1 Einführung, Forschungsinteressen und Problemfelder

Seinen konkreten Ausgang nimmt das in Planung befindliche PostDoc-Projekt bei der Auswanderung meiner Verwandten nach Bolivien im Jahr 2011. Es handelt sich um russlanddeutsche BaptistInnen, die sich nach ca. 20 Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entschlossen, ans andere Ende der Welt zu ziehen. Zuvor waren sie aus der ehemaligen Sowjetunion ausgesiedelt. Ihr neuer Lebensmittelpunkt wurde eine mehrheitlich von anderen russlanddeutschen BaptistInnen bewohnte Nachbarschaft in einer heterogenen Kleinstadt im Department Santa Cruz, Bolivien. Jene Familien wohnten überwiegend bereits doppelt so lange dort wie meine Verwandten. Die meisten eint die Sozialisation in der Sowjetunion sowie die Erfahrung der Aussiedlung in den späten 1980er und frühen 1990er-Jahren.

Über aus der (ehemaligen) Sowjetunion (Spät)Ausgesiedelte ist seit dem Beginn einer quantitativ signifikanten Migration im Rahmen des speziellen Migrationsregimes Ende der 1980er-Jahre aus verschiedenen Fachperspektiven geforscht worden (Flack 2020b, S. 80ff.). Auch (temporäre) Re- und Transmigration in die Postsowjetunion sowie der Verbleib von sog. RusslanddeutschenFootnote 1 in den Herkunftsländern sind bereits Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden, wenngleich in vergleichsweise geringerem Ausmaß (Schönhuth und Kaiser 2015a, S. 19). Zumindest von deutschsprachigen WissenschaftlerInnen weniger erforscht sind hingegen die zahlenmäßig eher unbedeutenden, doch aus kulturanthropologischer und interdisziplinär-migrationswissenschaftlicher Perspektive höchst spannenden Weiterwanderungen von (Spät)Ausgesiedelten nach Übersee (Schönhuth 2008, S. 64; Schönhuth und Kaiser 2015b, S. 285; Mattock 2015, S. 186). Gerade „die transnationale Dimension russlanddeutscher Geschichte und Gegenwart birgt noch reichlich Potenzial“ (Dönninghaus et al. 2018, S. 20) angesichts der transatlantisch etablierten sozialen Netzwerke sowie im Hinblick auf Praktiken der (Nicht)Zugehörigkeit der jeweiligen Generationen (ebd., S. 20f.).

Diese Weiterwanderungen betreffen in erster Linie russlanddeutsche BaptistInnen und MennonitInnen – eine religiöse Teilgruppe der heterogenen, als Russlanddeutsche bezeichneten AkteurInnen (Flack 2020a). An ihren Migrationen ist interessant, dass die AkteurInnen von einer eher ruralen Region in Deutschland in eine periphere, rurale Region in Bolivien ziehen. Auch in Deutschland leben sie „mehrheitlich jenseits der großen Städte, in Klein- und Mittelstädten und auf dem Land“ (Panagiotidis 2021, S. 229). Manche dieser oft sehr konservativen Russlanddeutschen werden nicht zuletzt von mennonitischen Gemeinden und Altkolonien angezogen, die je nach Standort seit einigen Jahrzehnten bis hin zu einem Jahrhundert existieren und von Kanada bis Argentinien zu finden sind. Seit 1874 verließen MennonitInnen das Russische Imperium aufgrund der Rücknahme vormals zugesicherter Privilegien, z. B. Freiheit der Religionsausübung und Befreiung von der Wehrpflicht. Andere flüchteten nach der Oktoberrevolution 1917. Wieder andere wurden während des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten umgesiedelt und kamen später im Rahmen von Umsiedlungsprogrammen für mennonitische Flüchtende nach Übersee. In der Regel gründeten die diversen mennonitischen Gemeinden und Kohorten von Migrierten im Zielland ihre eigenen Kolonien (Dyck 1993, S. 2013; Goossen 2017; Loewen 2001, 2013; Urry 2007). Diese meist von „der Welt“ isoliert lebenden sog. AltkolonierInnen, für die sich besonders nordamerikanische Forschende interessieren,Footnote 2 stehen zwar nicht im Zentrum meines Projekts. Ihre Migrationen liefern jedoch wichtige inhaltliche kontextuelle Bezüge für das vorliegende Projekt. Außerdem weisen sie auf die Zusammenhänge mit und die Relevanz des Untersuchungsgegenstandes u. a. auch für die historische Religions- und Migrationsforschung hin.

Die Weiterwanderungen russlanddeutscher BaptistInnen nach Bolivien sollen zwar als Ausgangspunkt des geplanten Projekts dienen, doch nicht den primären oder gar einzigen Untersuchungsgegenstand ausmachen. Darüber hinaus interessiert vielmehr, wie sich die Weiterwanderungen sowie die Alltagspraktiken der Weitergewanderten auf die verschiedenen Lebensbereiche der unterschiedlichen BewohnerInnen der Kleinstadt und damit auf die Vergesellschaftung auswirken. Insofern wird auch zu problematisieren und zu reflektieren sein, wie ein Phänomen erforscht werden kann, das zumindest anfänglich den Fokus auf eine vermeintlich klar definierbare (ethnische) Gruppe legt, ohne in die „Kulturalisierungsfalle“ zu tappen – also die natürliche Gegebenheit einer „Gruppe“ mit eindeutigen und unveränderbaren Merkmalen vorauszusetzen und zum unhinterfragten und unhinterfragbaren Ausgangspunkt der Forschung zu nehmen (s. unten). Diesen Erkenntnisinteressen und Problemstellungen widmet sich der vorliegende Aufsatz.

Im Juli 2019 begab ich mich für einen zweiwöchigen, explorativen Feldforschungsaufenthalt nach Bolivien (Flack 2020a). Ich nahm teilnehmende Beobachtungen vor, führte informelle Gespräche und erhob zehn biografische Interviews mit aus Deutschland zugewanderten AkteurInnen. Darunter waren sieben weibliche und drei männliche Interviewte. Sie waren zwischen ca. 20 und 60 Jahre alt und wiesen eine unterschiedlich lange Wohndauer in Bolivien auf (eineinhalb bis 17 Jahre). Neben allgemeinen, erzählgenerierenden Fragen nach der individuellen Lebensgeschichte erkundigte ich mich explizit nach der Migration, dem gegenwärtigen Leben in Bolivien, den Ansichten zum Wohnort und den Mitmenschen sowie den Zukunftsplänen der AkteurInnen. Ferner erlief ich den Wohnort der Migrierten (Moretti 2017; Girtler 2004, S. 3), um mir einen Eindruck von der Kleinstadt, der Infrastruktur, den Entfernungen, den Lebensbedingungen sowie der Bevölkerung – kurz: der Lebenswirklichkeit vor Ort – zu verschaffen, und skizzierte sie anschließend, um die zentralen Begegnungsorte der Kleinstadt zu lokalisieren und festzuhalten (s. unten). Der Methodenmix und das offene Vorgehen führten zu meinem Erkenntnisinteresse an den Vergesellschaftungspraktiken der KleinstadtbewohnerInnen.

Das nächste Kapitel stellt eine Zusammenschau und erste Analyse der in einem Forschungstagebuch sowie in Transkripten festgehaltenen, erhobenen Daten dar. Danach werden diejenigen theoretischen Konzepte präsentiert, diskutiert und auf das geplante Projekt angepasst, die für das Erkenntnisinteresse und den Umgang mit den methodologischen Problemstellungen zielführend erscheinen. In dem darauffolgenden Kapitel werden die konkreten Forschungsfragen sowie die Überlegungen zum methodischen Vorgehen entfaltet. Abschließend werden noch einzubeziehende Forschungsfelder benannt.

2 Erste empirische Befunde

Im vorliegenden Kapitel bilde ich die Kategorisierung meiner qualitativ erhobenen Daten verdichtet in einem Fließtext ab (Geertz 1983). Dabei handelt es sich im Sprech der grounded theory v. a. um das Ergebnis offenen Kodierens; d. h. ein induktives, frei assoziierendes Vorgehen (Muckel 2011, S. 342).

Die Migrationsmotivationen der AkteurInnenFootnote 3 können im Wesentlichen mit zwei Kategorien gefasst werden, die einander sowie weitere, latentere Motivationen keineswegs ausschließen müssen: zu beruflich-ökonomischen und religiös-missionarischen Zwecken Migrierte. Die primär aus religiös-missionarischen Gründen Migrierten kamen nach Bolivien, weil sie sich dazu berufen fühlen, hier ihren christlichen Glauben „praktisch auszuleben“, d. h. „den Bolivianern“ das Christentum näher zu bringen, ihnen Entwicklungshilfe zu leisten, u. ä. Manche verfolgen dieses Ziel in Form von Missionierung. In der Kleinstadt gibt es mehrere Missionsgebäude, in denen Gottesdienste u. ä. abgehalten werden. Allerdings richten sich längst nicht alle Angebote dezidiert an Indigene und oder Spanischsprachige. Daneben gibt es eine Reihe von Gemeinden, die keine explizite Missionierung betreiben; deren Veranstaltungen werden ausschließlich auf Hoch- und Plattdeutsch abgehalten. Dementsprechend richten jene sich ausschließlich an zugewanderte BaptistInnen und hiesige MennonitInnen. Die verschiedenen Missionen und Gemeinden scheinen nicht zu kooperieren, sondern nebeneinanderher zu agieren. Bei den Gemeinden scheint es Überschneidungen zu geben, sodass Mitglieder der einen zusätzlich Gemeinschaftsangebote anderer Gemeinden wahrnehmen können. Zwei Akteurinnen leben ihren christlichen Glauben „praktisch“ aus, indem sie planen, jeweils ein Kinderheim zu eröffnen. Eine Kooperation oder Bündelung der gemeinsamen Ressourcen wurde indes nicht geäußert. Ihre Migration hat somit in erster Linie jeweils einen sozialen Zweck, verbunden mit Selbstverwirklichung.

