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Zur Tabuisierung der Sexualität in den literarischen Texten der deutschen Aufklärung

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Tabu und Tabubruch
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Zusammenfassung

Das anvisierte Thema ist unter zwei Aspekten zu betrachten. Im Hinblick auf das Motiv Sexualität zeichnet es sich in das übergreifende Problemfeld der europäischen Mentalitätsgeschichte ein, in dem seit der griechisch-römischen Antike bis in den im Folgenden behandelten Zeitraum des 18. Jahrhunderts die Einstellung sozialer Gruppen zur Liebe und Sexualität sowie deren Darstellung in der Literatur sich grundlegend änderten.1 Die Tabuisierung der Beschreibung von Erotik und Geschlechtsverkehr gehört in die Sparte literarischer Strategien, in der es in der Neuzeit darauf ankam, entgegen dem seit dem Mittelalter herrschenden Sexualrigorismus das von Kirche und Staat oktroyierte Schweigen über das Mehr an intimen Situationen und Handlungen zu durchbrechen.2 So bedeutet die Tabuisierung im Folgenden nicht das Verbot, bestimmte Sachverhalte zu benennen, sondern die Möglichkeit, das Verdrängte zur Sprache zu bringen mit dem Ziel, das bislang Ausgegrenzte in das Kollektivbewusstsein zu integrieren.

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Notizen

  1. Vgl. P. Dinzelbacher (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1993 (Kröners Taschenausgabe, Bd. 469).

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  2. Der Begriff ‚Tabu‘ wird im Folgenden nicht in der ursprünglichen Bedeutung (d.h. Schutz einer wertvollen Sphäre, Errichtung von Handlungshemmungen) verwendet, sondern als Mittel, das geheiligte Verbotene gerade zu enthüllen, es in angemessener Form für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

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  3. Vgl. die Zusammenfassung der von Alfred Anger angeregten neuen Deutung der Rokokodichtung und Anakreontik in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Europäische Aufklärung I, hg. von Walter Hinck, Frankfurt a.M. 1974, S. 91ff.

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  4. Heinz Schlaffer: Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland, Stuttgart 1971. — Herbert Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung. Ein Versuch zur Erfassung ihrer ästhetischen und literarhistorischen Erscheinungsformen im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1972.

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  5. Vgl. Albrecht Schöne: Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult. Neue Einblicke in alte Goethetexte, München 1982. Das Buch gehört zu den wenigen Arbeiten, die sich dieser Problematik zuwenden.

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  6. Peter Pütz (Hg.): Erforschung der deutschen Aufklärung, Königsstein/Ts. 1980 (=Neue Wissenschaftliche Bibliothek 94). In der dem Band hinzugefügten Bibliographie zu verschiedenen Aspekten der Epoche finden sich kaum neuere Arbeiten zu der in Rede stehenden Problematik. Auffallend ist, dass das 1922 von Paul Kluckhohn vorgelegte Buch „Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jh. und in der deutschen Romantik“, das die ‚romantische Liebe‘ glorifiziert, 1966 in dritter Auflage erschien.

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  7. Vgl. Peter-André Alt: Aufklärung, Stuttgart/Weimar 1996. — Michael Hofmann: Aufklärung. Tendenzen — Autoren — Texte, Stuttgart 1999 (=Reclam Universal-Bibliothek Nr. 17616).

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  8. Vgl. Jürgen Barkhoff/Eda Sagarra (Hg.): Anthropologie und Literatur um 1800, München 1992 (=Publications of the Institute of Germanic Studies, University of London; Vol. 54).

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  9. Paul Englisch: Geschichte der erotischen Literatur. Stuttgart 1927. Zitiert als Paul Englisch mit Angabe der Seite.

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  10. Hermann Kinder (Hg.): Die klassische Sau. Das Handbuch der literarischen Hocherotik. Haffmans Verlag AG, Zürich 1986. Zitiert wird nach der Taschenbuchausgabe des Goldmann Verlages (=Verlagsnummer 42790). Zitate werden als Die klassische Sau mit Angabe der Seite ausgewiesen. Der Herausgeber ist Germanist an der Universität Konstanz.

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  11. Der jüdische Witz. Soziologie und Sammlung. Hg. v. S. Landmann, Düsseldorf 1988, S. 373.

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  12. Als Beispiel sei aus dem Roman die folgende Stelle angeführt. Fiekchen schildert in einem Brief, wie sie mit einem Unbekannten Geschlechtsverkehr hatte: „Kaum hatte er angesetzt, so fühlt’ ich, dass er einen ganz entsetzlichen Kerl haben müsse, denn es war nicht anders, als ob mir ein jähriges Kalb mit der Schnauze in den Leib fahren wollte. Er konnte auch lange nicht damit fort. Nach ohngefähr sechzehn langsamen und bescheidenen Zügen gelang es ihm endlich, dass er mein Inwendiges erreichte und nun holte er weit aus und propfte mich dermaßen, dass es mir durch Mark und Beine ging und ich alle Kräfte anwenden musste, um nicht das Übergewicht zu bekommen. Welch Entzücken ich da empfand, kannst Du leicht denken.“ Zitiert nach Carl Timlich: Priaps Normalschule: die Folge guter Kinderzucht. Ein kleiner Roman in gefühlvollen und zärtlichen Briefen. Berlin (DDR) 1986, S. 66f.

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  13. W. Schneider: Vorbemerkung zu: Carl Priaps Normalschule: die Folge guter Kinderzucht. (Anm. 12).

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  14. Bemerkenswert ist dabei die Gleichstellung beider Geschlechter.

