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McKinseyisierung des Asylverfahrens

Die Rolle von Unternehmensberatungen in der neoliberalen Transformation des Asylsystems

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Der Begriff des Flüchtlings

Zusammenfassung

Der Beitrag nimmt die Neoliberalisierung des Asylverfahrenssystems zwischen 2015 und 2018 in den Blick. Im Kontext des sog. ‚Sommers der Migration‘ wurde nicht nur das Personal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stark aufgestockt, sondern auch externe Unternehmensberatungen wie McKinsey und Roland Berger damit beauftragt, das Asylverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Der Beitrag skizziert, wie diese Umstrukturierungen zu einer qualitativen Verschlechterung des Asylverfahrens und einer Verlagerung der Fälle vor die Verwaltungsgerichte führte. Dabei wird die These vertreten, dass das Rechtsstaatsprinzip des Verwaltungsverfahrens sukzessive durch ein neoliberales Effektivitätsprinzip abgelöst wurde. Theoretisch fundiert wird diese These durch Studien zum Neoliberalismus, darunter insbesondere Christine Reschs Studie zum ‚Berater-Kapitalismus‘, in der die Autorin vergleichbare Entwicklungen in der Bundesagentur für Arbeit diagnostiziert.

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Notes

  1. 1.

    Die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen beauftragte McKinsey im Jahre 2012 eine Machtbarkeitsstudie zur Vorsorgepflicht für Selbstständige zu erarbeiten.

  2. 2.

    Laut der Bundesagentur für Arbeit wurden im Jahr 2017 insgesamt 35,74 % der Widersprüche gegen Entscheidungen der Jobcenter und 39,98 % der Klagen teilweise oder vollständig zugunsten der Widerspruchführenden bzw. Klagenden entschieden.

  3. 3.

    Ein sehr frappantes Beispiel dafür ist die Situation auf einem in weiten Teilen privatisierten Wohnungsmarkt, der die Aufnahme von hunderttausenden Flüchtlingen vor eine große Herausforderung stellt. Während im öffentlichen Diskurs mitunter die große Anzahl der Flüchtlinge für die Verschärfung der Wohn- und Mietsituation verantwortlich gemacht wird, sprechen nur wenige Autor*innen über die vorherige Umwandlung der Wohnungspolitik in eine Wohnungsmarktpolitik, dem Verkauf von öffentlichen Wohnbaugesellschaften und dem Rückzug des Bundes aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus (vgl. Holm et al. 2015).

  4. 4.

    Tatsächlich erhielt Weise das Amt des BAMF-Chefs nicht in einem statusrechtlichen Sinne. Nachdem Innenminister Thomas de Maizière am Tag der Personalbekanntgabe noch sagte, Weise würde beide Ämter in Personalunion führen, ruderte man später von dieser Ankündigung zurück. Dies dürfte mit der Regelung nach §382 Abs. 5 SGB III zusammenhängen, der zufolge die Vorstandsmitglieder der BA neben ihrer Tätigkeit kein besoldetes Amt übernehmen dürfen, was hinsichtlich der Leitung des BAMF der Fall ist: „Die Vorstandsmitglieder dürfen neben ihrem Amt kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens noch einer Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören.“

  5. 5.

    Die Verkoppelung von BA und BAMF führte zum Beispiel dazu, dass die Integrationskurse und der Arbeitsmarkt für Flüchtlinge, aber auch für Geduldete (Ausbildungsduldung 60a Abs. 24 AufenthG) besser als zuvor geöffnet wurde. Gerade in der deutschen Wirtschaft entstanden Begehrlichkeiten, die Probleme des Fachkräftemangels durch die Beschäftigung von Flüchtlingen zu lösen. Aus einer rein asylpolitischen Logik ist es jedoch wichtig, dass die vor Krieg und Verfolgung geflüchteten Menschen auch die nötige Zeit haben, um in dem neuen Land anzukommen und ggf. ihre Traumata in einer angemessenen Zeit zu behandeln. Während auf der einen Seite der Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge gelockert wurde, kürzte die Bundesregierung aber andererseits im Sommer 2015 die Förderung von psychosozialen Zentren, die gerade auf diese Versorgung der Flüchtlinge spezialisiert sind (vgl. BT-Drs., 18/4622).

  6. 6.

    Vor seiner Tätigkeit bei der BA hatte Weise für verschiedene Headhunter-Firmen und in Unternehmensleitungen gearbeitet. Neben seiner Tätigkeit bei der BA war Weise zudem Leiter einer Kommission zur Reform der Bundeswehr, die der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingesetzt hatte. Auch in dieser Kommission beauftragte Weise die Berater von McKinsey mit Gutachten und Studien.

  7. 7.

    Für Anhörer*innen auf drei Wochen, für Entscheider*innen auf vier Wochen und für Vollentscheider*innen auf fünf Wochen (vgl. BT-Drs. 18/9415, 67).

  8. 8.

    Der Wirtschaftswoche zufolge bekam McKinsey jedoch in diesem Zeitraum 1,5 Mio. EUR, die allerdings von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt wurden, die zu diesem Zeitpunkt schon einen Rahmenvertrag mit McKinsey hatte (vgl. Dummer 2018b).

  9. 9.

    Neben dem nationalen Kontext hat sich McKinsey auch in der globalen Politikberatung für die Migrations- und Flüchtlingspolitik beteiligt. In den Publikationen von McKinsey wird das Flüchtlingsmanagement als eine globale Strategie zur Lösung der ‚Flüchtlingskrise‘ präsentiert (vgl. McKinsey 2016a, b).

  10. 10.

    Der Autor hat im Rahmen seiner praktischen Tätigkeit im Asylrecht sehr viele Bescheide des BAMF sichten können.

  11. 11.

    Ich habe selbst während meiner praktischen Arbeit für die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL e. V. und den Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BUMF e. V.) eine Vielzahl von BAMF-Bescheiden gesehen und kann einen drastischen Abfall der Qualität bestätigen.

  12. 12.

    Basierend auf 678 Beratertagen und einem Tagessatz von 2700 (vgl. Becker und Wiedmann-Schmidt 2016).

  13. 13.

    Dass zum Beispiel in der Praxis kaum Sachleistungen an Asylsuchende und Geduldete ausgegeben werden hat den einfachen Hintergrund, dass die Auszahlung von Bargeld für die kommunalen Sozialbehörden deutlich einfacher umzusetzen ist, als in jedem Einzelfall die rechtlichen Ansprüche der Asylsuchenden auf Verpflegung oder sozio-kulturelle Güter (wie Handy-Karten, Kinotickets etc) in Naturalien herauszugeben.

  14. 14.

    Die Arbeitsgruppe wurde am 14.05.1993 mit Beschluss der Konferenz der Innenminister der Länder eingerichtet.

  15. 15.

    Ebenso mit Informationen zur AG Rück: https://www.proasyl.de/news/eine-runde-mitleid-fuer-die-ag-rueck/und https://www.proasyl.de/news/alle-jahre-wieder-klagt-die-ag-rueck/ [01.07.2019].

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Pichl, M. (2020). McKinseyisierung des Asylverfahrens. In: Kersting, D., Leuoth, M. (eds) Der Begriff des Flüchtlings. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04974-2_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04974-2_4

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-04973-5

  • Online ISBN: 978-3-476-04974-2

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

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