Ethnopoetik: Traum oder Möglichkeit?

Zusammenfassung

Die Forscher, die mit den dichterischen Erzeugnissen der schriftlosen Völker im Felde in Berührung kommen, stellen öfters bei deren Erfassung fest, daß die übliche, letzten Endes antike Klassifizierung versagt. Zwar dienen breitere Kategorien wie,‚Panegyrik‘,‚Elegie‘,‚Klagelieder‘,‚Liebeslieder‘…, aber angesichts des anders gegliederten, exotischen Stoffes wirken sie oft hemmend eher als fördernd. Wenn es zur Sonder- und Wesensart kommt, muß man den gebotenen Terminus aufgeben und sich einen Satz, einen Paragraphen, eine Seite, ja sogar ein ganzes Buch erlauben.¹ Und kein Wunder! Denn der ehrwürdige Aristoteles und seine Nachfolger hatten ein ganz anderes Ziel im Auge, nämlich die Poetik der zeitgenössischen griechischen, dann römischen Hochliteratur zu schreiben, von der man die uns faszinierenden Barbaren prinzipiell ausschloß. Wie wir wohl aus berufenem Munde hören werden, war die Nachwirkung der Mündlichkeit auf die altgriechische Dichtung weitgehend spürbar, aber der mündliche Bestandteil unserer ererbten Terminologie ist nur von Altphilologen mit Sicherheit zu erfassen. Für ernste Ethnographen, Ethnomusikologen und Ethnologen ist eine kritisch erneuerte, ja für die ‚mündliche Literatur‘eigens geprägte Terminologie der Poetik dringend notwendig geworden.