Zusammenfassung
Die wohl bekannteste Szene in „20 000 Meilen unter den Meeren“ ist der Angriff eines Riesenkalmars auf das Unterseeboot „Nautilus“. (Wenn vielleicht auch nicht die berühmteste Szene des Buches, so doch sicher die, an sich die meisten Zuschauer des Films von 1954 erinnern.) Gerade haben Aronnax, Conseil und Ned Land in typischer Manier die Gefahren erörtert, denen sie entgegensehen, da erspähen sie „ein schreckliches Monster, das seinen Platz in den Schauermärchen, die man sich über solche Seeungeheuer erzählte, wohl verdiente“:
Es war ein Riesenkrake von gewaltigen Ausmaßen, an die 25 Fuß lang, der sehr schnell rückwärts schwamm. Seine riesigen, blaugrünen Augen starrten uns an. Die acht Arme, oder besser Beine, denen er den Namen,, Cephalopode “ verdankt, waren doppelt so lang wie sein Rumpf und ineinander verwoben wie die Haare einer griechischen Furie. Deutlich konnten wir die 250 Saugnäpfe erkennen, die die Innenseite seiner Tentakel säumten. Einige hatten sich bereits außen auf der Fensterscheibe festgesogen. Der Rachen des Monsters — ein Hornschnabel wie der eines Papageis — schloß und öffnete sich wie eine Blechschere. Die Zunge, die ebenfalls aus einer hornartigen Substanz bestand und mit mehreren Reihen Zähnen besetzt war, stieß hervor, als seien es geschmiedete Messer. Was für eine phantastische Laune der Natur! Ein Weichtier mit einem Vogelschnabel! Sein gewaltiger, lang-gestreckter Leib, ein wenig angeschwollen in der Mitte, bildete eine fleischige Masse, die an die 20 000 Kilo gewogen haben muß. Seine Farbe wechselte sehr schnell; je nach Stimmung nahm das Ungeheuer eine scheußlich graue bis rötlich braune Tönung an.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Alle Cephalopoden, Kopffüßer, tragen Saugnäpfe auf ihren Fangarmen, doch Oktopoden und Kalmare unterscheiden sich in der Struktur dieser Saugnäpfe. Bei den Oktopoden sind die Saugnäpfe glatt wie Schröpfköpfe und sitzen direkt auf den Armen; die Saugnäpfe der Kalmare befinden sich hingegen auf kurzen Stielen und weisen oft einen gezähnten Chitinring auf. (Bei einigen Kalmararten sind die Saugnäpfe der Tentakelkeulen zudem mit Haken bewehrt.) Oktopoden und Kalmare unterscheiden sich in ihrem Körperbau, obwohl beide Gruppen als Kopffüßer einen gemeinsamen Grundbauplan aufweisen. Beide besitzen einen Chitinschnabel im Zentrum ihres Armkranzes, und beide verfügen über hochentwickelte Augen. Oktopoden und Kalmare haben einen Trichter, durch den sie das Wasser wieder ausstoßen, das sie durch die Mantelöffnung aufnehmen; der Rückstoß, der dabei entsteht, treibt sie durchs Wasser. Oktopoden bewegen sich oft mit Hilfe ihrer Arme über den Boden, während Kalmare ein Paar bewegliche Flossen am Mantelende besitzen und nur selten in Kontakt mit dem Meeresboden kommen.
Derartig wilde Übertreibungen und unbewiesene „Fakten“ haben Architeuthis in Verruf gebracht. Selbst wenn man von dem offensichtlich phantastischen Gewicht absieht, wirkt der ganze Vorfall recht unrealistisch: Kein größerer Wal als ein zehn Meter langer Schwertwal ist jemals in einem Aquarium gehalten worden. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, daß ein Orca besagte Tentakeln ausgespien hat, und ein Pottwal - gleich welcher Größe - ist noch nie im Aquarium gehalten worden.
Vgl. „Spektrum der Wissenschaft“, Juni 1982: „Der Riesenkrake“
Clyde Roper feierte die Fertigstellung seiner Doktorarbeit (über die Bathyteuthidae) mit einem Festessen, für das er ein Stück Riesenkalmar für sich und zwei weitere Teuthologen kochte, aber es erwies sich als ungenießbar „wegen des starken, bitteren Ammoniumchloridgeschmacks“.
Kalmare, die der kalten Wassermasse folgen, nahe an die Küste heran. Er sagte voraus, daß die nächste Periode von Architeuthis-Strandungen um 1960 auftreten werde, und er behielt recht: Zwischen 1964 und 1966 strandeten sechs Exemplare.
Gummi stekkengeblieben waren. Der Biologe Scott Johnson schrieb dazu in den „U.S. Naval Institute Proceedings“: „Wenn ein Kalmar für diese Schäden verantwortlich ist (und es gibt wohl keine andere wahrscheinliche Erklärung), dann muß er außerordentlich groß.“
Da sich fast jedes bekannte Exemplar der Gattung Architeuthis ein wenig von allen anderen unterscheidet — einige wurden nur nach einem Schnabel oder einem Stück Tentakel bestimmt —, führte fast jede Beschreibung zu einer neuen Art. Daher heißt das Logy-Bay-Tier A. harveyi das 1862 auf Teneriffa gefangene Tier A. bouyeri das 1871 von den Gloucesterfischern erlegte Tier A. princeps das in Japan gestrandete Tier A. japonica etc. Daraufhin meinte Clyde Roper in einem Artikel 1982: „Die neunzehn nominellen Arten lassen sich zu nur drei Arten zusammenfassen: Architeuthis sanctipauli auf der südlichen Hemisphäre, A. japonica im Nordpazifik und A. dux im Nordatlantik.“ 1991 ging Frederick A. Aldrich noch weiter: „Ich lehne das Konzept von zwanzig separaten Arten ab, und bis diese Streitfrage gelöst ist, möchte ich alle gemeinsam als Architeuthis dux Steenstrup bezeichnen.“
Frederick A. Aldrich hat vermutet, daß Fluktuationen des Labradorstroms für das Auftauchen der Riesenkalmare vor der Küste Neufundlands in einem Neunzigjahresturnus verantwortlich seien. Wenn der kalte Anteil, der sogenannte Avalonzweig, auf das nordöstliche Neufundland trifft, kommen die Kalmare, die der kalten Wassermasse folgen, nahe an die Küste heran. Er sagte voraus, daß die nächste Periode von Architeuthis-Strandungen um 1960 auftreten werde, und er behielt recht: Zwischen 1964 und 1966 strandeten sechs Exemplare.