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  15. Eine Sammlung dieser Lieder gab der ungarische Germanist László Tarnói unter dem Titel: Verbotene Lieder und ihre Varianten auf Fliegenden Blättern um 1800, Budapest 1983 (=Budapester Beiträge zur Germanistik, Bd. 11) heraus. Sie wird als Tarnói mit Angabe der Seite zitiert.

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  16. Vgl. Gaston Vorberg (Hg.): Glossarium Eroticum, Hanau (Main) 1965.

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  17. Horaz: Werke. Übersetzt v. M. Simon, Berlin und Weimar 1972, S. 165.

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  18. Ovid: Werke. Übersetzt v. L. Huchthausen, Berlin und Weimar 1968, Bd. 2, S. 72.

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  19. Römische Satiren. Übersetzt v. W. Krenkel. Berlin und Weimar 1977, S. 495f.

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  20. In der französischen Literatur findet man obszöne Dichtungen, oft an den „Priapeen” orientiert, bereits im 17. Jahrhundert. Verwiesen sei auf Claude Le Petit (ca. 1638–1662), der auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Bekannt ist sein Sonnet foutatif (Verficktes Sonnet), dessen erste Strophe in philologischer Übersetzung lautet: „Fick den Arsch, fick die Fotze, / Fick den Himmel und die Erde, / Fick den Teufel und den Donner, / den Louvre und Montfaucon” [= eine Hinrichtungsstätte bei Paris].

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  21. J.W. Goethe: Sämtliche Werke. Artemis-Gedenkausgabe, Bd. 1, S. 171: „Sollte der herrliche Sohn uns an der Seite nicht stehen?“ Goethes Texte werden, sofern nicht anders vermerkt, nach dieser Ausgabe als Goethe mit Angabe des Bandes und der Seite zitiert.

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  22. Goethe, Bd. 14, S. 605ff.

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  23. Johann Wolfgang Goethe: Winckelmann und sein Jahrhundert in Briefen und Aufsätzen. Hg. v. H. Holtzhauer. Leipzig 1969, S. 212f.

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  24. G.E. Lessing: Gesammelte Werke. Hg. v. P. Rilla. Bd. 2, Berlin (DDR) 1954, S. 316. Zitiert als Lessing mit Angabe des Bandes und der Seite.

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  25. Adolph Freiherr Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Hg. v. K.-H. Göttert. Stuttgart 1999, S. 163f.

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  26. Ebenda. S. 185.

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  27. Die klassische Sau, S. 287.

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  28. Paul Englisch, S. 206f.

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  29. Der Text wird nach dem von Hermann Kinder veröffentlichten Band Bürgers Liebe zitiert, der 1981 im Insel-Verlag (Frankfurt am Main) erschien. Für viele Texte, die Sexualität problematisieren und bekannten Autoren zugeschrieben werden, lassen sich sichere Quellen und Nachweise oft nicht benennen, weil die Herausgeber offensichtlich eine Art self-censorship ausübten. Darauf wird noch im Zusammenhang mit Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften kurz verwiesen.

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  30. Die klassische Sau, S. 291.

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  31. Vgl. E. Beutlers Kommentar in: Goethe,. Bd. 4, S. 1054. — Auch H. Fischer-Lambergs Erläuterungen zu Hanswursts Hochzeit in: Der junge Goethe. Neu bearbeitete Ausgabe in 5 Bänden. Berlin/New York 1973, Bd. 5., S. 436ff.

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  32. Zwar erschien die Ode ca. zehn Jahre nach ihrer Entstehung ohne Goethes Einwilligung (1785 von Friedrich Heinrich Jacobi veröffentlicht) und sorgte für Skandal in der Öffentlichkeit, doch schon 1789 nahm sie der Dichter in seine Schriften auf.

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  33. Goethe, Bd. 4, S. 257.

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  34. Ausdrücke dieser Art notieren Wörterbücher zu Goethes Sprache nicht. Vgl. P. Fischer: Goethe-Wortschatz, Leipzig 1929 (Reprint Leipzig 1971).

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  35. Goethe, Bd. 5, S. 553.

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  36. Goethe, Bd. 5, S. 554.

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  37. Die klassische Sau, S. 311–314 und 453.

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  38. Goethe, Bd. 2, S. 181. K.O. Conrady verweist in seiner Goethe-Monographie im Zusammenhang mit dem Roman auf das Gedicht Das Tagebuch, das er „eine pikante Zugabe zu den Wahlverwandtschaften“ nennt. K. O. Conrady: Goethe. Leben und Werk, Bd. 2, Königstein / Ts. 1985, S. 360.

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  39. Goethe Handbuch, Bd. 3, Stuttgart/Weimar 1997, S. 153.

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  40. Lessing, Bd. 1, S. 165. Im leicht geänderten Wortlaut findet man das Sinngedicht in: Nuditäten erstes Heft, oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua, bei Pietro Terone, S. 61. Das Buch erschien um 1810 mit fiktivem Druckort und Verleger. Zitiert nach dem Reprint der Originalausgabe Leipzig 1985.

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  41. Nuditäten. Erste Fortsetzung, S. 241.

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  42. Nuditäten erstes Heft, oder Fantasien auf der Venus-Geige, S. 183f.

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  43. Nuditäten. Erste Fortsetzung, S. 29.

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  44. Nuditäten erstes Heft, oder Fantasien auf der Venus-Geige, S. 254ff.

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  45. Tarnói, S. 96.

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  46. Tarnói, S. 214.

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  47. Tarnói, S. 257.

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  48. H. Schlaffer, Musa iocosa, S. 129.

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Namowicz, T. (2002). Zur Tabuisierung der Sexualität in den literarischen Texten der deutschen Aufklärung. In: Eggert, H., Golec, J. (eds) Tabu und Tabubruch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02873-0_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02873-0_7

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