Abgesehen von den bereits erwähnten BaptistInnen migrierte eine weitere Familie aus Deutschland in die Kleinstadt, doch nicht in dieselbe Nachbarschaft wie die Russlanddeutschen. Der Ehemann und Familienvater ist Prediger einer Siebenten-Tags-Adventisten-Gemeinde im Ort und daher ebenfalls aus religiös-missionarischen Gründen migriert. Er und seine Ehefrau haben keinerlei Bezüge zur Sowjetunion. Anhand dieses Fallbeispiels werden die Überschneidungen der beiden Kategorien deutlich, denen ich die Migrationsmotivationen der AkteurInnen zugeordnet habe, denn der Prediger verdient mit seiner religiös-missionarischen Tätigkeit auch den Lebensunterhalt der Familie.

Die primär aus beruflich-ökonomischen Gründen Migrierten zog es nach Bolivien, weil sie das Leben hier angesichts der Notwendigkeit, selbstständig erwerbstätig sein zu müssen, erklärtermaßen als freier und stressärmer empfinden als in Deutschland. Außerdem wurden die geringeren Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Deutschland als ausschlaggebend angegeben. Manche AkteurInnen gestanden eine gewisse Abenteuerlust. Die meisten von ihnen frequentieren die baptistischen Gemeinschaftsangebote.

Die religiös-missionarisch motivierten AkteurInnen können zudem weiter differenziert werden, ob sie mit oder ohne einen in Deutschland geschlossenen Arbeitsvertrag nach Bolivien migrierten. Dies betrifft eine alleinstehende, junge Frau mit der Absicht, eines Tages ein Kinderheim zu eröffnen, sowie den bereits erwähnten Adventistenprediger. Diesen Migrierten wird eine bereits existierende Unterkunft vor Ort zur Verfügung gestellt. Unterkunft und Lebensunterhalt sind damit sichergestellt. Ein deutscher Arbeitsvertrag ist ausschlaggebend für die Art und Dauer des Aufenthalts: Diejenigen mit einem bundesdeutschen Arbeitsvertrag planen einen temporären Aufenthalt in Bolivien (in einem Fall fünf bis zehn Jahre, im anderen Fall wurde kein konkreter Zeitraum, aber die gegenwärtige Lebenssituation als „Zwischenstation“ benannt). Dabei muss nicht zwangsläufig eine Rückkehr nach Deutschland angeschlossen werden. Auch eine Weiterwanderung wird in Erwägung gezogen.

Diejenigen AkteurInnen, die einen dauerhaften Aufenthalt in Bolivien planen, kamen ohne bundesdeutschen Arbeitsvertrag. Sie wollen ihrer beruflich-ökonomischen bzw. religiös-missionarischen Tätigkeit in vollständiger Unabhängigkeit und Selbstständigkeit nachgehen. Anders als diejenigen mit einem in der BRD geschlossenen Arbeitsvertrag müssen diese Migrierten unter Einsatz hoher finanzieller Ressourcen ihre eigene Lebensgrundlage in Bolivien schaffen: Sie müssen Grundstücke erwerben, bewohnbar machen, bebauen sowie Geschäftsideen entwickeln und umsetzen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das „Wirtschaften“ beinhaltet i. d. R. Land- und Viehwirtschaft, darunter z. T. die Herstellung von Milchprodukten, aber auch Fischzucht und in geringerem Umfang Dienstleistungen. Die AkteurInnen ohne deutschen Arbeitsvertrag weisen trotz vielfach erlittenen Betrugs (vorwiegend, doch nicht ausschließlich durch „Einheimische“) und damit verbundener, als horrend beschriebener, finanzieller Verluste eine hohe Frustrationstoleranz auf und reflektieren rückblickend in unterschiedlichem Ausmaß ihre Unwissenheit und Naivität, mit der sie die Migration nach Bolivien geplant und realisiert hätten.

Hinsichtlich der (beruflichen) Zukunftsperspektiven der mitgenommenen bzw. mitausgereisten Familienmitglieder berichteten mir manche von ihren erwachsenen Kindern, die aus Bolivien nach Deutschland remigriert seien und dort z. T. bereits Familien gegründet hätten. Andere junge (fast) erwachsene Kinder der nach Bolivien migrierten Familien kehrten (temporär) nach Deutschland zurück, um die Schule zu beenden, eine Berufsausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Die erworbenen Kompetenzen sollen je nach Fall entweder ein Erwerbsleben in Bolivien oder in Deutschland ermöglichen.

Zudem gibt es Fälle temporärer Remigration auf Seiten der Elterngeneration, also derjenigen AkteurInnen, die die Migration nach Bolivien initiiert hatten. Einerseits werden nahestehende Familienangehörige in Deutschland z. B. zu feierlichen Anlässen besucht sowie beim Hausbau oder bei der Pflege älterer Angehöriger unterstützt. Andererseits können AkteurInnen zu Erwerbszwecken temporär zurückkehren: In Deutschland werden finanzielle Ressourcen akkumuliert oder technische Gerätschaften erworben, welche dem „Dienst“ bzw. dem Lebensunterhalt in Bolivien zugutekommen. Drittens gaben mehrere AkteurInnen an, sich für eine medizinische Behandlung, z. B. für eine Operation, für eine bestimmte Zeit nach Deutschland zu begeben. Die medizinische Versorgung in Bolivien sei mangels Existenz einer Krankenversicherung höchst kostspielig und zudem nicht mit „westlichem“ Niveau vergleichbar.

Für alle drei Motivationen zu einer temporären Rückkehr ist die beibehaltene deutsche Staatsbürgerschaft maßgebend. Die bolivianische Staatsbürgerschaft zu erwerben, gelte als nicht erstrebenswert, da sie eine internationale Migration erschwere, während die deutsche viele Grenzen öffne. Daher bevorzugten auch die Migrierten mit dauerhaft geplanter Lebensperspektive in Bolivien es, ihre deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten und ihre dauerhafte Aufenthaltserlaubnis alle fünf Jahre gegen eine als hoch und AusländerInnen diskriminierend eingeschätzte Gebühr zu verlängern. Die Art und Möglichkeiten der temporären Rückkehr zeugen von transnationalen, vorwiegend familiären Netzwerken, welche die AkteurInnen gegenwärtig wesentlich mittels Kommunikation via WhatsApp intensiv und kostengünstig aufrechterhalten.

Nicht nur im Zusammenhang mit einer Rückkehr nach Deutschland war Bildung ein zentrales Thema in den Gesprächen mit den AkteurInnen, ohne dass ich sie explizit darauf angesprochen hätte. Durchweg als nicht hinreichend wurden das bolivianische staatliche Bildungssystem sowie die kirchliche Schulbildung in mennonitischen Kolonien kritisiert. An den staatlichen Schulen sei die Relevanz der Lerninhalte oft nicht nachvollziehbar, die Lehrenden seien nicht (hinreichend) als solche ausgebildet und das Niveau der englischen Sprache lasse bei SchulabgängerInnen zu wünschen übrig. An den mennonitischen Schulen absolvierten die Kinder z. T. nur vier Fächer. Während Mädchen mit 12 Jahren die Schule abschlössen und dann im Haushalt mithelfen müssten, beendeten Jungen mit 14 Jahren die Schule, um anschließend auf dem Feld zu arbeiten. Die Schulbildung beschränke sich im Wesentlichen auf das Auswendiglernen der Bibel auf Hochdeutsch. Die Plattdeutschmuttersprachigen verstünden daher häufig gar nicht, was sie rezitierten. Die bildungsfeindliche Haltung von AltkolonierInnen komme pointiert in dem Ausspruch „Gelehrter – Verkehrter“ zur Geltung. Einige AkteurInnen betrachteten Bildung dagegen als Grundlage für ein Erwerbsleben, ob nun in Bolivien oder in Deutschland. Ein junges Ehepaar äußerte die Freude über den von den AdventistInnen initiierten und fortschreitenden Bau einer „deutschen“ Schule im Ort. Dort könnten sie ihre zukünftigen Kinder von „richtigen“ LehrerInnen beschulen lassen. Über den Rechtsstatus und den Lehrplan dieser Schule werde zu dem Zeitpunkt allerdings noch mit der bolivianischen Regierung verhandelt. Manche AkteurInnen äußerten sich kritisch über das Bildungssystem in Deutschland. Bspw. habe einer Mutter der Sexualkundeunterricht in der Grundschule missfallen, sodass sie rechtliche Schritte unternommen hätten, um ihre Kinder zu Hause unterrichten zu dürfen.