Eines dieser Tiere, das 1964 in der White Bay, Neufundland, an der Oberfläche treibend gefunden wurde, hatte Tentakelkeulen, die sich in Form und Größe so deutlich unterschieden, daß Frederick A. Aldrich und seine Frau Margueritte einen Artikel über die bis dato unvermutete Fähigkeit des Riesenkalmars veröffentlichten, verlorene Tentakel zu regenerieren.
Asphyxie: schwere, lebensbedrohliche Atemstörung.
An der Wasseroberfläche sind die Temperaturen bis auf Ausnahmen — Schottland — höher als in der Tiefe (Anm d Üb.).
Im Jahr 1952 untersuchten japanische Wissenschaftler zwei Exemplare aus dem Verdauungstrakt eines Pottwals, der vor den Bonin Islands gefangen worden war. Das größere der beiden maß insgesamt zwölf Zentimeter, mit Mantel und Tentakeln, das zweite Exemplar war noch kleiner. Einer der beiden Wissenschaftler, Eiji Awai, identifizierte die Exemplare als „oegopside Kalmare [Nacktaugenkalmarel der Gattung Architeuthis“. In der sich anschließenden Auseinandersetzung erklärten Roper und Young, zweifellos sei die „Identifikation falsch“, und vermuteten, daß es sich um „Mitglieder der Psychroteuthidae“ handele, „einer wenig bekannten Familie von Hochseekalmaren, die man bisher nur aus antarktischen Gewässern kennt“.
Als die Fregatte USS „Stein’ 1977 in San Diego wegen Reparaturarbeiten aufgedockt wurde, stellte sich heraus, daß der Gummiüberzug ihres Unterwassersonars anscheinend von Klauen in Streifen gerissen worden war, von denen einige im Gummi stekkengeblieben waren. Der Biologe Scott Johnson schrieb dazu in den „U.S. Naval Institute Proceedings“: „Wenn ein Kalmar für diese Schäden verantwortlich ist (und es gibt wohl keine andere wahrscheinliche Erklärung), dann muß er außerordentlich groß und von einer wissenschaftlich noch nicht beschriebenen Art gewesen sein.“
In einer Untersuchung über „Energetische Grenzen der Kalmarverteilung“ schreibt Ron O’Dor von der Universität Dalhousie in Halifax, Nova Scotia: „Architeuthis könnte in achtzig Tagen um die Welt schwimmen (unter dem Nordpol hindurch?). Warum er das tun sollte, wissen wir nicht, doch eine Wanderung von der nördlichen zur südlichen Planktonblüte ist für einige Wale energetisch machbar und könnte bei Architeuthis weniger als einen Monat dauern. Ein solches Muster paßt zu seiner Verteilung. Es ist heute üblich, zu behaupten, Architeuthis sei kein guter Schwimmer doch wir wissen nur, daß er ammoniakalisch ist und, relativ gesehen, nicht so muskulös wie die kleineren Kalmare. (…) bei Reisegeschwindigkeit setzen Kalmare jedoch nur zehn Prozent der Kraft (und vermutlich auch nur zehn Prozent ihrer Muskulatur) ein, die sie bei Fluchtgeschwindigkeit per Rückstoß aktivieren. Vielleicht benötigt Architeuthis nur seine ‘Reisemuskulatur’, denn es kann nicht allzu viele Feinde geben, vor denen er fliehen muß.“
Riesenkalmare haben keine Leuchtorgane und können einander daher auch keine Botschaften mittels Lichtsignalen übermitteln. Doch alle Kalmare, einschließlich Architeuthis können rasch ihre Farbe verändern, und man nimmt an, daß diese Farbänderungen unter anderem als Kommunikationsmittel dienen.
Bathyteuthis heißt „Tiefseekalmar“, vom griechischen „bathos“ für „tief’, und obwohl dies sicherlich ein schöner Name für einen Riesen ist, der in großen Tiefen lebt, ist er, wie die Taxonomen sagen, schon „vergeben“, und zwar an eine Gattung kleiner, plumper Kalmare, die nur etwa dreißig Zentimeter lang werden.
Nach Clarkes Ansicht ist Benchleys Roman „Der Weiße Hai“ mitverantwortlich für die massive Vernichtung dieses Fisches, die nach dessen Verfilmung einsetzte.
Rights and permissions
Copyright information
© 1997 Springer Basel AG
About this chapter
Cite this chapter
Ellis, R. (1997). Der Krake. In: Seeungeheuer. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6082-6_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-0348-6082-6_5
Publisher Name: Birkhäuser, Basel
Print ISBN: 978-3-0348-6083-3
Online ISBN: 978-3-0348-6082-6
eBook Packages: Springer Book Archive