Zusammenfassung
Das letzte von Descartes selbst veröffentlichte Werk, die Leidenschaften der Seele 1, wird in der Forschung meist nur peripher behandelt und in ihren Kompendien oft nur erwähnt, obwohl es in gewisser Weise eine Nagelprobe seiner Philosophie darstellt. Aber die Attraktivität der autonomen Fundierung des Erkenntnissubjekts und die Exposition der mathematischen Methode überstrahlen die Problematik ihrer lebensweltlichen Voraussetzungen. Obwohl man den cartesischen Optimismus, daß die Wissenschaft bald in der Lage sein werde, ewiges Leben und Weisheit zu garantieren, als Naivität belächelt, ist man sich doch weitgehend einig, daß nur methodische Erkenntnis in der Lage sein kann, das beste aller möglichen Leben zu gewährleisten. Angesichts des Fortschritts der Wissenschaft erscheint Descartes’ Rückzug aus der Lebenswelt in den Meditationen als kluge Distanzierung von den unzulänglichen und falschen Theorien seiner Zeitgenossen, mit der er die Grundlage schuf zur wissenschaftlicher Rekonstruktion der Lebenswelt, und damit — zumindest als geschlossene und bewußte philosophische Theorie — am Anfang eines Prozesses steht, in dem wir uns noch befinden. Aus dieser Perspektive machen sich die Passions der Übereilung und des Vorurteils schuldig, welche Descartes bei seinen Zeitgenossen geißelte, und denen er zu entkommen suchte. Denn Ethik auf physiologischer Basis zu begründen, wäre, falls dies überhaupt möglich sein könnte, eines der avanciertesten Projekte der Wissenschaft, hätte sie doch nicht nur zur Voraussetzung, bestimmen zu können, wie ein Organismus in seiner spezifischen Umwelt funktioniert, sondern müßte in der Lage sein zu beantworten, wo denn nun das Ethische zu finden sei und was es eigentlich organisch darstelle. Doch ein Scheitern Descartes’ wäre hier noch entschuldbar, schwerer zu rechtfertigen ist die Tatsache, daß er überhaupt nicht bemüht scheint, eine wissenschaftlich-methodische Ethik zu begründen, sondern traditionelle Inhalte lediglich mit seinem physiologischen Konzept zu überformen und ihnen dieses als methodische Legitimation unterzuschieben sucht.
„Es gibt eine Welt in der Welt.“
John DeLillo. Sieben Sekunden
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Literatur
A) Die Passions de l’ame werden nach der Ausgabe Rene - Descartes. Die Leidenschaften der Seele. Hrsg. v. Klaus Hammacher. Hamburg 1984 unter der Sigle LdS zitiert; daneben werden die Zitate in der Ausgabe Rene’ Descartes. Oeuvres. Publiées par Charles Adam and Paul Tannery. Paris 1965 unter der Sigle AT mit Band und Seite nachgewiesen. Zusätzlich herangezogene Augaben sind: René Descartes. Die Prinzipien der Philosophie. Hamburg, 1955 (unter der Sigle P); René Descartes. Meditationen über die erste Philosophie. Stuttgart, 1971 (unter der Sigle Me); René Descartes. Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Regulae ad directionem ingenii. Hamburg 1979. (unter der Sigle R); René Descartes. Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung. Stuttgart 1961 (unter der Sigle D); René Descartes. Leitfaden der Musik. Compendium musicae. Hrsg., ins Deutsche übertragen und mit Anmerkungen versehen. Johannes Brockt. Darmstadt 1978 (unter der Sigle C). B) Die Ausnahme ist Rainer Specht. Commercium mentis et corporis. Ober Kausalvorstellungen im Cartesianismus. Stuttgart-Bad Cannstatt 1966.
Manfred Riedel. Principium und Pronunciatum. Descartes Ego-sum-Argument und der Anfang der ersten Philosophie. In: Kantstudien 1988, H 1 S. 1–16, S. 11.; Manfred Riedel. Grund und Abgrund der Subjektivität. Nachcartesianische Meditationen. IN: DVjS, S. 61 (1987). S. 377–398 S. 394. (Die beiden Aufsätze sind übrigens nicht sehr verschieden.)
Riedel, Grund, S. 391 u. 394; Riedel, Principium, S. 5.
Riedel, Grund, S. 381.
Riedel, Grund, S. 388.
Riedel, Principium, S. 3; Riedel fährt fort: „Das Meditieren übt ein Denken ein, das sich als INGENIUM der URTEILSKRAFT betätigt. Und nachdem ein klares und deutliches GRUNDURTEIL (iudicium) über die Zugehörigkeit des Denkens zum Sein gefunden worden ist, bewegt es sich auf der EBENE DER DEMONSTRATIVEN BEGRÜNDUNG ALLER URTEILE.“ (Hervorhebungen im Orginal)
Riedel, Principium, S.16.
Ebd.
Vgl. Riedel, Principium, S. 3; vgl. Riedel, Grund, S. 394.
Insofern dies eine Privatsprache der Vernunft wäre, und damit auf die Ebene purer Expression degenerierte, was im übrigen die Intention rationaler Grammatik und Sprachtheorie ist, nur daß diese nicht als kreatürliche, sondern jene des alter deus als Gattungssubjekt verstanden wird.
Vgl. Ludger Oetng-Hanhoff. René Descartes: Die Neubegründung der Metaphysik. In: Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Neuzeit I. Göttingen 1979; S.35–73 S. 61 ff.; vgl. Riedel, Grund, S. 395.
Riedel, Principium, S. 4.
Wilhelm Friedrich Niebel. Scientia, Experientia und Sapientia beim frühen Descartes. In: THEORIA CUM PRAXI. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis im 17. u. 18. Jahrhundert. Akten des III. Internationalen Leibnizkongresses. Hrsg. von K. Müller, H. Schepers u. W. Totok. Bd. 1: Theorie und Praxis, Politik, Rechts-und Staatsphilosophie. Wiesbaden 1980, S. 144–157 hier S. 155.
A. a. O., S. 145.
A.a.O.,S.153.
A. a. O., S. 157.
Vgl. a. a. O., S. 152, Anm 57.
A. a. O., S. 153.
Ebd.
A. a. O., S. 148.
A. a. O., S. 157.
A. a. 0., S. 153; vgl. Hans Blumenberg. Säkularisierung und Selbstbehauptung. Frankfurt a. M. 2 1983; S. 286, Anm. 222.
Niebel, Scientia, S. 202.
A. a. O., S. 155, Anm. 67.
Vgl. Bernard Williams. Descartes. Das Vorhaben der reinen philosophischen Untersuchung. Königstein 1981 hier: S. 233.
Blumenberg, Säkularisierung, S. 232; vgl. S. 235.
Dies bedeutet freilich nur, daß sie eine methodische Strategie zur Selbsterhaltung des Erkenntnissubjekts darstellt.
Vgl. Hübener, Tod.
Vgl. Hist. Wb., Art.: Désintéressement.
et comment il ne suffit pas qu’elle soit logée dans le corps humain, ainsi qu’un pilote en son nauire, sinon peutestre pour mouvoir ses membres, mais qu’il est besoin qu’elle soit iointe and unie plus estroitement avec luy, pour avoir, outre cela, des sentimens and des appetits semblables aux nostres, and ainsi composer un vray homme.“ (AT VI, S. 59; vgl. Hammacher in: LdS, S. 339, Anm. 47)
Vgl. AT VIII, S. 335–369. Dazu auch: Hammacher, in LdS, S. 341, Anm. 55; Williams, Descartes, S. 244 u. Aristoteles. Uber die Seele/De anima. München 1983, S. 287.
imaginations“ können sowohl von der Seele als auch vom Körper hervorgerufen werden (vgl. LdS, XXf., AT XI, S. 144f.). Im Artikel XXI werden sie fast äquivok mit „perception” gebraucht. Hammacher erklärt in einer Anmerkung zu Art. XIX (LdS, S. 333) es sei nötig, den Begriff „imagination“ je nach Gebrauch entweder mit „Vorstellung” oder mit „Einbildung“ zu übersetzen. Damit aber hypostasiert er ein Urteil über diese,mental images’, die sie eben ihrer Ambivalenz und damit der Wirkmöglichkeit als spezifische Instanz beraubt. Vgl. Alexander Koyre. Descartes und die Scholastik. Bonn. 1893 (Repr. Darmstadt 1971) S. 48f.
LdS, S. 37f./AT XI, S. 344f.
LdS, S. 38/AT XI, S. 345.
IxIS, S. 42/AT XI, S. 346.
Sie erscheinen als deren „Schatten oder Bild“ („que celles-cy sont comme l’ombre ou la peinture des autres” US, S. 44/AT XI, S. 348). Indem Hammacher „peinture” mit „Abbild“ übersetzt, separiert er das ästhetische Bild von dem revozierter Erinnerung. Auch hier wird eine vermeintliche Äquivokation aufgelöst, die doch — s. u. — gerade als solche von systematischer Bedeutung ist.
LdS, S. 40/AT XI, S. 346.
US, S. 42/AT XI, S. 347.
LdS, S. 42/AT XI, S. 347.
Ebd. Auch hier ist zu beachten, daß die terminologische Unterscheidung keine kategoriale sondern eine typologisierende Differenzierung darstellt, d. h. sie gewichtet anstatt zu separieren.
US, S. 44/AT XI, S. 347.
US, S. 46/AT XI, S. 349, vgl. Hammacher in US, S. 335, Anm. 35.
Zitat folgt im Text.
Sie sind Perzeptionen, insofern die Seele sich selbst in ihnen gegenständlich erfährt. Hier eröffnet sich der circulus vitiosus aller Reflexionstheorie des Bewußtseins.
LdS, S. 48/AT XI, S. 350.
LdS, S. 46/AT XI, S. 349. Hier wird tatsächlich eine kategoriale Unterscheidung postuliert, ohne daß sie jedoch ausgewiesen werden kann. Das Problem der Applikation der Methode auf die Praxis deutet sich an. Der Wert dieser kategorialen Differenzierung, der an dieser Stelle lediglich heuristischer Status zukommen kann, muß sich im Verlauf der Untersuchung ausweisen. Sie kann entweder als Strategie der inventio verstanden werden, wie sie Descartes in den Regulae fordert und skizziert, oder ist als doxa methodischen Denkens begreifbar.
US, S. 48/AT XI, S. 350.