Interessant ist, dass, unabhängig davon, ob die AkteurInnen aus primär ökonomischen oder religiösen Motiven migrierten, sie sich mehr oder weniger allesamt als ChristInnen bezeichneten und oder an entsprechenden Gottesdiensten teilnahmen. Somit verwundert die Anzahl an freikirchlichen Gemeinden und Missionen in der Kleinstadt eher nicht. Offenbar kann bereits eine Familie eine Gemeinde gründen und sich im eigenen Haus mit GlaubensfreundInnen versammeln. Die Vielzahl der Freikirchen bedingt Überschneidungen bei den Gemeindemitgliedschaften sowie eine hohe Fluktuation. Der persönliche Stellenwert der Religiosität ist je nach AkteurIn unterschiedlich ausgeprägt. Während sie bei manchen GesprächspartnerInnen den Rahmen der biografischen Erzählung bildete oder einen signifikanten Umfang im Interview einnahm (und sich in Äußerungen über Gottes Führung und Wunder niederschlug), betonten andere den Unterschied zwischen religiösen Traditionen und Sitten auf der einen und wahrhaftem Glauben auf der anderen Seite. Damit kritisierten diese offen die Art der Religionsausübung v. a. der AltkolonierInnen und distanzierten sich von ihnen.

Die Mitmenschen der AkteurInnen werden in Alltagsgesprächen im Wesentlichen drei Gruppen zugeordnet: „BolivianerInnen“, „Deutsche“ und „MennonitInnen“. Von den „BolivianerInnen“, zu denen alle „Einheimischen“ bzw. Indigenen gezählt werden, wird ein mindestens ambivalentes, meist überwiegend pejoratives Bild gezeichnet. Charakteristisch sei es, von „BolivianerInnen“ belogen und bestohlen zu werden. Häufig wurden sie mit Attributen wie „einfach/primitiv“ oder „entwicklungs-/hilfsbedürftig“ beschrieben. Auch wenn sich der Großteil der Interviewten um eine differenzierte Darstellung bemühte, tritt die überwiegende Wahrnehmung der eigenen Überlegenheit deutlich hervor. Während manche AkteurInnen betonen, den „BolivianerInnen“ helfen zu wollen, indem sie sie von Angst- und Aberglauben sowie Hexerei befreien und zu christlichen = guten Menschen machen, sich mit ihrer heterogenen Religionsgemeinde untereinander gut zu verstehen oder die von Glückseligkeit und Ruhe geprägte Einfachheit, Werttreue und Naturverbundenheit der „BolivianerInnen“ bewunderten, stellen andere mehr oder weniger explizit fest, dass „BolivianerInnen“ unhygienisch sowie allenfalls (gute) Arbeitskräfte seien und als „weiß“ gelesene Mitmenschen benachteiligen würden. Interethnische Kontakte bestehen somit meist lediglich auf beruflicher bzw. ökonomischer Ebene. Die schulpflichtigen Kinder der Zugewanderten haben darüber hinaus in der Schule Kontakt zu „Einheimischen“. Dort geschlossene Freundschaften bleiben offenbar stets auf den schulischen Raum beschränkt, zumal private Treffen von den Eltern untersagt werden. „BolivianerInnen“ unterschieden nicht zwischen „Deutschen“ und „Mennonos“, wie die MennonitInnen in Bolivien genannt würden, da beide Gruppen deutschsprachig seien.

Als „Deutsche“ kategorisieren die AkteurInnen alle ihre Mitmenschen, die eine Zeitlang in Deutschland gelebt haben. Größtenteils handelt es sich dabei um ihre russlanddeutschen NachbarInnen. Ebenfalls dazugezählt wird die Predigerfamilie der Siebenten-Tags-Adventisten. Bis auf sie und zwei mennonitische Interviewte wohnten alle GesprächspartnerInnen in derselben Nachbarschaft. Die meisten „Deutschen“ hier sind offenbar miteinander verwandt. Andere sind augenscheinlich seit ihrer Kindheit in der Sowjetunion miteinander befreundet. Diese langjährigen transnationalen und transatlantischen Freundschaften bedingten Besuche in und Zuwanderungen nach Bolivien wesentlich mit; wiederholt wurde mir mitgeteilt, dass die Gemeinschaft eine größere Rolle für die Auswahl des Zielortes gespielt hatte als z. B. die Fruchtbarkeit des Bodens oder die infrastrukturelle Anbindung des Wohnortes an die Department-Hauptstadt. Die Generation der Eltern verständigt sich auf Hoch- und Plattdeutsch. Häufig findet Kommunikation zudem in russischer Sprache statt. Ihre Kinder hingegen beherrschen diese Sprache meist nicht mehr. Bei meiner Feldforschung wurde deutlich, dass die „Deutschen“ einander entgeltlich und unentgeltlich helfen, miteinander Handel treiben, Dienstleistungen verrichten, etc. Bisweilen würden die Abhängigkeit und das Vertrauen allerdings durch Betrug sowie fehlende Wertschätzung der Arbeitskraft und des technischen Geräts des Anderen getrübt.

Bei zwei Akteurinnen stellte ich ein ethnisches (Diaspora)Bewusstsein fest. Es wird von Forschenden oft als charakteristisch für Russlanddeutsche identifiziert (Rosenthal et al. 2011; Krieger 2013). In diesem Zusammenhang sind die Schlagworte „Glaube“, „Fleiß“ und „Flexibilität“ als zentrale Charakteristika zu nennen.Footnote 4 So erklärte mir eine Akteurin z. B., Gott habe die meisten Deutschen aus Russland „beschenkt; wohin sie auch kommen, sie kommen überall klar.“

Von „Deutschen“ wurde überdies gesprochen, wenn von in Deutschland lebenden Personen die Rede war. Gelegentlich wurde an einzelnen Lebensbereichen punktuell Kritik geübt, z. B. über das Bildungssystem, die Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt oder auch die bundesdeutsche Asylpolitik.

Das Verhältnis der „Deutschen“ zu „MennonitInnen“ oszilliert zwischen (Teil)Identifikation und Befremdung. Einerseits wird ihre Gesellschaft bisweilen als „sehr erbaulich“, zumindest als wünschenswert und hilfreich angesehen, und eine Verständigung mittels der gemeinsamen deutschen Sprache postuliert, obwohl Plattdeutschsprachige nicht immer des Hochdeutschen und Hochdeutschsprachige nicht immer des Plattdeutschen mächtig sind. Mit „MennonitInnen“ werden Geschäfte gemacht, auf ihre Empfehlungen hin werden bestimmte Ärzte und medizinische Dienstleister aufgesuchtFootnote 5 und es werden gemeinsame Gottesdienste frequentiert. Andererseits seien „MennonitInnen“ sehr verschlossen und verhielten sich in der Ablehnung alles Modernen befremdlich und widersprüchlich (z. B. sei selbst Auto fahren verboten, mit dem Taxi fahren aber erlaubt). Das Traditions- und Sittenverständnis von „MennonitInnen“ habe nichts mit religiösem Glauben zu tun und die kolonieeigenen Schulen seien zu nichts nütze. Manche AkteurInnen fragen sich, inwiefern es sich bei „MennonitInnen“ um „Deutsche“ handele. Ihre Einschätzungen fallen unterschiedlich bis unentschieden aus. Die Ähnlichkeiten und gleichzeitigen Differenzen scheinen für die AkteurInnen interessierend-irritierend zu sein. In der Nähe der Kleinstadt befinden sich mennonitische Altkolonien, wie im gesamten Department Santa Cruz (Loewen 2013). Angesichts dessen wird nachvollziehbar, dass Vergesellschaftung nicht nur auf lokaler, sondern auch auf regionaler bzw. überregionaler und (zumindest im Falle der „Deutschen“) auf transnationaler Ebene vollzogen wird.

Bei den „MennonitInnen“ kann überdies zwischen denjenigen unterschieden werden, die mehr oder weniger „sittentreu“ in autonomen Kolonien leben, und den „AussteigerInnen“, welche außerhalb von Kolonien wohnen und sich weniger konservativen Mennoniten- oder anderen freikirchlichen Gemeinden angeschlossen haben.

Meine Beobachtungen und Befunde illustrieren die interessierenden Phänomene und Themenkomplexe und deuten auf die anzuwendenden theoretischen Konzepte hin. Diese präsentiere und diskutiere ich im folgenden Kapitel. Zu zeigen ist, inwiefern die Konzepte für das geplante Projekt fruchtbar gemacht werden können und inwieweit sie angepasst werden müssen, um den Lebenswirklichkeiten der zu Beforschenden gerecht werden zu können.

3 Theoretische und methodologische Konzepte und Überlegungen

Die explorative Datenerhebung begann ich in Anlehnung an Glick Schiller et al. mit einem Forschungsinteresse an den Möglichkeiten und Wegen der lokalen, regionalen und transnationalen Vergesellschaftung von weitermigrierten russlanddeutschen BaptistInnen. Dies beinhaltet u. a. die Fokussierung familiärer Netzwerke, Freundschaften, ethnisch und nicht-ethnisch organisierter, wirtschaftlicher Unternehmen und religiöser Netzwerke, also der alltäglichen Praktiken und sozialen Beziehungen von AkteurInnen (2008, S. 2, 1992, S. 5). Die sozialen Beziehungen können lokal situiert, aber auch von (trans)nationaler Spannweite sein. TransmigrantInnen kreieren und schöpfen in der Folge aus vielfältigen Zugehörigkeiten, die sowohl in der Herkunfts- als auch der Ankunftsgesellschaft gründen (Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 179f.; Glick Schiller 2008, S. 10; Glick Schiller et al. 1992, S. 11). Anhand des Transnationalismus-Konzepts soll untersucht werden können, wie TransmigrantInnen ihre sozialen Netzwerke und ihre multiplen Zugehörigkeiten dazu gebrauchen, sich den in den transnationalen Feldern begegneten Bedingungen, Machthierarchien und Ideologien anzupassen oder ihnen zu widersetzen (Glick Schiller et al. 1992, S. 4f.; Glick Schiller 2008, S. 2; Hess 2015, S. 54).

