Zusammenfassung
In Weimar hat F. Liszt seine Musik zu Herders „Entfesseltem Prometheus“ mit ausserordentlichem Erfolg aufgeführt. Sie besteht in einer Ouvertüre, acht Chören und einigen melodramatischen Stücken. Am Schlusse wurde der Componist stürmisch gerufen. Hoffentlich wird er diese seine neueste Arbeit der Veröffentlichung nicht vorenthalten. – Wenn irgend Jemand für die Kunst thätig ist, so ist es Liszt: mit demselben Feuer und der Begeisterung, womit der Herrliche über die Tasten hinstürmt und [86] dabei doch dem kleinsten Nötchen seine Bedeutung gibt, hat er jetzt die Aufgabe ergriffen: Weimar in Hinsicht auf musikalische Kunst zu dem zu erheben, was es einst in Bezug auf die poetische Litteratur Deutschlands war. Die Aufführung der neuesten Oper „Lohengrin“ von R. Wagner, dem flüchtigen, heimathlosen Wagner, ist eine schöne That für die deutsche Kunst, und wenn die weimarsche Kapelle ihrem Kapellmeister bei dieser Gelegenheit einen silbernen Taktirstab überreicht hat, so wird der Sinn der Gabe gewiss von allen deutschen Künstlern richtig erkannt und mit Beifall begrüsst werden. Und Liszt selbst, der in seinem Leben so reich und so glänzend beschenkte, ihm wird die kleine Gabe mehr werth sein, als mancher Brillant, weil sie ihm das freudige Zusammenwirken eines wackern Vereins von Künstlern mit ihrem Meister verbürgt. Hat er es doch mitten in den Triumphen auf seinen Reisen, überschüttet von Lorbern und erdrückt von Ehrenbezeigungen so oft gegen diejenigen, denen er sich offen hingab, ausgesprochen, dass sein Wunsch, ja seine Sehnsucht sei, der Kunst irgendwo eine wahre, sichere, unabhängige Freistatt zu gründen und dann nur ganz ihr und ihren höchsten Anforderungen zu leben! Mögen denn die äussern Verhältnisse in Weimar, wie es der Fall zu sein scheint, sich immer mehr so gestalten, dass er mit Freuden ausrufen kann: „hier habe ich diese Freistatt gefunden“, und mit innerer Befriedigung sich sagen: „ich habe redlich darauf erbaut, wozu der Geist mich trieb!“ Wie mancher weit weniger gefeierte Virtuose geht in dem Treiben der Salons und dem berauschenden Dunst der Concert- und Theatersphäre verloren für die Idee der Kunst! Und Liszt, der, wenn die Instrumentalmusik der Triumph der Tonkunst ist, als die sichtbare Verkörperung, als die Incarnation derselben am Fortepiano erscheint, Liszt, der wie ein Eroberer durch die Welt zog und jeden Augenblick seinen Siegeszug von neuem beginnen könnte, ihn betäubte der Weihrauch nicht auf seiner Höhe. Wohl warf er aus der Fülle seiner Schätze der staunenden Menge Blumen und Sträusser von Rubinen und Smaragden zu, aber den Demant, den ihm ein Gott gegeben, bewahrte er wohl: an seinem Feuer erglühte in einsamen heiligen Weihestunden das Herz des Künstlers, wenn die Welt den Virtuosen vergötterte, und nach den Augenblicken, in welchen er das Ideal der Ausführung zauberisch verwirklicht hatte, beugte er in Demuth sein Knie vor dem Ideal der höhern Kunst, das vor seiner Seele schwebte, und von dessen unsterblichem Lichte er in jenem nur einen vergänglichen Strahl sah. Und was er diesem Ideale dann gelobte, er hat es gehalten in Wahrhaftigkeit. Darum Bewunderung dem Virtuosen (wiewohl dieser Ausdruck nur eine ärmliche Vorstellung von dem gibt, was Liszt als Klavierspieler ist); aber Liebe und Verehrung dem Künstler, der schafft und wirkt. So wird sein Lorber nicht ein dahinwelkender Zweig, sondern der Stamm eines weithin schattenden Baumes werden.
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von Roth, D., Roesler, U. (2020). Nr. 22 | Anonym, „Franz Liszt in Weimar“, in: Rheinische Musik-Zeitung 1 (1850/1851), Nr. 11 (14. September 1850), S. 85f.. In: von Roth, D., Roesler, U. (eds) Die Neudeutsche Schule – Phänomen und Geschichte. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04923-0_22
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