US, S. 4/AT XI, S. 328. Dieses diffuse Zwischenreich, das den Passions Gegenstand ist, wird in den Princeps charakterisiert: „Sed and alia quaedam in nobis experimur, quere nec ad solum mentem, nec etiam ad solum corpus referri debent, quaeque, ut infrà suo loco ostendetur, ab arctâ and intimi mentis nostrae cum corpore unione proficiscuntur: nempe appetitus famis, sitis, and c., itemque, comotiones, sive animi pathemata, quae non in soli cogitatione consistunt, ut commotio ad iram, ad hilaritatem, ad tristitiam, ad arnorem, and c.; ac denique sensus omnes, ut doloris, titillationis, lucis and colorum, sonorum, odorum, saporum, calons, duritiei, aliarumque tactilium qualitatum.“ (AT VIII-1, S. 23). „Dagegen erfahren wir in uns auch anderes, was sich nicht auf den Geist allein und nicht auf den Körper allein bezieht, und was, wie später zu zeigen sein wird, von der engen und innigen Verbindung des Geistes mit dem Körper herrührt, nämlich die Gefühle des Hungers und des Durstes usw.; ebenso die Erregungen oder Leidenschaften der Seele, die nicht in bloßem Denken bestehen, wie die Erregungen zum Zorn, zur Fröhlichkeit, zur Traurigkeit, zur Liebe usw.; endlich alle Empfindungen, die wie die des Schmerzes, des Kitzels, des Lichtes und der Farben, der Töne, der Gerüche, der Geschmäcke, der Wärme, der Härte und der anderen unter den Tastsinn fallenden Qualitäten.” (Prinzipien, S. 16f.)
LdS, S. 4/AT XI, S. 328.
Vgl. LdS, S. 32/AT XI, S. 342: Art. XVII.
LdS, S. 26/AT XI, S. 339.
LdS, S. 34/AT XI, S. 343.
Ebd.
LdS, S. 34/AT XI, S. 343: „Et bien, qu’au regard de nostre ame, ce soit une action de vouloir quelque chose, on peut dire que c’est aussi en elle une passion d’apercevoir qu’elle veut. Toutefois, à cause que cette perception and cette volonté ne sont en effect qu’une mesme chose, la denomitation se fait tousjours par ce qui est le plus noble; and ainsi on n’a point costume de la nommer un passion, mais seulement une action.“ Die Berufung Descartes auf die Konvention christlich-metaphysischer Nomenklatur ist ebenso bemerkenswert wie der,Methode’ unangemessen. Die methodische Ambivalenz des im Terminus „passion” Bezeichneten wird lediglich nominal, nicht der Sache nach aufgelöst; und das moderne Sprachspiel des Übersetzers zeigt sich unfähig, das methodisch Uneindeutige eineindeutig abzubilden. (Vgl. LdS, S. 4/AT XI, S. 328 )
LdS, S. 48/AT XI, S. 350; vgl. die Anmerkung Hammachers Nr. 35 (S. 335 ).
Letztendlich wird die Wahl dadurch legitimiert, daß das methodisch Wahre auch das furden-Menschen-Gute, d. h. seiner Selbsterhaltung Zuträgliche und auf lange Sicht affektiv Gewinnbringenste sei. Nur die „solida veri cognitio“ (AT X, S. 361) gewährt beständigen Genuß: (Voluptas) „quae fere unica est integra and nullis turbata doloribus in hac vita felici-tas” (ebd./Reg. S. 4).
d’user tousjours bien de son libre arbitre, [...)“ (LdS, S. 246/AT XI, S. 449)
Vgl. die sechste Meditation.
Vgl. Me, S. 34f. /AT V, S. 14: „Sed corpus humanum, quatenus a reliquis differt corporibus, non nisi ex certi membrorum configuratione aliisque eiusmodi accedentibus esse conflatum; (...)“ Vgl. Me, S. 104/AT V, S. 84: Die Uhren-Metapher. Vgl. LdS, I, Art. 50. (LdS, S. 84/ AT XI, S. 368 ).
Sinnliche Wahrnehmung kehrt,die natürliche’ — was heißen soll: die methodisch-metaphysische — Ordnung um, indem statt nach erkenntnistheoretischer Dignität nach der Funktionalität des Rezipierten für die Selbsterhaltung des Körpers gewertet wird: „[...) sed video me in his aliisque permultis ordinem naturae pervertere esse assuetum, quia nempe sensuum perceptionibus, quae proprie tantùm a natura datae sunt ad menti significandum quaenam compositio, cuius pars est, commoda sint vel incommoda, and eatenus sunt salis clarae and distinctae, utor tanquam regulis certis ad immediate dignoscendum quaenam sit corporum extra nos positorum essentia, de qui tarnen nihil nisi valde obscure and confuse significant.“ (AT V, S. 83) — „[...J, vielmehr werde ich gewahr, wie sehr ich daran gewöhnt bin, hier und in vielen anderen Fällen die natürliche Ordnung umzukehren: Die sinnlichen Wahrnehmungen sind mir nämlich eigentlich nur dazu von der Natur verliehen, um dem Geist anzuzeigen, was dem Zusammengesetzten, dessen Teil er ist, zuträglich oder nicht zuträglich ist, und dafür sind sie klar und deutlich genug. Ich lasse sie mir aber als sichere Richtschnur dienen, um ohne weiteres zu entscheiden, was das Wesen der außerhalb von uns befindlichen Körper sie. Dafür sind sie aber nur ganz dunkle und unbestimmte Anhaltspunkte.” (Me, S. 103; vgl. Me, S. 96f. [u. Anm. 167]/AT V, S. 76f.)
Vgl. LAS, XXXI.
Vgl. LdS, S. 87/AT XI, S. 369 u. D, S. 53f./AT VI, S. 571
Hammacher gebraucht den Begriff der,Taxinomie’ (LdS, XIII). Doch er wendet gegen den Mechanismus dieser tierischen Orientierungsreaktionen ein, „man [könnte) die Funktion der VORSTELLUNG in diesem Sinne deuten, wenn sie sich nicht auf das Verstehen von Bedeutung, sondern auf eine Situation bezöge.“ (LAS, LXXXII; Anm. 73) Die Differenz zur Taxinomie ist durch zwei Momente gekennzeichnet: Erstens durch Überzeitlichkeit, die für Descartes allerdings keine Unterscheidung zu tierischem Verhalten bestimmt, da auch Tieren ein Gedächtnis zukommt; zweitens durch Universalisierbarkeit. In ihr, also in einem kommunikativen Moment, das durch die Hypostatierung der res cogitans methodisch eliminiert ist, findet sich das Kriterium der Unterscheidung. ( Vgl. Anm. 113 )
LdS, S. 68/AT XI, S. 360.
Vgl. Me, S.103/AT V, S. 83f.
LdS, S. 89/AT XI, S. 370.
Me, S. 97/AT V, S. 77.
Vgl. Me, S. 106/AT V, S. 86 u. Reg., S. 41/AT X, S. 414 u. AT XI, S. 176 (= Traité de l’homme): Die „glade“ als „le siege de l’imagination and de sens commune”.
Me, S. 106/AT V, S. 86: „[...] mentem non ab omnibus corporis partibus immediate affici, sed tantummodo a cerebro, vel forte etiam ab unâ tantùm exiguâ ejus parte, nempe ab eâ in quâ dicitur esse sensus communis; quae, quotiescunque eodem modo est disposita, menti idem exhibet, etiamsi reliquae corporis partes diversis interim modis possint se habere, [...)“
Me, S. 107/AT VIII, S. 87: „[...], non nisi unum aliquem sensum illi infert [...)“. In der zweiten Meditation wird der „sogenannte Gemeinsinn” der Einbildungskraft gleichgesetzt (Me, S. 53/AT V, S. 32:..[...] id est potentia imaginatrice“). Die Entitäten des,sensus communis’ entsprechen den Möglichkeiten kreatürlicher — auch animalischer — Wahrnehmung; sie sind die Signifikate der Normalsprache und damit des Normalverständnisses, von dem Descartes sich distanziert, um mittels der Methode zur,nackten Wahrheit’ zu gelangen: „Sed pudeat supra vulgus sapere cupientem, ex formis loquendi quas vulgus invenit dubitationem quaesivisse; pergamusque deinceps, attendendo utrùm ego perfectius evidentiusque percipiebam quid esse cera, cùm primùm aspexi, credidique me illarn ipso sensu externo, vel saltem sensu communi, ut vocant, id est potentiâ imaginatrice, cognoscere? an ver, potiùs nunc, postquam diligentiùs investigavi turn quid ea sit, turn quomodo cognoscatur? Certe hac de re dubitare esset ineptum; nam quid fuit in primâ perceptione distinctum? Quid quod non a quovis animali haberi posse videretur? At verò chm, cetam ab externis formis distinguo, and tanquam vestibus detractis nudam considero, sic illarn revera, quamvis adhuc error in judicio meo esse possit, non possum tarnen sine human mente percipere.” (AT V, S. 32) — „Aber ich, der ich über das, was das Volk weiß, hinauskommen will, sollte mich schämen, einen Zweifelsgrund aus der Ausdrucksweise herzuleiten, welche sich das Volk zurechtgelegt hat. Fahren wir also fort, sehen wir zu, ob ich vollkommener und evidenter erfaßte, was das Wachsstück sei, als ich es zuerst erblickte und der Meinung war, ich erkenne es durch einen äußeren Sinn oder wenigstens durch den sogenannten Gemeinsinn, d. h. durch die Einbildungskraft, oder ob dies erst jetzt der Fall ist, nachdem ich sorgfältiger untersucht habe, was es ist, und auch, wie es erkannt wird. Es wäre dumm, daran zu zweifeln. Was war denn in jener ersten Auffassung Deutliches? Jedes Tier hätte wohl eine solche Deutlichkeit erreichen können! Wenn ich aber das Wachsstück von seiner äußeren Form unterscheide und ihm gleichsam die Kleider ausziehe, um es nackt zu betrachten, so kann ich in der Tat nicht ohne den menschlichen Geist wahrnehmen, wiewohl bislang noch ein Irrtum in meinem Urteil möglich ist.“ (Me, S. 53) Eine zweite für das Verständnis des sen-sus communis bei Descartes zentrale Passage findet sich in der zwölften der „Regulae ad directionem ingenii”: In den Sinnen prägen sich die Impulse der AuBerwelt ab, „wie das Wachs seine Figur vorn Siegel empfängt“ — „[...], eâdem ratione quâ cera recipit figuram à sigillo.” (Reg. 12,5 0, S. 40/AT X, S. 412) Diese,Figuren’, die jeder sinnlichen Wahrnehmung inhärent sind (vgl. Regel 12,6), werden dem Gemeinsinn überstellt (vgl. 12,7). Descartes bewegt sich hiermit in der aristotelischen Tradition (vgl. Aristoteles, De anima III,2, S. 316), die im sensus communs jenen,gemeinsamen Sinn’ erkannte, der das Material der einzelnen Sinne zur Einheit der Wahrnehmung zusammenführt. Er spielt seinerseits die Rolle des Siegels, denn er ist in der Lage, die Figuren, „die von den äußeren Sinnen rein und ohne Körper ankommen, in der Phantasie oder Einbildungskraft gleich wie im Wachs abzudrücken, [...J.“ — „(...) sensum communem fingi etiam vice sigilli ad easdem figuras vel ideas, à sensibus externis puras and sine corpore venientes, in phantasiâ vel imaginatione veluti in ceri formandas; [...)” (Regel 12,8 = Reg., S. 41/AT X, S. 414) — Dort werden sie aufbewahrt und bilden das Gedächtnis (vgl. Regel 12,8). Aus diesem oder direkt vom sen-sus communis empfängt die,vis cognitionis’ die Inhalte der Wahrnehmung (vgl. Regel 12,10 = Reg. S. 42f./AT X, S. 415f.). Der sensus communia stellt eine Einheit aller Perzeption dar, wie sie sowohl Tieren als auch dem Menschen zukommt, doch bildet er bei letzterem neben der res cogitans einen zweiten Fokus. Da die Methode die Ideen als Entitäten der Erkenntnis von den in der Sinnlichkeit latent vorhandenen Figuren trennt — und damit auch die Imagination oder potentia imaginatrice von der körperlichen phantasia (In den Regulae steht noch das nicht alternative „vel“ statt „aut... auf”) — verfallen die im sensus communis angelegten notiones communes, wie sie die Stoa als Allgemeines in jeder Wahrnehmung begriffen harte, einem erkenntnistheoretischen Verdikt, und ihre Instanz wird allen,idealen’ Gehalts entkleidet und zu einem physiologischen Regelkreis reduziert. Aus dem Blickwinkel der res cogitans kommt der Hypophyse bestenfalls eine Rolle bei erkenntnistheoretisch subsidiärer und praktisch valenter Wahrnehmung zu. Sie ist Ort der ex definitione dem Körper zugewandten Einbildung und des konventionsbestimmten Denkens, ist „le siege de l’imagination and de sens commun“ (AT XI, S. 176; vgl. D, S. 52/AT VI, S. 55; P, S. 294; R, S. 46/AT X, S. 419). Zu den „notions communes: P, S. 17 (= T1; § 49f: „communis notio sive axioma” (AT VIII-1, S. 23; vgl. § 49 = S.23f.) (§ 50, S. 24 formuliert einen Vorbehalt).
