Zusammenfassung
Die Autorin stellt eine umfassende Literaturübersicht über Fragen der psychoanalytischen Ausbildung vor. Sie diskutiert alle wichtigen Bereiche der Ausbildung: die Auswahlverfahren der Kandidaten, der Lehranalytiker, der Supervisoren, die Lehranalyse, die Supervision, die Lehrpläne, den Abschluss und Auswirkungen der Institutskultur auf die Ausbildung. Kritische Vorschläge und Kontroversen werden detailliert dargestellt. Das besondere Interesse der Autorin gilt der Frage, weshalb trotz endloser Diskussionen und zahlreicher Publikationen im Laufe der Zeit Veränderungen sich dennoch recht schwierig gestalten.
Abstract
In this essay the literature about psychoanalytical training is systematically reviewed. All important topics of training such as the selection of students, training analysts and supervisors, the training analysis itself, the supervision, the curriculum, the graduation and the culture of the institutes are reflected and critical issues are discussed. The special interest of the author is in the issue, why in spite of everlasting discussions about training change proves to be as difficult as it is.
Notes
Adam Limentani (1974) konstatierte Jahre später ebenfalls: "Institutionelle Ausbildung ist vermutlich die Antithese von Psychoanalyse" (S. 72).
Kernbergs phantasievolle Parodie "Dreißig Methoden zur Unterdrückung der Kreativität von Kandidaten der Psychoanalyse" (Kernberg 1996) beschreibt konkret die Wege zu solcher Abstumpfung.
Benedek (1955) schlug vor, die Lehranalyse in zwei Phasen aufzuteilen, wobei die erste im Sinne von Freud kurz sein und während der Zeit der klinischen Arbeit unter Supervision ausgesetzt werden solle. In dieser Zeit solle der Kandidat Selbstanalyse unter der Aufsicht eines Supervisors praktizieren. Die Analyse würde dann gegen Ende der Ausbildung wieder aufgenommen. Dieser Vorschlag hatte keine Resonanz.
Gegen den Strom dieses Konsenses schwammen jedoch Calef u. Weinshel (1973) in einer sehr interessanten Arbeit, die an einer früheren wichtigen Arbeit von Bibring (1954) anknüpft. Ihrer Meinung nach ist die Abneigung gegen das Berichten über die Lehranalyse ungerechtfertigt. Über die Analysierbarkeit und das Vorhandensein von relevanten Ich-Funktionen, die einen entscheidenden Teil davon bilden, was in der Ausbildung eingeschätzt werden muss, könne problemlos berichtet werden, ohne spezifische Details preiszugeben. Sie stellen die interessante Überlegung an, dass sowohl Kandidaten als auch Analytiker die Bewertung deshalb vermeiden wollen, weil sie moralische Untertöne habe. Infolgedessen wird auch die Realität der Beurteilung vermieden, die aber ebenso real ist, wie andere unangenehme Dinge, die der Analytiker tut, z. B. Honorare verlangen, in Ferien fahren usw. Somit blieben auch Ängste vor Exponiertwerden, Versagen, Unanalysierbarkeit usw. unanalysiert und es entstehe das Potenzial für eine Kollusion beim Verbergen einer beschämenden Realität vor dem Institut. Weinshel (1982) betont in einer späteren Arbeit die Gefahr des "Pseudo-Egalitarismus": Der Kandidat ist in der Realität immer noch in Ausbildung und unter Aufsicht, und seine Ängste werden nicht grundsätzlich abgebaut durch Maßnahmen, die diese schmerzliche Wahrheit abschwächen sollen, z. B. in den Vereinigten Staaten durch die Umbenennung der "Kandidaten" in "assoziierte Mitglieder". Sein entscheidender Einwand ist, dass wie schwierig die Realitäten der Ausbildungssituation auch sein mögen, es immer die Aufgabe des Lehranalytikers sei, ihre unbewusste Bedeutung für den Patienten zu analysieren, z. B. die regressiven Wünsche, den ödipalen Kampf gegen den Analytiker, die narzisstische Verletzung, aber dem Kandidaten nicht zu helfen, indem er sie aus dem Weg räumte. Weinshel schließt daraus, dass es mindestens so gut ist, wenn diese Probleme eine analytische und nicht eine administrative Lösung erfahren: "Schließlich wissen wir mehr über Analyse als über administration" (Weinshel 1982, S. 444).