An diesem Punkt setzt ein Teil nicht nur meiner Kritik an dem hier zu diskutierenden Konzept an, damit es für mein geplantes Projekt anwendbar wird. Konkret erscheinen die Kategorien „Herkunfts-“ und „Ankunftsgesellschaft“ obsolet; abgesehen davon, dass das Nationalstaatskonstrukt zu Blickverengungen führt und dem Themenkomplex Migration generell nicht gerecht werden kann (Schmidt-Lauber 2013, S. 183) – was ist ganz konkret Herkunfts-, was Zielland, wenn die ethnische und die nationale Herkunft nicht deckungsgleich sind und AkteurInnen diesen Unterschied in ihrem Alltagsleben in der Sowjetunion auch zu spüren bekamen?; wenn AkteurInnen wiederholt migrieren, wie z. B. (Spät)Ausgesiedelte?; wenn sich die Zugehörigkeit primär aus einer anderen Ressource als der nationalstaatlichen speist? MennonitInnen erachten z. B. den Himmel als ihre Heimat und keinen physischen Ort auf Erden (Gebhard 2014, S. 113ff.).

Was die plurilokalen sozialen Netzwerke anbetrifft, werden deren Etablierung und Aufrechterhaltung als Voraussetzung für die Vergesellschaftung definiert. Will ich Erkenntnisse über Vergesellschaftung erlangen, ist also die Analyse sozialer Netzwerke zentral (Glick Schiller 2008, S. 2, 10; Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 179f.).Footnote 6 Die hier zitierten Vertreterinnen des Transnationalismus-KonzeptsFootnote 7 verwenden den als weniger politisiert angesehenen Begriff „incorporation“ anstelle von z. B. „integration“ oder „assimilation“ (Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 179). „Incorporation“ impliziert m. E. allerdings ebenfalls, dass die einen sich den anderen einverleiben und somit in irgendeiner Form ein- oder unterordnen. Ich möchte dagegen offener ansetzen und einen neutraleren Arbeitsbegriff finden, mit dem nach Interaktionen und Anpassungsprozessen gefragt werden kann, deren Richtung nicht unidirektional (von Migrierten in Richtung der „Sesshaften“) gedacht wird. Der Begriff der „Vergesellschaftung“Footnote 8 erscheint mir daher angemessen, mein offenes Erkenntnisinteresse an den Praktiken aller BewohnerInnen der Kleinstadt zu verdeutlichen, nicht nur der TransmigrantInnen. Anstatt meinen Blick auf eine ethnische Gruppe zu richten, möchte ich nämlich den gesellschaftlichen Begegnungsort „Kleinstadt“ zum Ausgangspunkt nehmen und ihn damit zu migrantischen und oder ethnischen Kategorien querlegen (s. unten; Schmidt-Lauber 2013, S. 183; Dahinden 2016). Der etwas sperrig anmutende Titel meines Aufsatzes weist darauf hin, wie ich das theoretische Konzept des Transnationalismus im Hinblick auf mein Projekt konkret modifizieren und operationalisieren möchte.

Laut dem Transnationalismus-Konzept können Migrierte sich auf vielfältige Weise vergesellschaften; sie können eine oder mehrere der eingangs genannten Ressourcen nutzen und jeweils verschiedene Wege einschlagen. Religion könne eine wichtige Ressource für Vergesellschaftung sein, da sich vielerorts migrantische Aktivität und Identität auf ihr gründe (Glick Schiller 2008, S. 10). Ein Beispiel für gleichzeitig lokale und transnationale Vergesellschaftung könne das Christentum sein; einerseits könnten AkteurInnen Mitglieder einer lokalen Gemeinde sein, andererseits könnten sie sich als Teil einer globalen christlichen Gemeinschaft imaginieren (ebd., S. 22). Angesichts der präsentierten ersten empirischen Befunde drängt sich die Untersuchung religiöser Netzwerke und Praktiken auf.

Das Transnationalismus-Konzept beruht weiter auf der zentralen Annahme einer Beziehung zwischen Örtlichkeit, Migrations- und globalen Restrukturierungsprozessen. Demnach beeinflussen und bedingen Migration und örtliche Transformationsprozesse, wie neoliberale Transformationen, einander. Angesichts zunehmender Urbanisierung und entsprechender Migrationen sehen die Autorinnen primär in der Stadt eine wichtige Analyseperspektive, um die Schnittstelle zwischen Vergesellschaftungspraktiken von Migrierten und konkret erfahrbaren neoliberalen Transformationsprozessen zu erforschen. Es könnten aber auch eine Nachbarschaft oder eine Region in den Blick genommen werden. Grundlage dafür sei zum einen die Überzeugung, dass die ganze Welt durch ein globales kapitalistisches System verbunden sei und dass alle Städte Globalisierungsprozessen unterworfen seien, wenngleich sie in verschiedene Machthierarchien eingebettet seien. Insofern könnten Migrierte zur lokalen neoliberalen Restrukturierung einer Stadt beitragen (Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 177ff., 182, 192, 194; Glick Schiller et al. 1992, S. 8; Hess 2015, S. 53).

Zum anderen sei das Spektrum an Möglichkeiten für Vergesellschaftung von der Strukturstärke bzw. -schwäche einer Stadt abhängig. Sie sei ein Indikator für die ökonomische Situation und damit für die von potenziellen Zuwandernden wahrgenommene Attraktivität einer Stadt. Je strukturschwächer sie sei, desto weniger Möglichkeiten der Vergesellschaftung gebe es angesichts mangelnder Ressourcen. Allerdings müsse zwischen der Bandbreite und dem Stellenwert von Möglichkeiten der Vergesellschaftung unterschieden werden: Unternehmerische und religiöse Vergesellschaftungspraktiken könnten bereits wesentlich bedeutsam und effektiv für die lokale Vergesellschaftung sein. Die Bildung ethnischer communities könne in kleineren Städten weniger ausgeprägt sein. Dagegen könnte hier Vergesellschaftung durch eine christliche Glaubensgemeinschaft relevanter sein. Möglicherweise hätten nicht-ethnische Vergesellschaftungspraktiken größere Auswirkungen auf strukturschwächere Städte und ihre migrantische Bevölkerung. Neben den durch Migration induzierten Auswirkungen auf die Ökonomie wird ferner auf den potenziellen Einfluss auf die lokale Regierung, Entwicklung und soziale Bewegungen hingewiesen, den an Kultur, Ökonomie und Politik partizipierende MigrantInnen ausüben könnten (Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 189, 195; Glick Schiller 2008, S. 22f.).

Die Autorinnen fokussieren sich erstens auf ökonomische Vergesellschaftungspraktiken und deren Einfluss auf die strukturelle Position des Wohnortes auf dem kapitalistischen Weltmarkt. Die Betrachtung der ökonomischen Interaktionen und Transformationen drängt sich angesichts meiner ersten empirischen Befunde ebenfalls auf. Dabei erscheint es allerdings sinnvoll, zunächst offen zu fragen, ob und inwiefern ein solcher Einfluss überhaupt erfolgt, zumal die AkteurInnen nach Bolivien kamen, um sich eben nicht mehr dem kapitalistischen Leistungsprinzip zu unterwerfen. Inwiefern können die meist das Subsistenzniveau nur geringfügig überschreitenden unternehmerischen Tätigkeiten der Migrierten Transformationen auf lokaler, (über)regionaler oder gar (trans)nationaler Ebene anzeigen? Und ist es angesichts der Migrationsmotivation, dem leistungsorientierten Erwerbsarbeitsmodell in Deutschland zu entkommen (bzw. der religiös-missionarischen Berufung zu folgen), überhaupt der richtige Ansatz, nach neoliberalen Transformationen zu fragen? Aus den Mennonite Studies wissen wir, dass AltkolonierInnen die Erwartungen der Nationalregierungen bzgl. ihrer wirtschaftlichen Auftriebskraft nicht erfüllten, welche ihnen aber in eben diesen Erwartungen die Einwanderung gewährten und Sonderrechte einräumten (Loewen 2013, S. 38f., 120, 137, 149). Und welche Auswirkungen könnten die unternehmerischen Aktivitäten der AkteurInnen ferner oder stattdessen auf andere Lebensbereiche, Bevölkerungsgruppen, Phänomene haben, ohne vorab eine Engführung auf den ökonomischen Sektor vorzunehmen?