Me, S. 98/AT V, S. 78: „facultates specialibus quibusdam modis cogitandi“. Die zu Lebzeiten Descartes erschienene und als quasi autorisiert anerkannte Ausgabe der Meditationen formuliert abweichend. In deutscher Übersetzung lautet die Passage dann: „Zweitens finde ich in mir eigentümliche, von mir verschiedene Denkweisen: [...).” (Me, S. 98, Anm. k)
Me, S. 96/AT V, S. 76: „in rebus sensuum externorum judicia“.
Vgl. D, S. 52f./AT VI, S. 56f.
Vgl. D, S. 54f./AT VI, S. 57f.
Brief an Mersenne vom 20. Nov. 1629 (Briefe, S. 25ff; 29) = AT I, S. 81.
Ebd.
Vgl. Briefe, 115 = März 1683 an X = AT II, S. 40.
Vgl. Me,S. 39/AT V, S. 9f.
Vgl. Me,S. 25/AT V, S. 5, vgl. D, S. 9/AT VI, S. 8.
Me, S. 31/AT V, S. 10: „certa et evidens cognitio veritatis“.
D, S. 62ff./AT VI, S. 67ff., vgl. Reg., S. 35 (= Regel 10,5)/AT X, S. 406: Descartes weißt die Dialektik aus dem Feld der Wissenschaft und schlägt sie der Rhetorik zu. Das „grobe Geschütz wahrscheinlicher Syllogismen“ „[eignet) sich zum Kriegfihren so vorzüglich” (R, S. 6/AT X, S. 363 ).
D, S. 7/AT VI, S. 6: „[...3; que la Philosophie donne moyen de parler vraysemblablement de toutes choses, and se faire admirer des moins sçavans; (...)“
D, S. 10/AT VI, S. 9f.: „Car il me sembloit que ie pourrois rencontrer beaucoup plus de verité, dans les raisonnemens que chacun fait touchant les affaires qui luy importent, and donc l’evenement le doit punir bientost aprés, s’il a mal iugé, que dans ceux que fait un homme de lettres dans son cabinet, touchant des speculations qui ne produisent aucun effect, [...)“
Vgl. D, S. 11/AT VI, S. 10f.; zur Opposition raison — usage vgl. Ulrich Ricken. Interpretationen der Sprache als Argument für und gegen den Dualismus. Descartes und seine sensualistischen Gegenspieler im 17. Jahrhundert. In: Beiträge zur Romanischen Philologie XX/1981, Heft 1, S. 29–49.
D, S. 58/AT VI, S. 62: „maistres and posesseurs de la Nature“.
D, S. 61f./AT VI, S. 65f.
D, S. 58/AT VI, S. 61: „[...) la loy qui nous oblige a procurer, autant qu’il est en nous, le bien general de tous les hommes.“
D, S. 62/AT VI, S. 66: „[...), and que c’est proprement ne valoir rien que de n’estre utile a personne, [...)“. Aber Descartes relativiert siene Aussage sogleich un setzt an die Stelle von Engagement implizit Engagement für die Methode, wenn er fortfährt: „[...), toutefois il est vrai aussy que nos soins se doivent estendre plus loin que le tems present, and qu’il est bon d’omettre les choses qui apporteroient peutestre quelque profit a ceux qui vivent, lorsque c’est a dessein d’en faire d’autres qui ent apportent davantage a nos neveux.” (Ebd.)
Vgl. D, S. 63/AT VI, S. 68; R, S. 35/AT X, S. 406. Ironischer Weise ist aber schon bei Descartes die Ökonomie philosophischen Denkens der Suspendierung ökonomischer Notwendigkeit bedürftig (vgl. D, S. 9f/AT VI, S. 9 ).
Vgl. D, S. 57/AT VI, S. 61: Zwar wehrt sich Descartes gegen jede politisch-und theologisch-reformatorische Interpretation, aber er gibt zu, versucht zu haben „[seine) Sitten nach den Lehrbegriffen [seiner) Methode zu richten“ (ebd.). — „[...), ou bien que i’ay tasché de regler mes meurs par les raisons qu’elle m’enseignoit, [...)” (Ebd) Der „reformateur“ hält durch die Hintertür wieder Einzug. Vgl. D, S. 15/AT VI, S. 15: „Meine Absicht hat sich nie weiter erstreckt, als auf den Versuch, meine eigenen Gedanken zu reformieren, und auf einem Grunde aufzubauen, der ganz in mir liegt.” — „Iamais mon dessein ne s’est estendu plus avant que de tascher a reformer mes propres pensées, and de bastir dans un Fons qui est tout a moy.“
Vgl. Briefe, 312ff.: An Elisabeth, 15. 9.1645 (= AT IV, S. 290ff.).
P, S. 26/AT VIII-1, Pars prisma 35: Teil 1, § 71: „Nempe in primâ aetatè, mens nostra tarn arcte corpori erst alligata, ut non alüs cogitationibus vacaret, quàm üs solis, per quas ea sentiebat quae corpus afficiebant [...)“
P, S. 27/AT VIII-1, S. 35f.: Teil 1, § 71: „[...), mens illi adhaerens incipiebat advertere id, quod ita assequebatur auf fugiebat, extra se esse; nec tantùm illi tribuebat magnitudines, figuras, motus, and talia, quae ut res auf rerum modos percipiebat, sed etiam sapores, odores, and reliqua, quorum in se sensum ab ipso effici advertebat.“
P, S. 28/AT VIII-1, S. 36: Teil 1, § 71: „Milleque aliis ejusmodi praejudiciis, à primâ instantiâ, mens nostra inbuta est; quae deinde in pueritiâ non recordabatur fuisse à se sine sufficienti examine recepta, sed tanquam sensu cognita, vel à natura sibi indita, pro verissimis evidentissimisque admisit.“
P, S. 28/AT VIII-1, S. 37: Teil 1, § 73: „[...): sive quia talem, ex eo quòd corpori conjuncta sit, habet naturam; sive quia in primis annis, cùm tantùm circa sensus and imaginationes occuparetur, majorem de ipsis quàm de caeteris rebus cogitandi usum and facilitatem acquisivit.“
Ebd./ebd.: „Et quia revera nullam rem, qualis ipsa est, sensu solo percipimus, ut infra clare ostenderur, hinc accidit, ut plerique in tota vita nihil nisi confuse percipiant.“ Hier wird sichtbar, warum der Rekurs auf einen allgemeinen sensus communis und ihm inhärente no-Bones communes als Rekurs auf common sense für Descartes aus dem Prozeß der Wahrheit ausscheidet. Er verschließt sich infolgedessen auch jeder plebiszitären Argumentation — schon die Relativität der Sitten läßt sie obsolet erscheinen (vgl. D, S. 11/AT VI, S. 10) —und favorisiert die Konzeption eines,Nomothetes’, eines „weisen Gesetzgebers” (D, S. 13/AT VI, S. 12: „prudent Legislateur“). In dessen Position manövriert er sich — bei aller Bescheidenheit der Methode — letztendlich doch (vgl. D, S. 64ff./AT VI, S. 68ff.), wenngleich nicht als Individuum, so als,führendes Subjekt der Methode’.
P, S. 28f./AT VII-1, S. 37f.: „Et denique, propter loquelae usum, conceptus omnes nostris verbis, quibus eos exprimimus, alligamus, nec eos nisi simul cum iptis verbis memoriae mandamus. Cùmque faciliùs postes verborum qùam rerum recordemur, vix unquam ullius rei conceptum habemus tam distinctum, ut ilium ab omni verborum conceptu separemus, cogitationesque hominum ferè omnium circa verba magis qùam circa res versantur: adeó ut persaepe vocibus non intellectis praebeant assensum, quia putant se illas olim intellexisse, vel ab alíis qui eas rette intelligebant accepisse.“
Br, S. 29/AT I, S. 81.
Ebd./AT I, S. 82: „grans changemens en l’ordre des choses“.
