Zusammenfassung
Die Annalen der Geschichte sind wahrlich nicht arm an Gewalt, mindestens und nachweisbar, seit es Klassen und Schriftzeugnisse gibt. Denken wir an die antiken Sklavenjagden, an die Kreuzzüge und die europäische Eroberung der Welt oder an den dreißigjährigen Krieg. Aber unserem Jahrhundert blieb es vorbehalten, Gewalt in bisher einmaliger Entfaltung zu betreiben. Allein schon zahlenmäßig: etwa 100 Millionen Menschen, so wird geschätzt, sind den verschiedenen Gewaltexzessen unserer Epoche zum Opfer gefallen. Die anfängliche Anomalität der Geschehnisse setzte sich durch Jahrzehnte fest; sie wurde gewöhnlich, ja banal — für die Täter und nicht selten auch für die Opfer. Ganze Gesellschaften boten den Boden und den Rahmen riesiger Exekutionsstätten. Im Namen einer höheren Moral zerbrachen deren Stammwerte unter dem Ansturm des Bösen. Es war wie eine Wiederholung des spätmittelalterlichen Totentanzmotivs auf gigantischer Stufenleiter. Die Melodie folgte den Ideologien der Vernichtung. Aber ausgeführt wurde das Stück mit den rationalen und technischen Mitteln der Moderne. Die instrumentale Effizienz der industriellen Massengesellschaft betrieb ein nie gehörtes, abseitiges Geschäft aufs perfekteste und destruktivste. Sie schlug der Zivilisation rationaler Beherrschung des Menschen und der Natur, der sie entstammte, unauslöschlich ins Gesicht.
Die hier vorgetragenen Thesen fußen auf meinem Buch: Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne, Münster 1993. Dort finden sich auch nähere Hinweise zu den Zitaten.
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Literatur
A. Szczypiorski, „Das Ende aller Zivilisation“, in: Die Zeit, 24. 3. 1995.
Russisch: „derjenige, der am Endpunkt angekommen ist“, sinngemäß „Abkratzet”, entsprechend dem Ausdruck „Muselmann“ in deutschen Lagern.
Vgl. P. Levi, Ist das ein Mensch?, Frankfurt 1988.
Gemeint waren damit die Zeugen Jehovas.
Iwan IV. direkt unterstellte Sondergebiete, auf denen eine Terrortruppe angesiedelt war.
Verbannung und Strafarbeit.
Vgl. dazu A. Siegel, Die Dynamik des Terrors im Stalinismus, Pfaffenweiler 1992.
Russ. „Säuberung“.
Vgl. B. Lewytzkyj, Die rote Inquisition. Die Geschichte der sowjetischen Sicherheitsdienste, Frankfurt 1967. Die verschiedenen Benennungen der Geheimpolizei: Tscheka = Besondere Kommission (1917–1922), GPU = Politische Hauptverwaltung (19221934), NKWD = Volkskommissariat des Inneren (1934–1946), MWD = Innenministerium (1946–1954), KGB = Komitee für Staatssicherheit (ab 1954 ).
GULag ist die Kurzform von „Glavnoe Upravlenie Lagerej“ = Hauptverwaltung der Lager.
Po lagernomu“ = auf Lagerart, „Tuchta” oder „Tufta“ = vorgetäuschte Arbeit.
Vgl. W. Schalamow, Geschichten aus Kolyma, Frankfurt, Berlin, Wien 1983.
W. Schoeller, „Doppelgedächtnis. Eine Rede im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald“, in: Frankfurter Rundschau, 15. 4. 1993.
Vgl. den „Generalplan Ost“, der die Neuordnung des Ostens nach dem deutschen Sieg umriß.
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Armanski, G. (1996). Das Lager (KZ und GULag) als Stigma der Moderne. In: Vetter, M. (eds) Terroristische Diktaturen im 20. Jahrhundert. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99851-4_7
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