Zweitens ist es sinnvoll und notwendig, grundsätzlich nach dem individuellen und gesellschaftlichen Stellenwert von Religion zu fragen sowie speziell die religiösen encounters und Transformationen zu analysieren. Dabei ist nach den Verhältnissen und Beeinflussungen sowohl der einzelnen evangelischen Freikirchen untereinander als auch zu umliegenden mennonitischen Altkolonien sowie zur „angestammten“ katholischen Gemeinde zu fragen. Vermögen die evangelischen Freikirchen es, etwas an der Dominanz der katholischen Kirche zu verändern und oder die „Einheimischen“ von ihrem „Aberglauben“ zu befreien? Stehen die Freikirchen nicht vielmehr in gegenseitiger Konkurrenz um Gemeindemitglieder? Wie steht es um das „Rekrutierungspotenzial“ bei MennonitInnen, die sich von den „Koloniesitten“ und -regeln distanzieren? Und welche religiösen, aber auch sozialen Auswirkungen haben die Missionen sowie die freikirchlich geprägten Kinderheimprojekte bzw. die Sozialarbeit auf die Kleinstadt und ihre Bevölkerung – und umgekehrt? Da die MennonitInnen in Bolivien bereits eine relativ große Minderheit ausmachen, kann ferner die Frage aufgeworfen werden, ob und inwiefern die hinzukommenden BaptistInnen aus Deutschland sowie v. a. die (binnen)migrierenden MennonitInnen aus anderen nord-, mittel- und südamerikanischen Ländern neue, transformative Impulse mitbringen, z. B. in Bezug auf eine deutsche bzw. (hoch-/platt-)deutschsprachige und oder freikirchliche DiasporaFootnote 9. Insofern kann die Untersuchung religiöser Netzwerke nicht nur über Transformationen der Religion vor Ort in der Kleinstadt Aufschluss geben.

Drittens ist grundsätzlich der Blick für Transformationen jedweder Art auf unterschiedlichen Ebenen offenzuhalten, nicht nur im unternehmerischen und religiösen Bereich, sondern z. B. auch in Politik und Kultur. Inwiefern verändern sich z. B. die Ernährungs‑, Kleidungsgewohnheiten, Freizeitaktivitäten oder Interaktions- und Partizipationsformen der KleinstadtbewohnerInnen und auf welche AkteurInnen, Phänomene und Entwicklungen sind sie zurückzuführen? Und viertens: Was bleibt trotz Migrationen, Globalisierung, Transformationen und Einflüssen, also trotz des stetigen kulturellen Wandels, eigentlich konstant? Auf welchen Praktiken, Handlungen, Denkmustern, Konventionen und Wertvorstellungen beharren AkteurInnen? Warum?

Last but not least: Sind die sich aus dem Transnationalismus-Konzept ergebenden Thesen und Fragen ohne Weiteres auf den ländlichen Raum übertragbar? Bei dem Wohnort der AkteurInnen handelt es sich administrativ zwar um eine Kleinstadt, doch bezeichneten sie selbst ihn als Dorf. Das spanische „pueblo“ impliziert einen fließenden Übergang von Dorf und Stadt. „Migration und Stadtforschung“ scheint vergleichsweise prominenter zu sein,Footnote 10 doch findet Migration eben auch in ländlichen Regionen statt. In der Vorgängerdisziplin der heutigen Kulturanthropologie Volkskunde spielten Stadtforschungen bis in die 1990er-Jahre kaum eine Rolle. Dagegen reicht die volkskundliche Gemeindeforschung bis in die 1950er-Jahre zurück (Hugger 2001, S. 296ff.). Angesichts des dörflichen Kontextes des geplanten Projekts wird zu ergründen sein, inwiefern das Transnationalismus-Konzept um Erkenntnisse der space und rural studies erweitert und angepasst werden muss. Allerdings plädieren KulturanalytikerInnen des LändlichenFootnote 11 dafür, die realitätsferne, essenzialisierende Stadt-Land-Dichotomie zu überwinden und z. B. die Verflechtungen und Interdependenzen zu fokussieren sowie zu untersuchen, welche Praktiken, Diskurse und Materialitäten „Stadt“ und „Land“ wie imaginier- und erfahrbar machen (Decker und Trummer 2020, S. 9, 13; Schmidt-Lauber und Wolfmayr 2020, S. 23, 28ff., 35).

Das Transnationalismus-Konzept von Glick Schiller et al. liefert nicht nur einen theoretischen Rahmen zur Untersuchung sozialer Netzwerke und von Vergesellschaftungspraktiken. Darüber hinaus enthält es eine methodologische Leitlinie. Diese tangiert die eingangs erwähnte Problematik, die mit dem Ausgangspunkt des geplanten Projekts einhergeht, sowie die im nächsten Kapitel entfalteten Überlegungen zum methodischen Vorgehen.

Konkret bietet die Perspektive des Transnationalismus eine Alternative zur Ethnizitätsforschung bzw. zu sog. community studies, welche z. T. bis in die Gegenwart hinein prominent sind (Pries 2001, S. 50). Sie werden nämlich für den methodologischen Nationalismus kritisiert, der ihnen zugrunde liege. Unter diesem und Begriffen wie Kulturalisierung, Essenzialisierung oder Ethnisierung wird jedoch seit den 1980er-Jahren auch vor dem Hintergrund des Postkolonialismus im Rahmen der „writing culture-Debatte“ (Clifford und Marcus 1986) eine grundlegende Herausforderung und Problematik generell der kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sowie speziell der Migrationsforschung thematisiert (Flack 2020b, S. 61ff., 148f.). So kritisieren Glick Schiller et al., dass Migrierte trotz umfangreicher Literatur über die soziale Konstruktion von Differenz aufgrund ihrer Herkunft anhand bestimmter Merkmale zu einer ethnischen Gruppe homogenisiert, als räumlich verhaftet angesehen und entsprechend meist durch die „ethnische Linse“ erforscht würden, bevor überhaupt deren individuelle Identifikationen, Überzeugungen, Handlungen und sozialen Beziehungen betrachtet würden. Damit werde die ethnische Gruppe als in der sozialen Welt vorfindbare Entität festgeschrieben und zur Analyseperspektive erhoben (Glick Schiller und Çağlar 2009, S. 184; Appadurai 1991, S. 191; Gupta und Ferguson 1997, S. 34f.). Die Vorstellung einer einheitlichen Kultur eines Volkes, welches auf einem bestimmten Territorium lebe, halte sich zumindest noch in den 1990er-Jahren häufig auch bei KulturanthropologInnen hartnäckig (Gupta und Ferguson 1997, S. 40). Im Zuge von Migration, Globalisierung und dem Konsum von Massenmedien sei jedoch eine zunehmende Deterritorialisierung von Personen, Vorstellungen und Ideen zu verzeichnen (Appadurai 1991, S. 198). Der methodologische Nationalismus untergrabe die komplexen Lebensrealitäten von TransmigrantInnen, da sie vielfältige soziale Beziehungen pflegten und mit verschiedenen Identitätskonstrukten und Kategorien konfrontiert seien. Ein solcher Forschungsansatz unterscheide demnach nicht zwischen analytischen Kategorien bzw. wissenschaftlichen Arbeitsbegriffen und im Feld erhobenen, von AkteurInnen vorgenommenen Kategorisierungen. Dies sei im Hinblick auf die Datenerhebung wie auf die Forschungsergebnisse problematisch (s. unten) (Glick Schiller et al. 1992, S. 5; Brubaker 2002, S. 163f.; Dahinden 2016).

Um in der Migrationsforschung methodologischen Nationalismus zu vermeiden, der sowohl den Akteurszugang als auch die Art und Weise der Datenerhebung und damit letzten Endes auch die Forschungsergebnisse beeinflusst, wurden und werden laufend alternative Forschungsansätze entwickelt. Einer betrifft die bereits angesprochene Unterscheidung von analytischen und empirischen Kategorien. Damit geht die Notwendigkeit der Reflexion darüber einher, welche Arbeitsbegriffe Forschende nutzen, inwiefern sie sie aus Theorien oder aber „aus dem Feld“ schöpfen und welche sie wie „ins Feld hineintragen“ – und damit (mit- bzw. re)produzieren, was sie erforschen möchten oder erforschen, was sie selbst (unbewusst mit- bzw. re)produzieren (Dahinden 2016, S. 2208, 2213; Brubaker 2002, S. 167; Flack 2020b, S. 438ff.).

Weiter wird darauf hingewiesen, dass Ethnizität durchaus erforscht werden könne, jedoch als kulturelle Praxis, d. h. anhand eines subjektiven, interaktiven Verständnisses. Es fragt danach, wer, wann und wie soziale Grenzziehungen vornimmt (Dahinden 2016, S. 2216; Hess 2015, S. 41; Glick Schiller et al. 1992, S. 17). Ethnische, nationale und andere Zuschreibungen sind charakteristisch für menschliche Kommunikation. Kulturelle Differenzierungen bestehen daher selbst dann fort, wenn interethnische Kontakte gepflegt werden (Barth 1969, S. 9f.; Dahinden 2016). Allerdings sind sie als ebensolche Differenzierungen und Kategorisierungen, also als Zuschreibungspraktiken zu untersuchen – und eben nicht als vorgängig gegeben anzunehmen (Brubaker 2002, S. 174f.; Dahinden 2016; Hess 2013, S. 202). Zu fragen und zu entschlüsseln ist demzufolge, wer, wann, wie und warum derlei Zuschreibungen vornimmt und oder Grenzen zieht und aufrechterhält, welcher Sinn damit bestimmten Situationen verliehen wird und inwiefern die Kategorisierungen Gültigkeit haben (Brubaker 2002, S. 183; Barth 1969, S. 9f.; Dahinden 2016).

Ein alternativer Forschungsansatz, der sich von Ethnizität als Forschungsgegenstand und -perspektive lossagt, beinhaltet

Forschung an Schnittstellen der Migration – wie etwa Institutionen der Einwanderung, gesellschaftliche Orte wie der Arbeitsplatz oder der Supermarkt oder besondere Situationen und Ereignisse, in denen jeweils verschiedene Bereiche der Gesellschaft und (eben auch migrantische) Lebenswelten aufeinandertreffen (Schmidt-Lauber 2013, S. 183).