Vgl. Br, S. 27/AT I, S. 79: Auch hier benutzt Descartes den Begriff der „usage“. Die Eigenwertigkeit der Laute hängt zusammen mit dem Verständnis der Töne als mathematischer Verhältnisse, wie sie Descartes im „Compendium musicae’ (AT X, S. 79–141) und in der Korrespondenz mit Beeckman (a. a. O., S. 151–169) vorrangig reflektiert.
Br, S. 28/AT I, S. 80: „[...1and ce par le moyen de l’ordre, c’est à dire, établissant un ordre entre toutes les pensées qui peuvent entrer en l’esprit humain, de mesme qu’il y en a un naturellement étably entre les nombres; [...1“
Damit wird die kommunikative Funktion der Sprache auf ihren repräsentativen Aspekt reduziert. Zulässig ist nur noch,imitatio“ der Wahrheit, also Re-präsentation der intuitiven Evidenzerfahrungen der res cogitans, mithin bildet Sprache nicht Erfahrung des konkreten Subjektes, sondern jene des allgemeinen Erkenntnis-Subjektes ab. Da das Erkenntnissubjektes ex definitione allgemein ist, entfällt das Dialogische jeder Kommunikation, bzw. erscheint als Störung durch Vorurteil und Partikularinteresse. Williams spricht in diesem Zusammenhang von einer „Semantik der letztgültigen Beschreibung” (a. a. O., S. 231).
Vgl. „Traite de la lumiere“, AT XI, S. 3f.
Vgl. Me, S. 52/AT V, S. 31f.; P, S. 14/AT VIII-1, S. 20 = Teil 1, § 42, u. a. m.
AT XI, S. 4.
Ebd.: „Vous sçavez bien que les paroles, n’ayant aucune ressemblance avec les choses qu’elles signifient, ne laissent pas de nous les faire concevoir, and souvent mesme sans que nous prenions garde au son des mots, ny à leurs syllabes; en sorte qu’il peut arriver qu’aprés avoir ouy un discours, dont nous aurons fort bien compris le sens, nous ne pourrons pas dire en quelle langue il aura esté prononcé. Or, si des mots, qui ne signifient rien par l’institution des hommes, suffisent pour nous faire concevoir des choses, avec lesquelles ils n’ont aucune ressemblance: pourquoy la Nature ne pourra-t’elle pas aussi avoir estably certain signe, qui nous fasse avoir le sentiment de la Lumiere, bien que ce signe n’ait rien en oy, qui soit semblable à ce sentiment?“
AT XI, S. 3: „[...) qu’il peut y avoir de la difference entre le sentiment que nous en avons, c’est à dire l’idée qui s’en forme en nostre imagination par l’entremise de nos yeux, and ce qui est dans les objets qui produit en nous ce sentiment, c’est à dire ce qui est dans la flâme ou dans le Soleil, qui s’appelle du nom de Lumiere.“
Me, S. 64/AT V, S. 44.
P, S. 6/AT VIII-1, S. 11 = Teil 1,§ 17.
P, S. 7/AT VIII-1, S. 11f. (hier S. 12) = Teil 1, § 18.
Vgl. P, S. 9/AT VIII-1, S. 14f. = Teil 1, § 26.
P, S. 38/AT VIII-1, S. 48 = Teil 2, § 15.
P, S. 12/AT VIII-1, S. 18 = Teil 1, § 35.
Vgl. P, S. 241/AT VIII-1, S., 320f. = Teil 4, § 197.
P, S. 80f./AT VIII-1, S. 99 = Teil 3, § 43f.
R, Regel 12,6 = S. 40ff/ AT X, S. 413ff.; vgl. P, T.2; §13ff (= S. 37ff.).
„nihil nos unquarn intellegere posse, praeter istas naturas simplices, quamdam illarum inter se mixturam sive compositichem“ (AT X, S. 422); vgl. R, 48, 18.; vgl. R, 52; vgl. Br, 28/AT I,70ff.: Brief an Mersenne vom 20. 11. 1629.
Vgl. P, 293f./ AT VIII; S. 377; zu Regius: a. a. O., S. 295f.
R, S. 34/AT X, S. 404f., Regel 10, 3.
vgl. PT. IV, § 205 (= P, S. 247/ AT VIII-1, S. 327. „Sed tarnen, ne qua Mc veritati fraus fiat, considerandum est quaedam esse quae habentur certa moraliter, hoc est, quantum sufficit ad usum vitae, quamvis si ad absolutam Dei potentiam referantur, sint incerta.“ — „Um indes hier über die Wahrheit sich nicht zu täuschen, so bedenke man, daß manches für moralisch gewiß gehalten wird, d. h. für die Zwecke des Lebens hinreichend gewiß, obgleich es in Rücksicht auf die Allmacht Gottes ungewiß ist.” Das Bemerkenswerte an dieser Passage ist, daß Descartes seine Theorie mit einem Rekurs auf moralische Sicherheit („certum mora-liter”) legitimiert und dabei nicht auf ein metaphysisch Wahres, sondern auf ein durch den „usus vitae definiertes verisimile rekurriert. Er bedient sich humanistisch-rhetoriscischer Theoreme zur Absicherung der eigenen Konzeption gegen einen theologisch-metaphysischen Wahrheitsanspruch. Wenige Zeilen später wird ein weiteres Theorem humanistischen Denkens in Anschlag gebracht, um den Geltungsanspruch der Methode zu sichern: Die Kohärenz methodisch exponierten Sinnes ist zwar nicht in der Lage, die Wahrheit der je einzelnen Vermutung („conjectura“) zu beweisen, aber sie sichert dem Gesamt der Interpretation einen Status von Wahrscheinlichkeit; — freilich vermeidet Descartes diesen Terminus und verwendet ihn lediglich ex negativo: Ein Kryptograph hat eine Buchstabenkombination als sinnvollen Text konstruiert, indem fir jeden der Buchstaben den im Alphabet folgenden setzte. „[...}: non dubitabit quin illius epistolae verus sensus in istis verbis contineatur, etsi hoc solâ conjectura’ cognoscatand fiert forsan possit, ut qui earn scripsit, non literas proximè sequences, sed aliquas alias loco verarum posuerit, atque sic alium in eâ sensum occultaverit: hoc enim tam difficulter potest contingere, ut non credibile videatur.’ (AT VIII-1, S. 328) — „[...3, so wird er nicht zweifeln, daß der wahre Sinn des Briefes in diesen Worten enthalten sei. Obgleich es nur auf einer Vermutung beruht, und es möglich bleibe, daß der Schreiber nicht den nächstfolgenden, sondern andere an Stelle der Wahren gesetzt und so einen anderen Sinn darin verborgen hat, so ist dies doch so wenig wahrscheinlich, daß es nicht glaublich ist.” (P, S. 247) An die Stelle punktueller Adäquation des Buches der Natur — auch hierin bedient sich Descartes eines humanistsichen Topos, freilich um ihn taktisch zu gebrauchen — und theoretischer Sätze tritt eine Art holistischer Falsifikation: Die kohärente Deduktion der Naturphilosophie aus ersten Prinzipen garantiert deren Geltung: „Sed qui advertent quàm multa de magnete, de igne, de totius Mundi fabricâ, ex paucis quibusdam principiis hic deducta sint, quamvis ista principia tantùm casu and sine ratione à me assumpta esse putarent, fortè tarnen agnoscent, vix potuisse contingere, ut tam multa simul cohaerent, si falsa essent.” (Ebd.) — „Deshalb werden die, welche bemerken, wie vieles hier über den Magneten, das Feuer, die ganze Einrichtung der Welt aus wenigen Prinzipien hergeleitet worden, selbst wenn sie meinen, daß ich diese Prinzipien nur auf das Geradewohl und ohne Grund angenommen hätte, doch vielleicht anerkennen, daß doch kaum so vieles so zusammenstimmen könnte, wenn es falsch wäre.“(Ebd.; vgl. auch: D, S. 70f./AT VI, S. 76f.) Über dieses,moralfiter certum’ hinaus reicht nur Theodizee, die metapysische Gewißheit eines wahrheitsliebenden Gottes: „Praeterea quaedam suns, etiam in rebus naturalibus, quae absolutè ac plusquam moraliter certa existimamus, hoc scilicet innixi Metaphysico fundamenco, quod Deus sit summè bonus and minimè fallax, arque ideò facultas quarr nobis dedic ad verum à falso dijudicandum, quoties eâ rectè utimur, and quid ejus ope distinctè percipimus, errare non possit.” (A. a. O., § 206) — „Außerdem gibt es auch innerhalb der Natur mehreres, was wir für unbedingt und mehr als moralisch gewiß halten, indem wir uns auf den metaphysischen Grundsatz stützen, daß Gott höchst gütig und nicht betrügerisch sei, und daB desshalb unser von ihm empfangenes Vermögen, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden,nicht irren könne, wenn wir es recht gebrauchen und etwas mit dessen Hilfe genau erkennen.“ (A. a. O., § 206) Descartes opperiert mit einer doppelten Wahrheitstheorie: Er skizziert ein Modell immanenter Gewißheit und ein Modell transzendenter Wahrheit. Die Pointe dieses Verfahrens liegt in der Tasache, daft ersteres mit letzerem nur äußerlich, über die metaphysischen Bedürfnisse des Subjektes verbunden ist, die methodische Naturwissenschaft oder -philosophie seiner also funktionell nicht bedarf (vgl. D, S. 36/ AT VI, S. 37f.). Doch wäre es eine Beleidigung Gottes, glaubte man, die Insuffizienz der Vernunft des alter deus rationalis gestatte keine Erkenntnis (P, S. 80/AT VIII-1, S. 99: „injuria deo”; vgl. Williams, 124: Zur „Außengarantie der Wahrheit“). Das kryptographische Modell von Erkenntnis verklammert die frühen „Regulae” mit den späten „Prinzipien“ (vgl. R, S. 25/AT X, S. 391 [= Regel 7,91 R, S. 34f./ AT X, S. 404f. [= Regel 10,3)). Außerdem wird in beiden der Schreibvorgang als Metapher sinnlicher Wahrnehmung verwendet (R, S. 41/AT X, S. 414 [= Regel 12,7)). Hier in engster Verbindung mit dem sensus communis und der Wachs-Siegel-Metapher; P, S. 240/AT VIII-1, S. 320 (T 4, 197). Die Sinneswahrnehmung ist wiederum in sich nach Maßgabe ihrer Kohärenz im Vergleich der Information aus den einzelnen Sinnen zu werten (vgl. Me, 109f./AT V
A. a. O., 204 (= P, S.246/AT VIII-1,327). Der Text fährt fort: „Hocque etiam ad usum vitae sufficiet, quia and Medicina, and Mechanica, and caeterae artes omnes, quae ope Physicae perfici possunt, ea tantùm quae sensilia sunt, ac proinde inter naturae phaenomena nume-randa, pro fine habent.“ (A. a. O.) — „Dies wird auch für die Zwecke des Lebens genügen, weil sowohl die Medizin und die Mechanik, wie alle anderen Künste, welche der Hilfe der Physik bedürfen, nur das Sichbare und desshalb zu den Naturerscheinungen Gehörige zu ihrem Ziel haben.” (A. a. O.) Dabei ist zu beachten, daß über die Medizin auch die Moralität einer Gesellschaft der Physik verpflichtet ist. Andererseits aber besitzen ohne Rekurs auf metaphysische Wahrheit die Naturwissenschaften nur den Status moralischer Gewißheit. Es ist dieser Zirkel, dem die prima philosophia zu entkommen trachtet.