Ein sehr betagter Analytiker unserer Gesellschaft, der über langjährige Ausbildungserfahrung verfügte, sagte mir, dass die Schwierigkeit, ältere Leute zum Lehren oder zur Teilnahme im Lehrplanausschuss zu bewegen, am Mangel an Interesse an Theorie der Studenten und an ihrer Weigerung, Theorie zu studieren, läge (im Gegensatz zu ihrer Vorliebe für klinische Erfahrung). Die Gleichgültigkeit der Studierenden könnte aber natürlich auch umgekehrt eine Widerspiegelung der von den Dozenten erworbenen Einstellung sein.
Erschienen posthum, 10 Jahre später.
Aus vielen Berichten zu urteilen ist es heute gang und gäbe, die Studenten um Rückmeldung über den Theorieunterricht (seltener über Supervision und so gut wie nie über Lehranalyse!) zu bitten (Orgel 1982).
Kernbergs Analyse der institutionellen Probleme wird untermauert von Arlows faszinierender Arbeit über die unbewusste mythologische Bedeutung der Ausbildungsverfahren (z. B. Arlow 1972). Er warnt uns "vor einer immer vorhandenen Gefahr, dass das gesamte Ausbildungsprogramm als ein Ritual erlebt werden könnte... Die Angst, die die Ausbildungserfahrung weckt, ist nicht ganz so schwerwiegend wie unter den Wilden, aber die Ergebnisse... sind offenbar genauso verlässlich" (S. 561 f.).
Die Überdehnung von "Neutralität" ist zugleich die Rationalisierung für die Verstärkung der Idealisierung: "Steht hinter dem Lehranalytiker als ein 'Mann ohne Eigenschaften' die Phantasie des Lehranalytikers als Mann, der behauptet, nicht Gott zu sein?" (s. auch Shapiro 1976; Kernberg 1986, S. 818).
Margaret Mead (1964) schrieb: "Die Methoden der Freud'schen Analyse wurden bewahrt und in eine Lehrlingssituation umgesetzt, allerdings um den hohen Preis einer kultischen Atmosphäre und eines sehr niedrigen Kommunikationsniveaus zwischen psychoanalytischen Theoretikern und dem Rest der Humanwissenschaften."
"Das Modell setzt voraus, dass Lernen deshalb stattfindet, weil der Lehrer oder die Autorität eine gewisse Art der Erfahrung seinem Schüler vermittelt. Es setzt auch voraus, dass bis zur Graduierung der status quo von 'uns' und 'ihnen' unversehrt bleibt... um ein 'braves Kind' zu bleiben, wird der Kandidat vermutlich nicht sagen, was er sagen müsste oder sagt es nicht so originell, wie beabsichtigt, aus Angst, dass er das System verletzen und sein eigenes Fortkommen behindern könnte" (Davidson 1974, S. 246).
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Danksagung
Mit dankbarer Anerkennung soll Martha Perez Calderon für ihre Unterstützung bei der Besorgung und Sichtung vieler der hier referierten Arbeiten erwähnt werden. Außerdem bedanke ich mich bei Peter Fonagy, der mich vor dem Langweiligsten warnte!
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Aus dem Englischen übersetzt von Dipl.-Psych. Erika Nemény, Berlin.
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Target, M. Über psychoanalytische Ausbildung: Literaturübersicht und Beobachtungen. Forum Psychoanal 19, 193–210 (2003). https://doi.org/10.1007/s00451-003-0165-2
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