Solche „Schnittstellen“ sprechen auch Glick Schiller et al. an, wenn sie etwa auf die Lebensbereiche Religion und Ökonomie fokussieren. Dabei ist es im Hinblick auf Migrationsbewegungen, -entscheidungen und Integration allerdings wichtig, sich nicht nur auf familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen oder ethnische Netzwerke zu beschränken, sondern den Blick auch für konkrete Orte offenzuhalten, an denen sich möglichst die komplette Bevölkerung begegnet bzw. begegnen kann (s. unten; Dahinden 2016, S. 2217f.).

Untersuchungen an konkreten lokalen Schauplätzen, die „Ethnografie des (vernetzten) Lokalen“ (Schmidt-Lauber 2013, S. 183), werden als spezifische Aufgabe und Stärke kulturanthropologischer Fächer angesehen. Das Lokale ist sowohl von örtlichen, regionalen und nationalstaatlichen als auch von globalen Einflüssen gekennzeichnet. Diese lassen sich auf Mikroebene anhand qualitativer Forschungsmethoden untersuchen (ebd.; Hess 2007, S. 37). Tatsächlich zeigt die Fachgeschichte der heutigen Kulturanthropologie, dass sog. Gemeindestudien in Deutschland v. a. seit den 1950er-Jahren unternommen wurden (Hugger 2001, S. 294).Footnote 12 Dabei wurde allerdings die „Gemeinde als sozial- und flächenräumliche Einheit“ (Pries 2001, S. 35) betrachtet, d. h. der Raum als Behälter konzipiert. Dies erinnert an die bereits erwähnte Kritik der naturalisierenden Verbindung von Kultur/Volk und Territorium (Rolshoven 2003, S. 191f.). Auch angesichts dessen plädieren Glick Schiller et al. dafür, dynamische und transnationale soziale Netzwerke und Praktiken zum Untersuchungsgegenstand zu machen, um eine Überbetonung der Bedeutung von als gegeben und unveränderbar imaginierten Orten und Örtlichkeit zu vermeiden (2009, S. 177f., 186; Rolshoven 2003, S. 194ff.; Bachmann-Medick 2016, S. 211ff.). Darüber hinaus können Praktiken des place making, also die soziale Konstruktion von Orten mittels Bedeutungszuschreibungen, und die dabei vorgenommenen Ein- und Ausgrenzungen untersucht werden (Schmidt-Lauber 2013, S. 183).Footnote 13 Dieser der kritischen Kulturgeografie entstammende „spatial turn“ impliziert die Abkehr von einem naturalisierenden, territorial verhafteten hin zu einem Verständnis von Raum als sozialem Konstrukt und hat sich nicht nur in den Sozial- und Kulturwissenschaften durchgesetzt (Bachmann-Medick 2016, S. 211ff., 215). Instruktiv für mein geplantes Projekt ist in diesem Zusammenhang das Postulat Durkheims: „Der soziale Raum konstituiere sich durch Vergesellschaftung und wirke zugleich als ein Faktor der Vergesellschaftung, der sich über soziales Handeln objektiviert“ (Rolshoven 2003, S. 198; Durkheim 1981).

Schmidt-Lauber schlägt vor, Migration als biografisches Querschnittsphänomen zu untersuchen, welches sich auf verschiedene Lebensbereiche auswirkt (2013, S. 183). Werde dann noch das normative Verständnis von Migration durch ein neutraleres Verständnis von Mobilität ersetzt, könnte die Maßgabe, Migration zu anderen alltagsrelevanten Kategorien querzudenken und entsprechend zu erforschen, nicht nur den methodologischen Nationalismus überwinden, sondern gleichsam eine Deethnisierung bzw. Entmigrantisierung der Migrationsforschung implizieren (Dahinden 2016, S. 2215; Hess 2015, S. 47f.; Schmidt-Lauber 2013). VertreterInnen sog. postmigrantischer, postkulturalistischer oder kritischer Migrationsforschung fordern immer lauter, den Untersuchungsfokus nicht allein auf MigrantInnen, sondern auf die gesamte Bevölkerung bzw. breitere Bevölkerungsteile zu richten (Dahinden 2016, S. 2208, 2213; Römhild 2013). Die Kategorien „Migrant“ vs. „Nicht-Migrant“ ergäben ohnehin nur in einem nationalstaatlichen Denkrahmen Sinn, in dem migrationsbezogene Differenzkategorien normalisierend reproduziert würden. Der Normalisierungsdiskurs sei der Grund dafür, dass essenzialisierende Kategorien in der alltäglichen Selbstwahrnehmung von AkteurInnen sowie als strategisches Werkzeug politischer AkteurInnen existierten und erforschbar seien. Diesen differenzorientierten, nationalstaatlichen Migrationsdiskurs gelte es zu reflektieren, sich als Forschende von ihm freizumachen und Migrationsforschung entsprechend zu entmigrantisieren (Dahinden 2016, S. 2209ff.; Hess 2015, S. 40, 42, 51).

All diese methodologischen Überlegungen erscheinen für mein Projekt zu Vergesellschaftungspraktiken der BewohnerInnen möglichst aller Bevölkerungs„gruppen“ einer multiethnisch geprägten Kleinstadt in Bolivien interessant und relevant. Insofern möchte ich, wie bereits erwähnt, über das Transnationalismus-Konzept hinausgehen, indem ich andere migrierte bzw. mobile, nicht migrierende bzw. migrierte und weniger mobile bzw. immobile AkteurInnen in das Sample aufzunehmen und die Verhältnisse zu den Mitmenschen zu erheben beabsichtige. Anstatt Kontakte und Konflikte als interethnische und oder interkonfessionelle monokausal zu essenzialisieren, sollen erkenntnisoffen von unterschiedlichen und einander überlagernden Einflüssen gekennzeichnete Vergesellschaftungspraktiken herausgearbeitet werden. Migration, Ethnizität und Religion können dabei u. a. eine Rolle spielen, müssen es aber nicht. Darüber hinaus können z. B. das soziale Milieu, ökonomische Ausgangsbedingungen und finanzielle Möglichkeiten, Lebensstil, Umweltfaktoren, politische Rahmenbedingungen, Überzeugungen und Aktivitäten sowie weitere, am konkreten Fallbeispiel herauszuarbeitende Faktoren in Betracht kommen.Footnote 14

4 Forschungsfragen und Überlegungen zum methodischen Vorgehen

Aus der kritischen Diskussion sowie Modifikation der dargelegten theoretischen und methodologischen Konzepte ergeben sich u. a. folgende über- sowie untergeordnete Forschungsfragen:

  • Welche Rolle spielen Interaktionen, soziale Beziehungen, Institutionen, Diskurse und Praktiken in verschiedenen Lebensbereichen (u. a. Religion, Ökonomie, …) für die lokale, (über)regionale und (trans)nationale Vergesellschaftung einer Kleinstadtbevölkerung in Bolivien?

  • Anhand welcher Themen stellen AkteurInnen wie Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu ihren Mitmenschen her? Wie vergesellschaften sie sich?

  • Welche Rolle spielen soziale Räume und ggf. das ländliche Setting für die Vergesellschaftung der Kleinstadtbevölkerung?

  • Was verändert sich inwiefern warum? Was bleibt inwiefern warum trotz stetigen kulturellen Wandels konstant? Wie wirkt sich das auf die Vergesellschaftung aus?

Wie diesen Forschungsfragen methodisch konkret nachgegangen werden soll, wird im Folgenden ausgeführt. Als empirisch-ethnografischer Untersuchungsgegenstand rücken die sozialen Netzwerke der AkteurInnen ins Blickfeld, d. h. die Interaktionen und Beziehungen sowie die Bedeutungen, die ihnen von den AkteurInnen zugeschrieben werden (Töpfer und Behrmann 2021, S. 2f., 9). Dies bedarf einer qualitativen Perspektive auf soziale Netzwerke, die sich nicht auf eine formale Strukturanalyse von Netzwerken beschränken darf, sondern dezidiert „die kulturelle Einbettung von Akteur/innen, deren Interpretationsleistungen und Handlungsmächtigkeit zur Herstellung und Reproduktion von Beziehungsstrukturen“ (ebd., S. 2) in den Fokus nimmt. Einen Vorschlag zu einer solch genuin qualitativen Netzwerkforschung, deren theoretische und method(olog)ische Ausarbeitung im Vergleich zu strukturanalytischen Verfahren bislang eher vernachlässigt wurde, machen Töpfer und Behrmann unter Bezugnahme auf den symbolischen Interaktionismus nach Blumer (ebd., S. 2, 7, 13, 58). Dieser erscheint im Hinblick auf mein zugrundeliegendes Erkenntnisinteresse instruktiv.

Demnach interessiert, welche Bedeutungen in Interaktionen situativ ausgehandelt werden, wann und wie aus Interaktionen Beziehungen werden, „wie Akteur/innen über Interaktionen soziale Netzwerke“ (ebd., S. 26) (re)produzieren, wie dynamisch die Bedeutungszuschreibungen und sozialen Netzwerke sind und wo wie Grenzen durch bzw. innerhalb von sozialen Netzwerken gezogen werden. Insofern können soziale Netzwerke als im Handeln der AkteurInnen sinnhaft konstruiert und prozessual sowie als multipel verknüpfte Interaktionsprozesse begriffen werden. Für das geplante Projekt ist ebenfalls die Bemerkung interessant, dass Interaktionen ein Basiselement und Beziehungen Formen der Vergesellschaftung sind (ebd., S. 1ff., 9f., 16, 20ff., 34).