Vgl. R,74ff./AT X,454ff. (= Regel 16).
Freilich vertraut Descartes nicht auf die Kraft der Erinnerung und des Gedächtnisses, sondern fordert, die Erfahrungen in einem „Verzeichnis“ („charta”) niederzulegen (R, S. 77/AT X, S. 458 (=Regel 16,6); vgl. Regel 12,7 (AT X, S. 414). Die Übersetzung (R, S. 41) verstellt den Zusammenhang, wenn sie „quo singuli characteres in charta exprimuntur“ mit „indem sich die einzelnen Buchstaben auf dem Papier ausdrücken” wiedergibt.
Vgl. den Brief an Arnauld vom 4.6.1648 (AT V, 192); vgl. auch R, 43/AT X, S. 416: Tiergedächtnis. Bernard Williams bemerkt zu diesem Problem: „Das Paradigma eines Dings, da bedeutet oder bezeichnet, ist die Sprache. Descartes war der Ansicht, daß die Sprache nur deshalb bezeichnet, weil das begriffliche Denken — und das ist es, was in der Sprache ausgedrückt wird — bezeichnet. Es ist möglich, daß er das, was er als den geistigen Aspekt eines Wahrnehmungsbildes oder eines aus den Sinnen stammenden Bildes auffaßte, ein konfuser Fall begrifflichen Denkens war, der auf keine Weise einem körperlichen Ding ähnelte oder es abbildete, sondern die einzige Beziehung zu einem solchen Ding hatte, die begriffliches denken haben kann, nämlich Bedeutung oder Bezeichnung. Wenn es sich so verhält, so ist der in solchen Bildern enthaltene Gedanke in mehr als einer Hinsicht konfus: Es ist dem unreflektierten Bewußtsein nicht offenkundig, was den Gedanken ausmacht, und es ist nicht offenkundig, was er bezeichnet. Seine unmittelbare Bezeichnung ist tatsächlich ein Zustand seines Körpers.“ (Williams, S. 241)
Diese intellektuellen Wahrheiten, die sich in den „cogitationes“ zeigen, mit dem Terminus „Ideen” zu identifizieren, erscheint angsichts des schwankenden Gebrauchs, den Descartes selbst von diesem Begriff macht, fragwürdig (vgl. Hist.Wb., Art.,Idee’, II1,1).
Descartes schreibt, er stelle im Discours sein Leben dar „wie in einem Gemälde“: „comme en un tableau” (D, S. 5/AT VI, S. 4); einige Seiten weiter nennt er den Discours ein „Modell“ („modèlle”) seines Werkes (D, S. 15 /AT VI, S. 15), das er aber nicht zeige, damit andere es nachahmen („imiter“) (D, S. 15/AT VI, S. 15); er charakterisiert das ganze Unternehmen: „Mais, ne proposant cet escrit que comme un histoire, ou, si vous l’aymez mieux, que comme un fable, en laquelle, parmi quelques exemples qu’on peut imiter, an en trouvera peutestre aussy plusieurs autres qo’on aura raison de ne pas suivre, i’espere qu’il sera utile a quelques uns, sans estre nuisible a personne, and que tous me sçavront gré de ma franchise.” —„Da ich jedoch in dieser Schrift nur die Absicht habe, gleichsam eine Geschichte, oder, wenn man lieber will, gleichsam eine Fabel zu erzählen, worin unter manchen nachahmenswerten Beispielen vielleicht auch manche andere sich finden werden, denen man besser nicht folgt, so hoffe ich, diese Schrift wird einigen nützen, ohne einem einzigen zu schaden, und jeder wird mir für meine Offenheit Dank wissen.” (D, S. 5 /AT VI, S. 4; vgl. Br, 312ff./AT IV, 290ff.: Brief an Elisabeth vom 15. 9. 1645 ) Descartes charakterisiert hier präzise die Funktion von Kunst im System rationalistischer Theorie, Modell von Erkenntnis zu sein.
Vgl. die 10. Regel der Regulae (R, S. 32ff. /AT X, S. 403ff.).
sensum communem fungi etiam vice sigilli ad easdem figuras vel ideas,a sensibus externis puras and sine corpore venientes, in phantasia vel imaginatione veluti in cera formandas:...“ (R, S. 41/AT X, S. 414; vgl. die Regeln 11 u. 12)
Dem Gedächtnis (memoria) kommt bei der Erkenntnis unterstützende Funktion zu (R, S. 39/ AT X, S. 410 = Regel 12). Es ist von Bedeutung, wenn eine Beweiskette das Fassungsvermögen („capacitas“) der vis cognitionis überschreitet, „weil sie dann nicht im Ganzen auf einmal vom Verstande erfaßt werden kann, sondern ihre Zuverlässigkeit in gewisser Weise vom Gedächtnis abhängt, in dem die Urteile über die einzelnen aufgezählten Teilmomente aufbewahrt werden müssen, um aus ihrer Gesamtheit einen einzigen Sachverhalt zu erschließen.” — „{...3 cui enumerationis, (...3 quia tunc non tota simul ab intellectu potest comprehendi, sed eius certitudo quodammodo à memoria dependet, in qua judicia de singulis partibus enumeratis retineri debent, ut ex illis omnibus unum quid colligatur.” (R, S. 36f./ AT X, S. 408 = Regel 11,2) Doch an sich ist es trügerisch und von Versagen bedroht, weshalb man zum einen die Erinnerung (memoria) als methodische Rekapitulation schulen muß (R, S. 37 /AT X, S. 408f. = Regel 11,49), zum anderen an die Stelle des „körperlichen“ Gedächtnisses, das dem „Gedächtnis der Tiere ähnelt” („quae corporea est and similis recordationi brutorum” [R, S. 43 /AT X, S. 416 = Regel 12,11)) ein anderes, quasi intellektuelles Gedächtnis setzten: „Sed quia haec saepe labilis est, and ne aliquam attentionis nostrae partern in eadem renovandâ cogamur impendere, dum alijs cogitationibus incumbimus, aptissimè scribendi usum ars adinvenit; {...3“ — „Weil das [Gedächtnis) aber häufig unsicher ist, und um zu vermeiden, daß wir einen Teil unserer Aufmerksamkeit darauf verwenden müssen, es aufzufrischen, hat die Kunst sehr passend den Schriftgebrauch dazu erfunden.” (R, 74 /AT X, S. 454; vgl. den Brief an Arnauld vorm 4. 6. 1648 = AT V, S. 192ff.) Vergleicht man dieses Mißtrauen persönlicher Erfahrung gegenüber mit den Sokratischen Bedenken, daß gerade die Schrift dazu geeignet sei, Vergessen zu schulen, so bekommt man eine Ahnung des Weges der Philosophie von den Weisen zu den Wissenschaftlern.
maximam hujus regulae utilitatem in eo consistere, quod ad mutuam simplicium propositionum dependentiam reflectendo, usum acquiramus subirò distinguendi, quid sit ma-gis vel minus respectivum, and quibus gradibus ad absolutum reducatur.“ (R, S. 37f./ AT X, S. 409)
Vgl. den Anhang zu Regel 8 (R, S. 90/AT X, S. 395).
Arque una and eadem est vis, quae, si applicet se cum imaginatione ad sensum communem, dicitur videre, tangere, and c.; si ad imaginationem solam ut diversis figuris indutam, dicitur reminisci; si ad eamdem ut novas fingat, dicitur imaginari vel concipere; si denique sola agat, dicitur intelligere: quod ultimum quomodo fiat, fusiùs exponam suo loco. Et eadem etiam idcirco juxta has functiones diversas vocatur vel intellectus purus vel imaginatio, vel memoria vel sensus; propriè autem ingenium appellatur, cùm modò ideas in phantasia novas format, modò jam factis incumbiç consideramusque illam ut diversis istis operationibus aptam {...3“ (R, S. 42f/AT X, S. 415f.= Regel 12,10)
Es ist klar, daß der frühe Descartes der Regulae, der sich um die bona mens bemüht, humanistisch-rhetoristischen Kategorien näher steht als jener der Methode. Es ist jedoch hier gerade Anliegen, zu zeigen, daß die Hinwendung zur Methode eine Problemreduktion bedeutet, und daß etliche der Probleme, die der Humanismus im Konzept der Weisheit und des Weisen zu fassen und zu lösen suchte, sich wieder einstellen, sobald die Methode eine Praxis der Subjekte in den Blick nimmt, welche über die Praxis der Wissenschaft hinausreicht.
Vgl. Regel 12,11 (R, S. 43/AT X, S. 416f.).
Ebd.
Neque plura intellectum juvare possunt ad res singulas distinctè intuendas.“ (R, S. 44/AT X, S. 417)
Hammacher bezeichnet im Vorwort zu denLeidenschaften der Seele’ das Verfahren Descartes’ als „Aufzählung“ und bemerkt, daß „sein methodisches Denken hier im Anschluß an die topischen Wahrscheinlichkeitsansprüche entwickelt ist” (LdS, S. XLV).
Hammacher vergleicht solches nicht-rationale Verhalten mit tierischen Orientierungsreaktionen, den Taxinomien, konstatiert aber als wesentliche Differenz die semantische Kompetenz des Menschen: „Hiernach liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier im Verstehen der Bedeutung, die in anderer Weise als durch die reinen Erregungen situationsunabhängiges Handeln möglich macht.“ (LdS, S. XLII)
Vgl. D, S. 53.
LdS, S. 91
Vgl. A. a. O., S. 103
Vgl. LdS, S. 29.
US, S. 45; vgl. Me, S. 95.
LdS, S. 57.
LdS, S. 93.
LdS, S. 109/AT XI, S. 380; vgl. LdS, S. 95f/ AT XI, S. 384.
LdS, S. 109f./AT XI, S. 380f.; vgl. LdS, S. 113/ AT XI, S. 382.
