhmann, »Zeichen als Form«, in: Dirk Baecker (Hrsg.), Probleme der Form, Frankfurt a. M. 1993, 45–70, hier: 62 (im Text: ZF).
Niklas Luhmann, »Systeme verstehen Systeme«, in: ders., Karl Eberhard Schorr (Hrsg.), Zwischen Intransparenz und Verstehen, Frankfurt a.M. 1986, 72–117, hier: 94f.
Peter Fuchs, Die Erreichbarkeit von Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1992, 83.
Vgl. hierzu Lutz Ellrich, »Die Konstitution des Sozialen«, in: Zeitschrift f. phil. Forschung, 46 (1992), 24–43.
Niklas Luhmann, »Die Beobachter der Beobachter im politischen System«, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), Öffentliche Meinung, München 1992, 77–86, hier: 85f.
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Ellrich, L. (1995). Semantik und Paradoxie. In: Birus, H. (eds) Germanistik und Komparatistik. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05561-3_21
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