Für die Analyse der interaktiven Erzeugung sozialer Wirklichkeit wird ein multimethodisches, ethnografisches Vorgehen vorgeschlagen; es reicht bei der Datenerhebung von offenen (Gruppen)Interviews, über teilnehmende Beobachtungen bis hin zu Dokumenten. Ggf. von den Beforschten zu erstellende Netzwerkkarten sind dabei von von der Forscherin erstellten Maps bzw. Memos von beobachteten sozialen Beziehungen zu unterscheiden. Bei der Datenanalyse sind je nach Erkenntnisinteresse z. B. die Kodierschritte der Grounded-Theory-Methodologie (GTM) oder die Entwicklung von Lesarten nach der objektiven Hermeneutik denkbar. So soll der Komplexität der durch Interaktionen erzeugten Bedeutungen und Beziehungen annähernd Rechnung getragen werden können (ebd., S. 2f., 39ff., 44, 51).

Aufgrund ihres Augenmerks auf interaktive Aushandlungen präferieren die AutorInnen Gruppensettings (Paarinterviews, Gruppendiskussionen), um sicherzustellen, dass sich „wechselseitige Bezugnahmen von Interaktant/innen aufeinander“ (ebd., S. 43) im Datenmaterial niederschlagen. Nichtsdestoweniger könnten alternativ „die Bedeutungen von generalisierten Anderen“ in Egodokumenten untersucht und oder mehrere egozentrierte Perspektiven miteinander verknüpft werden (ebd., S. 43, 47; Girtler 2001, S. 163).

Bei der explorativen Feldforschung im Sommer 2019 wurden biografische Interviews durchgeführt, um Migrationsmotive weitergewanderter russlanddeutscher BaptistInnen zu erheben. Zugleich diente dieser Ansatz als Ausgangspunkt, um nach dem gegenwärtigen Leben in Bolivien und den Ansichten der AkteurInnen gegenüber ihrem Wohnumfeld, ihren Mitmenschen sowie ihren Zukunftsvorstellungen zu fragen. Der narrative Ansatz legitimiert sich dadurch, dass das alltägliche Miteinander von verbaler Kommunikation gekennzeichnet ist, denn Erzählen ist „ein anthropologisches Grundbedürfnis“ (Nünning 2013a, S. 18). In Erzählungen konstituieren und strukturieren wir unsere erlebte Wirklichkeit. Wir vermitteln unsere Erfahrungen, Meinungen, Wünsche, Wertmaßstäbe, Normen, Denk- und Handlungsmuster. Und wir vermitteln, wie wir uns selbst wahrnehmen und wahrnehmen wollen. Insofern konstruieren wir in Erzählungen und Lebensgeschichten auch ZugehörigkeitenFootnote 15 (Nünning 2013a, S. 40, 2013b, S. 145f.; Lehmann 2007, S. 12f.; Rosenthal und Fischer-Rosenthal 2013, S. 460). Neben der „Selbstpräsentation“ (Rosenthal und Fischer-Rosenthal 2013, S. 460) dienen Erzählungen der Vergemeinschaftung, denn „sie zielen auch auf Konsens, Zustimmung und Gruppenbildung ab“ (Nünning 2013a, S. 43). Gleichsam zeugen Erzählungen von Differenzerfahrungen. So ist Fremdheit ein häufiges Thema alltäglichen Erzählens. Positive wie negative, aber auch anderweitig eindrückliche Erfahrungen und Konfrontationen mit anderen Normalitäten werden durch das Erzählen verarbeitet und vertraut gemacht (Roth 2004, S. 36f., 42). Angesichts dessen, dass Erzählungen auch kollektive Ordnungs- und Deutungsmuster widerspiegeln, ist es sinnvoll, gleichermaßen das Erzählte wie das Erzählen an sich im Hinblick auf deren Funktionen für die Identitätskonstruktion zu untersuchen, denn was überhaupt und wie es erzählt wird, ist gesellschaftlich geprägt (Röhrich 2001, S. 522ff.; Nünning 2013a, S. 27, 2013b, S. 146; Rosenthal und Fischer-Rosenthal 2013, S. 460).

In Übereinstimmung mit den Ausführungen Töpfers und Behrmanns zu einer qualitativen Netzwerkforschung erfordert die Untersuchung des oben ausgeführten Erkenntnisinteresses im nächsten Schritt ein multimethodisches Vorgehen anhand eines breiteren Samples, das neben (biografischen) Interviews ggf. auch Gruppendiskussionen und die Visualisierung sozialer Netzwerke umfasst. Somit reduzieren die AkteurInnen in Interviews und (informellen) Gesprächen Komplexität, um eine kohärente Erzählung und damit kohärente Zugehörigkeit(en) zu erzeugen. Um allerdings nicht nur auf der verbalsprachlichen Ebene zu bleiben, sondern ein differenzierteres Bild von auch non-verbalen und v. a. impliziten Vergesellschaftungspraktiken im gelebten Alltag zu zeichnen und das Datenmaterial wieder mit Komplexität und unbewussten Ambivalenzen und Widersprüchen anzureichern, sollen darüber hinaus teilnehmende Beobachtungen an als zentral ausgemachten Begegnungsorten (s. unten) durchgeführt werden: Inwiefern leben und interagieren die AkteurInnen im Alltag tatsächlich in und mit den benannten Mitmenschen? Welche Bedeutung haben physisch präsente AkteurInnen in der Nahwelt? Welche Bedeutung haben physisch entferntere, soziale Netzwerke im Alltag? (Töpfer und Behrmann 2021, S. 2).

Zweck [der teilnehmenden Beobachtung] ist es, das Alltagshandeln, die Lebenswelten von Akteuren, zu beobachten und so das ihm inhärente routinierte Wissen und den diesen Praxen zugeschriebenen Sinn zu erfassen. Dieses Wissen ist an die Handlungen gebunden und wird in der Regel nicht verbalisiert. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten sind selbstverständlich und in die Körper und Handlungen eingeschrieben. In Gesprächen kann dieses Wissen deswegen nicht zugänglich gemacht werden […]. (Flack 2020b, S. 112).

Um nachvollziehen zu können, „wie Menschen ihre Welt(en) als sinnhaft erfahren“ (Hitzler und Eisewicht 2016, S. 24), gilt es, die Lebenswelt der Beforschten möglichst so zu rekonstruieren und zu beschreiben, wie sie selbst sie erfahren. Dieses methodisch kontrollierte Fremdverstehen darf sich also nicht auf die Deskription des eigenen Erlebens der Forscherin beschränken und muss mit der Reflexion des eigenen, vermeintlich selbstverständlichen Vorwissens einhergehen. Die Perspektive der beforschten AkteurInnen ist unbedingt in die Datenerhebung und -analyse einzubeziehen (Flack 2020b, S. 113). Zudem gilt grundsätzlich, die diversen Handlungsbedingungen zu reflektieren; wie wirken sich Interviewerin und Interviewte, Gatekeeper, Materialien, Situationen auf die Erhebungssituation und Interpretationen aus? Wie beeinflussen die Auswahl bestimmter AkteurInnen, Situationen und Daten die Analyse? (Töpfer und Behrmann 2021, S. 45ff.) Die Reflexivität im Forschungsprozess ist folglich sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der -auswertung zu berücksichtigen (Lindner 1981, S. 63; Flack 2020b, S. 113). Sie steckt nicht nur den Gültigkeitsrahmen und die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse ab, sondern zielt auch auf die Auseinandersetzung mit forschungsethischen Gesichtspunkten (von Unger 2014, S. 22ff.).

Teilnehmende Beobachtungen erscheinen mir im Rahmen des geplanten Projekts angesichts des dargelegten Erkenntnisinteresses als unabdingbar. Sie stellen eine wertvolle Quellenbasis dar, die zur Sättigung und Ausdifferenzierung des zu erhebenden Datenmaterials und zur besseren Nachvollziehbarkeit der Lebenswirklichkeiten und alltäglichen Interaktionen der Beforschten beitragen. Diese Art der Datenerhebung ist allerdings mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Erstens stellt sie an Forschende hohe zeitliche, finanzielle, fachliche und soziale Anforderungen (Flack 2020b, S. 119f.). Zweitens gestaltet sich der Zugang zu potenziellen AkteurInnen aus verschiedenen Gründen als schwierig. Neben den in der qualitativen Forschung üblichen Hürden, völlig fremde Menschen anzusprechen, ihnen einen Mehrwert für die für ein Gespräch oder eine teilnehmende Beobachtung aufgebrachte Zeit zu bieten usw., kommt in meinem konkreten Fall eine doppelte Sprachbarriere hinzu; während ich meine eingerosteten Spanischkenntnisse vermutlich vergleichsweise zügig reaktivieren und an den Sprachgebrauch in Bolivien anpassen kann, verstehe ich zwar im Wesentlichen PlautdietschFootnote 16, kann es aber nicht sprechen. Überdies ist mir das Plautdietsch ausgesiedelter Russlanddeutscher vertraut. Dieses unterscheidet sich jedoch von dem der im 19. und 20. Jahrhundert nach Übersee migrierten MennonitInnen häufig sehr stark in Aussprache und Wortschatz aufgrund der englisch- und spanischsprachigen Einflüsse. Umgekehrt sind Plautdietsch-Muttersprachige nicht selbstverständlich des Hochdeutschen mächtig. Nicht zuletzt gestaltete sich bei der Exploration auch aufgrund von Verunsicherung und oder Misstrauen mir gegenüber, doch auch aufgrund der Alltagspflichten der Akteurszugang als herausfordernd. Mit dem Akteurszugang steht und fällt letztlich das gesamte Forschungsprojekt. Er bedingt die inhaltliche Breite, Qualität und Aussagekraft der erhobenen Daten und herausgearbeiteten Interpretationen.