LdS, S. 111f./AT XI, S. 381.
LdS, S. 109/AT XI, S. 380.
elle n’a point de rapport avec le coeur and le sang, desquels depend tout le bien du corps, mais seulement avec le cerveau, où sont les organes des sens qui servent à cette connoissance.“(LdS, S. 111/AT XI, S. 381)
ce qui fait que tout le corps demeure immobile comme une statue, and qu’on ne peut apercevoir de l’objet que la premiere face qui s’est presentée, ny par cosequent en acquerir une plus particuliere connoissance.“ (LAS, S. 115/AT XI, S. 383; vgl. LdS, S. 117/AT XI, S. 385)
Die, um die Formulierung Blumenbergs zu gebrauchen, „theoretische Neugierde“ ist freilich zu unterscheiden von der „curiositas”, blinder Neugierde (vgl. R, S. 23/AT X, S. 371), die Descartes als „Krankheit“ („maladie”) bezeichnet (US, S. 121/AT XI, S. 386). Nur was methodisch fruchtbar erscheint und die Geltung der Vernunft nicht gefährdet, ist legitimes Objekt der,Admiration’. Die Verwunderung, welche auf physiologischer Seite das Spiel der Vernunft erst in Gang setzt, bleibt eine zutiefst ambivalente Eigenschaft: „C’est pourquoy, encore qu’il soit bon d’estre né avec quelque inclination à cette passion, pource que cela nous dispose à l’acquisition des sciences, nous devons toutefois tascher par apres de nous en de-livrer le plus qu’il est possible.“ (AT XI, S. 385) Selbstbescheidung der Neugier, die schon in den Regulae alle auszeichnete, die um die,bona mens’ bemüht waren (vgl. R, S. 91f./AT X, S. 395f.), wählt die Phänomene nach ihrem Gebrauchswert für die Methode aus. Aber um dies zu können, müssen jene schon beurteilt sein, d. h. die evaluative Selektion der Phänomene bringt Vernunft bereits vor ihrem Gebrauch in Anschlag. Descartes versucht dem Zirkel zu entgehen, indem er die Vernunft selbst habitualisert — freilich um den Preis, daß die,Admiration’ als curiositas durch die Hintertür wieder Einzug hält: „Car il est aysé de suppleer à son defaut par une reflexion and attention perticuliere, à laquelle nostre volonté peur tousjours obliger nostre entendement, lors que nous fougeons que la chose qui se presente en vaut la peine; mais il n’y a point d’autre remede pour s’empescher d’admirer avec exces, que d’acquerir la conoissance de plusieurs choses, and de s’exercer en la consideration de toutes celles qui peuvent sembler les plus rares and plus estranges.” (AT XI, S. 385) Die vernünftige Praxis etabliert sich durch das Verfahren von trial and error; Descartes vertraut darauf, daß die methodische Leere des Kuriosen dieses schließlich denunziert. Letztlich aber bleibt der Zirkel unauflösbar und wird verdrängt durch „eine Art von innerszientifischer Moral, ein Rigorismus der systematischen Logik, dem die ungezügelte Wißbegierde suspekt sein muß.” (Blumenberg, 1973, S. 209 )
LdS, S. 87/AT XI, S. 369.
WS, S. 85/AT XI, S. 368.
Ebd.
est qu’elles incitent and disposent leur aine à vouloir les choses ausquelles elles preparent leur corps [...3“ (US, S. 67/AT XI, S. 359)
Nus passions ne peuvent pas aussi directement estre excitée sny ostées par l’action de nostre volonté, mais elles peuvent lestre indirectement par la representation des choses qui on coustume d’estre jointes avec les passions que nous voulons avoir, and qui sont contraires à celles que nous voulons rejecter.“ (LdS, S. 73f./AT XI, S. 362; vgl.auch LdS, S. 79f./ AT XI, S. 365)
LdS, S. 73/AT XI, S. 362.
Vgl. LdS, S. 75/AT XI, S. 363. Ideale Voraussetzung rationalen Kalküls ist ein Zustand pathetischer „Unentschiedenheit“ („Irresolution”). Positiv gefaßt, als Bestimmungslosigkeit, ist sie die Grundlage des freien Willens und damit die differentia species des animal rationale: „ (...); libertatis i...3 and indifferentiae, quae in nobis est, nos ira conscios esse, ut nihil sit quod evidentiùs and perfectiùs comprehendamus.“ (AT VIII, S. 1, 20) Doch ist diese Pseudo-Apathie kein Wert an sich, sondern darf nur genau so lange dauern, die für die Urteilsfindung erforderlich: „L’Irresolution est aussi une espece de Crainte, qui retenant lame comme en balance, encre plusiers actions qu’elle peut faire, est cause qu’elle n’en execute aucune, and ainsi qu’elle a du temps pour choisir avant que de se determiner. En quoy veritablement elle a quelque usage qui est bon. Mais lors qu’elle dure plus qu’il ne faut, and qu’elle fait employer à deliberer le temps qui est requis pour agir, elle est fort mauvaise.” (AT XI, S. 459) Auch für die „Irresolution” ist ein aptum gefordert, das sich methodisch nicht ausweisen kann und der selben Zirkularität unterliegt wie schon die Neugierde. Neben dieser existenziellen Unentschiedenheit, die in der Tradition abendländischer Selbsterhaltungs-Metaphysik — und diese sicher auch mitbegründend — auf Furcht als anthropologische Kategorie (oder Existenzial) rekurriert, kennt Descartes noch eine erkenntnistheoretische Unentschiedenheit: „{...3 cette sorte d’Irresolution vient seulement du sujet qui se presente, and non point d’aucune emotion des esprits: c’est pourquoy elle n’est pas une Passion, si ce n’est que la Crainte qu’on ade manquer en son choix, en augmente l’incertitude.“(Ebd.) Dabei kann es sich nicht um Neuheiten handeln, da diese ja pathetisches Potential besitzten, sondern eher um gewöhnliche, für methodisches Kalkül situativ nicht relevante Gegenstände. Man braucht sich nicht zu sehr zu kümmern, ihnen gerecht zu werden, und auch das Bemühen c.n richtiges — gutes — Handeln, darf nicht so weit gehen, daß das Selbstbewußtsein der Methode erschüttert wird: „Et alors c’est un exces d’Irresolution, qui vient d’un trop grand desir de bien faire, and d’une foiblesse de l’entendement, lequel n’ayant point de notions claires and distinctes, en a seulement beaucoup de confuses. C’est pourquoy le remede contre cet exces, est de s’accoustumer à former des jugemens certains and determinez, touchant toutes les choses qui se presentent, and à croire qu’on s’acquite tousjours de son devoir, lors qu’on fait ce qo’on juge estre le meilleur, encore que peut estre on juge tres-mal.” (AT XI, S. 460) Denn: „Indifferentia autem ilia, quam experior, cùm nulla me ratio in unam partem magis quàm in alteram impellit, est infimus gradus libertatis, and nullam in eâ perfectionem, sed tatummodo in cognitione defectum, sive negationem quandam, teststur nam si semper quid verum and bonum sit tiare viderem, nunquam de eo quod esset judicandum vel eligendum deliberarem; í...3“(AT VII, S. 58) — „Jene Indifferenz {...3, die ich erfahre, wenn kein Grund mich mehr nach der einen Seite hintreibt als nach der andern, ist die niedrigste Stufe der Freiheit; sie spricht nicht für vollkommene Freiheit, sondern lediglich für einen Mangel im Erkennen, d. h. für eine Negation. Sähe ich immer klar, was wahr und gut ist, ich würde niemals schwanken, wie ich zu urteilen oder zu wählen habe. Ich könnte völlig frei, aber niemals indifferent sein.” (Me, S. 79) Descartes beschreibt die zupackende Moral gesunder, unternehmerischer Vernunft, der es auch als Fehler gilt, zu wenig zu begehren (vgl. LdS, S. 221/AT XI, S. 436). Bemerkenswerter Weise fällt hier der Ausdruck,Pflicht’ („devoir“); das ganze Zitat kreist implizit urn das Problem des guten Gewissens. Tatsächlich findet sich hier der Übergang von typologisch verfahrendem und diätetischem Moralismus zu bürgerlicher Pflicht-Ethik: Handeln wird nicht mehr aus seiner Tatsächlichkeit, an realen oder denkbaren Folgen bemessen und Ethik auf ihre Verwirklichbarkeit, auf die Bedingungen der Subjekte abgestellt, sondern Maßstab des Handelns wird seine Kohärenz mit dem abstrakten Kalkül. Gutes Gewissen ist eines, das sich des Beistands der Methode versichert und von ihr Absolution empfängt (vgl. Br, 306/AT IV, S. 277: Ethik als Preisschießen. Die Stelle ist im Grunde unübersetztbar, da das Schwarze der Scheibe im Französischen ein Weißes ist („le blanc”) und gleichzeitig ein Unbeschriebenes. vgl. Br, S. 111/AT II, S. 35f ).
il ne suffit pas d’en avoir la volonté, mais il faut s’appliquer à considerer les raisons, les objets, ou les exemples, qui persuadent {...3“ (LIS, S. 75/AT XI, S. 363)
Die Methode als solche ist interessiert: Sie soll im Gegensatz zu scholastischer Spekulation und dialektischer Spitzfindigkeit praktische Folgen zeitigen und Probleme lösen helfen. Das „desinteressement“ bezieht sich lediglich auf die Stellung des Subjekts zur Methode, seine Partikularinteressen dürfen den methodischen Prozeß nicht beieinträchtigen. Das Subjekt stellt also seine spezifischen Interessen situativ zurück, um sie später, nach dem Erfolg der methodischen Operation, um so gewisser einlösen zu können. Es verschiebt seine Interessen. Dieser Zustand interessierten Desinteresses kennzeichnet das Verfahren methodischer Praxis als Investition (vgl. Br, S. 213/AT IV, S. 290ff.: Brief an Elisabeth vom 15. 9. 1645).
D, S. 58.
Vgl. LdS, S. 99/AT XI, S. 375: Art. 58. Auch hier gibt es ein Moment von Selbstaffirmation der Methode: Was als wahrscheinlich erreichbar vorgestellt wird, erregt Hoffnung, ist diese extrem groß, so schlägt sie um in „Seelenruhe und Zuversicht“. Da aber die Methode ex definitione ein Verfahren sicherer Erkenntnis ist, wird das methodisch operierende Individuum stets von Zuversicht begleitet sein. Im Verein mit den Prinzipien der Investition (vgl. Anm. 132) und des guten Gewissens (vgl. Anm. 130) konturiert die,Zuversicht’ ein Trivium bürgerlicher Ethik.
la joye purement intellectuelle, qui vient en lame par la seule action de lame, and qu’on peut dire estre une agreable emotion excitée en elle mesme, en laquelle consiste la jouissance qu’elle a du bien que son entendement luy represente comme sien.“ (LdS, S. 143/AT XI, S. 397)
II est vray que, pendant que lame est jointe au corps, cette joye intellectuelle ne peut gue res manquer d’estre accompagnée de celle qui est une passion.“ (Ebd.)
Vgl. LdS, S. 145/AT XI, S. 398; LdS, S. 141/AT XI, S. 396.
LdS, S. 139/AT XI, S. 395.
convenable“ (tauglich, passend, angemessen, geeignet). Indem Hammacher „convenable” mit „zuträglich“ übersetzt, legt er die Betonung auf den Nutzen-Aspekt und verdeckt den Aspekt menschlichen Maßes, das anthropologischen aptums, um die rhetorischen Implikationen des Begriffs herauszustellen.
LdS, S. 97/AT XI, S. 374.
LdS, S. 173/AT XI, S. 412 (Art. 79 u. 80).
LdS, S. 131f./AT XI, S. 391 (Art.85)-
LdS,139/AT XI,395; vgl. LdS, S. 133/AT XI, S. 392.
Ein Residuum lebensweltlicher Interessiertheit, die vor der rationalen begrifflichen Reduzierung der Gegenstandswelt eine Art verständiger Korrespondenz zwischen dem Subjekt und seiner Welt zuläßt. (Es gibt — nebenbei bemerkt — ja durchaus Blumen zum Essen und Früchte zum Betrachten.)
LdS, S. 139/AT XI, S. 395. Descartes rekurriert implizit auf den platonischen Mythos, der das sexuelle Einzelwesen als Teil verbrocher Ganzheit beschreibt. Geschlechtliche Liebe ist eine Leidenschaft, steht also auf Seiten des Körpers. Ihr,Objekt’ „[...3 est confusement representée par la Nature, comme le plus grand de tous les biens imaginables.“ (AT XI, S. 396 )
La Ioye est une agreable emotion de lame, en laquelle consiste la jouïsssance qu’elle a du bien, que les impressions du cerveau luy representent comme sien.“ (LdS, S. 141, AT XI, S. 396)
Vgl. LdS, S. 147/AT XI, S. 399 u. LdS, S. 231/AT XI, S. 441.
Bei Descartes selbst bleibt die Kunst frei von ethischen Implikationen; ihre wirkungsästhetische Begründung wird nicht dazu gebraucht, Kunst in den Dienst von Wahrheit und Moral zu stellen (vgl. LIS, S. 141). Obwohl das Gebot, seine Zeit zu nutzen und allenfalls die Vernunft spielend zu üben anstatt Kinderspiele zu treiben (vgl. R, S. 35/AT X, S. 406) in Richtung einer Intellektualisierung der Kunst weist, bleibt Kunst als genuin pathetische doch verdächtig. Sie kann nicht,an sich’ pathetisch oder vernünftig werden. Ihre anscheinende Vernünftigkeit bleibt äußerlich und ist nie mehr als Vernunft in der Larve — der Maske — des Pathos. Auch in diesem Zusammenhang ist das berühmte „larvatus prodeo“ zu beachten („Ut comoedi, moniti ne in fronte appareat pudor, personam induunt: sic ego, hoc mundi theatrum conscensurus, in quo hactenus spectator existi, larvatus prodeo.” AT X, S. 213) sowie zwei andere Fragmente aus der Sammlung der „Cogitatines Privatae”: „Larvatae nunc scientiae sunt: quae, larvis sublatis pulcherrimae apparerent [...]“ (AT X, S. 215); {...) Mirum videri possit, quare graves sententiae in scriptis poerarum, magis qùam philosophorum. Ratio est quòd poetae per evthusiasmum and vim imaginationis scripsêre: sunt in nobis femina scientiae, ut in silice, quae per rationem à philosophis educuntur, per imaginationem a poetis excutiunutur magisque elucent.” (AT X, S. 217) In den methodischen Schriften wird Kunst jedoch nicht inhaltlich, sondern funktional von der Vernunft reglementiert, denn dieser kommt es darauf an, sich in der Kunst und durch ihr pathetisches Arsenal von den Anstrengungen der ratio zu erholen. (Vgl. LdS, S. 231/AT XI, S. 441; LdS, S. 147/AT XI, S. 399) Insofern Kunst als Affektenlehre begriffen wird, verkommt sie zu einem kompensatorischen Mechanismus zur Produktionssicherung der ratio und fällt der Ethik der Produktion anheim. (Vgl. Br, S. 319/AT IV, S. 309)
LdS, S. 219/AT XI, S. 435; LdS, S. 221/AT XI, S. 436.
Lc1S, S. 123/AT XI, S. 437.
LdS, S. 221/AT XI, S. 436; vgl. a. a. O., S. 123/387: Indem Hammacher,desir’ einmal mit,Begehren’, einmal mit,Verlangen’ übersetzt, suggeriert er fälschlicherweise Differenzierung. Was dem Subjekt nun noch an Schaden zustoßen kann, ist hinzunehmen im Bewußtsein, daß das Übel selbst schicksalhaft ist („fortune”/LdS, S. 229/AT XI, S. 440) und nicht Ausdruck einer Gesetzmäßigkeit, die das Subjekt zum Spielball degradiert, da sie den freien Willen und damit die Möglichkeit vernünftiger Handlungsregulierung und -kalkulation verneint (vgl. den Begriff der „fatalité“, ebd.; vgl. auch 211/ AT XI, S. 431 ).
Vgl. LdS, S. 75–89/AT XI, S. 363–370. Der Wille wird dabei selbst nicht stärker, sondern geschickter: „{...) elle est contrainte d’user d’industrie, and de s’appliquer à considerer successivement diverses choses, j...}“ (AT XI, S. 365f.) — Der Wille wird gezwungen „(...) Geschicklichkeit zu üben und sich daran zu gewöhnen, nacheinander die verschiedenen Vorstellungen zu erwägen.” (LdS, S. 79f. — vgl. Br, S. 315/AT IV, S. 295: Über die Gewohnheit zu glauben)
sont des habitudes en l’ame qui la disposent à certaines pensées, en sorte qu’elles sont differentes de ces pensées, mais qu’elles les peuvent produire, and reciproquement entre produites par elles.“ (LdS, S. 255/AT XI, S. 453.
LdS, S. 239ff/AT XI, S. 445; LdS, S. 251ff/AT XI, S. 451.
LdS, S. 251/AT XI, S. 451.
l’Esperance est une disposition de lame à se persuader que ce qu’elle desire aviendra, laquelle est causée par un mouvement particulier des esprits, à sçavoir par celuy de la Ioye and du Desir meslez ensemble.“ (LdS, S. 261/AT XI, S. 456)
LdS, S. 263/AT XI, S. 457.
LdS, S. 325/AT XI, S. 488.
LdS, S. 291f/AT XI, S. 471.
Au reste, l’ame peut avoir ses plaisirs à part; mais pour ceux qui luy sont communs avec le corps, ils dependent entierement des Passions, en sorte que les hommes qu’elles peuvent le plus emouvoir, sont capables de gouster le plus douceur en cette vie. Il est vray qu’ils y peuvent aussi trouver le plus d’amertume, lors qu’ils ne les sçavent pas bien employer, and que la fortune leur est contraire. Mais la Sagesse est principalement utile en ce point, qu’elle enseigne à s’en rendre tellement maistre, and à les mesnager avec tant d’adresse, que les maux qu’elles causent sont fort supportables, and mesme qu’on tire de la Ioye de tous.“ (LdS, S. 325/AT XI, S. 488) Die Hammachersche Übersetzung von,sagesse’ mit,Weisheit’ kann leicht irreführen, da er sie mit der Übersetzung von,sapientiâ, wie sie Descartes in den Regulae gebraucht und mit deren Tradition zusammenschließt. Während aber diese das Gesamt menschlicher Erkenntnisformen umfaßt, ist jene ein funktionales lebensweltliches Pendant methodischer Erkenntnis. Als solches tritt,Weisheit’ in der Folge gerade als Opponent rationalistischer Systeme auf. Die cartesianische „sagesse” bedeutet weniger Akkumulation lebensweltlicher Erfahrung als die Beherschung diätetisch-moralischer Techniken.
LdS, S. 325/AT XI, S. 488. Der Begriff,Weisheit’ der Hammacherschen Übersetzung wurde durch,Klugheit’ ersetzt.
Me, S. 52: „geistiger Einblick“/AT V, S. 31: „inspectio mentis”; Me, S. 52: „Einsicht des Geistes“/AT V, S. 32: „inspectio mentis”; Me, S. 73/AT V, S. 57: „acies mentis“; Me, S. 73/AT V, S. 58: „acies ingenii”; Me, S. 90/AT V, S. 69: „obtutus mentis“.
Me, S. 72/AT V, S. 51: Die Stelle bezieht sich zwar auf die Gewahrwerdung der Gottesidee im Menschen, diese selbst aber wird im vorausgehenden Absatz unter die Wahrnehmungen der ideae innatae selbst subsummiert Der angeführte Abschnitt sei hier in extenso zitiert, da er paradigmatisch darauf verweist, wie D, sich humanistisch-rhetoristischer Verfahren heuristisch bedient: „Et sane non mirum est Deum, me creando, ideam illam mihi indidisse, ut esset tanquam nota artificis operi suo impressa; nec etiam opus est ut nota illa sit aliqua res ab opere ipso diversa. Sed ex hoc uno quòd Deus me creavit, valde credibile est me quodammodo ad imaginem and similitudinem ejus factum esse, illamque similitudinem, in quâ Dei idea continetur. a me percipi per eandem facultatem, per quam ego ipse a me percipior: [...1“ — „Und darüber braucht man sich in der Tat nicht zu wundern, daß Gott mir bei meiner Erschaffung jene Vorstellung eingepflanzt hat, gleichwie ein Künstler seinem Werke sein Zeichen einprägr. Es ist gar nicht einmal nötig, daB dies ein besonderes, von dem ganzen Werk verschiedenes Zeichen ist. Darum allein, weil Gott mich geschaffen, ist es vielmehr schon sehr wahrscheinlich, daß ich gleichsam zu seinem Ebenbild geschaffen bin. Diese Gottähnlichkeit, welche die Gottesvorstellung in sich schließt, nehme ich aber durch das nämliche Vermögen wahr, durch das ich mich selbst wahrnehme.” (Vgl. D, S. 39/AT VI, S. 40 )
Me, S. 109/AT V, S. 89).Den Sinnen treten das Gedächtnis und der Verstand zur Seite „[...1. memoriâ, quae praesentia cum praecedentibus connectit, and intellectu, qui jiam omnes errandi causas perspexit;“(ebd.) — „[...1 das Gedächtnis, das die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpft, und [der) Verstand, der die Ursachen des Irrtums bereits alle durchschaute.” (Ebd.)