Der – z. B. pandemiebedingte – Verzicht auf die Erhebung vor Ort bzw. mittels teilnehmender Beobachtung würde mit einer Schwerpunktverlagerung des Erkenntnisinteresses in Richtung explizierter, bewusster sozialer Netzwerke und Vergesellschaftungspraktiken einhergehen (Gruber et al. 2021). Er wäre insofern möglich, würde aber gleichsam andere forschungspraktische und -ethische Fragen aufwerfen, die zu antizipieren und zu reflektieren wären.

Um die Akteursgewinnung entsprechend dem Forschungsfeld Kleinstadt und im Hinblick auf soziale Interaktionen und Netzwerke auszurichten, lokalisierte ich bei meinen Streifzügen folgende, potenziell zentrale Begegnungsorte der BewohnerInnen (Girtler 2004, S. 4):

  • den mercado (Markt): Dabei handelt es sich um den zentralen Handelsplatz, an dem den ganzen Tag geschäftiges Treiben herrscht. In einem Gebäudekomplex, ähnlich einem Einkaufszentrum, befinden sich zahlreiche kleine Geschäfte. In der unmittelbaren Umgebung befinden sich Lebensmittelläden. Diese muss jede und jeder für die Einkäufe des täglichen Bedarfs aufsuchen.

  • die plaza (Hauptplatz): Auf diesem großen, gepflasterten zentralen Platz in fußläufiger Entfernung vom mercado finden laut den Beforschten sämtliche öffentliche Veranstaltungen statt, z. B. anlässlich gesetzlicher Feiertage. Außerdem soll dies der Ort sein, an dem sich abends v. a. Jugendliche und junge Erwachsene treffen.

  • die churrasqueria: Dieses Steakhouse bzw. Restaurant scheint der einzige gastronomische Betrieb seiner Art in der Kleinstadt zu sein. Hier scheinen alle BewohnerInnen essen zu gehen, die es sich leisten können.

  • die Eisdiele: Davon scheint es ebenfalls nur eine im Ort zu geben. Sie ist offenbar v. a. ein Treffpunkt für jüngere Menschen.

  • die katholische Kirche: Sie befindet sich gegenüber der plaza und betreibt auch eine Klosterschule. Sie wird scheinbar in erster Linie von „Einheimischen“ frequentiert.

  • Missionen: Laut den Beforschten gebe es hier viele Missionen. Sie alle scheinen von VertreterInnen evangelischer Freikirchen und von Gläubigen aus Deutschland betrieben zu werden und richten sich an die einheimische, indigene Bevölkerung.

  • den mirador: Von dieser Aussichtsplattform sind die Kleinstadt und ihre Umgebung zu sehen. Der mirador gilt einerseits als Sehenswürdigkeit und andererseits als heidnische Kultstätte.

Entsprechend des gewählten Forschungsstils der grounded theory gilt es, „möglichst verschiedene Personen, Situationen und Dokumente [auszuwählen], um Daten zu gewinnen, die das ganze Spektrum zur Forschungsfragestellung abdecken“ (Böhm 2013, S. 476). Das Feld bzw. das interessierende Phänomen soll somit in seiner Komplexität und seinem Variantenreichtum dargestellt werden. Dies bedeutet zum einen, dass die Datenerhebung und -sammlung sich an größtmöglichen Kontrasten orientiert, um möglichst relevante Daten zu erheben und die Erkenntnisse zu differenzieren. Mit diesem Vorgehen soll eine theoretische Sättigung erreicht werden. Sie stellt das Abbruchkriterium der Datenerhebung nach der GTM dar. Hierbei entscheidet nicht die Fallzahl über die Qualität der Studie, sondern die Systematik der Fallauswahl. Insofern ergänzen die verschiedenen Erhebungsmethoden einander und tragen zur Sättigung des empirischen Materials bei. Auf dieser Grundlage soll es idealerweise möglich sein, eine neue, gegenstandsverankerte Theorie zu entwickeln (Götzö 2014, S. 445ff.; Mey und Mruck 2011, S. 28f.). Zum anderen geht dieser Forschungsstil damit einher, dass die Datenerhebung und -analyse parallel ablaufen. Die Hypothesen- und Theoriebildung beginnen mit und aus den ersten erhobenen Daten heraus. Die Theoriebildung bedingt dementsprechend die weitere Materialerhebung. Selbst wenn am Ende keine neue Theorie herauskommt, ermöglicht das Vorgehen nach der GTM, das Bedingungsgefüge und die Dynamik eines Feldes oder Phänomens zu verstehen und nahe den Daten zu rekonstruieren (Mey und Mruck 2011, S. 13, 22f.; Götzö 2014, S. 445ff.).

5 Offene Punkte

Aus der dichten Beschreibung der ersten empirischen Befunde kann eine ganze Reihe von nicht nur die kulturanthropologische Migrationsforschung interessierenden Schwerpunktthemen herausgearbeitet werden. Den Fokus explizit auch auf die Wechselwirkungen zwischen Religiosität und Migration zu richten (Elwert 2015; Löwen 2014; Theis 2006), erscheint mir für das geplante Projekt sinnvoll. So illustriert Anderson am Fallbeispiel von Amish-Mennoniten in Anlehnung an Webers Idealtypen sozialer Handlungen, inwiefern zweck- und wertrationale Handlungsmotivationen für Migrationsentscheidungen eine Rolle spielen, wie sie miteinander zusammenhängen, und von einer Vielzahl kontextueller Faktoren beeinflusst sein können (2016). Die Migrationsmotive der zugezogenen KleinstadtbewohnerInnen im Zusammenhang mit ihren (religiösen) Wertorientierungen zu untersuchen, kann ebenfalls Aufschluss über ihre Vergesellschaftungsmöglichkeiten und -praktiken geben. Zu ergründen, welche Ziele und Wünsche AkteurInnen mit Migration/Mobilität verfolgen, kann nachvollziehbar machen, welche Vorstellungen sie von- und Erwartungen aneinander haben, inwiefern die EinwohnerInnen miteinander interagieren (und inwiefern nicht), wie sie ihren neuen Wohnort imaginieren und inwiefern sie (bewusst) auf ihn Einfluss nehmen (möchten). Darüber hinaus drängt es sich auf, Bildung als ein Schwerpunktthema herauszugreifen und es ebenfalls mit Methoden und Ergebnissen auch anderer Disziplinen ins Gespräch zu bringen, zumal der Untersuchungsgegenstand mindestens auch für die Geschichtswissenschaft und Theologie von Relevanz sein dürfte. Insofern erscheint es sinnvoll, gleichsam Erkenntnisse anderer Disziplinen zu den interessierenden Themen zu berücksichtigen und dabei ferner methodologisch nach dem Verhältnis von historischer und empirischer sowie ethnologischer und theologischer etc. Forschung zu fragen.

Neben der (kulturanthropologischen) Religiositäts- und Bildungsforschung könnten ferner Erkenntnisse der area studies, der PostsozialismusforschungFootnote 17 sowie postkoloniale Perspektiven für das geplante Projekt fruchtbar sein. Postkoloniale Perspektiven einzubeziehen, bedeutet zum einen, nicht bloß von einem fortschreitenden regierungspolitischen Machttransfer auszugehen, sondern Prozesse von De- und Rekolonialisierung mit ihren Brüchen und Widersprüchen herauszuarbeiten (Castro Varela und Dhawan 2020, S. 24; Bachmann-Medick 2016, S. 131). Während postsozialistische Studien bereits von postkolonialen Perspektiven profitieren, kam Lateinamerika in postkolonialen Studien bislang überraschenderweise zu kurz (Castro Varela und Dhawan 2020, S. 23ff.). Zum anderen können postkoloniale Perspektiven als „Problematisierungsinstrument“ dienen, um eurozentrische Wissens- und Repräsentationsstrukturen auch in der eigenen Fachdisziplin, den Grundbegriffen und Methoden zu erkennen und zu durchbrechen (Reuter und Karentzos 2012, S. 11; Bachmann-Medick 2016, S. 131f.). Erkenntnisse lateinamerikanischer Forschender für das geplante Projekt fruchtbar zu machen (Odgers-Ortiz 2021), ist dabei nur ein Schritt.

Wie bereits angesprochen, steht eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Konzept „Vergesellschaftung“ noch aus. Was das Diaspora-Konzept anbetrifft, wird zu ergründen sein, ob und inwiefern es dem entethnisierten Erkenntnisinteresse zuträglich sein kann oder ggf. dem methodologischen Nationalismus Vorschub leistet. Wie auch noch aktuelle Auseinandersetzungen mit Konzepten wie Transnationalismus, Diaspora oder Diversität sowie Diskussionen um Reflexivität in der Migrationsforschung verdeutlichen, ist es bis zur Entmigrantisierung und -essenzialisierung der Migrationsforschung offenbar noch ein gutes Stück Weg. Er muss aus einer Vielzahl empirischer wie theoriegenerierender Studien gepflastert werden. Das hier beschriebene Projekt könnte einen Baustein dazu liefern.