LdS, S. 79f./AT XI, S. 365f.
Vgl. die 6. Meditation (Me, S. 92ff./AT V, S.71ff): Die verhandelte Differenz zwischen „imaginatio“ und „pura intellectio” zeigt nach dem Durchgang durch den Zweifel eine Umkehrung des energetischen Haushaltes im Subjekt an: Nun ist zum Vorstellen eine geistige Anstrengung nötig: „[...) and manifeste hic animadverto mihi peculiari quâdam animi contentione opus esse ad imaginandum, qua non utor ad intelligendum: [...1“ (AT V, S. 72f.) —„So bemerke ich hier, daß zum Vorstellen eine besondere Geistesanstrengung erforderlich ist, deren ich beim Erkennen nicht bedarf.” (Me, S. 93; Me, S. 93/AT V, S. 72) Aus der Perspektive des Geistes bedarf es einer Anstrengung des Konkreten.; was Einbildungskraft und „sogenanntem Gemeinsinn“ (Me, S. 53/AT V, S. 32) natürlich war, Vorstellungen als „Zustandsweisen des Denkens” (Me, S. 62/AT V, S. 41: „modus“ der „cogitatio”), wird nun zur Arbeit intellektueller Rekonstruktion.
Me, S. 53/AT V, S. 32.
Me, S. 62/AT V, S. 41.
Me, S. 92/AT V, S. 71f.: „{...) quidnam sit imaginatio, nihil aliud esse aparet quàm qua-edam applicatio facultatis cognoscitivae ad corpus ipsi intime praesens, ac proinde existens.“
Me, S. 98/AT V, S.78: „ut modos a re“.
Me, S. 93/AT V, S.73: (Mens/L. S.) „dum autem imaginatur, se convertat ad corpus, and ali-quid in eo ideae vel a se inrellectae vel sensu perceptae conforme intueatur.“
Vgl. Gerhard Krämling. Die praktische Dimension des Selbstbewußtseins. Zur Topik der reflexiven Vergewisserung bei Augustinus und Descartes. In: Allgemeine Zschr f. Phil. 12,2 (1987) S. 17–33, S. 31.
Vgl. Me, S. 103/AT V, S. 83: „[...) nihil nisi valde obscure and confuse significant.“
Vgl. Riedel, Grund, S. 392: „Der cartesianische Zweifel ist monologisch. Und auf den Monolog des Zustimmen, den Aufbau des gesicherten Wisens aus dem Sein des EGO, dem das erste „Est“ gelten wird, läuft die ganze Zweifelsübung hinaus.” (Vgl. Williams, Descartes, S. 231)
AT IV, S. 113f.: Brief an Mesland, 2.5.1644 (?). Vgl. NicholasJolley. Descartes and the Action of Body on Mind. In: Studia Leibitiana, XIX, H.1, 1987 S. 41–53, hier S. 51.
Vgl. Me, S. 49/AT V, S. 37.
Sed ne nunc quidem illas ideas in me esse inficior. Aliud amen-quiddam erat quod affirmabam, quodque etiam ob consuetudinem credendi dare me percipere arbitrabar, quod ta-men revera non percipiebam: nempe res quasdam extra me esse, a quibus ideae istae procedebant, and quibus omnino similes erant.“ (AT V, S. 35) — „Daß jene Vorstellungen in mir sind, das bestreite ich ja auch jetzt nicht. Es war aber noch etwas, das ich behauptete und vertrauensselig auch wahrzunehmen meinte, während ich es in der Tat doch nicht wahrnahm: nämlich das Dasein von Dingen außerhalb meiner, von denen jene Vorstellungen ausgingen und denen sie ganz ähnlich wären.” (Me, S. 56); vgl. AT V, S. 37: „,Jam quod ad ideas attinet, si solae in se spectentur, nec ad aliud quid ilias referam, falsae proprie esse non possunc“ — Was nun die Vorstellungen betrifft, so können sie eigentlich nicht falsch sein, wenn man sie nur für sich betrachtet und nicht auf etwas anderes bezieht.”(Me, S. 58; siehe auch Me, S. 60/AT V, S. 38 )
An dieser Scelle ist wiederum auf die bereits in Anm. 149 zitierten Stellen der Cogitations Privatae hinzuweisen (AT X, S. 213; 215; 217), besonders aber sind die Äußerungen Descartes’ im Discours über Form und Charakter dieser Schrift in Betracht zu ziehen. Der Discours verfährt nicht methodisch, sondern exemplarisch, Descartes erzählt seine vita als intellektuelle Biographie (vgl. D, S. 16/AT VI, S. 15: „exemple“) und ist sich bewußt, damit ein Publikum über die unmittelbare Wissenschaft hinaus anzusprechen: „Mais ie seray bien ayse de faire voir, en ce discours, quels sont les chemins que i’ay suivis, and d’y representer ma vie comme en un tableau, affin que chascun en puisse iuger [...)” (AT VI, S. 3f.) Dieses utpictura-poesis-Theorem wird später präzisiert: „[...) tout de mesures que les peintres, ne pouvant esgalement bien representer dans un tableau plat toutes les diverses faces d’un cors solide, en choisissent une des principales qu’ils mettent seule vers le four, and ombrageant les autres, ne les font paroistre, qu’en tant qu’on les peut voir en la regardant (...)“ (AT VI, S. 41f.) Er will ein Bild zeigen, ein „Modell” („modèle“; D, S. 15/AT VI, S. 15), dessen Nachahmung der Entscheidung des Einzelnen überlassen bleibt (ebd.), denn der Discours ist nur eine vorgefallene oder erfundene Geschichte: „Mais, ne proposant cet escrit que comme une histoire, ou, si vous l’aymez mieux, que comme une fable, en laquelle, parmi quelques exemples quón peut imiter, on en trouvera peutestre aussy plusieurs autres qu’on aura raison de ne pas siuvre [...)”(AT VI, S. 4) Betrachtet man lediglich die descartessche Metaphysik, Mathematik und Naturphilosophie, so mag man diese Äußerungen als bloße,Taktik’ beiseiteschieben, sie sind jedoch für die praktische Philosophie von entscheidender Bedeutung, denn es ist gerade die Wirkmächtigkeit sprachlichen Handelns, die ihn veranlaßt, gegen Dialektik und Rhetorik Stellung zu beziehen. Er er kennt an, „[...) que l’Eloquence a des forces and des beau incomparables; que la Poesie a des delicatesses and des douceurs tres ravissantes [...)“ (AT VI, S. 5f.); er konstatiert einen inventiven Charakter der Dichtung, dem poetologische Methodik nur hinderlich ist (D, S. 8/AT VI, S. 7). Ihre pathetische Valenz prädestiniert diese,Formen’ — die eigentlich keine „Formen”, sondern Inhalte sind — zu funktionalem Einsatz im Dienste der Methode. Zwar postuliert Descartes auch einen „Genuß, den man bei der Betrachtung des Wahren findet“ (R, S. 4/AT X, S. 361: „voluptas, quae in veri contemplarione reperitur [...1”) und behauptet einen intrinsischen Wert des Guten, der dem Bewußtsein der Vollkommenheit des Subjekts entspringt, aber auf dem Forum der Praxis sind die genuin pathetischen,Formen’ das primäre Instrument rationaler tech ne.
Zwischen Seele und Körper, in der Hypophyse, entspringt ein Kampf („combat“) um die Macht („pouvoir”), der in der Errichtung absoluter Macht („pouvoir absolu“) der Seele enden soll. Ethik wird als internalisierter Bürgerkrieg beschrieben, in dem die Seele der Gewalt der pathé ihre Geschicklichkeit gegenüberstellt (vgl. LdS, S. 77–85/AT XI, S. 364–368 u. a. m.); die „Passions de l’Ame” stellen die Strategie des Erkenntnissubjekts in diesem Krieg dar, die Verwendung rhetorischer Techniken und Inhalte sind dessen taktische Maßnahmen.
Im „Discours“ stellt Descartes die Verbindung her zwischen Wissenschaft, Ökonomie und Kriegskunst: „(...) car c’est quasi le mesme de ceux qui découvrent peu a peu la verité dans les sciences, que de ceux qui, commençant a devenir riches, ont moins de peine a faire de grandes acquisitions, qu’ils n’ont eu auparavant, estant plus pauvres, a en faire de beaucoup moindres. Ou bien ou peut les comparer aux chefs d’armée, dont les forces ont coustume de croistre a proportion de leurs victoires, and qui ont besoin de plus de conduite, pour se maintenir aprés la perte d’une bataille, qu’ils n’ont, aprés l’avoir gaignée, a prendre des villes and des provinces. Car c’est veritablement donner des batailles, que de Cascher a vaincre toutes les difficultez and les erreurs, qui nous empeschent de parvenir a la connoissance de la verité, and c’est en perdre une, que de recevoir quelque fausse opinion, touchant une matiere un peu general and importante (...1” (AT VI, S. 66f.).
and a me retirer icy, en un pais où la longue durée de la guerre a fait establir de tels ordres, que les armées qu’on y entretient ne semblent servir qu’a faire qu’on y iouisse de fruits de la paix avec d’autant plus de seureté, and où parmi la foule d’un grand peuple fort actif, and plus soigneux de ses propres affaires, que curieux de celles d’autruy, sans manquer d’aucune des commoditez qui sont dans les villes les plus frequentées, i’ay pû vuire aussy solitaire and retiré que dans les desers les plus escartez.“(AT VI, S. 31)
Im Brief an Mersenne vom 20.11.1629 über die Möglichkeit einer Unversalsprache, die far ihn abhängig ist von wahrer Philosophie: „Or ie tiens que cette langue est possible and qu’on peut trouver la science de qui elle dépend, par le moyen de laquelle les paysans pourroient mieux iuger de la verité des choses, que ne font maintenant les philosophes. Mais n’esperez pas de la voir iamais en usage; cela presupose des grans changemens en l’ordre des choses, and il faudroit que tout le monde ne Fust qu’un paradis terrestre, ce qui n’est bon à proposer que dans le pays des romans.“ (AT I, S. 81f.)
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Schneider, L.L. (1994). Zur Pathetik der Vernunft (Descartes in praxe). In: Reden zwischen Engel und Vieh. Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97042-8_4
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